Challenge Accepted

«Eigentlich brauchen wir eine komplette Neu­strukturierung der Gesellschaft»

Lea Bonasera trat für den Klimaschutz in den Hungerstreik. Im Interview stellt sich die Mitgründerin der «Letzten Generation» der Kritik an den Mitteln ihres Protests und erklärt, warum sie ihre Arbeit nicht daran bemisst, wie Politiker sie bewerten.

Von Daniel Graf, 17.11.2023

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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«Die Krise macht super viel Angst, und man will das Problem verdrängen.» Lea Bonasera kann nachvollziehen, dass die Klimakrise viele Menschen überfordert. Marzena Skubatz/Der Spiegel

Frau Bonasera, als Ihr Buch «Die Zeit für Mut ist jetzt!» im Sommer in Druck ging, schrieben Sie, es würden aufgrund Ihres Protests bei der «Letzten Generation» mehr als 20 Gerichts­verfahren gegen Sie laufen. Wie viele sind es derzeit?
Ich weiss es nicht genau. Es sind auf jeden Fall welche dazugekommen, weil ich seitdem wieder im Protest war.

Gibt es schon Urteile?
Noch keine rechtskräftigen. Es beginnt ja immer auf der kommunalen Ebene, da hatte ich bis jetzt zwei Verurteilungen. Danach geht es weiter zur Landesebene. Anfang November sollte eines der beiden Verfahren wieder in Frankfurt verhandelt werden, aber es wurde erfreulicher­weise eingestellt. Ende Oktober hatte ich ausserdem einen Gerichts­prozess in Berlin wegen unseres Protests 2021 vor dem Kanzleramt. Nach der Verhandlung fand wieder ein Protest vor dem Kanzleramt statt, genau wie vor zwei Jahren, aber dieses Mal protestierten um die 70 Frauen, viel mehr Teilnehmende als damals. Es war also sichtbar, wie sehr wir in der Zwischenzeit gewachsen sind, aber die Medienberichte waren leider dominiert von der Polizeigewalt, die es gab. Im Gerichts­saal selbst hatte die Richterin sehr mit sich gerungen und hätte wohl ebenfalls gerne das Verfahren eingestellt, aber das wollte die Staatsanwaltschaft nicht. Schliesslich wurden wir verurteilt, ich zu 15 Tagessätzen.

Zu dem Protest haben sich ausschliesslich Frauen versammelt? Wieso?
Wissenschaftlich ist nachgewiesen, dass ziviler Widerstand effektiver ist, wenn sich unterschiedliche Gruppen beteiligen. Beispielsweise macht die Beteiligung von Frauen den zivilen Widerstand tendenziell friedlicher, gewaltfreier und kreativer. Dass sich ziviler Widerstand überhaupt erst entwickelt hat, liegt daran, dass zum Beispiel Frauen aus politischen Räumen ausgeschlossen waren und sich andere Wege suchen mussten, um sich zu engagieren.

Angesichts der Gerichts­verfahren, aber auch angesichts von Kritik an Ihren Protesten aus der Gesellschaft: Wie oft haben Sie in den letzten Monaten ans Aufhören gedacht?
Ungelogen: kein einziges Mal. Ich glaube wissenschaftlich und moralisch sehr stark an das, was wir machen, und weiss, dass es nicht immer einfach ist. Ich hinterfrage mich auch und überlege, was wir noch besser machen können. Aber die grundsätzliche Idee, zivilen Widerstand zu leisten, wenn man so viel Unrecht sieht, wie es bei der Klimapolitik der Fall ist, das halte ich weiterhin für richtig und wichtig.

Sie werden bei den Strassen­blockaden angeschrien, geschlagen, bespuckt, mit Reizgas besprüht. Was macht das mit Ihnen?
Es ist natürlich nicht schön, so viel Hass abzubekommen, aber es motiviert mich auch, noch mehr zu tun. Die Antwort der Regierung darauf, dass man sie friedlich daran erinnert, ihre eigenen Ziele einzuhalten, kann doch nicht sein, die Menschen mundtot machen zu wollen. Wenn ich Kanzlerin wäre, müsste ich doch alles dafür tun, das Überleben meiner Bevölkerung zu schützen. Und Herr Scholz tut das einfach gerade nicht. Stattdessen kommt dann so eine Abwehr­reaktion.

Zur Person

Lea Bonasera, geboren 1997, ist Mitgründerin der «Letzten Generation». Als Mitglied der Gruppe nahm sie 2021 im Vorfeld der Bundestags­wahl am Hungerstreik im Berliner Regierungs­viertel teil und war an zahlreichen Protest­aktionen der «Letzten Generation» auf Strassen und vor Ministerien beteiligt. Sie hat Internationale Beziehungen in Amsterdam und Oxford studiert und arbeitet seit 2021 an ihrer Dissertation am Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung. Im S.-Fischer-Verlag veröffentlichte sie im Sommer 2023 das Sachbuch «Die Zeit für Mut ist jetzt! Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt».

Was werfen Sie Olaf Scholz konkret vor?
Die Situation ist doch, dass wir das 1,5-Grad-Ziel nicht schaffen und derzeit eher auf 3 Grad zugehen. Das bedeutet, man muss alle Massnahmen, die einem zur Verfügung stehen, nutzen, um uns von diesem 3-Grad-Pfad runter zu bekommen. Dafür braucht es alle kleinen Massnahmen wie zum Beispiel ein Tempolimit oder ein «Essen-retten-Gesetz», aber auch wirklich grosse Massnahmen in allen Bereichen: Landwirtschaft, Energie, Gebäude, Industrie, Verkehr. Es müsste alles dafür getan werden, bis 2030 runter­zukommen auf null fossile Energie. Aber der Kurs der deutschen Regierung geht in die komplett falsche Richtung. Auch beim aktuellen Klimaschutz­programm heisst es immer nur beschönigend: Wir haben schon so viele Sachen gemacht, das 49-Euro-Ticket oder das Gebäude­energie­gesetz [das sogenannte «Heizungs­gesetz»; Anm. d. Red]. Dieses Gesetz ist aber einfach zahnlos, damit kann man sich nicht schmücken. Was da vorgesehen ist, ist viel zu unambitioniert.

Sie haben als Treffpunkt für unser Gespräch in Berlin das Rathaus Schöneberg vorgeschlagen. Warum?
Weil das ein Ort deutscher Protestgeschichte ist. Willy Brandt hat hier 1961 eine Rede gehalten, in der er zum S-Bahn-Boykott aufrief, weil das Geld, das damals an die Bahn floss, genutzt wurde, um die Mauer zu bauen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, für Interviews unterschiedlichste Orte in Deutschland zu wählen, die an die vielfältige Geschichte des öffentlichen Protests auch in Deutschland erinnern, etwa bei der Anti-Atomkraft-Bewegung. Leider wird diese Geschichte immer wieder vergessen, und ich möchte die Erinnerung daran wachrufen.

In der Tradition des zivilen Widerstands sehen Sie auch die «Letzte Generation». Welches sind Ihre persönlichen Vorbilder?
Mich hat die Bürgerrechts­bewegung in den USA sehr beeinflusst, einfach auch, weil man dazu sehr viel findet. Bei vielen anderen Protest­bewegungen ist es sehr viel schwerer, überhaupt an Informationen zu kommen. Von Martin Luther King dagegen habe ich schon in der Schule gehört, und das hat mich auf vielen Ebenen beeindruckt, gerade auch die Frauen, die hinter der Bewegung standen und leider immer wieder unsichtbar gemacht werden.

Diane Nash und andere?
Ja, und erst neulich habe ich über die persönliche Sekretärin von Martin Luther King gelesen, Maude Ballou. Sie war mir zuvor noch ganz unbekannt, aber sie war, das hat Martin Luther King auch selber gesagt, für einen Grossteil seiner Arbeit mitverantwortlich. Sie hat Dokumente unterschrieben, hat an seiner «I have a dream»-Rede mitgewirkt und sie hat selbst zahlreiche Gewalt­androhungen bekommen, auch gegen ihre Kinder. Heute ist sie quasi unsichtbar hinter Martin Luther King, und das finde ich tragisch.

Sie haben vor kurzem das schon erwähnte Sachbuch über zivilen Widerstand veröffentlicht und schreiben auch Ihre Doktor­arbeit zu diesem Thema. Wie fällt, ganz knapp, Ihre Definition von zivilem Widerstand aus?
Ziviler Widerstand ist etwas Friedliches, in meiner Definition auch etwas Strategisches. Eine Protest­form, die vor allem von den Bürgerinnen benutzt wird, um sich für politische und soziale Themen einzusetzen.

In dem Fall ist Ihr Thema der Kampf gegen die Klimakrise. In a nutshell: Wofür setzen Sie sich ein?
Aktuell protestieren wir in Berlin, damit die Bundesregierung 2030 aus allen fossilen Energien aussteigt, also aus Öl, Kohle und Gas, weil es die offensichtlichsten und grössten Möglichkeiten zur Veränderung sind, jetzt auf erneuerbare Energien zu setzen. Das allein soll es aber eben nicht gewesen sein. Es braucht in allen Bereichen eine Transformation. Eigentlich brauchen wir eine komplette Neustrukturierung der Gesellschaft. Wir müssen uns anders bewegen, wir müssen anders essen. Und das nicht in dem negativen Sinne, dass uns dabei viel verloren geht, sondern ich glaube, wir haben da sehr viel zu gewinnen.

Die Dringlichkeit, die Sie empfinden, bilden die konkreten Wahl­ergebnisse erstaunlich wenig ab. Sowohl bei den deutschen Landtags­wahlen als auch bei den Wahlen in der Schweiz sind die Grünen nach dem kurzen Allzeit­hoch in der Wählergunst schon wieder deutlich abgestürzt. Und das nach einem Sommer der Extremwetter­katastrophen. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass sich die Menschen mit der Klimakrise gerade überfordert fühlen, und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Krise macht super viel Angst, und man will das Problem verdrängen. Diese Ängste haben auch sehr viel mit sozialer Unsicherheit zu tun, man sieht es an der fatalen Debatte um das deutsche Heizungs­gesetz. Die Springer-Medien haben eine regelrechte Kampagne gegen die Regierung und besonders gegen den zuständigen Minister Robert Habeck gefahren. Permanent war von «Heizungs­hammer» die Rede und was da alles für Wörter gefunden wurden. Die Menschen haben aus dieser Debatte mitgenommen, dass das Gesetz sie viel Geld kosten wird, das war das absolut falsche Signal. Als eine der grossen Säulen in unserer Gesellschaft haben die Medien die Aufgabe, Wissen und Informationen zu vermitteln. Und wenn diese Kommunikations­schnittstelle nicht funktioniert, dann kann man es den Bürgerinnen und Bürgern nicht verübeln, dass sie eine ablehnende Haltung einnehmen. Diese Probleme im Medien­system müssen dringend behoben werden. Alle Medien müssten ganzheitlich über diese Themen berichten und sich nicht an alten Werten, an Negativ­bericht­erstattung oder am Sensationellen orientieren. Sondern die Bericht­erstattung sollte konstruktiv und lösungs­orientiert sein.

Stattdessen fokussierte der mediale Diskurs häufig auf die Kritik an den Klimaklebern. Nach den schlechten Wahl­ergebnissen von Grünen und Grünliberalen in der Schweiz wollen nun manche eine Mitschuld der Klimakleber sehen.
Diese Argumentations­kette verstehe ich beim besten Willen nicht. Warum sollten Menschen, die sonst grün wählen und sich für Klimaschutz einsetzen, das wegen der Proteste nicht mehr tun? Da steckt für mich keine Logik dahinter. Gerade eben kam eine Studie der Uni Yale heraus, die datenbasiert bestätigt hat, was ich immer vermutet hatte und auch schon Ergebnis anderer Studien war: dass die Proteste dem Klimaschutz nicht schaden, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz erhöhen.

Nun kann man die Politik der Ampel­regierung oder von Olaf Scholz schlecht finden und der Meinung sein, dass selbst vergleichs­weise kleine Zumutungen von der Bevölkerung als unverhältnis­mässig zurück­gewiesen werden. Dennoch muss man die Leute ja irgendwie überzeugen. Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Debatte um das Heizungs­gesetz?
Ich sehe noch stärker meine Aufgabe darin, den Menschen zu vermitteln, dass wir als Bürgerinnen und Bürger die Macht innehaben und nicht der Staat. Wenn man sich klarmacht, wie riesig das Problem ist, gerät man leicht in eine Denkspirale mit dem Fazit: Ich werde das ja sowieso nicht lösen können. Und dann kommen Menschen schnell an einen Punkt, wo sie im Gefühl der Ohnmacht landen. Es ist total paradox: Man hat zuerst wenig Wissen, dann beschäftigt man sich damit, und sobald das Bewusstsein da ist für das, was passiert, schwappt es sofort über in Resignation. Anstatt diesen super wichtigen Punkt der Handlungs­möglichkeiten wahrzunehmen und dass wir jetzt was bewegen können. Da ist es meine Aufgabe, den Menschen zu vermitteln: Ihr habt eine Handlungs­option, die effektiv und demokratisch ist, die uns diese riesigen Probleme lösen lassen kann.

Welche Handlungs­optionen wären das konkret?
Man hat das zuletzt wunderbar in den Niederlanden gesehen. Dort haben es die Menschen in kürzester Zeit geschafft, auf die Regierung Einfluss zu nehmen. Als durchgesickert ist, dass die niederländische Regierung ihre Versprechen nicht einhält, sondern den Unternehmen der Fossil­branche jährlich 40 Milliarden Euro Steuer­vergünstigungen einräumte, also das, was uns in die Klimakrise getrieben hat, auch noch förderte, hat das ein regelrechtes Momentum ausgelöst bei den Bürgerinnen und Bürgern. Sie gingen zu Hunderten und Tausenden auf die Strasse, mehrere Tage hintereinander und dann über Wochen. Das hat den Druck so gross werden lassen, dass die Regierung nun einen Plan für den Ausstieg aus den fossilen Subventionen vorlegen muss. Die eigenen Einfluss­möglichkeiten sind also oft viel effektiver und grösser, als wir uns manchmal vorstellen können.

Ich würde gerne noch ausführlich über die Kritik an der «Letzten Generation» sprechen, weil sie aus sehr verschiedenen Richtungen kommt. Medial am präsentesten waren wohl die verbalen Entgleisungen: «Klima-RAF» oder «Taliban»-Vergleiche. Was sagt ein solches Vokabular über die öffentliche Debatte?
Ich fand es sehr interessant zu sehen, dass «Klima­terroristen» zum Unwort des Jahres 2022 gewählt wurde. Das zeigt, dass die Menschen erkannt haben, dass da eine Kampagne versucht wurde, um friedliche, demokratische Protestierende kleinzuhalten. In der Wissenschaft spricht man da übrigens von smart repression. Entgegen dem Wording von «Terroristinnen» haben wir von Anfang an klar gesagt, dass wir aus moralischen und strategischen Gründen an die Friedlichkeit glauben und egal, was passiert, bei dieser Friedlichkeit bleiben werden. Die Wahl zum Unwort des Jahres war also auch ein Protest gegen Versuche, Menschen den politischen Raum zu nehmen.

Daneben gibt es aber auch Kritik, die in der Sache wohl schwieriger zu kontern ist. Es ist Kritik von Menschen, die Ihrem Grund­anliegen gegenüber mindestens aufgeschlossen sind und trotzdem Einwände haben gegen die Mittel Ihres Protests. Sie haben als Beispiele für zivilen Widerstand etwa Willy Brandt oder die US-Bürgerrechts­bewegung genannt. Wie weit reicht da tatsächlich die Analogie zu den Klebe­aktionen der «Letzten Generation»?
In Amerika hat zum Beispiel die Bewegung «Act Up», die sich für Schwule und Lesben einsetzte, ebenfalls Sitz­blockaden veranstaltet und diese Protest­form überhaupt mit gross gemacht. Das haben ja nicht wir angefangen, sondern es gibt diese Tradition. Und man kann in all diesen Bewegungen sehen, dass die Protestierenden anfangs auch sehr viel Hass auf sich zogen.

Nun gibt es aber Kritikerinnen, die sagen, dass Strassen­blockaden in sehr hohem Masse Unbeteiligte involvieren und eben auch instrumentalisieren. Moralisch kann man das übergriffig finden, juristisch geht die Argumentation in Richtung des Nötigungs-Paragrafen. Dann lautet das Argument: Was gewaltfreier Widerstand sein soll, ist zumindest eine sanfte Form von Gewalt oder Zwang. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?
Die Strasse ist immer schon ein Ort gewesen, an dem Menschen zum Protest zusammen­kommen. Und die Juristinnen sind sich ja selber überhaupt nicht einig bei dem Thema. Deshalb auch die Freisprüche, weil man sagen kann, es ist höher zu gewichten, dass in dieser riesigen Klima­katastrophe gerade alles auf dem Spiel steht und es verhältnis­mässig ist, wenn man beim Protest dagegen auch da hingeht, wo man stört und nicht ignoriert werden kann. Man geht da hin, wo man das Thema nach vorne bringen kann, und diesen Zweck erfüllen die Strassen­blockaden.

Aber man könnte sich ja auch mit dem Megafon auf den Marktplatz stellen und seine Botschaft verkünden, ohne dass irgend­jemand an seiner Passage gehindert wird.
Das machen wir ja auch und das funktioniert sehr gut, um Leute zu mobilisieren. Aber eben nicht, um das Thema in die Medien und in die Öffentlichkeit zu bringen.

Dafür brauchen Sie die Bilder und auch eine gewisse Eskalation?
Man braucht ein gewisses Mass an Störung. Es ist zwar auch etwas sehr Gutes, mit 1,5 Millionen Menschen wie bei «Fridays for Future» regelmässig auf die Strasse zu gehen, aber dann darf es nicht einmal pro Woche so sein, sondern das muss über mehrere Tage gehen, damit die Regierung ins Handeln kommt. Wenn sich die Menschen für diesen Weg entscheiden würden und wir alle sagten, wir machen das jetzt mal für zwei Wochen, ich glaube, dann hätten wir die Regierung sehr schnell so weit, etwas zu verändern. Aber diese Situation haben wir gerade nicht. Wir müssen jetzt erst einmal etwas aufbauen, um da hinzukommen.

Wenn nun aber aus der Zivil­gesellschaft das Argument kommt: «Ich werde bei einer Strassen­blockade zwangs­vereinnahmt, ihr definiert über meinen Kopf hinweg, welcher Zweck die Mittel heiligt, und ich gehe da nicht mit» – das kann Ihnen ja nicht egal sein. Wie überzeugen Sie diese Leute trotzdem?
Man hört häufig in diesem Zusammen­hang das Argument, die «Letzte Generation» schade dem Klimaschutz, oft werden dann auch Statistiken oder Umfragen angeführt. Wenn man sich aber wirklich mal die Umfragen anguckt, wird deutlich, die Menschen betrachten das Thema Klima­schutz weiterhin als sehr wichtig. Das ist doch die aller­wichtigste Variable, zu fragen, wie stehen die Menschen dem Klima­schutz gegenüber.

Aber unterstützen sie auch die Proteste?
Das ist dann immer das Argument: dass vergleichs­weise wenige Menschen die Proteste unterstützen. Aber wenn man sieht, wie in der Geschichte Protest­bewegungen verlaufen sind, dann sind diese Zahlen überhaupt nicht verwunderlich. Das soll natürlich nicht heissen, dass uns diese Zustimmungs­werte egal sind. Wir wollen die Menschen mitnehmen, das ist unser Ziel. Aber in den Gesprächen, die ich geführt habe, ist es eigentlich immer gelungen, unser Anliegen verständlich zu machen. In den Statistiken ist eben vieles nicht abgebildet, zum Beispiel die Tatsache, dass Zustimmung verzögert kommt, dass sich in der Gesellschaft nicht sofort, sondern erst mit der Zeit etwas verändert.

Schauen wir noch mal in die grüne Bewegung selbst. Robert Habeck war einer derjenigen, die bei Ihrer ersten aufsehen­erregenden Aktion, dem Hungerstreik vor dem Reichstag 2021, mit Ihnen geredet haben. Er kommt auch, anders als Olaf Scholz, in Ihrem Buch recht gut weg. Aber auch er hat die «Letzte Generation» stark kritisiert. Beeindruckt Sie das?
Inwiefern?

Bedauern Sie es? Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Kritik?
Ohne jetzt überheblich klingen zu wollen, aber ich glaube, mir war von Anfang an bewusst, dass sich meine Arbeit nicht daran bemisst, wie Politikerinnen sie bewerten. Wir hatten übrigens auch mit Verkehrs­minister Volker Wissing von der FDP ein sehr angenehmes Gespräch, was aber trotzdem nichts daran ändert, dass die Klimapolitik der FDP eine absolute Katastrophe ist. Und auch bei Herrn Habeck, wo ich sehe, was für ein Druck auf ihm lastet, finde ich es nicht richtig, wenn er sich hinstellt und sagt, man habe mit dem Heizungs­gesetz etwas Grosses geschaffen, weil das einfach unehrlich ist. Also: Wenn Kritik an uns geäussert wird, nehme ich das sehr ernst und evaluiere es, aber das ist jetzt nichts, was mich dazu bewegt, die Strategie zu verändern, weil wir uns lange und viele Gedanken dazu gemacht haben, warum wir das machen.

Trotzdem reicht das Spektrum der Kritikerinnen bis hinein zu denjenigen, die eigentlich Ihre engsten politischen Verbündeten sein müssten: «Fridays for Future», Luisa Neubauer. Wenn sie sagt, es ist strategisch unklug, was die «Letzte Generation» macht, wird das nicht einfach an Ihnen abperlen.
Wir sind viel mit den «Fridays» in Kontakt und sprechen natürlich auch über diese Dinge. Viel wird ja auch öffentlich aufgebauscht. Klar, wir haben unterschiedliche Ansätze und die sind auch wichtig. Genauso wie ich es wichtig finde, dass die «Fridays» versuchen, grosse Demonstrationen auf die Beine zu stellen. Die haben ja damals auch dazu geführt, dass ich mich bewegt habe, ohne die «Fridays» wäre auch ich nicht mobilisiert worden. Im Kern sind wir jedenfalls gar nicht so weit auseinander. Streiks zählt man ja offiziell auch zum zivilen Widerstand.

Nun gibt es aktuell noch eine ganz andere Debatte. Dass Greta Thunberg und andere Aktivistinnen von «Fridays for Future» in Postings zur Solidarisierung mit den Palästinensern auch auf Quellen mit israel­feindlichen Inhalten verwiesen und kein Wort über den Terror der Hamas verloren haben, hat zuletzt Entsetzen und harsche Kritik hervor­gerufen. Die deutsche Sektion um Luisa Neubauer hat sich deutlich distanziert. Droht der Klima­bewegung eine Spaltung?
Ich glaube nicht, dass eine Spaltung droht, weil an vielen verschiedenen Stellen in der Klima­bewegung zusammen­gearbeitet wird. Natürlich sind die Entwicklungen in Nahost jetzt ein unglaublich wichtiges Thema, und für uns als «Letzte Generation» ist es ein Grund mehr, die Bedeutung von friedlichen Lösungen zu betonen.

Blockaden findet Bonasera legitim: «Die Strasse ist immer schon ein Ort gewesen, an dem Menschen zum Protest zusammen­kommen.» Marzena Skubatz/Der Spiegel

Aber es scheint unverkennbar, dass viele Anhängerinnen der Klima­bewegung mit dem als einseitig empfundenen Engagement von Thunberg und anderen ein Problem haben. Sehen Sie eine Belastungs­probe für die Klima­bewegung im Ganzen, wenn ein solch emotionales Thema ganz unterschiedliche Positionierungen hervorbringt?
Ich kann nur für die «Letzte Generation» sprechen und was ich da mitbekomme, und natürlich diskutieren wir, was unsere eigene Position dazu ist.

Wie sieht diese aus?
Dass uns vor allem wichtig ist, anzuerkennen, dass Gewalt, von welcher Seite auch immer, nicht richtig ist. Wir können Konflikte nur friedlich lösen. Während meiner Schulzeit war ich in Israel. Wir hatten mit der Schule ein Projekt, in dem wir versucht haben, die Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen in Israel zu unterstützen und bessere Beziehungen unter­einander aufzubauen. Auch während meines Studiums habe ich mich viel mit Friedens­arbeit befasst. Natürlich ist es tragisch, zu sehen, wie stark alle Bemühungen um eine friedliche Lösung jetzt wieder zurück­geworfen werden. Aber umso wichtiger wird es sein, mit den Friedens­initiativen weiterzumachen, weil es langfristig die einzige Lösung ist, dass alle Parteien für eine Friedens­lösung zusammen­kommen.

Also Sie würden es gerade vermeiden wollen, sich uneingeschränkt auf eine Seite zu stellen?
Ich glaube, es ist nicht unsere Rolle als «Letzte Generation», da mit einer Partei­nahme reinzuspringen.

Unabhängig von Positionierungs­debatten: Die schrecklichen Ereignisse in Nahost und das unvorstellbare Leid von Israelis und Palästinensern haben die Klimakrise als Thema wieder in den Hintergrund gedrängt, und das kann ja auch gar nicht anders sein. Dennoch: Wie gehen Sie damit um, als eine Gruppierung, die von der öffentlichen Aufmerksamkeit lebt?
Wir hatten ja eine ähnliche Situation schon 2022, als Russland die Ukraine überfallen hat. Da haben wir natürlich erst mal für eine kurze Zeit pausiert, und so haben wir das jetzt auch gemacht. Wir sind in Abstimmung mit der Polizei darüber, was wegen der aktuellen Demonstrationen an Polizei­kräften gebraucht wird, und sie haben uns das Go gegeben, unsere Proteste wieder­aufzunehmen. Wichtig ist: Man kann diese beiden Thematiken, das Geschehen in Nahost und die Klimakrise, in keiner Weise vergleichen. Man kann aber sagen, dass beide Themen grösste Wichtigkeit haben und dass wir jetzt nicht abrücken sollten vom Klimaschutz. Es ist okay, wenn die Klimakrise jetzt kurzfristig in den Hintergrund rückt. Trotzdem sollte unsere Aufgabe weiterhin sein, auch immer wieder Bewusstsein dafür zu schaffen.

«Es geht mir darum, dass wir jetzt alle zusammen­kommen», lautet ein Schlüssel­satz aus Ihrem Buch. Wie wollen Sie noch mehr Menschen von Ihren Protesten überzeugen, deren Sympathien entweder anderen aktivistischen Gruppen gelten oder die der «Letzten Generation» gar ablehnend gegenüberstehen?
Das Buch habe ich geschrieben, um die Debatte über zivilen Widerstand gerade­zurücken und zu zeigen, welche Methoden und welche Geschichte der zivile Widerstand hat. Ich möchte zeigen, dass diese Form des Protests kein spontaner, verzweifelter Versuch ist, sondern unglaublich viel Wissen und Erfahrung hinter diesen Strategien stehen. Ausserdem haben wir uns die riesige Aufgabe vorgenommen, den Lobby­apparat, die Unternehmen, die Politik anzugehen und dort für unsere Anliegen zu werben.

Wie oft kommen Sie denn in Gespräche mit Lobby­verbänden oder politischen Amtsinhabern?
Die «Welt» hat mal so schön formuliert, wir hätten eine Vernetzungs­arbeit, auf die jede Unternehmens­kommunikation stolz sein könnte. Wir sind im regelmässigen Austausch mit den verschiedensten Politikerinnen. Und wir haben jetzt begonnen, uns mit den Unternehmen zu vernetzen. Dabei hatten wir direkt am Anfang grosse Erfolge mit einer Spenden­kampagne. Drei Gross­unternehmen haben sich daran beteiligt, innerhalb von 48 Stunden sind 600’000 Euro zusammen­gekommen.

Gibt es Gespräche, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind, weil Sie das Gefühl hatten, jetzt löst sich ein Knoten, jetzt passiert wirklich was?
Das war vor allen Dingen der Fall, als wir die Bürger­meisterinnen in Deutschland adressiert haben. Da konnte man sehen, wie es über konsultative Gespräche zwischen Regierung und Protestierenden zu gemeinsamen Lösungen kommen kann. Der Ober­bürgermeister von Hannover zum Beispiel, Belit Onay, hat die Probleme der Klimakrise sehr deutlich verstanden, und es war ihm ein Anliegen, zwar unsere Proteste zu beenden, aber eben auch aktiv zu werden. Er hat dann als einer der Ersten einen offenen Brief an Olaf Scholz unterschrieben mit der Aufforderung, mehr für den Klimaschutz zu tun. Das war für mich ein Schlüssel­moment, der gezeigt hat, es ist auf jeden Fall machbar, zusammen­zukommen. Das war eine schöne Erfahrung.

Sie haben mehrfach Olaf Scholz angesprochen. Es gibt im Buch eine Stelle, wo Sie sagen, inzwischen sei es Ihnen etwas unangenehm, das Video Ihres öffentlichen Gesprächs anzuschauen, denn Sie bereuten den harten Ton und würden heute manches anders machen. Sind Sie noch im Austausch?
Leider nicht, aber ich würde mich freuen, wenn er sich wieder meldet. Ich weiss nicht, ob gerade der Druck gross genug ist, dass er sich überhaupt mit uns treffen würde. Die Debatte nach unserem Hungerstreik damals war ein wichtiges Gespräch, aber auch kein einfaches Setting. Und ja, ich hätte da, glaube ich, an der einen oder anderen Stelle andere Worte wählen können.

Was würden Sie heute anders formulieren?
Ich glaube, es ist wichtig, auch mal einfach zuzuhören und zu verstehen, aus welcher Perspektive er da kommt. Es würde mir also darum gehen, ihn besser abholen zu können und nicht auf so eine konfrontative Weise einzusteigen. Aber im Endeffekt, egal wie wir miteinander sprechen, geht es darum, dass am Ende gehandelt wird. Und solange er nicht bereit ist, sich zu verändern, weiss ich auch nicht, ob uns die Gespräche weiterführen. Deswegen brauchen wir den Widerstand, damit Politiker die Notwendigkeit spüren, etwas verändern zu müssen.

Letzte Frage: Was glauben Sie, wird schneller Realität sein: dass Sie Ihren Doktortitel haben oder dass die weltweiten CO2-Emissionen endlich sinken statt steigen?
Ich hoffe natürlich Letzteres. Und da fliesst auch ein Hauptteil meiner Energie rein.