Briefing aus Bern

Rote Köpfe in der Wohnungs­politik, zusätzliche Plätze für Asylsuchende – und das Ruag-Rätsel wird wirrer und wirrer

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (244).

Von Philipp Albrecht und Priscilla Imboden, 31.08.2023

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Vorgelesen von Miriam Japp
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Armer Marco Salvi. Der Ökonom aus dem Misox, der bei Avenir Suisse zum Thema Immobilien und Wohnen forscht, hatte am Dienstag keinen guten Tag. Zum zweiten Mal in diesem Jahr wurde er von Jacqueline Badran in den Senkel gestellt.

Beim ersten Mal hatte er Anfang Mai mit der SP-National­rätin in der SRF-Sendung «Eco Talk» gesessen, als sie seine Aussagen zur Entwicklung der Mietzinse als «totalen Unfug» abtat und ihm indirekt vorwarf, beim Ökonomie­studium nicht richtig zugehört zu haben.

Diese Woche nun reagierte Badran auf Salvis Studie «Mieten und Mythen», die am Dienstag in Zürich vorgestellt wurde. Via Medien­mitteilung warf sie dem Ökonomen kurz nach der Medien­konferenz Käuflichkeit vor. Mit «faden­scheinigen Behauptungen und fraglichen Fakten» verteidige er «die Interessen der Immobilien­konzerne». Badran bezog sich dabei auf die börsen­kotierten Firmen Allreal und Swiss Prime Site, die wie auch Mobimo oder PSP Swiss Property zu den finanziellen Unter­stützern des Thinktanks zählen.

Salvi, der an der Medien­konferenz am Dienstag noch erklärte, dass er heute nicht mehr so neoliberal sei wie früher, stellt in seiner Studie einige schwer verdauliche Thesen auf. Er nimmt vor allem Genossenschaften und Stiftungen ins Visier: Preisgünstiger Wohnraum werde hauptsächlich von Immobilien­investoren und privaten Vermieterinnen zur Verfügung gestellt und nicht, wie es immer heisse, von gemein­nützigen Wohnbau­trägern. Zudem würden Genossenschaften weniger nachhaltig bauen als Private und seien von staatlichen Subventionen abhängig.

Das rief neben Badran auch eine zweite SP-Politikerin auf den Plan. Die Basler Ständerätin Eva Herzog schlug Salvi in ihrer Funktion als Präsidentin der Wohnbau­genossenschaften Schweiz einige Zahlen um die Ohren, die belegen sollen, dass gemein­nützige Wohnbau­träger weniger Landfläche pro Person verbauten als Private. Zudem belehrte sie ihn, dass 85 Prozent der gemein­nützigen Wohnungen keinerlei Förderung beanspruchten. Und dass die wenigen Förder­instrumente des Bundes (rückzahlbare Darlehen und Bürgschaften) die Steuer­zahler «keinen Rappen» kosteten.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Natalie Rickli will Krankenkassen-Zwang abschaffen

Worum es geht: Das System der obligatorischen Grund­versicherung bei den Kranken­kassen sei finanziell gescheitert, sagt Natalie Rickli, Regierungs­rätin des Kantons Zürich. In einem Interview mit der «SonntagsZeitung» fordert die SVP-Politikerin deshalb die Bundes­politik dazu auf, die Gesundheits­finanzierung von Grund auf zu überdenken. Die Tatsache, dass auf Ende Jahr ein neues Parlament die Arbeit aufnehme und der zuständige Bundesrat Alain Berset zurücktrete, sei «eine gute Gelegenheit für einen Neustart».

Warum das wichtig ist: Das Wort der Zürcher Regierungs­rätin hat Gewicht. Als Gesundheits­direktorin des bevölkerungs­reichsten Kantons der Schweiz ist Natalie Rickli eine der einfluss­reichsten Politikerinnen in der Schweizer Gesundheits­politik. Sie fordert eine grundlegende Reform ohne Tabus. Konkrete Vorschläge macht Rickli zwar nicht, sie zielt aber auf ein Ende des Krankenkassen­obligatoriums ab. Das soll vor allem den Mittelstand entlasten, der am stärksten unter den stetig steigenden Prämien leide. Denn für Reiche spielten die Kosten keine Rolle, und Gering­verdiener würden mit Prämien­verbilligungen entlastet. Einem radikalen Umbau der Gesundheits­finanzierung ist auch die SP nicht abgeneigt. Allerdings setzt sie in diesem Zusammen­hang auf die mehrmals gescheiterte Idee einer staatlichen Einheitskasse.

Wie es weitergeht: Ende September wird die nächste Erhöhung der Krankenkassen­prämien bekannt gegeben. Expertinnen prognostizieren einen Anstieg von rund 6 Prozent. Daneben müssen sich National- und Ständerat auf einen Gegen­vorschlag zur SP-Prämieninitiative einigen. Sie verlangt, dass der Staat mehr Geld in die Prämien­verbilligung steckt, sodass kein Haushalt über 10 Prozent des Einkommens für die Kranken­versicherung aufwenden muss.

Kantone stellen 1800 Asylplätze zur Verfügung

Worum es geht: Mehrere Kantone haben sich bereit erklärt, dem Bund insgesamt 1800 Plätze zur Unterbringung von Asyl­suchenden zur Verfügung zu stellen. Bei den Unter­künften handelt es sich hauptsächlich um Zivilschutz­anlagen. Damit sollen genügend Plätze für die bis Ende 2023 erwarteten Asyl­suchenden bereit­stehen. Nur etwa die Hälfte der Kantone bieten allerdings Hand dazu. Keine Plätze bieten die Inner­schweizer Kantone an, aber auch die Waadt, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Solothurn, Thurgau und Graubünden nicht.

Warum das wichtig ist: Bei den Schlaf- und Aufenthalts­plätzen für Asyl­suchende droht ein Engpass. Das Staats­sekretariat für Migration rechnet für dieses Jahr mit rund 28’000 Asyl­suchenden. Hinzu kommen rund 20’000 Schutz­suchende aus der Ukraine. Wenn in den Bundes­asylzentren zu wenig Plätze zur Verfügung stehen, müssen die Kantone die Asyl­suchenden direkt übernehmen. Um die drohende Notlage abzuwenden, hatte SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im Juni im Parlament einen Kredit für den Bau von Container­dörfern beantragt. Ihr Antrag scheiterte allerdings am Widerstand im Ständerat.

Wie es weitergeht: 600 der 1800 Plätze sind sofort verfügbar, die restlichen zu einem späteren Zeitpunkt. Daneben klärt die Armee zurzeit ab, ob sie zusätzliche Unter­stützung leisten kann.

Affäre um Ruag-Panzer gibt Rätsel auf

Worum es geht: Staats­anwälte in Deutschland ermitteln wegen Korruptions­verdacht gegen fünf Personen; eine davon ist ein ehemaliger Mitarbeiter der Ruag. Es geht um den Handel von Ersatz­teilen, bei denen es zu wundersamen Preis­steigerungen gekommen sei – eine weitere Episode rund um die 96 ausrangierten Leopard-1-Panzer, die die Ruag vor 7 Jahren in Italien gekauft hatte und die noch immer dort stehen. Die Ruag wollte die Panzer ursprünglich als Ersatzteil­lager nutzen.

Warum das wichtig ist: Die nicht enden wollenden Wirren um die 96 Leopard-1-Panzer in Norditalien belasten die Beziehungen zwischen der Schweiz und verschiedenen europäischen Ländern. Der Bundesrat sagte aus neutralitäts­politischen Gründen Nein zu einem Antrag der Ruag, die Panzer an die deutsche Rüstungs­firma Rheinmetall zu verkaufen. Die Firma wollte sie aufrüsten und an die Ukraine weiter­geben. Bundesrätin Viola Amherd bestritt zunächst, rechtzeitig über den geplanten Verkauf informiert worden zu sein – obwohl interne Dokumente darauf hinweisen. In einem Interview räumte sie dann aber ein, über die Verkaufs­absicht vorinformiert worden zu sein. Im Zusammen­hang mit den Panzern in Norditalien ist ein weiteres Rätsel aufgetaucht: Eine deutsche Firma namens Global Logistics Support sagt, sie habe 25 davon vor Jahren gekauft und nicht abgeholt. Sie gehörten ihr.

Wie es weitergeht: Bundesrätin Viola Amherd hat eine externe Unter­suchung der Affäre angekündigt. Diese soll abklären, ob die Aufsicht durch das Verteidigungs­departement genügend gewesen sei. Derweil lagern die Panzer weiter in Norditalien unter freiem Himmel – während viele Länder in Europa versuchen, Waffen in die Ukraine zu liefern.

Bundesrat verstärkt Kampf gegen die Geldwäscherei

Worum es geht: Der Bundesrat möchte die Massnahmen zum Kampf gegen die Geldwäscherei verschärfen. Dazu gehört, ein Register einzuführen, in dem die wirtschaftlich Berechtigten – also die effektiven Besitzer – der Firmen ersichtlich sind. Heute sind oft nur Treuhänderinnen oder Stroh­leute im Handels­register aufgeführt, was es schwierig macht, die eigentlichen Firmen­eignerinnen zu identifizieren und Fälle von Geldwäscherei aufzudecken. Solche Register gibt es bereits in vielen Ländern. Das Schweizer Register soll im Justiz­departement angesiedelt werden und nicht öffentlich zugänglich sein. Zudem schlägt der Bundesrat vor, auch für Treuhänder, Anwälte und Beraterinnen Sorgfalts- und Melde­pflichten bei Verdacht auf Geld­wäscherei einzuführen.

Warum das wichtig ist: Die Schweiz wurde vom internationalen Geldwäscherei-Bekämpfungs­gremium Financial Action Task Force immer wieder kritisiert, dass ihr Dispositiv gegen Geldwäscherei Lücken aufweise. Mit dieser Vorlage versucht der Bundesrat, diese Lücken zu schliessen. Dies auch, weil wegen des Krieges in der Ukraine der Druck auf die Schweiz gestiegen ist, Geld­wäscherei durch sanktionierte russische Oligarchen zu verfolgen. Bereits vor vier Jahren hatte der Bundesrat versucht, Sorgfalts- und Melde­pflichten für Anwältinnen einzuführen. Dies scheiterte jedoch am Widerstand der Anwalts­lobby und bürgerlicher Parteien.

Wie es weitergeht: Die Vorlage geht nun in die Vernehmlassung. Reagiert hat bereits die Nichtregierungs­organisation Transparency International. Sie kritisiert die Vorschläge als «zu zaghaft». Der Widerstand des Schweizerischen Anwalts­verbands ist so gut wie gewiss.

Aufsteigerin der Woche

Morgen Freitag wählt die SP-Fraktion ein neues Präsidium, bestehend aus Samira Marti und Samuel Bendahan. Marti dürfte Republik-Leserinnen bekannt sein. Sie verriet diesen Sommer, dass sie als Politikerin gerne ein Gepard wäre. Und bereits letzten Sommer, wie ihr Lieblings­witz lautet: «Die Credit Suisse lernt aus ihren Fehlern.»

Illustration: Till Lauer

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