Schönheit
Lesha hat Angst, er könnte eingezogen werden. Darum trifft er Vorkehrungen für seine Frau Agata. Und während russische Angriffe die Wohnungen von Freunden treffen, bringt ihn eine Nachricht zum Geburtstag zum Nachdenken.
Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Übersetzung und Bildredaktion), 29.01.2024
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Es gibt nicht viel Neues zu berichten. Insgesamt geht es uns gut. Um mit etwas Positivem anzufangen: Seit drei, vier Wochen ist der Zustand meiner Frau Agata recht stabil. Es ist nun drei Monate her, dass sie mit den neuen Medikamenten angefangen hat, und offenbar ist jetzt der Zeitpunkt, wo sie ihre volle Wirkung entfalten. Manchmal dünkt es mich, dass sie besser drauf ist als ich. Vielleicht hilft es auch, dass sie seit dem Sommer Social Media abgestellt hat. Es sind dunkle Zeiten, so dunkel wie noch nie seit dem Februar 2022. Darum ist es für mich eine Erleichterung, dass sich Agata erholt hat – hoffentlich nachhaltig.
Die Erneuerung von Agatas Aufenthaltsbewilligung beschäftigt uns immer noch. Wenn alles gut geht, ist sie nächste Woche parat. Möglicherweise können wir im Laufe des Jahres auch die dauerhafte Aufenthaltsbewilligung beantragen. Dafür braucht man wiederum andere Papiere, unter anderem die sogenannte Immigrationserlaubnis. Um diese bemühen wir uns aktuell, in etwa einem halben Jahr sollten wir Bescheid bekommen. Es wäre natürlich super, wenn das alles klappen würde. Denn die neusten Entwicklungen rund um das Mobilisierungsgesetz machen mir grosse Sorgen: Was, wenn ich einberufen werde, mir etwas geschieht und mit Agatas Dokumenten etwas nicht in Ordnung ist?
Ich habe von einer Frau gelesen – sie hat wie Agata einen russischen Pass –, die knapp vor der Deportation nach Russland stand, nachdem ihr Mann an der Front umgekommen war. Nur weil es einen grossen Medienrummel gab, erhielt sie schliesslich eine ukrainische Identitätskarte. Ich gebe mein Bestes, positiv zu bleiben und möglichst wenig über diese Dinge nachzudenken. Trotzdem: Sollte ich eingezogen werden, will ich sicher sein, dass Agata von solchen Problemen verschont bleibt.
Unser Buch «We Stay» dreht weitere Kreise. Vor kurzem wurde ich eingeladen, damit an einer Gruppenausstellung in Amsterdam teilzunehmen. Auch sonst erhalte ich immer wieder Feedbacks, aus jeder Ecke der Welt. Letzte Woche hat mir jemand aus Japan geschrieben, der das Buch dort entdeckt hat. Das berührt mich jedes Mal und gibt mir Energie, um weiterzumachen. Ich hoffe, ich kann auch in Zukunft solche Projekte anschieben. In letzter Zeit fiel es mir allerdings schwer, produktiv zu bleiben.
An meinem Geburtstag erreichte mich eine Nachricht von einer Freundin. Sie wünschte mir, dass mir der Sinn für Schönheit nicht abhandenkomme in diesen dunkelsten Zeiten. Ich könnte es nicht treffender sagen. Das ist es, dachte ich beim Lesen, genau so fühlt es sich an. Und ich hoffe wirklich, dass vor uns noch Helles und Schönes liegt.
Die Feiertage hat uns Russland auch dieses Jahr gründlich verdorben. Kiew wurde in den Nächten vor und nach Silvester heftig bombardiert. Mein Freund Artem lebt nur ein paar hundert Meter entfernt von einem Ort, der vor kurzem getroffen wurde. Die Druckwelle zerstörte die Fenster seines Balkons. Die Fenster zur Wohnung selbst sind zum Glück ganz geblieben, und es geht Artem gut. Er hatte mehr Glück als einer meiner Kletterkollegen, dessen Haus von einer Rakete oder Trümmerteilen getroffen wurde. Etwa 50 Bewohnerinnen wurden verletzt, zwei fand man tot. Mein Kollege ist glücklicherweise körperlich unbeschadet davongekommen, nur sein Auto brannte aus und seine Wohnung wurde beschädigt. Einigen Nachbarn von ihm sind hingegen die ganzen Wohnungen ausgebrannt.
Der Krieg dauert nun seit fast zwei Jahren an, und es gibt keinen sicheren Ort in der Ukraine. Egal, wie viel wir abwehren können, den Russen fällt immer wieder eine neue, brutale Taktik ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand, den man kennt, persönlich und direkt betroffen ist. Umso trauriger macht es mich, zu sehen, wie die Unterstützung und Aufmerksamkeit für unsere Situation zunehmend schwindet.
Lesha Berezovskiy arbeitet als freier Fotograf in Kiew. Er ist 1991 im ostukrainischen Bezirk Luhansk geboren. Als dort 2014 der Krieg ausbricht, zieht er in die Hauptstadt, wo er heute mit seiner Frau Agata lebt.
Leshas Fotoband «We Stay» dokumentiert sein Leben im ersten Jahr des Krieges in der Ukraine. Die Bilder dafür sind alle im Rahmen dieser Kolumne entstanden. Das Buch kann für 48 Franken hier bestellt werden.