Man hätte es wissen können
Die Enthüllungen um die Deportationspläne von AfD-Politikern und rechtsextremen Ideologen haben die deutsche Gesellschaft wachgerüttelt. Die Bedrohung von rechts wird aber immer noch nicht ausreichend verstanden.
Eine Analyse von Wilhelm Heitmeyer, 26.01.2024
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Viele hunderttausend Menschen sind in den letzten Tagen in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus und speziell gegen die AfD auf die Strasse gegangen. Sechsstellige Teilnehmerzahlen gab es allein bei Demos in München und Berlin. In Hamburg und München mussten die Demonstrationen gar abgebrochen werden – nicht weil es zu Ausschreitungen gekommen wäre, sondern weil sich derart viele Teilnehmerinnen versammelten, dass die Innenstädte überfüllt waren. Die Proteste werden keineswegs nur von den grösseren Städten getragen und sie beschränken sich nicht auf das vergangene Wochenende. Vielmehr gingen die Demonstrationen unvermindert weiter, zuletzt waren es etwa bei einer Kundgebung in Darmstadt 17’000 Menschen – mehr als ein Zehntel der Einwohnerzahl.
Es ist unverkennbar: Seit das Recherchenetzwerk «Correctiv» enthüllte, dass bei einem Potsdamer Geheimtreffen hochrangige AfD-Funktionäre gemeinsam mit Neonazis und Unternehmern an Plänen zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland arbeiteten, ist der Protest gegen rechtsextreme Ideologie und Menschenfeindlichkeit deutlich lauter und sichtbarer geworden. Es scheint, als habe das Bewusstsein dafür deutlich zugenommen, dass die AfD und ihre Verbündeten eine fundamentale Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und für Millionen Menschen im Land darstellen. Die «Correctiv»-Recherche hat offenkundig eine Menge Leute aufgeweckt.
Zugleich aber folgt das Potsdamer Geheimtreffen nur einem längst bekannten Muster. Was durch die «Correctiv»-Recherche aufgedeckt wurde, ist geradezu ein Paradebeispiel für «rechte Bedrohungsallianzen», also die Vernetzungsarbeit der extremen Rechten, die immer auch in die Mitte der Gesellschaft hineinzielt. Man muss daran erinnern: Am Potsdamer Geheimtreffen haben auch unterschiedliche Akteure aus demokratischen Parteien teilgenommen.
Wilhelm Heitmeyer (78) ist Soziologe. Seine Buchreihe «Deutsche Zustände» und viele weitere Publikationen sind zu Standardwerken geworden. Er gründete 1996 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden 2013 war er Direktor des Instituts. Seitdem ist er Seniorprofessor in Bielefeld. Neben der Leitung zahlreicher Forschungsprojekte, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurden, war er von 2008 bis 2013 editor-in-chief des von ihm gegründeten «International Journal of Conflict and Violence» (IJCV). Seine Hauptforschungsgebiete sind Gewalt, Rechtsextremismus, soziale Desintegration und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.
Jetzt zu Beginn des Wahljahres 2024, in dem die AfD laut Meinungsumfragen bundesweit bei etwa 20 bis 22 Prozent liegt, ist diese Bedrohung greifbarer denn je. In einigen ostdeutschen Bundesländern, wo im Herbst 2024 Landtagswahlen stattfinden werden, kommt die AfD sogar auf rund 30 Prozent und mehr. Sollten sich diese Meinungsumfragen in Wahlstimmen umsetzen, dann stehen konkrete Machtfragen an – und damit auch Bedrohungen der offenen, pluralistischen Gesellschaft und der liberalen Demokratie.
Die Fragen, die sich alle dringlich stellen, lauten also: Wie funktionieren rechte Bedrohungsallianzen und was ist die Strategie der rechtsautoritären Vernetzungsarbeit? Was steckt hinter dem Wort «Remigration», das beim Potsdamer Treffen der Schlüsselbegriff war – und deshalb in Deutschland erst kürzlich zum Unwort des Jahres gekürt wurde?
Bevor ich darauf eine Antwort gebe, möchte ich zunächst einen genaueren Blick auf das ideologische Angebot der AfD werfen – und auf die Frage, warum es bei vielen verfängt.
Die Attraktivität der AfD in Krisenzeiten
Bei der Einordnung der AfD im Parteienspektrum und der Frage nach den Gründen für die hohen Zustimmungswerte wird immer noch und immer wieder darauf verwiesen, dass sie «rechtspopulistisch» sei oder nach Einschätzung verschiedener Verfassungsschutzämter als «rechtsextremistisch» gelten muss. Aus meiner Sicht sind beide Einordnungen nicht präzise genug, denn die AfD ist eine Partei «neuen Typs». Ihr ideologisches Angebot lässt sich meines Erachtens am besten mit dem Begriff «Autoritärer Nationalradikalismus» fassen.
Das Autoritäre bestimmt das Gesellschaftsmodell und zeigt sich in der Propagierung traditioneller Lebensweisen, der Abwehr und Ausgrenzung von sexueller Vielfalt, der starken Orientierung an Hierarchien und Kontrollverlangen, aber auch in der Vorstellung von «reiner» ethnischer Homogenität.
Das Nationale zeigt sich in den Überlegenheitsansprüchen der deutschen Kultur. Deshalb ist die Politik der AfD auch vor allem ein Kulturkampf. Hinzu kommt eine nationalistische Identitätspolitik als Ausgrenzung und eine Fixierung auf das «Deutschsein» als Identitätsanker. In diesen Kontext gehört dann auch der Geschichtsrevisionismus der Partei: Sie strebt nicht weniger als eine Umdeutung deutscher Geschichte an. Schliesslich wird der Nationalismus der Partei wirtschaftspolitisch komplettiert durch die Leitlinie «Deutschland zuerst».
Das Radikale der AfD wird sichtbar im aggressiven Kommunikations- und Mobilisierungsstil, durchzogen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also die gezielte Abwertung, Diskriminierung und Ausgrenzung von markierten Gruppen. Eine ausgeprägte Orientierung an Feindbildern ist hier das zentrale Moment.
Dieses Politikangebot ist offensichtlich in Teilen der Bevölkerung (nicht nur in Ostdeutschland) attraktiv, insbesondere in Krisenzeiten, wie sie seit 2000 immer häufiger auftreten: zunächst als sektorale Krisen, bei denen nur Teile der Gesellschaft direkt betroffen sind. Die Corona-Pandemie war dann erstmals eine systemische Krise, in der gleichsam alle Facetten der Gesellschaft «infiziert» waren. Aktuell dominiert eine multiple Krise, in der zahlreiche Konflikte und Krisen gleichzeitig auftreten.
Gesellschaftliche, ökonomische und politische Problemlagen sind dann als Krisen zu klassifizieren, wenn die Routinen bisher eingesetzter Instrumente zur Behebung der Problemlagen nicht mehr sofort, schnell und kostenlos wirken – und wenn die gewohnten, eingelebten und Sicherheit gebenden Zustände vor den Krisen nicht wieder herstellbar sind. Dies erzeugt in Teilen der Gesellschaft tatsächliche oder auch nur befürchtete Verluste der Kontrolle über den eigenen Wohlstand, den eigenen Status und die Zukunftsplanungen.
An diesem Kontrollverlust setzt die AfD mit ihrem beschriebenen Politikangebot an. Zum einen, indem sie eine Emotionalisierung der Problemlagen vorantreibt; zum anderen, indem sie die Wiederherstellung der Kontrolle mittels ihrer autoritären, nationalistischen und radikalen Politik verspricht: «Wir holen uns unser Land und unser Volk zurück», lautete 2017 die berüchtigte Ansage von Alexander Gauland. Wie die jüngsten Enthüllungen nun noch einmal vor Augen geführt haben, soll das offenbar auch heissen: Kontrolle durch millionenfache Vertreibung.
«Remigration»: Ein Deportationskonzept
Im Zuge dieser Krisenentwicklungen und angekurbelt durch die Zustimmungswerte von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung haben sich immer radikalere Machtfantasien entwickelt, denen die AfD vor allem in der Migrations-, Asyl- und Flüchtlingsfrage freien Lauf lässt. Diese Strategie hat sich für sie schon 2015/2016 bei der grossen Flüchtlingsbewegung und den durch Kanzlerin Merkel geöffneten Grenzen bewährt, als der Aufschwung der damals hoch zerstrittenen Partei begann, die durch diesen Kulturkampf immer mehr homogenisiert und radikalisiert wurde.
Seitdem wird intensiv an einer Diskursverschiebung gearbeitet, konkret: Das sogenannte Overton-Fenster des öffentlich Sagbaren wird immer weiter nach rechts verschoben, indem Begriffe, die bisher ausserhalb der öffentlichen Debatten lagen, umgedeutet und zunächst über die sozialen Netzwerke normalisiert worden sind. So ist das bereits in der Vergangenheit mit Begriffen wie «Bevölkerungsaustausch» oder «Umvolkung» geschehen, die immer mit dem Schüren der Angst vor Kontrollverlust und dem Untergang des deutschen Volkes verbunden wurden.
In diesem Zusammenhang ist auch die Begriffsumdeutung von «Remigration» zu platzieren. Ursprünglich handelt es sich um einen Begriff aus der Migrationsforschung, der die freiwillige Rückwanderung von Migrantinnen in ihre Herkunftsländer meint. Im Kontext des rechten bis rechtsextremistischen Spektrums wird dieser rein analytische soziologische Begriff jedoch gekapert und mit neuem Inhalt versehen. Hinter dem so wissenschaftlich klingenden Begriff werden nun Deportationsfantasien verharmlost. Er meint im rechten Diskurs nichts anderes als die Vertreibung oder gar Deportation von Asylbewerberinnen, Flüchtlingen und sogenannten «nicht assimilierten Staatsbürgern».
Diese Begrifflichkeit ist in AfD-Kreisen keineswegs erst seit dem Potsdamer Treffen in Gebrauch. Auf dem Europawahl-Parteitag der AfD im August 2023 wurde vielfach die millionenfache «Remigration» gefordert, über die Berichterstattung in den Medien popularisiert und damit im Sinne der AfD auch normalisiert.
Wenn nun also aufgedeckt wurde, dass im November 2023 in einer Villa in Potsdam eine Versammlung stattgefunden hat, bei der Martin Sellner, der österreichische Rechtsextremist und führende Kopf der Identitären Bewegung, einen Masterplan zur millionenfachen «Remigration» vorgestellt hat – und zwar in Anwesenheit unter anderem von AfD-Politikern und Mitgliedern der CDU-Werteunion –, dann ist zu sagen: Man hätte es schon länger wissen können.
Bereits 2018 hat der höchst einflussreiche AfD-Politiker Björn Höcke, der auch Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag ist, in seinem Buch «Nie zweimal in denselben Fluss» gross angelegte Remigrationsmassnahmen «kulturfremder» Menschen angekündigt, wenn die AfD an der Macht sei. Für diese Massnahmen, so heisst es im Buch, müsste wohl mit «wohltemperierter Grausamkeit» vorgegangen werden, wobei auch mit Opfern in den eigenen Reihen zu rechnen sei. Auch nach der Aufdeckung durch das «Correctiv»-Recherchenetzwerk schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer auf der Plattform X: «Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.»
Die gefährlichen Bedrohungsallianzen
Um das Ausmass der Bedrohung der pluralistischen Gesellschaft und der liberalen Demokratie begreifbar zu machen, habe ich zusammen mit Kollegen 2012 ein Konzept eines Eskalationskontinuums veröffentlicht, das 2020 dann auf den aktuellen Entwicklungsstand gebracht wurde. Dieses Modell soll deutlich machen, welche Akteure an dem Prozess der Bedrohung beteiligt sind, mit welchen Eskalationen zu rechnen ist und welche Mechanismen wirksam sind.
Entgegen der landläufigen Sichtweise mit der Fokussierung auf die AfD setzt sich unser Konzept der «rechten Bedrohungsallianzen» aus fünf Bestandteilen zusammen. Bildlich lässt sich dieses Konzept mit einer Zwiebel und deren Schalen veranschaulichen.
Die äussere, grösste Schale bildet die Bevölkerung mit ihren Einstellungsmustern. Unsere Langzeituntersuchungen zur «Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit» seit 2002 ergeben, dass innerhalb der Bevölkerung ein erhebliches Potenzial der Abwertung, Diskriminierung und Ausgrenzung markierter Gruppen vorliegt. Dieses richtet sich unter anderem gegen Geflüchtete, Juden, Muslime, Schwarze, Roma, Homosexuelle, Behinderte, Obdachlose. In der Bevölkerung hat sich eine Ideologie der Ungleichwertigkeit verbreitet. Durch diese Einstellungsmuster werden Legitimationen für politische Aktionen bereitgestellt, die die AfD dankbar aufgreift.
Der Autoritäre Nationalradikalismus der AfD selbst stellt – bildlich gesprochen – die nächste, kleinere Schale dar. Die Partei setzt an den Einstellungsmustern in der Bevölkerung an, radikalisiert sie und formt daraus politische Parolen für die mediale und parlamentarische Öffentlichkeit. Sie arbeitet dabei mit einer Taktik der «Gewaltmembrane». Gemeint ist damit, dass Begriffe im Kontext der Migration wie etwa «Bevölkerungsaustausch» oder «Umvolkung» immer mit dem Zusatz des angeblich drohenden Untergangs des deutschen Volkes, der deutschen Kultur und der deutschen Identität verbunden werden. Im Endeffekt bedeutet dies, dass die AfD zwar nicht direkt zur Gewalt aufruft, aber die Legitimation für verfassungsfeindliche Kräfte liefert – die nächste, wiederum kleinere Schale in unserem Zwiebelbild.
Sie besteht aus dem systemfeindlichen Milieu des bewegungsförmigen Rechtsextremismus, zu dem auch neonazistische Kameradschaften, die Identitäre Bewegung und die Reichsbürgerszene zählen. In diesem Milieu gibt es auf der Basis der von der AfD ideologisch und medial vorbereiteten Untergangsfantasien die Tendenz, sich ein «Notwehrrecht» zu konstruieren, das auch Gewalt legitimiert. Mit anderen Worten: Es geht um eine Legitimierung von Gewalt gegen die markierten Gruppen, gegen Vertreterinnen des Staates, Politikerinnen und feindliche Personen, die die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie befürworten und stützen. So bahnen sich im rechtsextremistischen Milieu Fantasien zum Umsturz und zur Zerstörung des demokratischen Systems an. Dies wiederum kommt der nächsten Zwiebelschale zugute: dem klandestinen rechtsterroristischen Planungs- und Unterstützungsmilieu.
Es handelt sich dabei um konspirativ agierende Gruppen, die sich teilweise auch aus dem systemfeindlichen, aber noch öffentlich agierenden Milieu rekrutieren. Hier dominieren dann nicht mehr nur autoritäre Veränderungsstrategien wie in der AfD, sondern Umsturzfantasien und -planungen, die auch mit Waffengewalt durchgeführt werden sollen. Inzwischen sind zahlreiche solche Organisationen aufgedeckt worden, von denen die Gruppe um den Adligen Heinrich XIII. Prinz Reuss nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden die bisher grösste und gefährlichste darstellt. Zu ihr gehören Polizisten, Soldaten und auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, die als Richterin tätig war. Ihnen wird demnächst der Prozess gemacht.
Den kleinsten und gefährlichsten Kern des Eskalationskontinuums bilden schliesslich rechtsterroristische Kleingruppen wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), der zwischen 2000 und 2007 insgesamt 10 Morde begangen hat. Auch jene rechtsterroristischen Täter, die in Halle (2019) und Hanau (2020) Morde begangen haben (und gleichzeitig in reale oder virtuelle Bezugsgruppen eingebunden waren), gehören hierher.
Mit diesem Konzept kann verdeutlicht werden, welche Bedrohungspotenziale in Legitimations- und Eskalationszusammenhängen miteinander verbunden sind. Es sollte insbesondere klar werden, dass Teile der Bevölkerung mit ihren Einstellungsmustern legitimatorisch an diesem Eskalationskontinuum beteiligt sind. Dies wird in der Debatte um den Höhenflug des Autoritären Nationalradikalismus zumeist viel zu wenig gesehen, und zahlreiche Sympathisantinnen der AfD haben offensichtlich kein Bewusstsein davon, in welchem Bedrohungskontext sie mit ihren Einstellungen und ihrer Zustimmung wirksam werden.
Dass diese Bedrohungsallianzen in der beschriebenen Zusammensetzung existieren, konnte indes schon 2018 in aller Öffentlichkeit besichtigt werden. Damals gab es in Chemnitz Demonstrationen, nachdem ein Deutscher bei einer Auseinandersetzung mit einem Geflüchteten getötet worden war. Bei diesen Demos waren Bürgerinnen, die Führungselite der AfD mit Björn Höcke an der Spitze, die neonazistischen Fussball-Fangruppen und andere Neonazigruppen, klandestine rechtsterroristische Planungsgruppen wie «Revolution Chemnitz» und auch der spätere rechtsterroristische Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gemeinsam unterwegs. Dabei wurden auch Migranten in den Strassen gejagt, was der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maassen bestritt. Maassen wurde im November 2018 entlassen, heute ist er Vorsitzender der extrem konservativen CDU-nahen Werteunion, die er zu einer neuen rechten Partei machen will, und er schliesst eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht aus.
Inzwischen werden immer neue geheime Treffen von Burschenschaftern, AfD-Leuten und Rechtsextremen bekannt, bei denen auch Personen aus dem Umfeld der CDU (etwa Peter Kurth, der ehemalige CDU-Senator in Berlin) beteiligt sind.
Ein Verbot als Lösung?
Mit der Aufdeckung des Potsdamer Geheimtreffens hat die Debatte um ein Verbot der AfD erheblich Fahrt aufgenommen. Es geht um verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Erfolgsaussichten sowie um Einschätzungen, was die politischen Konsequenzen bei einem fehlgeschlagenen Verbotsantrag wären.
Aus meiner Sicht ist ein Verbotsantrag der falsche Weg, weil man damit aus einem politischen Problem ein rechtliches machen würde. Staatliche Repression schafft immer wieder rechte Innovationen. Die Extremisten erfinden sich immer wieder neu, denn Einstellungen und Haltungen lassen sich nicht verbieten.
Zudem würde ein Verbotsverfahren beim Verfassungsgericht wohl mehrere Jahre dauern und gäbe der AfD weitere Gelegenheiten, die jetzt schon virtuos eingeübte Märtyrerrolle propagandistisch für sich zu nutzen. Es wäre mit Solidarisierungseffekten zu rechnen, denn selbst die Einstufung der Partei in einigen Bundesländern als «gesichert rechtsextrem» schreckt die Sympathisanten und die Wählerschaft der Partei nicht ab. Hinzu kommt: Ein Parteienverbot würde den Mobilisierungs- und Resonanzraum in den sozialen Netzwerken auch nicht wirksam eindämmen, den die Rechte jetzt bereits massiv für sich nutzt und zusätzlich mit Verschwörungsideologien munitioniert.
Wichtiger als ein Parteienverbot wäre eine andere Politik (auch eine humanere Migrationspolitik) seitens der demokratischen Parteien. Eine Politik, die vor allem die Repräsentationslücken auffüllt – insbesondere in Ostdeutschland, da sich dort erhebliche Teile der Bevölkerung nicht wahrgenommen, nicht anerkannt, nicht integriert fühlen. Die AfD hat darauf schon ihre Antwort gefunden: «Wir machen euch wieder sichtbar», lautet das Versprechen, mit dem sie die Menschen aus der Dunkelkammer ihrer wutgetränkten Apathie holt.
Notwendig wäre aber auch der alltägliche Mut einer konfliktfähigen Zivilgesellschaft, in den Familien, Sportvereinen, Freundesgruppen et cetera der Hetze der AfD zu widersprechen und das gesellschaftliche Klima der Gleichgültigkeit nachhaltig zu verändern.
Die aktuellen Demonstrationen gegen die AfD sind in dieser Hinsicht ein Lichtblick. Es ist allerdings vorerst noch offen, ob sich daraus eine soziale Bewegung entwickelt, deren Aktivitäten von Dauer sind. Auch ist noch nicht absehbar, welche Effekte dies für die Zustimmungswerte der AfD haben wird. In einer Meinungsbefragung, die nach Veröffentlichung des «Correctiv»-Berichtes über das Geheimtreffen zur Deportation und vor den Demonstrationen durchgeführt worden war, blieb die Zustimmung zur AfD zunächst noch unverändert hoch; jüngste Umfragen zeigen einen ersten, aber noch schwachen Rückgang.
Dennoch sind die Zustimmungswerte insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern noch immer hoch: In Thüringen, Brandenburg und Sachsen, wo diesen Herbst gewählt wird, ist die Partei nach wie vor auf Rekordkurs. Der AfD kommt die dort dominierende sozialgeografische Struktur von Dörfern und Kleinstädten entgegen, in denen zumeist ein hoher Grad von sozialer Homogenität und auch Konformität vorherrscht.
Björn Höcke, der heimliche Machthaber in der AfD, hat sofort nach Beginn der aktuellen Demonstrationswelle die Proteste mit den Fackelmärschen der Nationalsozialisten im Jahr 1933 verglichen und im selben Atemzug diktiert, Deutschland sei schon lange keine Demokratie mehr. Diese absurde Einordnung und weitere Kommentare aus der Führungsebene der AfD lassen befürchten, dass sich die Reihen des rechten Spektrums weiter schliessen könnten. Die rechten Allianzen bleiben eine konkrete Bedrohung.