Supercedi und der Alkohol

Cedric Schild macht Journalismus, der auch Jugendliche ansprechen soll. Dabei wirbt er unablässig für die alkohol­haltigen Sprudel­wässer seiner eigenen Firma – mit kräftiger Unter­stützung des Medien­konzerns Ringier.

Von Timo Kollbrunner, 15.04.2024

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Screenshot aus «Die Enkeltrick-Betrüger». Die Logos der Alkoholika-Firma wurden von der Republik überdeckt.

«Jetzt einfach kurz mal die Ruhe bewahren. Die Kollegin ist gleich da», sagt Frau Lorenz am Telefon. «Möchten Sie vielleicht ein Glas Wasser trinken?» Als Einsatz­leiterin der Polizei hat sich Frau Lorenz vorgestellt. Sie hätten eben zwei Einbrecher festgenommen und bei diesen einen Notizblock gefunden, auf dem auch der Name «Wendelin Schweizer» draufstehe. Zwei Kumpane der Verhafteten seien leider weiter auf freiem Fuss und, so müsse befürchtet werden, bereits auf dem Weg zu ihm, zu Herrn Schweizer.

Tatsächlich ist die Frau am Telefon nicht Polizistin, sondern Teil einer kriminellen Gruppe. Sie will Wendelin Schweizer dazu verleiten, einer Komplizin, die gleich bei ihm auftauchen wird, sein Gold und sein Bargeld auszuhändigen.

Was die vermeintliche Frau Lorenz nicht weiss: Auch Wendelin Schweizer gibt es nicht. Am anderen Ende der Leitung ist nicht ein alter, einsamer Mann, der sich leichtgläubig seines Vermögens entledigen liesse – sondern der Video­journalist Cedric Schild. Die falsche Frau Lorenz ist dem Team von «Izzy», dem Social-Media-Magazin des Ringier-Verlags, in die Falle gegangen – und wird nun zur Protagonistin im Dokumentar­film «Die Enkeltrick-Betrüger».

«Soll ich etwas trinken?», fragt Schild mit altherren­verstellter Stimme ins Telefon. Dann geht er zum Büro­kühlschrank und holt eine Flasche Hard Seltzer heraus: ein alkohol­haltiges, mit Fruchtsaft versetztes Mineral­wasser. Er nimmt einen Schluck aus der Flasche und stellt sie dann vor sich aufs Pult, genau so, dass sie fortan perfekt ausgerichtet im Vorder­grund steht, wenn er aus der Totalen gefilmt wird.

Dann klingelt es an der Tür. Eine junge Frau ist erschienen, um die Wert­gegenstände abzuholen. Und während Schild diese Frau nun im Treppen­haus in eine Ecke drängt und auf sie einredet, bis die vom «Izzy»-Team alarmierte Polizei eintrifft und sie verhaftet, spricht Frau Lorenz oben im Büro weiter aus dem Telefon, «Herr Schweizer?», fragt sie und weiss nicht, dass sie längst nur noch zu einer angetrunkenen Flasche alkohol­haltigen Sprudel­wassers spricht, Geschmacks­richtung Passionsfrucht.

Betrieb am Boulevard

Der Journalist und Comedian Cedric Schild ist gerade überall. Als Polizei­praktikant Smetterling in der Erfolgsserie «Tschugger» ist er auch jenen Schichten zum Begriff geworden, die sich vornehmlich abseits der sozialen Netzwerke bewegen. Letztes Jahr wurde er als «Videojournalist des Jahres» ausgezeichnet. Unlängst startete seine erste Bühnen­show als Comedian, bald waren sämtliche Vorstellungen ausverkauft, nun werden weitere 16 Abende angehängt. Und mit dem Team von «Izzy» hat Supercedi, wie er von seinen vielen tausend Fans genannt wird, schon so oft für Furore gesorgt, dass sich Telefon­hersteller, Buchhändler und Bier­vermarkter darum balgen, seine Scherze sponsern zu dürfen.

Aber an einen Dokumentar­film hat sich das fünfköpfige «Izzy»-Team noch nie gewagt. Bis jetzt.

Am Tag, an dem der Film «Die Enkeltrick-Betrüger» erscheint, gibt es im Newsroom des «Blicks» kein Halten mehr. Die Boulevard­zeitung gehört wie «Izzy» zu Ringier und nutzt den Film dazu, das Bezahlabo «Blick+» zu bewerben, mit dem man die Doku umsonst schauen kann. «Wir haben Enkeltrick-Betrüger gefasst!» prangt nun gross zuoberst auf Blick.ch. Darunter weitere Artikel zum Thema: «Cedric Schild mit dem Tod bedroht». «So kannst du dich vor Schock­anrufen schützen». «So viele tappen in die Falle». Am Tag darauf geht es weiter: «Diese Türken, Rumänen und Polen nehmen unsere Grossmütter aus». Und nochmals einen Tag später: «So billig lässt unsere Justiz die Enkeltrick-Betrüger davonkommen». Es will gar nicht mehr aufhören.

Der Blick-Chefredaktor Andreas Dietrich meldet sich gar mit einem Kommentar zu Wort: Dem «Izzy»-Team gelinge mit seinem Dokumentar­film ein «prächtiger Spagat» zwischen Comedy und «hartem Enthüllungs­journalismus», schreibt er. Das sei «Enthüllung, Aufklärung und Prävention vom Feinsten» – und dazu auch noch lustig. Er sei, schreibt der hellauf begeisterte «Blick»-Chefredaktor, nicht etwa deswegen befangen, weil «Izzy» wie «Blick» zu Ringier gehöre, sondern weil er den Film so grossartig finde.

Doch eher dreist

Cedric Schild selbst hat neulich die Arbeit von «Izzy» so beschrieben: «Wir sind Journalisten, nur verpackten wir unsere Themen anders als andere Medien­schaffende und produzierten Videos, die echt, rasant und nahbar sind und die auch ein Sechst­klässler verstehen kann und schauen will.»

Tatsächlich ist die Gewitztheit, mit der Schild die Betrügerinnen aufs Korn nimmt, verblüffend. Die hämische Note, die der Film zuweilen auch hat – besonders in jenen Momenten, in denen sich Schild über die teils sichtlich verängstigten Abholer der vermeintlichen Beute lustig macht, während diese live verhaftet werden –, klang in der medialen Rezeption höchstens in Nebensätzen an. Der Film wurde vor allem gefeiert. Was dabei nirgends Thema war: Genauso dreist, wie sie die Betrüger auflaufen lassen, sind Schild und Co. auch in einer anderen Disziplin. Im Platzieren von Werbung.

Bereits in der allerersten Minute des Films sieht man Schild mit einem Schlüssel­band um den Hals, auf dem der Schriftzug der Getränke­marke prangt, die er später verkosten wird. Und dann sieht man dieses Logo wieder und wieder: auf der Tischlampe im Büro, auf dem Laptop, auf der weissen Mütze, die Schild auch auf dem offiziellen Pressebild zum Film trägt, in neon­farbener Leuchtschrift an der Wand hinter Schilds Arbeitsplatz – überall prangt der Schriftzug der Firma.

Was ist das für eine Firma, die einem da mit nicht eben subtiler Penetranz aufs Auge gedrückt wird? Ein Blick ins Firmen­verzeichnis zeigt: Sie wurde vor drei Jahren gegründet und in Zürich eingetragen. Ihr Zweck: die Herstellung, die Vermarktung und der Vertrieb von alkoholischen Getränken. Derzeit verkauft sie zwei Produkte: kohlesäure­haltige Wässer mit 4,5 Volumen­prozent Alkohol in zwei Geschmacks­richtungen und zeitgeistig kalorienarm. Die Firma gehört vier Männern.

Einer von ihnen ist: Cedric Schild. Ein anderer ist Florian Scholl, «Head of Marketing» bei «Izzy» und ebenfalls Protagonist im Film.

Florian Scholl ist zudem Gründer einer weiteren Firma, die «Content Experience Testing» anbietet. Unter anderem mithilfe von Eyetracking – also der Erfassung der Blick­bewegungen – teste die Firma, «welche Werbemittel die Blicke Ihrer Zielgruppe am schnellsten und längsten auf sich ziehen». Das Versprechen der Firma: «Wir messen und optimieren, was bei Zielgruppen wirklich ankommt. Was Menschen sehen, fühlen und denken, wenn sie Ihrer Werbung begegnen. Bewusst und unterbewusst.» Dadurch, so das Versprechen, lasse sich der Erfolg einer Kampagne schon vor deren Veröffentlichung optimieren.

Es macht den Anschein, als hätten Scholl und Schild den Enkeltrick-Dokumentarfilm als Experimentier­feld genutzt. Als würden sie austesten, wie weit sie gehen können, um das Logo ihrer Firma ins Bewusstsein oder ins Unter­bewusstsein der Zuschauerinnen zu schreiben. Es gibt im Film Einstellungen, auf denen das Logo gleichzeitig an elf Stellen zu sehen ist: auf dem Laptop, auf dem Schlüssel­band, an der Lampe, auf einem Flyer und in Leucht­schrift an der Wand.

Wann ists Werbung?

Der Schweizer Presserat, das berufs­ethische Gewissen des hiesigen Journalismus, hält in der Richtlinie 10.1 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» den sogenannten «Trennungs­grundsatz» fest: Die «deutliche Trennung» zwischen redaktionellem Programm und Werbung sei «für die Glaub­würdigkeit der Medien unabdingbar». Und: «Journalistinnen und Journalisten dürfen diese Abgrenzung nicht durch Einfügen von Schleich­werbung in der redaktionellen Bericht­erstattung unterlaufen.»

Das Team von «Izzy» schreibt auf Anfrage, bei der Platzierung des Firmen­logos und der Flasche handle es sich «nicht um Werbung, da weder Geld noch andere Gegen­leistungen geflossen sind». Das «Izzy»-Team filme sich dort, «wo es arbeitet und lebt». So seien auch Marken und Produkte zu sehen, die das Team im Alltag nutzte oder, wie im Fall der Getränke­marke, «sogar besitzt. Unsere Mitarbeitenden dürfen tragen, essen und trinken, was sie wollen.»

Screenshots aus «Die Enkeltrick-Betrüger».

Und wenn Cedric Schild als Reaktion auf die Aufforderung, einen Schluck Wasser zu trinken, eine Flasche aus dem Kühlschrank hole, handle es sich um «reale Erlebnisse, die schwer planbar sind», schreibt «Izzy» weiter. «Woher sollten wir im Vorfeld wissen, dass die Enkeltrick­betrügerin ihr vermeintliches Opfer am Telefon dazu auffordert, ‹etwas trinken zu gehen›?»

Ursina Wey, Geschäfts­führerin des Schweizer Presserats, sieht das dezidiert anders. Bei der Beurteilung, ob Schleich­werbung vorliegt, stelle sich die Frage der Intensität: «Wenn eine quantitative Anhäufung von Produkte­platzierungen beziehungsweise vom Einsatz von Logos vorliegt, ist der Trennungs­grundsatz verletzt.» Wenn ein Logo wie im Enkeltrick­film wiederholt platziert werde, sei eine klare Abgrenzung zwischen redaktionellem Programm und Werbung «schlicht nicht möglich. Alles weist somit darauf hin, dass es sich um Schleich­werbung handelt.»

Entscheidend sei nicht, ob Geld geflossen sei, sondern der Gesamt­eindruck. Cedric Schild nutze den Film, «um gratis für sein Produkt Werbung einzubauen». Er vermische seine Rolle als Journalist und Mitinhaber einer Firma – wodurch sich wiederum «die Frage der journalistischen Unabhängigkeit» stelle, da Schild «wirtschaftliche Interessen an der Nennung dieses Produkts» habe.

Fein drapierte Fläschchen

Am 17. Februar, knapp zwei Wochen nach dem Release des Enkeltrick-Films, erscheint in der «Schweizer Illustrierten» eine Homestory. Präziser: eine Bürostory. Der Journalist trifft Cedric Schild und dessen Team in ihrem Büro, in seinem Text geht es um die Tricks der Enkel­betrüger, darum, was das Team während der Recherche angetrieben habe («Adrenalin!»), und dann, total unvermittelt, steht da:

Cedis Blick wandert über den zugestellten Bürotisch und bleibt in der rechten Ecke hängen. «Habt ihr das schon gesehen? Das ist etwas, was mich ausmacht», sagt er und zeigt auf Bäbihuus-Möbel. «Wenn ich nicht arbeiten mag, stelle ich mir fest vor, dass ich mich in mein Wohnzimmer teleportieren kann. Dann gehts besser.»

Die Bäbistube hat der Fotograf der «Schweizer Illustrierten» in Nahaufnahme festgehalten: Sie besteht aus zwei Fauteuil-Stühlen, einer Kommode und einem Beistell­tisch, alles ist übersät mit kleinen, grünen Fläschchen, darüber der Schriftzug: «Free Drink» – und das Logo von Schilds Firma.

Sind da einfach ein unbeholfener Journalist und ein unbeholfener Fotograf eines People-Magazins, das zufälliger­weise zum selben Verlag gehört wie die «Izzy»-Truppe, dem Schlaumeier Cedric Schild auf den Leim gegangen? Oder wurde diesem bewusst eine Plattform gegeben, um sein Produkt zu bewerben?

Abwegig ist der Verdacht nicht: Die «Schweizer Illustrierte» wurde in den letzten Jahren vom Presserat zweimal wegen fehlender Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung gerügt: weil sie es verpasst hatte, klar zu deklarieren, dass eine Artikelserie über Bauernhöfe von der Lobby­organisation Agro-Marketing Suisse finanziert worden war, oder weil bei einem Beitrag zur Abstimmung über die E-ID nicht transparent gemacht worden war, dass dieser vom Wirtschafts­verband Digital Switzerland verfasst worden war.

Johanna Walser von der Ringier-Medienstelle schreibt dazu: Die «Schweizer Illustrierte» zeige Cedric Schild im Porträt «unter anderem in seinem persönlichen Umfeld», zu dem auch die Marke gehöre. Schliesslich stehe im Text in Bezug auf die «Bäbihuus-Möbel», das sei etwas, das ihn ausmache.

Florian Scholl sagte kürzlich, ein grosser Teil der 700’000 «Izzy»-Follower in den sozialen Netzwerken seien Kinder und Jugendliche. Wie angemessen ist es da, unentwegt den Namen eines alkoholisierten Frucht­wassers zu platzieren und dieses vor laufender Kamera zu trinken? Auf Anfrage schreibt Cedric Schild betont witzig: «Ich trinke in ‹Die Enkeltrick-Betrüger› nicht nur Alkohol, am Anfang und am Ende des Films rauche ich sogar auch je eine Zigarette. In Telefonaten mit den Enkeltrick­betrügern nutzen diese zudem Schimpf­wörter wie ‹Hurensohn› oder ‹Bastard›.»

Die Stiftung «Sucht Schweiz» findet die Produkte­platzierung nicht ganz so lustig: Diese sei «problematisch, weil es sich um ein alkoholisches Getränk handelt, das als Erfrischungs­getränk mit Frucht­aromen daherkommt, wobei nicht für alle auf den ersten Blick ersichtlich sein dürfte, dass es Alkohol enthält».

Alk für jedes Alter?

Der «Beobachter», ebenfalls eine Ringier-Publikation, hat wiederholt darüber berichtet, wie einfach Minder­jährige in Onlineshops Alkohol bestellen könnten – obwohl auch diese verpflichtet wären, sicherzustellen, dass sie die Jugendschutz­bestimmungen einhalten und nicht an Kinder verkaufen. Bei den Gross­verteilern müssten Kundinnen dafür in der Regel lediglich ein falsches Geburts­datum angeben.

Beim Shop der Firma von Ringier-Star Cedric Schild dagegen bekommt man während des ganzen Bestell­vorgangs nie die Möglichkeit, sein Geburts­datum anzugeben. Man wird einfach nicht danach gefragt. Das Blaue Kreuz Zürich, das im Auftrag von Gemeinden und des Bundes mit physischen und Online-Testkäufen die Einhaltung des Jugend­schutzes beim Alkohol­verkauf überprüft, schreibt dazu: «Dass offenbar nicht mal ein Knopf zur Alters­abfrage existiert, verstösst gegen die gesetzlichen Vorgaben und bestätigt die Erkenntnisse unserer Online-Testkäufe der letzten zwei Jahre: dass sich viele Online­händler nicht an die Jugendschutz-Bestimmungen halten und sich quasi in einem rechtsfreien Raum bewegen können.»

Schilds Getränkefirma schreibt: «Wir prüfen jede Kunden­beziehung manuell vor Versand der Ware. Bei Zweifeln an der Volljährigkeit einer Person wird ein Alters­nachweis angefordert.»

Vielleicht ist es wirklich so, wie die NZZ geschrieben hat: «Supercedi spasst sich durchs Leben und kommt damit davon.» Aber vielleicht passt der Satz, mit dem Cedric Schild sein Schaffen selbst beschrieben hat, fast noch besser: «Es muss immer etwas wehtun. Einfach nicht uns.»

Hinweis: Ursprünglich hatten wir geschrieben, in manchen Einstellungen des Films tauche das Logo insgesamt achtmal auf. Mittlerweile haben wir das Logo an gleich drei weiteren Stellen entdeckt – und auch diese abgedeckt.

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