«Wir müssen eine offene Fehlerkultur leben, damit wir besser werden»
Polizisten im Einsatz stehen unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Beat Oppliger, Kommandant der Zürcher Stadtpolizei, über Handyaufnahmen von Passantinnen, den Umgang mit Fehlern und interne Konsequenzen.
Ein Interview von Brigitte Hürlimann, 18.09.2023
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Herr Oppliger, auch Polizisten sind nur Menschen und machen Fehler. Was passiert, wenn Sie davon erfahren?
Wir müssen wissen, was geschehen ist. Es ist entscheidend, dass wir sämtliche zur Verfügung stehenden Informationen zusammentragen. Wir brauchen diese Basis, wir dürfen uns nicht auf einzelne Meldungen abstützen. Im Zentrum stehen folgende Fragen: Was ist passiert? Wer hat was gemacht, wer hat sich wie verhalten?
Und wenn Sie die Informationen zusammengetragen haben?
Dann müssen wir einordnen und die Weichen stellen. Bei schwerwiegenden Hinweisen und einem klaren Anfangsverdacht informieren wir die Staatsanwaltschaft. In anderen Fällen ziehen wir die Kantonspolizei bei. Die Stadtpolizei ermittelt nie gegen ihre eigenen Leute. Dann gibt es Vorfälle, die von den Vorgesetzten aufgegriffen werden, wenn es keine strafrechtliche, aber möglicherweise eine personalrechtliche Relevanz hat. Personalrechtlich steht uns eine ganze Kaskade an Reaktionen zur Verfügung: vom Führungsgespräch bis zur Entlassung.
Manchmal geht es um mehr als «nur» das Fehlverhalten eines Einzelnen.
Ja, wir müssen zwischen individuellen und strukturellen Fehlern unterscheiden. Das ist in der Polizeiarbeit entscheidend, damit wir die nötigen Konsequenzen aus den Fehlern ziehen. Allenfalls muss die Ausbildung angepasst werden, die Aufsicht, die Führung oder die Verhaltensweise im Einsatz. Es reicht nicht aus, sich nur auf die unmittelbar Betroffenen zu konzentrieren. Die Polizei ist vor Fehlern nicht gefeit. Wir müssen eine offene Fehlerkultur leben, damit wir besser werden.
Beat Oppliger hat im Juni 2022 das Kommando der Stadtpolizei Zürich übernommen, des drittgrössten Korps der Schweiz mit rund 1700 vereidigten Polizistinnen sowie 500 Zivilangestellten. Der 56-jährige Jurist war bereits zwischen 2003 und 2014 in leitender Stellung bei der Stadtpolizei tätig und wechselte anschliessend in die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, der er von 2014 bis 2022 als Leitender Oberstaatsanwalt vorstand.
Die entscheidende Frage ist: Erfahren Sie überhaupt von Fehlern?
Auf jeden Fall. Und die Wege sind sehr unterschiedlich. Ein Betroffener erhebt Beschwerde, es gibt Berichte in den Medien oder auf Social Media, unsere eigenen Leute machen Meldungen oder es trifft eine Strafanzeige ein. Ihre Frage zielt darauf ab, ob alles gemeldet wird. Vermutlich nicht. Das ist aber im Strafrecht nicht anders – es ist klar, dass niemals alle Delikte gemeldet werden.
Wenn ich das Fehlverhalten eines Stadtpolizisten melden will – wie gehe ich vor?
Sie haben drei Möglichkeiten: Sie deponieren Ihre Beschwerde direkt bei uns, dafür haben wir auf unserer Website ein Feedbackmanagement eingerichtet. Wir gehen jeder Meldung nach und geben immer eine Antwort. Wenn Ihnen das zu nahe bei der Polizei ist, können Sie sich bei der städtischen Ombudsstelle melden. Das ist eine hervorragende Institution. Der Ombudsmann geht unabhängig, objektiv und transparent vor, er gibt uns gute Rückmeldungen und sagt, wenn etwas nicht stimmt. Die dritte Möglichkeit ist die Strafanzeige. Die können Sie auf einem Polizeiposten oder schriftlich bei der Staatsanwaltschaft einreichen.
Diesen Sommer gab es zwei Vorfälle, die heftige Diskussionen auslösten. Im Juni wurde an der Frauendemo eine Teilnehmerin an den Haaren gerissen und grob zu Boden gebracht. Wenige Tage später sorgte die Verhaftung eines 11-Jährigen für Unmut. Die Stadtpolizisten drückten das Kind auf den Boden und legten es in Handschellen. Beide Ereignisse wurden gefilmt und auf Social Media geteilt. Wie gehen Sie damit um?
Es ist extrem, wie schnell solche Sequenzen in den Medien sind und viral gehen. Jeder und jede hat sofort eine Meinung. Bilder sagen mehr als Worte. Aber es ist unmöglich, diese Filme richtig einzuordnen, wenn man die Vorgeschichte und die Umstände nicht kennt. Seriöse Medienschaffende melden sich bei uns und fragen nach. Sie setzen uns mit kurzen Rückmeldungsfristen unter Druck – aber das ist ein anderes Thema. Fakt ist: Von diesem Moment an müssen wir uns mit dem Ereignis auseinandersetzen. Wir schauen uns die Bilder an, und auch wir haben Fragen. Aufgrund des medialen Zeitdrucks müssen wir schnell antworten.
Warum?
Es geht um unsere Reputation. Es ist entscheidend, dass wir unsere Sicht der Dinge zeitnah einbringen können – sobald wir über Fakten verfügen und die Ereignisse einordnen können. Wir gehen den Vorwürfen nach, wir klären das ab, wir wollen wissen, ob verhältnismässig und rechtmässig gehandelt wurde. Aber das braucht manchmal längere, vertiefte Abklärungen. In beiden von Ihnen genannten Fällen kam es auch zu politischen Anfragen. Wir sind gegenüber der Exekutive und der Legislative rechenschaftspflichtig. Unsere Antworten sind noch in Bearbeitung.
Trotzdem reagieren Sie auch unmittelbar auf Vorwürfe, und zwar auf Social Media.
Wenn Falschangaben oder faktenwidrige Darstellungen kursieren, kombiniert mit schwersten Vorwürfen, dann müssen wir sofort reagieren. Wir haben auch gegenüber der Öffentlichkeit eine Informationspflicht. Doch es gibt Grenzen. Wir dürfen keine Mutmassungen oder Rechtfertigungen veröffentlichen. Wir brauchen Fakten. Das muss trotz Zeitdruck sauber getrennt werden – was an Information möglich ist und was nicht.
Der Zürcher Stadtrat nimmt Stellung
Mindestens in einem Fall hat eine schnelle Reaktion der Stadtpolizei auf Social Media – konkret auf jener Plattform, die damals noch Twitter hiess – zu einem politischen Nachspiel geführt. Grund dafür war der erwähnte Einsatz am Feministischen Streiktag auf dem Paradeplatz. Eine Videoaufnahme ging viral, die Empörung unter den Usern war gross, und die Stadtpolizei liess sich auf eine gehässige Twitter-Debatte ein; sie habe sich in einen Shitstorm getwittert, titelte die NZZ.
Parlamentarierinnen der AL, der SP und der Grünen erkundigten sich beim Stadtrat (der Zürcher Exekutive) erstens nach der Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes und zweitens nach den Regeln für die «Bewirtschaftung der Social-Media-Kanäle» durch die Stadtpolizei.
Die Antworten sind letzten Donnerstag eingetroffen. Den Einsatz am Paradeplatz bewertet die Stadtregierung als rechtmässig. Es sei darum gegangen, Stahlseile zu entfernen, die über die Zufahrtsstrassen gespannt worden seien. Auch die Verhaftung der Teilnehmerin sei nötig und verhältnismässig gewesen. Sie habe zuvor einen Polizisten mit einem gezielten Tritt verletzt, was allenfalls den Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Beamte erfülle.
Was die Twitter-Reaktionen betreffe, schreibt die städtische Exekutive, habe sich die Stadtpolizei gegen Falschbehauptungen gewehrt. Man nehme jedoch zur Kenntnis, «dass die wiederkehrenden Richtigstellungen auf Twitter in diesem Fall offenbar teilweise den Twittersturm genährt haben und die Äusserungen als Rechtfertigung aufgefasst wurden». Die Stadtpolizei habe «unmittelbar nach dem Einsatz» die Äusserungen kritisch hinterfragt und sei dran, ihre Kommunikation grundsätzlich zu prüfen – und wenn nötig anzupassen.
Sie könnten doch sagen: Das sind schlimme Bilder, wir nehmen es ernst.
Natürlich nehmen wir das ernst, wir müssen es ernst nehmen, wir stehen in der Verantwortung, es geht ums Vertrauen in die Polizei. Wir dürfen uns nicht ins Schneckenhaus zurückziehen, keinen Klüngel bilden. Ich kann es nicht genug betonen: Wir nehmen die Vorwürfe auf und klären ab, aber wir können oft nicht unmittelbar danach sagen, was passiert ist. Bei der Verhaftung des 11-Jährigen teilten wir den Medien zeitnah mit, warum es so weit kam. Das geschah nicht aus heiterem Himmel. Es gab einen Auftrag, und es war eine schwierige Situation. Glauben Sie mir, jede Festnahme, bei der Widerstand geleistet wird, sieht unschön aus.
Sind Sie froh um die Hinweise via Social Media? Oder hindert Sie das eher daran, eine gute Fehlerkultur zu leben?
Wir haben uns eine gute Fehlerkultur auf die Fahne geschrieben, das ist auch in den strategischen Zielen festgelegt. Klar, wir können uns noch verbessern, aber wir sind laufend dran, auch in den Aus- und Weiterbildungen. Wenn die Polizistinnen und Polizisten bei jeder Handlung damit rechnen müssen, gefilmt und an den Pranger gestellt zu werden, ist das für die Fehlerkultur nicht hilfreich. Das muss man ehrlicherweise sagen. Niemand hat ein Interesse daran, ungerechtfertigt in der Öffentlichkeit angegriffen zu werden.
Erst kürzlich forderte die Präsidentin des Polizeibeamtenverbands, es sei den Passanten zu verbieten, Polizeieinsätze zu filmen.
Das ist keine Lösung. Handyaufnahmen zu verbieten, bringt nichts. Wir müssen damit umgehen – mit professioneller Arbeit. Wir machen unseren Job, wir erklären uns, und wir stehen hin. Wir müssen es aushalten, auch einmal in einem nicht optimalen oder gar schlechten Licht dargestellt zu werden. Was nicht bedeutet, dass wir alles hinzunehmen haben. Wir erklären, was passiert ist. Doch ein Verbot wäre kontraproduktiv und nicht umsetzbar.
Wie erklären Sie das Ihren Leuten?
Ich sage ihnen, sie sollen sich so verhalten, so arbeiten, wie sie es gelernt haben. Dann kann ihnen nichts passieren, und die Vorgesetzten stehen hinter ihnen, unterstützen sie – auch, wenn Vorwürfe kommen. Handyaufnahmen von Passanten sind Teil der heutigen Realität. Früher standen die Leute bei einem Einsatz den Polizisten im Weg und behinderten sie, da sprachen wir von Gaffern. Heute schicken Passanten ihre Videos an die Medien und bekommen ein Honorar dafür. Sie werden Leserreporter genannt. Wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen, doch jeder Polizist muss damit rechnen, aufgenommen zu werden. Auf Social Media können alle sofort etwas hochladen. Bei den Medien hoffe ich auf ein anderes Vorgehen, aber ich weiss, der Wunsch ist der Vater des Gedankens …
Äussern Sie ihn!
Die Medien müssen Verantwortung übernehmen, sprich: verifizieren, einordnen, rückfragen. Verheerend ist, wenn etwas, das auf Social Media unterwegs ist, ungefiltert als Online-Beitrag publiziert wird. Das kommt vor. Dass man bei Bildern, wie jenen von der Frauendemonstration oder bei der Verhaftung des 11-Jährigen, Fragen stellt, ist logisch. Das müssen wir akzeptieren, es ist die Aufgabe der Medien, zu hinterfragen und zu kritisieren. Aber wenn es nahtlos und ungefiltert vom Social-Media-Kanal in den Medien landet, wird es schwierig.
Sie sagen, Sie haben eine Fehlerkultur, die laufend verbessert wird. Wie sieht das konkret aus?
Wenn wir Fehler feststellen, hat es Konsequenzen. Wir müssen einfach zuerst wissen, was Sache ist. Das wird intern abgeklärt und nachbearbeitet. Wenn wir zum Schluss kommen, dass etwas nicht gut gelaufen ist, kommt es zur erwähnten Weichenstellung. Das ist nicht nur Theorie, das passiert tatsächlich, auch schon während meiner kurzen Zeit als Kommandant. Wir können es uns nicht leisten, irgendetwas unter dem Deckel zu halten. Das kommt immer raus. Es gibt in der Stadt Zürich genügend kritische Medienschaffende, die den Finger genau dorthin legen würden – zu Recht.
Man hört selten davon, dass Sie streng hinschauen und ein polizeiliches Fehlverhalten Konsequenzen hat.
Das hat mit dem Persönlichkeitsschutz zu tun. Es kommt vor, dass wir uns von Mitarbeitern trennen müssen, doch das können wir nicht kommunizieren. Weder intern noch extern. Das ist ein Dilemma. Ich wurde erst kürzlich bei einer Weiterbildung darauf angesprochen, warum wir nicht transparenter kommunizieren würden. Dann muss ich jeweils sagen: Es geht einfach nicht. Auch die betroffenen Mitarbeiter haben Rechte.
Das heisst, auch innerhalb des Korps wollen die Leute wissen, was nach einem Fehler geschieht?
Absolut.
Nicht zuletzt auf Social Media wird öfters die Frage geäussert, warum sich die Polizei nicht einfach entschuldigt – hinsteht und sagt: Sorry, es ist schiefgelaufen.
Wenn wir nicht wissen, ob wirklich ein Fehler geschah, können wir uns nicht entschuldigen. Was eher möglich ist: ein Bedauern auszudrücken. Ein Entschuldigen bedeutet, die Schuld auf sich zu nehmen. Es gab Fälle, da mussten wir das tun, intern und extern. Wenn Polizisten zum Beispiel im Strassenverkehr einen massiven Fahrfehler begehen, der zu Schwerverletzten führt, gibt es nichts schönzureden, dann braucht es eine Entschuldigung. Ein Bedauern kann man jedoch viel früher ausdrücken, dazu braucht es kein juristisches Gutachten. Da haben wir noch Verbesserungspotenzial.
Wie gehen Sie vor, wenn es um strukturelle Probleme geht?
Wir setzen bei der Ausbildung an. Wir hören ja öfters den Vorwurf des Racial Profilings. Das ist ein wichtiges Thema in der Aus- und Weiterbildung: der Umgang mit fremden Kulturen. Es ziehen ständig neue Menschen in die Stadt Zürich, aus allen Nationen und Religionen, und es gibt ständig neue gesellschaftliche Entwicklungen. Das braucht Know-how in der Polizei, das wir intern und extern holen. Wir sind verpflichtet, unsere Leute regelmässig zu schulen. Dazu gehört übrigens auch der Umgang mit queeren Menschen. Da kann man bei der Polizeiarbeit in Fettnäpfchen treten, Fehler machen, Leute in Nöte bringen. Das können wir vermeiden. Wir haben innerhalb unseres Korps eine spezialisierte Gruppe. Das ist ein Glücksfall. Diese Gruppe schult auch die Staatsanwaltschaft.
Sprechen Sie von Pink Cop? Dem Verein von Polizistinnen und Polizisten, der sich seit 2008 für queere Anliegen einsetzt?
Genau, sie sind von Beginn an in der Stadtpolizei vertreten und nehmen sich bei uns einer ganzen Palette von Themen an. Die Gruppe ist Anlaufstelle und Vermittlerin für Menschen rund um die Gay-Community und darüber hinaus. Dank Pink Cop haben wir das Know-how bei uns im Haus. Es sind Kolleginnen und Kollegen, die in der Community eine hohe Akzeptanz geniessen.
Und innerhalb des Korps?
Natürlich kommt es auch zu Irritationen und kritischen Fragen, das muss möglich sein. In der Ausbildung erklären wir, warum LGBTQ+-Themen für die Polizeiarbeit wichtig sind – unter anderem wegen der Hate-Crimes. Das ist ein Straftatbestand. Leute, die aus einem bestimmten Lokal treten, werden abgepasst und grundlos zusammengeschlagen. Es ist unsere Aufgabe, solche Taten zu verhindern, die Menschen zu schützen; egal, wer sie sind, egal, wie sie sich geben.
Was tun Sie, wenn Polizisten diese Offenheit nicht mitbringen, solche Werte nicht mittragen?
Wir schauen bei der Auswahl der Polizisten streng darauf, offene Leute zu gewinnen, die mit der diversen Bevölkerung in der Stadt Zürich umgehen können. Das ist eine Grundvoraussetzung. Wer sich damit nicht arrangieren kann, kommt als Polizeiaspirant nicht infrage. Sollte sich die fehlende Offenheit erst im Laufe des Berufslebens einstellen, müssen wir das angehen; allenfalls ist ein Wechsel erforderlich. Leider haben wir viele Abgänge, sprich: Kündigungen. Das ist ein Problem. Wer mit den Herausforderungen der Stadt Zürich nicht mehr zurechtkommt, findet problemlos eine neue Stelle – überall; in anderen Korps oder in der Privatwirtschaft.
Ist der Polizeiberuf unattraktiv geworden?
Die Abgänge haben viel mit der Situation in der Stadt zu tun. Bei uns kommt es zu sehr vielen Extradiensten ausserhalb der regulären Arbeitszeit: Grossereignisse am Wochenende oder Demonstrationen, die kurzfristig angekündigt werden. Das können wir nicht mit den Leuten stemmen, die im Dienst sind, die brauchen wir fürs Alltagsgeschäft. Wir müssen auf Mitarbeiter zurückgreifen, die eigentlich freihätten, die das Wochenende mit Familien oder Freunden verbringen wollten, private Pläne hatten. Dann kommen wir und bieten sie zur Arbeit auf. Das gehört in einem gewissen Mass zur Polizeiarbeit, aber es hat zugenommen. Bei ländlichen Korps gibt es das nicht. Das Unplanbare ist für die Mitarbeiter ermüdend und belastend.
Wie können Sie diese Situation ändern?
Wir testen ein neues Arbeitsmodell, schichten die Arbeitszeiten um, damit wir mehr Mitarbeiter am Wochenende zu regulären Diensten aufbieten können. Und wir brauchen mehr Leute. Der Stadtrat hat uns 152 zusätzliche Stellen zugesprochen, was das Stadtparlament jedoch nur teilweise umsetzen will. Wir brauchen dringend mehr Stellen, weil die Bevölkerung wächst – und damit auch die Zahl der Delikte. Das konnten wir nachweisen, indem wir den Zuwachs an häuslicher Gewalt mit dem Zuwachs der Bevölkerung verglichen. Dieses Delikt nimmt nicht einfach so zu, sondern ziemlich exakt in jenem Ausmass, wie die Bevölkerung wächst.
Warum schränken Sie Ihr Aufgabengebiet nicht ein?
Damit haben wir angefangen. Die Regionalwachen der Stadt Zürich sind neu nicht mehr im 24-Stunden-Betrieb geöffnet. So können wir die frei gewordenen personellen Ressourcen anders und besser einsetzen.
Würden Sie das heutige Korps als divers bezeichnen?
Diverser als noch vor achteinhalb Jahren, als ich letztmals bei der Stadtpolizei gearbeitet habe. Es gibt die unterschiedlichsten Herkünfte und Hintergründe, das sieht man an der Hautfarbe und an den Namen. Das Korps wurde gemischter – aber es könnte noch gemischter sein. Wir brauchen auch mehr Frauen. Da sind wir noch nicht dort, wo wir sein wollen.
Ist der Schweizer Pass immer noch eine Voraussetzung für den Polizeiberuf?
Ja, aber das haben nicht wir entschieden. Wir sind zwar ein kommunales Korps, unterstehen aber dem kantonalen Gesetzgeber. Früher konnte jemand, der über die Niederlassungsbewilligung verfügte, die Polizeiausbildung beginnen, mit dem Ziel, bis zum Abschluss der zweijährigen Ausbildung eingebürgert zu sein. Das hat der Zürcher Kantonsrat letztes Jahr geändert. Neu braucht es auch für die Ausbildung von Anfang an einen Schweizer Pass. Das ist die rechtliche Situation. Und da haben wir absolut keinen Spielraum.
Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich kann gut nachvollziehen, dass man am Ende der Ausbildung das Schweizer Bürgerrecht haben sollte. Aber ich konnte auch sehr gut damit leben, dass man wenigstens am Anfang der Ausbildung Leute mit dem C-Ausweis zuliess. Aber eben, die Mehrheit des Kantonsrats sah es anders.
Was sind die Vorteile eines Polizeikorps, das divers ist?
Bei der Vereidigung der neuen Polizisten sagte ich es so: Eure Unterschiede machen uns besser. Im Idealfall sollte die Polizei ein Abbild der Gesellschaft sein. Das geht allerdings nur schon wegen der rechtlichen Grundlage nicht. Aber wir können uns dem Grundsatz annähern. Polizisten aus anderen Kulturen und mit anderen Hintergründen helfen uns als Übersetzer – nicht nur, was die Sprache betrifft. Doch die entscheidenden Kriterien bleiben immer noch die Kompetenz und die persönlichen Voraussetzungen. Da dürfen wir keine Abstriche machen. Es wäre verheerend, die falschen Leute zur Polizei zu holen.
Zum Schluss müssen wir noch die Cop-Culture ansprechen: Wenn Polizistinnen ein Fehlverhalten von Kollegen feststellen – können sie das melden, ohne zum Kameradenschwein zu werden?
Es muss möglich sein. Und es geschieht auch. Aber seien wir ehrlich und realistisch: Der Spirit und der Zusammenhalt innerhalb der Stadtpolizei sind gross. Man ist aufeinander angewiesen, arbeitet im Team. Das schweisst zusammen. Wir als Vorgesetzte wünschen uns, dass Fehlverhalten gemeldet wird. Auch wenn nicht alle Leute über eine solche Meldung begeistert sind, vor allem jene auf der gleichen Stufe nicht. Im Extremfall weisen wir einer Person, die einen Vorfall gemeldet hat, ein anderes Arbeitsumfeld zu, um sie zu schützen. Was wichtig ist: Unser Berufsethos ist hoch. Alle möchten eine gute Arbeit machen und hinter der Arbeit stehen können. Wer das nicht tut, wird heute eher gemeldet als noch vor zwanzig Jahren. Auch Berufseinsteigerinnen wagen es, Kritik zu äussern. Und die nehmen wir ernst.
Was bedeutet ein «hohes Berufsethos»?
Ich nenne jeweils drei Werte: Fairness, Transparenz und Verlässlichkeit. Nun können Sie einwenden, das seien bloss Schlagworte. Aber wir laden regelmässig Politiker ein, uns auf Patrouillen zu begleiten, damit sie die Polizeiarbeit direkt erleben. Die Rückmeldungen, die ich bekomme, sind mit wenigen Ausnahmen hervorragend – und zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Das zeigt mir: Diese Werte werden gelebt.
Es ist eine clevere Idee, die Politikerinnen einzubinden.
Ich muss Ihnen von einer Rückmeldung erzählen, die ich nie vergessen werde, obwohl es schon lange her ist. Es geschah während meiner früheren Tätigkeit bei der Stadtpolizei, bevor ich Kommandant wurde. Eine Parlamentarierin, die eine kritische Haltung zur Polizeiarbeit hat, nahm an einer Patrouille teil. Danach kam sie zu mir und meinte: «Herr Oppliger, ich muss Ihnen etwas sagen. Ihre Leute haben eine Riesengeduld und ein professionelles Auftreten. Ehrlich gesagt, dem einen oder anderen, den wir während der Patrouille trafen, hätte ich eine runterhauen können.» Da war ich nur noch baff. Gerade von ihr hätte ich eine solche Aussage nicht erwartet.