Die Erfindung der Mitte

Erstmals überhaupt hat die frühere CVP die FDP überholt – weil die Wette ihres Präsidenten Gerhard Pfister aufgegangen ist. Um langfristig Erfolg zu haben, muss die Partei aber ihr Profil schärfen. Zu Besuch in Bern und im Oberwallis.

Von Dennis Bühler, Priscilla Imboden (Text) und Marvin Zilm (Bilder), 24.10.2023

Vorgelesen von Dominique Barth
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Für den Erfolg ist Pfister bereit, die Historie der Partei zu opfern.

Update: Falsche Zahlen zur Parteienstärke

Der Bund hat am Sonntag falsche Angaben zur Parteienstärke bei den Nationalrats­wahlen publiziert. Dies hat das Bundesamt für Statistik am 25. Oktober bekannt gegeben. Die Zahlen in diesem Beitrag beruhen auf diesen fehlerhaften Angaben.

Die korrigierten Zahlen weisen tiefere Werte für SVP, FDP und Mitte aus. Demnach liegt der Wähler­anteil der Mitte doch hinter demjenigen der FDP. Andere Parteien, darunter SP, Grüne und GLP, haben hingegen besser abgeschnitten als ursprünglich vermeldet.

Für die Sitzverteilung im Nationalrat hat die Zählpanne keine Auswirkungen.

«Reto! Reto! Reto!»

Am späten Sonntag­abend, mit der letzten Entscheidung des Tages, kippt das Kopf-an-Kopf-Rennen mit der FDP endgültig zugunsten der Mitte-Partei. Im Foyer des Berner Rathauses skandieren zwei Dutzend Anhänger den Vornamen des städtischen Sicherheits­direktors Reto Nause, dessen Wahl in den Nationalrat soeben verkündet worden ist.

Zwar ersetzt Nause dort einen Partei­kollegen. Doch gleich neben der Mitte-Fraktion schauen Berner Freisinnige konsterniert zu Boden: Gerade haben sie einen ihrer zwei Sitze verloren.

Damit hat sich ereignet, was noch vor einem Jahr nahezu undenkbar erschien: Erstmals überhaupt überholt die ehemalige CVP die FDP – sie hält neu 29 Nationalratssitze, einen mehr als die ewige Konkurrentin. Ähnlich nahe gekommen waren sich die beiden Parteien zuletzt 1955, als sie mit 23,3 respektive 23,2 Prozent Wählerinnen­anteil fast gleichauf lagen. Vor vier Jahren war der Rückstand der CVP beträchtlich: Die FDP hatte 15,1 Prozent, die CVP 11,4 Prozent, die BDP 2,4 Prozent.

Gerhard Pfister wirkt erschöpft, als er die Republik am Montag­nachmittag im Fraktions­zimmer im Bundeshaus zum Gespräch empfängt. Müde sei er in der Tat, sagt der Partei­präsident: «Müde und zufrieden!»

Nicht nur, weil die Mitte neu mehr Sitze hat als die FDP. Sondern auch, weil sie insbesondere in reformierten Kantonen wie Waadt (plus 1,7 Prozent­punkte) und Zürich (plus 2,5 Prozentpunkte) zulegen konnte, wo sie bisher erfolglos war. Für Pfister eine Bestätigung, auf die richtige Karte gesetzt zu haben, als er seine Partei mit der BDP fusionierte und ihr einen neuen Namen verpasste. Zumal er sich auch in den klassischen CVP-Stammlanden über einen Zuwachs freuen kann, in Luzern (plus 2,4 Prozent­punkte) etwa, im Wallis (plus 0,6 Prozentpunkte) oder in Nidwalden, wo man der SVP den Nationalrats­sitz abluchsen konnte. Die Freude überwiegt die Verluste, die man andernorts hinnehmen musste – im Aargau, in Bern, in Graubünden –, bei weitem.

Er empfinde das Wahlresultat als Genugtuung, sagt Pfister. Kein Wunder: Es war eine Wette, die er hätte verlieren können. Und die er zu Beginn gar nicht eingehen wollte.

Pfisters Wende

Als Pfister 2016 zum Präsidenten der Christlich­demokratischen Volkspartei gewählt wird, verfolgt er den Plan, das C der CVP zu stärken. Pfister will nur noch Flüchtlinge aufnehmen, die dem christlichen Glauben angehören, er spricht in Interviews ständig von konservativen Werten, auf die man stolz sein soll.

Nur will das niemand hören.

Im Frühling 2019 lehnt Pfister eine Namens­änderung noch kategorisch ab. Er sehe das C als Alleinstellungs­merkmal, sagt er in einem Republik-Interview. «Wir werden das C nicht abschaffen. Identitäts­fragen werden politisch immer wichtiger – gerade darum ist das C eine hervorragende Marke.»

Danach aber geht es plötzlich schnell.

Wenige Monate später verzeichnet die CVP bei den Parlamentswahlen 2019 mit 11,4 Prozent das schlechteste Resultat ihrer Geschichte. Die Analyse der Parteileitung: Man stagniert in den katholischen Stamm­landen, wo sich die Säkularisierung ausbreitet und die Bevölkerung tendenziell abnimmt. Die CVP wird fast nur noch aus Tradition gewählt, von Menschen, die das schon immer so gemacht haben, weil sie nun mal in dieses Milieu geboren wurden.

In den Städten und reformierten Kantonen hingegen bekundet die CVP grosse Mühe: Ihre Tradition und das C schrecken ab. 2019 zeigt sich das ein letztes Mal: Bei der Nachwahl­befragung geben 22 Prozent der Katholikinnen an, CVP gewählt zu haben – und nur 4 Prozent der Protestanten.

Und so vollzieht Pfister die grösste Wende, die man bei einem Schweizer Politiker in den letzten Jahren gesehen hat: Auf einmal interessiert er sich mehr für Wähler­prozente als für Werte. Für den Erfolg ist er bereit, die Historie der Partei zu opfern.

In der BDP sieht er das Mittel zur Macht. Die wegen der früheren Bundes­rätin Eveline Widmer-Schlumpf gegründete Partei ist bei den Wahlen 2019 derart stark dezimiert worden, dass ein Alleingang schlicht keinen Sinn mehr ergibt. Der damalige BDP-Präsident Martin Landolt erinnert sich, er und seine Mitstreiter hätten damals auch ein Zusammengehen mit den Grün­liberalen oder der FDP geprüft. «Wir haben uns für die CVP entschieden, weil uns deren Führung versprach, der fusionierten Partei einen neuen Namen zu geben», sagt er. «So konnten wir uns erhobenen Hauptes von der BDP lösen, anstatt einfach von einer bestehenden Partei geschluckt zu werden.»

Ein neuer Name also, das Ende des C. Pfister präsentiert diesen Plan Anfang 2020 in einer Rede an einer Delegierten­versammlung in Frauenfeld.

Doch in den katholischen Stammlanden formiert sich Widerstand.

Nicht nur, aber vor allem im Ober­wallis. Dort warnt der einflussreiche Ständerat Beat Rieder Anfang 2020 vor einer «elementaren Fehlleistung», vor dem «Ruin der Partei». Die Oberwalliser CVP-Präsidentin Franziska Biner sagt noch im Herbst jenes Jahres, alle Ortsparteien seien dagegen: «Sie bestehen alle auf dem C. Und sie drohen mit einem Austritt, sollten wir es aufgeben. Die kritischen Stimmen werden noch zunehmen.»

Doch das Gegenteil geschieht: Sie verstummen.

Weniger als zwei Jahre später stimmen fast sämtliche Teilnehmer an einer Mitglieder­versammlung der Walliser CVP für den Namens­wechsel. Einer davon ist Beat Rieder. «Auch ein sturer Bock aus dem Lötschental kann seine Meinung ändern», sagt er dem «Walliser Boten». Ausschlaggebend ist, dass die nationale Partei ihren Namen bereits geändert hat und dass mit Bundesrätin Viola Amherd und Fraktions­präsident Philipp Matthias Bregy zwei Oberwalliser landesweit zu Aushänge­schildern der Mitte-Partei geworden sind. Zudem bat die Jung­partei inständig darum, den Namen zu wechseln, um Jungwähler mit besseren Erfolgs­aussichten ansprechen zu können.

Und so ringt sich die Oberwalliser CVP durch. Man will kein gallisches Dorf sein, keine Sekte mit einem anderen Namen.

«Das wäre ja geil!»

Heute, vier Jahre später, haben einzig die Urner und die Obwaldner Kantonal­parteien das C noch nicht ganz aufgeben mögen, sie nennen sich nun «CVP – Die Mitte». Die neue Marke habe im Wahlkampf geholfen, hört man landauf, landab. Man müsse sich nicht mehr rechtfertigen und Fragen gefallen lassen wie: «Habt ihr einen direkten Draht zum Vatikan?» Es sei viel einfacher, Frauen zu erreichen und jüngere Wähler. Die Junge Mitte verzeichnet einen Mitglieder­zuwachs von gegen dreissig Prozent.

Und auch im Wallis hat der Namens­wechsel zumindest nicht geschadet.

Am Wahl­abend steht Franziska Biner vor dem Restaurant Staldbach in Visp, einem Restaurant an der Strasse Richtung Saas- und Mattertal, wo früher ein Bordell namens «Pony Club» untergebracht war. Die Partei­präsidentin der Mitte Oberwallis strahlt. Ihre Partei hat fast drei Prozent zugelegt. Der Namenswechsel habe darauf allerdings «keinen Einfluss» gehabt, sagt Biner. Entscheidend sei, dass man mit zwei starken bisherigen Kandidaten angetreten sei, die in Bern eine ausgezeichnete Arbeit leisteten – der Einfluss der beiden «schwarzen Brüder» Rieder und Bregy wird im Oberwallis mit Stolz registriert.

Fehlt das C nicht? Das sei immer noch da, sagt Biner. «In den Werten.» Wofür steht denn die Mitte jetzt? «Wir sind eine Wirtschafts­partei, ähnlich wie die FDP, haben aber auch eine soziale Note.»

Obwohl die SVP im Oberwallis die mit Abstand grösste Konkurrentin der Mitte-Partei ist: Entscheidend scheint weiterhin allein die Abgrenzung zum Freisinn zu sein. Die Kränkung der Niederlage im Sonderbunds­krieg und der liberalen Staatsgründung (das Wallis lehnte 1848 die Verfassung ab) lebt weiter, in Spuren­elementen, im kollektiven Bewusstsein. Mal verflüchtigt sie sich scheinbar, dann taucht sie wieder auf.

Irgendwann am Sonntag­nachmittag wird bekannt, dass die Mitte die FDP auf nationaler Ebene überholen könnte. «Das wäre ja geil!», ruft jemand im Restaurant Staldbach.

Die Konfession überwunden

Tatsache wird der Triumph einige Stunden später, als im Berner Rathaus der Name von Reto Nause skandiert wird, als hätte dieser die Young Boys gerade zum Meistertitel geschossen.

Im Kanton Bern erreichte die CVP vor vier Jahren einen Wähleranteil von 1,4 Prozent, von einem Nationalratssitz war sie weit entfernt. So beliebt Reto Nause, schon damals ihr Spitzenkandidat, bei Wählerinnen anderer Parteien auch war (fast 20’000 seiner 24’000 Stimmen waren Panaschier­stimmen): Die eigene Basis war viel zu klein.

«Zu CVP-Zeiten musste ich ständig betonen, dass ich gar nicht Katholik bin, sondern Mitglied der reformierten Landes­kirche», sagt Nause. «Seit es die Mitte gibt, ist meine Konfession endlich kein Thema mehr.»

Ähnliches beobachtet Sibyl Eigenmann, die Co-Präsidentin der Berner Kantonalpartei. Selbst vor fünf Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten, habe sie sich ständig für das C rechtfertigen müssen, sagt sie. «Das Label ‹CVP› wurde für uns von Jahr zu Jahr zum grösseren Image­problem.»

Auf nationaler Ebene habe sie als CVPlerin nur Niederlagen gekannt, sagt die 1985 geborene Eigenmann. Das stimmt: Mit Ausnahme von 2007, als die Partei um einen Zehntelprozent­punkt zulegte, hat sie den Niedergang nie aufhalten können: Sie schrumpfte kontinuierlich von 21,3 Prozent (1979) auf 11,4 Prozent (2019). «Es war höchste Zeit für die Fusion.»

Anders als auf nationaler Ebene gehört die Mitte in Bern am Sonntag allerdings nicht zu den Gewinnerinnen: Sie erreicht einen Wähler­anteil von 8,1 Prozent – 1,8 Prozentpunkte weniger als das kumulierte Ergebnis von CVP und BDP im Jahr 2019. «Wenn zwei im Kanton Bern nicht mehr ganz knusprige Partner zueinander­finden, kann man nicht auf Anhieb Wunder erwarten», sagt Eigenmann. Mittelfristig sei sie dennoch uneingeschränkt zuversichtlich. «Seit wir Mitte heissen, erreichen wir die Jungen viel, viel einfacher.»

Die direkte Konsequenz davon war schon bei diesen Wahlen sichtbar: 358 ihrer 1118 Kandidatinnen waren jünger als 35-jährig.

Schwammiges Profil

176 Jahre nach dem Sonderbunds­krieg ist die frühere CVP, der politische Arm der damaligen katholischen Minderheit, in der Mitte-Partei aufgegangen. Sie wird nun auch in reformierten Kantonen gewählt, was bis vor kurzem noch praktisch undenkbar war. Konfession scheint in der Schweizer Politik mittlerweile keine Rolle mehr zu spielen. Damit ist der Kulturkampf zwischen Katholikinnen und Protestanten endgültig Geschichte.

Inhaltlich bleibt die neu benannte Partei aber in Wider­sprüchen gefangen. Wofür sie steht, ist bei der Mitte mindestens so unklar, wie es bei der CVP war. Ihr neues Narrativ ist: Wir stellen uns der Polarisierung entgegen. Seit Jahren wiederholt Pfister sein Mantra gebetsmühlen­artig. «Die Polparteien wenden sich von der Konkordanz ab, von der Arbeit am Ausgleich, am Zusammenhalt», sagte er 2019. Von da an wiederholte er das immer und immer wieder, in Interviews, Gastbeiträgen, auf Podien.

Sich in Abgrenzung zu den anderen zu definieren, reicht allerdings nicht, um einer Partei eine eigenständige Identität zu geben. Auf die Frage, wofür die Mitte-Partei stehe, sagt Präsident Gerhard Pfister heute: «Sie vertritt immer noch die gleichen Werte wie die frühere CVP und die BDP: Soziale Marktwirtschaft, Freiheit, Solidarität und Verantwortung.»

«Wir müssen zu einer dynamischen Partei werden», gibt Pfister den Kurs vor.

Nur: Was heisst das konkret? Das scheint selbst Partei­angehörigen nicht ganz klar zu sein. Auch der Bündner Ständerat Stefan Engler zögert mit einer Antwort. Er hat die Umbenennung der Partei vor drei Jahren vehement bekämpft. Heute räumt er grosszügig ein: «Man muss unserem Präsidenten gratulieren, der eine gewagte Strategie gefahren hat und damit Mut und Leadership bewiesen hat. Das Kalkül, ein neues Wähler­segment anzusprechen, ist aufgegangen. Und das, ohne dass die Stamm­landen erodierten.» Es sei gut gelungen, die Partei organisatorisch und strukturell erfolgreich aufzustellen. Aber das reiche nicht aus: «Nun dürfen unsere Wähler politische Antworten erwarten: mehr Eigenständigkeit, mehr Profil.»

Kommt hinzu: Der neue Name ist eigentlich ein Etiketten­schwindel. Denn die Mitte ist nicht gleich weit entfernt von links und von rechts. Sie stimmt in der Regel mit der FDP und der SVP und sorgt damit dafür, dass es bei der stabilen rechtsbürgerlichen Mehrheit der letzten 175 Jahre des Bundes­staates bleibt. Nur ab und zu stimmt die Mitte mit der linken Ratsseite, beim Atom­ausstieg etwa oder bei der Verschärfung der Regeln für die Waffen­ausfuhr. Seit 2019, als gleich ein halbes Dutzend seiner Vertreterinnen auf eine erneute Kandidatur verzichteten, gibt es keinen nennens­werten linken Parteiflügel mehr.

Auf die Frage, bei welchen Themen ihre Partei denn verlässlich mit links stimme, antworten Partei­exponenten meistens vage oder ratlos.

Kulturwandel nötig

Im Parlament ist und bleibt die Mitte entscheidend – umso mehr, als sie aus den Wahlen nun gestärkt hervorgeht. Sie ist die Mehrheits­beschafferin. Diese Macht könnte die neu erweckte Partei allerdings viel konsequenter ausüben, wenn sie nicht so zerstritten wäre.

Ihre Stände­räte stimmten in der letzten Legislatur mehrfach anders ab als ihre Nationalräte, anders als es der Präsident wollte. Zu Pandemie­beginn sprachen sie sich gegen die von der Nationalrats­fraktion geforderten Miet­reduktionen aus. Dann weigerten sie sich, nur schon über den indirekten Gegen­vorschlag zur Prämien­entlastungs­initiative der SP zu beraten, den die Mitte-Fraktion im Nationalrat mitgetragen hatte – erbost sprach Pfister von «Diskussions­verweigerung» und einem «Fehlentscheid». Und schliesslich lehnten sie den vollen Teuerungs­ausgleich bei der AHV ab, den die Partei lanciert und gross angekündigt hatte.

So vergab die Partei einen guten Teil ihrer Schlagkraft und wirkte fahrig, was den Partei­präsidenten ärgerte. Im Ständerat, wo ihre Fraktion 14 von 46 Sitzen innehatte, agierte sie konservativer und weniger ausgabe­freudig. Im Gleichschritt mit der FDP. Weil kein Mitte-Ständerat zurücktrat, dürfte es so bleiben.

Am Tag nach den Wahlen gibt sich Gerhard Pfister versöhnlich. Er verzichtet auf Kritik, sagt aber, es brauche einen Kulturwandel: «Wir müssen wegkommen von Kabinetts­politik und zu einer dynamischen Partei werden.» Damit meint er, die Mitte solle stärker eine Bewegung werden, die zentraler geführt wird, aber auch partizipative und dialogische Elemente habe. So wie die SP und die SVP.

Diesen beiden Parteien eifert Pfister noch in einem weiteren Punkt nach: Auch er hätte gerne zwei Bundesrats­sitze. Kurzfristig aber verfolgt er keinen entsprechenden Plan, auch wenn eine erste Wählerbefragung am Wochenende ergeben hat, dass eine Mehrheit der Ansicht ist, die Mitte solle bei den Gesamterneuerungs­wahlen in sieben Wochen einen FDP-Sitz erhalten.

Pfister denkt strategisch: Einen amtierenden Bundesrat abzuwählen, widerspräche dem Ruf einer Partei, die es sich zum Ziel gesetzt hat, ausgleichend zu wirken und die Polarisierung zu bekämpfen. Er sieht die Zeit der Mitte gekommen, wenn Ignazio Cassis oder Karin Keller-Sutter von sich aus ihren Rücktritt erklären.

«Dass die Mitte die FDP überholt hat, stellt eine markante, historische Zäsur dar und wird so oder so die Erosion der jetzigen Bundesrats­formel beschleunigen», sagt der CVP-nahe Historiker Urs Altermatt, der sich schon vor zehn Jahren für eine Fusion von CVP und BDP ausgesprochen hat. «Der Freisinn war schon bisher übervertreten, nun ist das erst recht augenfällig.»

Ein Selbstläufer allerdings werde der Aufschwung der Mitte nicht, da sind sich Pfister und Altermatt einig. «Ich bin mir der Herausforderungen schon noch bewusst, die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Das war nicht der Abschluss», sagt der Parteichef. Und der Historiker mahnt, die Mitte werde in den nächsten Jahren ihr Profil schärfen müssen. «Zurzeit steht sie primär für ein Gefühl, für das Mass- und Mitte­halten in einer polarisierten und unsicheren Welt», sagt er. «Auf lange Sicht reicht das nicht.»

Hinweis: In einer früheren Version hiess, die Mitte habe der SVP in Nidwalden den Ständerats­sitz abgeluchst. Richtig ist, dass die Mitte dort den Nationalrats­sitz erobert hat, den bisher die SVP hielt.

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