Rosenwasser

Zwischen den Ohren

Vor nicht allzu langer Zeit mussten Lesben und Schwule noch um ihre Rechte kämpfen, heute trans Menschen. Warum kapieren wir nicht, dass das Geschlecht nicht nur zwischen den Beinen liegt?

Von Anna Rosenwasser, 06.02.2024

Vorgelesen von Danny Exnar
0:00 / 7:45

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Liebe Leserinnen bis Leser, ich schreibe und rede schon seit einem Jahrzehnt von Beruf über Geschlecht. Und trotzdem: Wenn Sie mich fragen würden, woher ich weiss, dass ich eine Frau bin, würde ich sagen: Ich weiss es halt einfach. Wenn Sie mich dann fragen würden, ob ich mir ganz sicher bin, dass ich eine Frau bin, würde ich wohl schulter­zuckend antworten: Keine Ahnung, ob ich mir sicher bin. Ich fühle mich halt irgendwie als Frau.

Das wurde mir noch nie abgesprochen. Es sind alle mit mir einverstanden: Ich bin eine Frau. Ich habe als kleines Mädchen – im Gegensatz zu meinen drei Brüdern – Ohrlöcher gekriegt, die sich schrecklich entzündet haben, aber Mädchen tragen halt Ohrringe, darum muss das so. Als Teenagerin habe ich sehr schnell hormonelle Verhütung erhalten, von der ich keine Ahnung hatte, erst recht nicht von den immensen Risiken, die sie mit sich bringen können. Als erwachsene Frau kann ich rasant eine zwei­stellige Zahl an Kilogramm abnehmen und werde implizit und explizit gelobt dafür. Solange mein Körper der Norm entspricht, wehren sich nur die wenigsten dagegen, dass genau diese Norm meinem Körper schaden könnte.

Es gibt körperliche Entscheidungen, die dauernd öffentlich zur Debatte stehen. Dann gibt es solche, bei denen wir anerkennen: Was du mit deinem Körper machst, entscheidest nur du alleine. Ob die körperliche Veränderung schädlich ist oder nicht, spielt dabei keine tragende Rolle.

Ich könnte mir morgen ein künstliches Knie­gelenk einsetzen lassen – ein Eingriff, mit dem laut Statistiken 6 bis 30 Prozent aller Menschen unzufrieden sind –, und niemand würde mit der Wimper zucken. Der Anteil an Menschen, die eine Geschlechts­angleichung bereuen, ist wesentlich tiefer als derjenige bei Knie­operationen. Aber über Geschlechts­angleichungen wird deutlich lauter gestritten.

Eine Tatsache, die selten Erwähnung findet: Viele trans Menschen – also Menschen, die sich mit einem anderen Geschlecht identifizieren, als ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde – unterziehen sich keiner einzigen Operation. Zahlreiche trans Menschen transitionieren mit ihrem Namen, ihrem Pronomen, ihrem Äussern, aber entscheiden sich aus unter­schiedlichen Gründen gegen Operationen.

Die Vorstellung, dass Trans­identität untrennbar mit geschlechts­angleichenden Operationen verbunden ist, wurde geprägt von den vielen voyeuristischen Geschichten, die in den vergangenen Jahren medial verbreitet wurden. Die Vorstellung, dass diese intimen Informationen die Öffentlichkeit überhaupt etwas angingen, ebenfalls.

Geredet und geschrieben wird vor allem über körperliche Eingriffe. Das Narrativ, das in den vergangenen Jahren und Monaten besonders gern bedient wird, ist eines, das rechts­konservative Kreise beispielsweise in den USA schon lange stricken: das der Detransition.

Dabei geht es um Menschen, die zuerst von einem Geschlecht in ein anderes transitioniert haben und dann, teils Jahre später, wieder zurück. Das Schweizer Fernsehen SRF hat dem Thema Detransition letztens einen langen Videobeitrag und einen ebenfalls langen Text gewidmet.

Dass Medien detransitioners so stark über­repräsentieren, ist nicht nur gefährlich für trans Menschen, sondern auch für solche, die detransitionieren und nach wie vor eine trans­freundliche Welt befürworten.

Eine wichtige Information fehlte in diesen zwei SRF-Beiträgen: Untersucht man die ohnehin schon tiefe Detransitionszahl qualitativ, zeigt sich, dass viele trans Menschen den Schritt zurück nicht etwa machen, weil sie sich in ihrer Identität getäuscht haben. Sondern weil sie auf Druck der Eltern oder der Gesellschaft wieder zurück­gekrebst sind. Die zwei detransitionierten Personen, die das SRF porträtiert hat, gehören zu einer Minderheit einer Minderheit einer Minderheit. Eine von beiden erwähnt im Zusammenhang ihrer Detransition auch, dass sie zu Gott gefunden hat. Ich will an dieser Stelle vorsichtig anmerken, dass es noch immer in den meisten Kantonen legal ist, Konversions­massnahmen auszuführen, um queere Menschen zu «heilen». Was meistens evangelikal motiviert ist. Und psychische Erkrankungen wie etwa post­traumatische Belastungs­störungen mit sich bringen kann.

Es gibt noch eine andere in der Schweiz legale Praktik, die ich an dieser Stelle erwähnen möchte: Wenn ein Baby zur Welt kommt und sein Körper nicht eindeutig als männlich oder weiblich eingeordnet werden kann – was bei 1 bis 2 von 100 Geburten der Fall ist –, ist es noch immer erlaubt, den Körper dieses Babys zur «Eindeutigkeit» umzuoperieren. Irreversibel, ohne medizinische Notwendigkeit.

Das alles betrifft mich nicht. Mein Babykörper entsprach dem Konzept eines weiblichen Körpers, und meine Identität als Frau blieb mein ganzes bisheriges Leben. Über mich sagt niemand, dass ich mich als Frau «identifiziere».

Natürlich erlebe auch ich, dass mir die Selbst­bestimmung über meinen Körper entrissen wird, man denke etwa an Diskussionen über Abtreibung. Es gibt für mich aber noch eine stärkere Verbindung zu Diskussionen über Trans­identität: Viele der Argumentationen, die jetzt in Zeitungen, im Fernsehen und auf dem politischen Parkett ausgebreitet werden, bezogen sich noch vor wenigen Jahr­zehnten auf Schwule und Lesben.

Heute streiten wir darüber, auf welche WCs trans Menschen gehen sollen – in den Neunzigern diskutierte die Schweiz über lesbische Fussballerinnen in Umkleide­kabinen.

Als ich 1990 zur Welt kam, stufte die Weltgesundheits­organisation Homo­sexualität noch als Krankheit ein – heute wird Transidentität pathologisiert.

Dass Lesbisch- und Schwul­sein keine Entscheidung, keine Phase und nichts Unnatürliches ist, ist weniger umstritten als früher – aber in Bezug auf trans Menschen wird jetzt das Gleiche behauptet.

Wir verstecken unsere Trans­feindlichkeit hinter dem Vorwand, Kinder und Jugendliche zu schützen, anstatt uns zu fragen, was sie brauchen: ein Bildungs­system, ein Gesundheits­system und eine Gesellschaft, die bereit sind für die Tatsache, dass jeder Mensch selbst über seinen Körper bestimmen darf. Und dass Geschlecht nicht nur zwischen den Beinen liegt. Sondern auch zwischen den Ohren.

Illustration: Alex Solman

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