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Mammut-Untersuchung gegen kurdische Gang

Die Zürcher Staats­anwaltschaft ermittelt wegen schwerster Gewalttaten und organisierter Kriminalität gegen 25 mutmassliche Mitglieder der Gruppierung Bahoz. Dabei existiert die angeblich gar nicht mehr.

Von Lukas Häuptli, 21.07.2023

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Vorgelesen von Egon Fässler
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Vor knapp sechs Jahren war Schluss. Zumindest, wenn man einem Facebook-Post vom 25. September 2017 glaubt. «Hiermit gibt Bahoz offiziell seine Auflösung bekannt», schrieb die kurdische Gruppierung. Der Grund dafür sei, dass die Darstellung durch Polizei und Presse nicht mehr den Tatsachen entspreche. «Einzelne Gewalt­taten können nicht einem ganzen Volk und auch nicht Bahoz-Mitgliedern unterstellt werden», schrieben sie. Und schliesslich: «Bahoz ist Vergangenheit und wird auch in Zukunft nicht aufleben.»

Damit schien die Geschichte der Gruppierung in der Schweiz zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte. Bahoz war im Verlauf des Jahres 2016 gegründet worden und erfreute sich unter jungen Männern – vor allem in grossen Städten – bemerkenswerter Beliebtheit. Dokumentiert sind zum Beispiel mehrere Aufmärsche der Gang im Zürcher Kreis 4. Aber eben: Nach rund einem Jahr war auch schon wieder fertig. Angeblich.

Denn jetzt zeigen Recherchen der Republik: Die Zürcher Staats­anwaltschaft ermittelt gegen mehrere mutmassliche Mitglieder der Gruppierung, und zwar wegen organisierter Kriminalität, schwerster Gewalt­taten sowie verschiedener weiterer Delikte in den Jahren 2019 bis 2022.

Die Staats­anwaltschaft I des Kantons Zürich führe in diesem Zusammenhang «ein umfangreiches Straf­verfahren», bestätigt ein Sprecher. Nähere Angaben macht er mit Verweis auf die «Geheimhaltungs­pflicht» aber nicht. Die Staats­anwaltschaft I ist für die Verfolgung schwerer Gewalt­kriminalität zuständig.

25 Beschuldigte, fast 300 Einvernahmen

Die Ermittlungen richten sich gegen nicht weniger als 25 Beschuldigte, wie die Recherchen der Republik weiter ergaben. Es handelt sich um Männer unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Nationalität. Mehrere befinden sich in Untersuchungshaft.

Den Beschuldigten werden mehrere versuchte Tötungen und mehrere versuchte schwere Körper­verletzungen vorgeworfen, aber auch Freiheits­beraubung, räuberische Erpressung, Raub sowie zahlreiche Kokain- und Cannabis-Delikte. Und: Die Staats­anwaltschaft wirft ihnen vor, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein.

Eine ihrer aufsehen­erregendsten Taten ereignete sich auf einer Autobahn im Kanton Zürich. Da sollen die Beschuldigten aus einem fahrenden Auto auf Wider­sacher in einem anderen Wagen geschossen haben. Bemerkenswert ist auch, dass sie zahlreiche mutmassliche Gewalt­taten im Rahmen von Gruppen­ritualen begingen.

Beim Strafverfahren handelt es sich um «eine riesige Untersuchung», wie eine gut informierte Person sagt. Zunächst hatten sich mehr als ein Dutzend Staats­anwälte mit Teil­verfahren des Falls beschäftigt, mittlerweile liegt die Verfahrens­führung bei einem einzigen Staats­anwalt der Staats­anwaltschaft I. Alles in allem führten die Ermittler bis jetzt fast 300 Einvernahmen durch – und ein Ende der Untersuchung ist noch nicht absehbar.

Die meisten Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe – insbesondere den Vorwurf, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein. Viele sagten auch aus, mit der Gruppierung Bahoz nichts zu tun gehabt zu haben. Für alle gilt die Unschulds­vermutung.

Bahoz und die Vorgänger-Organisationen Sondame und Red Legion stammen ursprünglich aus Deutschland. Dort fielen Mitglieder der kurdischen Gruppierungen immer wieder durch schwere Gewalt­taten auf sowie durch Schlägereien mit Anhängern der Gruppierung Osmanen Germania, die dem türkischen Staats­chef Recep Tayyip Erdoğan nahestand.

Mitglieder von Bahoz huldigten einem eigentlichen Bruderschafts­kult. In einem Post auf Facebook schreiben sie: «Nenn mich nicht Bruder, bevor Du nicht weisst, was das bedeutet! (…) Brüder haben einfache Regeln, nach denen sie leben: Wir belügen und bestehlen keinen Bruder, wir lassen nie einen Bruder zurück, wir passen jederzeit aufeinander auf. (…) Ich werde mit Dir feiern, wenn die Zeiten gut sind, ich werde mit Dir kämpfen, wenn die Zeiten schlecht sind.»

Wie weist man organisierte Kriminalität nach?

In der Schweiz wird eine Heraus­forderung der Ermittler sein, den Beschuldigten die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation nachweisen zu können. Das haben Staats­anwaltschaften und Bundes­anwaltschaft in anderen Fällen immer wieder versucht – mit mässigem Erfolg.

So wurden zwischen 2011 und 2021 in der Schweiz 317 Personen der Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisation beschuldigt, wie aus der polizeilichen Kriminal­statistik der Schweiz hervor­geht. Viele von ihnen sollen Mitglieder der italienischen Mafia gewesen sein. Im gleichen Zeitraum verurteilt wurden allerdings lediglich 57 Personen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass einige Beschuldigte nach Italien ausgeliefert wurden und dort vor Gericht kamen, zeigen die Zahlen: Der Nachweis der organisierten Kriminalität ist schwierig.

Zwar lockerten Parlament und Bundesrat in der Zwischenzeit die Voraus­setzungen dafür, dass der Straftat­bestand der Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisation erfüllt ist. Gleichzeitig erhöhten sie die Höchst­strafe von 5 auf 10 Jahre. Die revidierte Bestimmung von Artikel 260ter ist aber erst seit Juli 2021 in Kraft.

Immerhin: Womöglich hilft der Zürcher Staats­anwaltschaft bei ihren Ermittlungen gegen die Gruppierung eine Art Kronzeuge – ein Beschuldigter, der in wesentlichen Punkten geständig ist und gegen andere Beschuldigte aussagt. Zum Schutz vor gewalttätigen Übergriffen halten die Ermittler seinen Aufenthaltsort streng geheim. Und für Einvernahmen lassen sie ihn jeweils mit einem schweren Helikopter ins Polizei- und Justiz­zentrum im Zürcher Kreis 4 fliegen.

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