Israel soll keine Waffen mehr bekommen, Ukraine fürchtet Grossoffensive – und die AfD boomt auf Tiktok
Zudem im Nachrichtenbriefing: Wie Paris die Verkehrswende geschafft hat.
Von Bettina Hamilton-Irvine, 12.04.2024
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Zitat der Woche
«Schauen Sie einfach einen Moment zu, während ich mich sammle, denn ich bin gerade überwältigt von diesem Anblick.»NBC-5-Meteorologe Pete Sack, der am Montag live über die Sonnenfinsternis berichtete
Es war ein sehr seltener Anblick: In Nordamerika gab es am Montag zum ersten Mal seit 2017 eine totale Sonnenfinsternis zu beobachten. Der Meteorologe Pete Sack vom TV-Sender NBC 5 berichtete live darüber und war von dem, was er sah, so berührt, dass er in Tränen ausbrach. Er ist ganz offensichtlich ein Mann, der seinen Job mit sehr viel Leidenschaft und Herzblut macht.
Die wichtigsten Nachrichten der Woche
USA drohen Israel mit Konsequenzen: Der Uno-Menschenrechtsrat fordert ein Ende der Waffenlieferungen an Israel. In der nicht bindenden Resolution heisst es, dies sei notwendig, «um weitere Verletzungen von internationalem humanitärem Recht und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern». Israel behindere im Gazastreifen den Zugang zu Wasser und schränke die Lieferung humanitärer Hilfen ein. Die Resolution wurde von 28 Ländern unterstützt, 13 Länder enthielten sich der Stimme. Die USA, Deutschland und 4 weitere Länder stimmten dagegen.
Gleichzeitig verschärfte sich der Tonfall zwischen den USA und Israel massiv. Nach dem tödlichen Angriff auf einen Konvoi der Hilfsorganisation World Central Kitchen drohte US-Präsident Joe Biden dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu erstmals mit politischen Konsequenzen, sollte dieser Zivilistinnen nicht besser schützen. Nur Stunden später beschloss Israel, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Vorübergehend sollen der Hafen von Aschdod sowie der Grenzübergang Erez im Norden Gazas geöffnet werden.
Weiterhin unklar ist, wann Israel seine Bodenoffensive auf die Stadt Rafah starten wird. So wurden am Wochenende überraschend die meisten israelischen Bodentruppen aus dem Süden des Gazastreifens abgezogen – was aber ein taktischer Schachzug zu sein scheint. Am Montag sagte Premier Netanyahu, es stehe bereits ein Datum für die Rafah-Offensive fest. Am Dienstag widersprach ihm allerdings sein Verteidigungsminister. Die Uno schätzt, dass sich in der Stadt an der Grenze zu Ägypten mehr als eine Million geflüchtete Personen befinden. Um diese nach ihrer Evakuierung unterzubringen, soll Israel nun 40’000 Zelte gekauft haben.
In Den Haag begann am Montag im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg die Anhörung einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof: Nicaragua beschuldigt Deutschland der Beihilfe zum Völkermord, weil das Land Waffen an Israel liefert. Deutschland weist die Klage zurück. Dass Nicaragua gegen Deutschland klagt und nicht etwa gegen die USA, die viel mehr Waffen liefern, habe damit zu tun, dass die USA dem Land als Gegenmassnahme wirtschaftliche Probleme bereiten könnten, sagt ein Experte. Die Entscheidung der Richterinnen wird in rund zwei Wochen erwartet.
Ukraine bangt vor Grossoffensive: In der Ukraine hat Ende März eine neue Angriffswelle auf Charkiw begonnen. Und einiges deutet darauf hin, dass Russland einen neuen Grossangriff auf die zweitgrösste Stadt des Landes plant. Man unternehme nun «maximale Anstrengungen», um die Stadt zu schützen, sagte Präsident Wolodimir Selenski. Vor allem gelte es, das Luftverteidigungssystem zu stärken. Doch dem Land gehen die Waffen und die Soldaten aus. Seit Monaten blockieren die Republikaner im US-Kongress neue Unterstützung. Im Land selber fordert eine Vertreterin Kiews nun mehr Frauen für die Front. Aktuell machen Frauen in der ukrainischen Armee rund 7 Prozent des Personals aus. Derweil gerät in der Ukraine die Medienfreiheit zunehmend unter Druck. Im Kontext des Krieges habe sich Selenskis Grundmisstrauen gegen unabhängigen Journalismus noch verstärkt, sagt ein bekannter ukrainischer Investigativjournalist: «Selenski und sein Team sind autoritärer geworden.»
Klimaseniorinnen gewinnen in Strassburg: Acht Jahre nachdem der Schweizer Verein Klimaseniorinnen vom Bund mehr Klimaschutz forderte, hat am Dienstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg einen viel beachteten Entscheid gefällt. Er rügt die Schweiz wegen zweifacher Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie habe zu wenig getan, um ihre älteren Bewohnerinnen vor dem Klimawandel zu schützen.
Gerügt wird sie auch, weil sich keine der Gerichtsinstanzen im Land inhaltlich mit dem Anliegen der Seniorinnen auseinandersetzen wollte. Das Urteil wird international Signalwirkung haben, schreibt Republik-Gerichtsreporterin Brigitte Hürlimann, die in Strassburg war. Erstmals hält der Gerichtshof fest, dass die Folgen des Klimawandels die Menschenrechte bedrohen und dass es existenzbedrohende Folgen hat, wenn Staaten nicht handeln. Während Greenpeace den «historischen Sieg» bejubelt, nennt die SVP den Entscheid «inakzeptabel» und fordert, die Schweiz müsse aus dem Europarat austreten.
Diplomatischer Eklat in Ecuador: Bewaffnete Spezialeinheiten haben am letzten Freitag in Ecuadors Hauptstadt Quito die mexikanische Botschaft gestürmt und den ehemaligen Vizepräsidenten Ecuadors, Jorge Glas, festgenommen. Dies, nachdem Ecuador Mexiko vergeblich um Erlaubnis gebeten hatte, das Gebäude zu betreten. Problematisch ist das vor allem, weil das Gelände einer Botschaft nach internationalem Recht als unantastbar gilt. Gegen Glas war im Dezember ein Haftbefehl wegen Korruptionsvorwürfen erlassen worden, worauf dieser in der mexikanischen Botschaft Zuflucht gesucht hatte. Am Freitag hatte Mexiko ihm politisches Asyl gewährt. Nach dem Eklat hat Mexiko die diplomatischen Beziehungen zu Ecuador abgebrochen und will beim Internationalen Gerichtshof der Uno Klage einreichen. Auch international ist die Empörung gross. So verurteilt die Organisation Amerikanischer Staaten, der 34 Länder aus Nord-, Mittel- und Südamerika angehören, das Vorgehen der ecuadorianischen Polizei.
Unter dem Radar
Pressefeindliche Stimmung in Deutschland: Tritte und Faustschläge oder Schläge mit Gegenständen, das waren gemäss «Reporter ohne Grenzen» 2023 die häufigsten Angriffe auf Journalistinnen in Deutschland. Zwar wurden im Vergleich zum Jahr 2022, als es zu 103 Angriffen auf Medienschaffende kam, letztes Jahr mit 41 deutlich weniger Übergriffe registriert. Dennoch ist die Zahl im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie immer noch relativ hoch: 2019 war es zu 13 Angriffen gekommen. «Reporter ohne Grenzen» verweist auf eine «immer pressefeindlichere Stimmung», die sich in Deutschland in den letzten Jahren ausgebreitet habe. Zudem beobachte man eine «gefährliche neue Art der Aggression», sagt ein Vorstandsmitglied der deutschen Sektion: Landwirte hätten kürzlich mit Traktorenblockaden die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern verhindert. Das zeige, dass bei Angriffen gegen die Pressefreiheit die Hemmschwelle weiter gesunken sei.
Etwas gelernt
Warum die AfD auf Tiktok so erfolgreich ist: Lange galt Tiktok vor allem als Plattform für lustige Filmchen von tanzenden Menschen. Doch heute ist sie auch politisch. Unter den Parteien ist die rechtspopulistische AfD die Nummer eins auf Tiktok: In Deutschland erreicht sie mehr Menschen als alle anderen Parteien zusammen. Das habe damit zu tun, dass die AfD schon sehr früh auf der Plattform präsent gewesen sei, sagt Jakob Guhl zu SRF. Er forscht zu Extremismus im Netz. Die anderen Parteien hätten der AfD das Feld erst mal überlassen und seien nun im Rückstand. Zudem seien die «verkürzten Parolen» der AfD beliebt, da die Clips auf Tiktok generell kurz seien. Gerade bei Themen, «die besonders emotionalisieren und sensationalistisch verarbeitet werden können», würden die Strukturen und Algorithmen der Plattform der AfD entgegenkommen, sagt Guhl. Wichtig sei deshalb, dass man noch stärker auf die Förderung von Medienkompetenzen setze – damit Nutzer einschätzen können, was seriöse Quellen sind und wie auf Social Media emotionalisiert werde.
Die gute Nachricht
In Paris hat das Velo das Auto überholt: In der Hauptstadt Frankreichs wird mittlerweile jeder zehnte Weg auf dem Velo zurückgelegt – das sind mehr als doppelt so viele Fahrten wie im Auto. Noch grösser ist der Unterschied in der Stosszeit am Morgen: Dann ist fast jede fünfte Fahrt eine Radfahrt. Das zeigt eine neue Studie einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, in deren Rahmen über 3000 Menschen in Paris per GPS getrackt wurden.
Die Stadt bemüht sich schon länger um eine Verkehrswende. So gibt es einerseits zahlreiche neue Radwege sowie Subventionen für den Kauf von Fahrrädern, um den Menschen den Umstieg zu erleichtern. Andererseits sind die Parkgebühren für Autos gestiegen, es gibt zunehmend weniger Parkplätze und mehr Einbahnstrassen. Das zeigt Wirkung: Noch im Jahr 2010 wurden weniger als 3 Prozent aller Fahrten in Paris mit dem Velo gemacht.
In einer früheren Version war der Titel zum diplomatischen Eklat in Ecuador irreführend. Wir haben die Stelle angepasst, entschuldigen uns für das Versehen und bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.
Illustration: Till Lauer