Der Optimist

Der grüne Nationalrat Bastien Girod ist einer der einfluss­reichsten Klima­politiker des Landes. Er glaubt an technische Lösungen und daran, dass das Gute gewinnt. Aber was, wenn das Klimaschutz­gesetz scheitert?

Von Christoph Keller (Text) und Gregory Gilbert-Lodge (Illustration), 09.06.2023

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Bastien Girod wohnt in einer Neubau­siedlung am Zürcher Stadtrand, Minergie­standard, autofrei, zurück­haltende Architektur. Und so ist auch das Siedlungs­café, in dem wir uns treffen: dezent gestylt, modern und doch behaglich. Draussen spielen Kinder, hinter der Tram­station fängt der Wald an, von fern rauscht eine Autobahn.

Girod betritt das Café, im elegant geschnittenen Hemd, setzt sich quer auf den Stuhl und sagt über seinen Wohnort: «Die Siedlung hier ist so etwas wie eine Oase der Vernunft im Meer der Ignoranz.»

Der Nationalrat der Grünen wird den Spruch mit dem «Meer der Ignoranz» in unserem Gespräch noch oft brauchen.

Architekt des Klimaschutz­gesetzes

Bastien Girod, promovierter Umweltnatur­wissenschaftler, arbeitet als Managing Director Europe bei South Pole, einer international tätigen Firma, die unter anderem Klima­zertifikate ausstellt. Er ist Vater von zwei Kindern, verheiratet mit der Unter­nehmerin und Journalistin Ellen Girod. Er war Greenpeace-Aktivist, sass deswegen auch mal eine Nacht im Gefängnis, Girod liess sich nackt ablichten (wobei er nicht wirklich nackt war), um gegen die Durchsuchungs­praxis im Zürcher Untersuchungs­gefängnis zu protestieren. Er hat die Offroader-Initiative lanciert und mit ihr das Thema Ressourcen­effizienz.

Bastien Girod glaubt, dass er möglicher­weise das Gen für besonders kämpferische Naturen in sich trägt.

Am linken Unterschenkel hat er sich ein Motiv der Maori tätowieren lassen, es soll ihm Kraft geben. Er liebt den Film «Gladiator», weil sich der Held da immer wieder aus hoffnungs­losen Situationen befreit; und doch zeigt sich Bastien Girod auf Social Media, wie er beim Kitesurfen immer wieder kolossal scheitert. («Die Wende muss ich noch üben.»)

Er sagt von sich, dass er diesen «sich selbst schützenden Optimismus» besitze, der «dann und wann unterbrochen wird durch den Realitäts­schock».

Die Abstimmung über das CO2-Gesetz war so ein Realitäts­schock. Man habe sich damals ein Stück weit von einer grünen Welle tragen lassen, unter dem Eindruck der grossen Klima­demos, vom «Thunberg-Effekt», sagt Girod. Man hatte nach den Wahlen 2019 ein grüneres Parlament und wollte möglicherweise zu viel. Das CO2-Gesetz wäre, international gesehen, ein Vorreiter­gesetz gewesen, sagt Girod, der damals der Umwelt­kommission des Nationalrats vorsass.

Dass das Gesetz scheiterte, habe viele Gründe, aber einer sei die «Schweizer Permissivität», also der Hang dazu, nicht hinzuschauen und nichts zu tun. «Zu meinen, es passiert schon nichts, weil man ja im reichsten Land der Welt lebt. Und dann passieren die Dinge trotzdem, wie bei der Credit Suisse.»

Girod sagt aber, er wolle nicht zurück­schauen. «Ich schaue immer nach vorne. Um es militärisch auszudrücken: Ich schaue immer in die nächste Gelände­kammer.»

Also nahm Girod auch mit dem CO2-Gesetz einen neuen Anlauf. Er organisierte ein Treffen im Zürcher Technopark mit Ständerat Ruedi Noser (FDP), einem der wenigen bürgerlichen Unter­stützer der Gletscher­initiative, und Michèle Andermatt, der Co-Kampagnen­leiterin der Gletscher­initiative. Einziges Traktandum: die Eckpunkte für ein neues Gesetz formulieren, das als indirekter Gegen­vorschlag zur Gletscher­initiative in die Räte eingebracht werden könnte; die Bepreisung von CO2, also das leidige Thema der Abgaben, sollte dann in der nächsten Revision des CO2-Gesetzes gelöst werden.

Die drei einigten sich auf fünf zentrale Punkte für das neue Gesetz. Erstens das Ziel Netto null bis 2050, zweitens die Sanierung von Gebäuden, drittens klare Absenk­pfade, viertens Netto null für die Bundes­verwaltung bis 2040, fünftens die Innovations­förderung als klares Ziel der Bundes­politik.

Noser sollte den neuen Vorschlag im Ständerat einbringen, Girod im Nationalrat, und Andermatt würde beim Initiativ­komitee sondieren, unter welchen Bedingungen es die Initiative zurück­ziehen würde.

Der Gesetzes­entwurf, formuliert als indirekter Gegen­vorschlag zur Gletscher­initiative, wurde innerhalb von nur gerade zwei Monaten ausgearbeitet. Fünf Monate später stimmte das Parlament (bis auf die SVP) zu, und das Initiativ­komitee beschloss, die Initiative zurück­zuziehen. Ruedi Noser sagt, dass ihn und Bastien Girod eines verbinde: Sie seien beide Ingenieure und deshalb «lösungs­orientiert» und «nicht ideologisch». Dabei nehmen sie in Kauf, dass das Klimaschutz­gesetz, das jetzt zur Abstimmung steht, die Schweiz noch nicht auf Kurs mit dem Pariser Klima­abkommen bringt. Dafür brauche es, sagt Ruedi Noser, weitere Massnahmen, unter anderem die Bepreisung von CO2 und neue Regeln für den Emissions­handel. Aber es sei ein Schritt in die richtige Richtung, was in der Schweiz ja schon viel bedeute.

Bastien Girod sagt: «Mich belastet das, zu wissen, dass wir bis 2030 unsere Emissionen halbieren müssen, und es geschieht viel zu wenig. Es bedrückt mich, wenn ich mir überlege, was passiert, wenn wir scheitern. Dann riskieren wir den Eintritt vieler Kipp­punkte im Klima, und wir vererben künftigen Generationen eine Erhöhung des Meeres­spiegels um zehn Meter

«Dennoch», entgegne ich, «glauben Sie fest daran, dass wir das in den Griff kriegen.»

«Ja, das ist eine mentale Überlebens­strategie, dass man auf das Machbare fokussiert und sich nicht den Luxus erlaubt, zu sagen, okay, jetzt machen wir einfach nichts mehr. Und es ist ja tatsächlich so, dass wir immer noch weitere tipping points verhindern können, noch schlimmere Auswirkungen.»

«Andere sind alarmierter, sie kleben sich auf die Strasse.»

«Ich glaube, das bringt uns nicht weiter. Damit kulpabilisieren wir die Menschen, wir geben ihnen zu verstehen, dass sie einen Fehler machen, wenn sie mit ihrem Auto unterwegs sind, das vielleicht sogar ein besonders sparsames ist. Es muss ein Kampf sein fürs Klima, und zwar mit der Bevölkerung und nicht gegen sie. Wir müssen Mehrheiten gewinnen und die Unternehmen in die Pflicht nehmen, also wenn schon, dann sollen die Aktivistinnen und Aktivisten sich an Erdöl­tanker kleben.»

Anschlussfähig nach allen Seiten

Bastien Girod stammt aus einer bürgerlichen Familie, der Vater Arzt, die Mutter Sozial­arbeiterin, behütete, stabile Verhältnisse. Eintritt in die Steiner-Schule, wo Ganz­heitliches, manchmal Grenz­wertiges gelehrt wird, Bastien Girod geht rudern, entdeckt im Vierer seinen Kampfgeist. An der ETH lernt er das Denken in Szenarien, er doktoriert zur Frage, wie sogenannte Rebound­effekte in die Berechnung von Ökobilanzen integriert werden können. Seinen Executive MBA schliesst er mit der Note 5,8 ab, es steht alles in seinem Lebenslauf.

Bastien Girod sammelt Erfolge wie Punkte beim Tetris, seine politische Karriere sieht er wie eine mathematische Zahlen­reihe: zuerst Gemeinderat in Zürich, dann Nationalrat, dann Rückschlag bei der Kandidatur für den Ständerat – aber angepeiltes Endresultat ist und bleibt, dass Bastien Girod der erste grüne Bundesrat wird (mit diesem Gedanken hat er mehrmals geliebäugelt).

Der ständige Wink mit dem Erfolg, sein ausgesprochener Pragmatismus, seine nüchterne, aber freundliche Art, seine grundsolide Ausbildung an der ETH, das alles macht ihn anschluss­fähig, nach allen Seiten. Themen wie Klima­gerechtigkeit oder Suffizienz, also Genügsamkeit, kommen bei Bastien Girod bestenfalls auf Nachfrage vor; die Klimakrise ist für ihn ein Problem der Tonnen, der Celsius­grade, der Spar­koeffizienten.

Deshalb bezieht Bastien Girod auch eine der umstrittensten Technologien wie selbst­verständlich in seine Überlegungen mit ein: die Möglichkeit, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und sicher einzulagern. Das sogenannte carbon capture and storage sieht er vor allem dort als eine Chance, wo die grössten Produzenten von CO2 im Lande am Werk sind, bei der Verbrennung von Kehricht.

Bastien Girod ist Präsident des Verbands der Betreiber Schweizerischer Abfall­verwertungs­anlagen. Deren 29 Kehricht­verbrennungs­anlagen pusten rund 4,2 Millionen Tonnen CO2 in die Luft. Pro Jahr. Das ist weit mehr als alle anderen Industrie­zweige im Land und macht etwa 10 Prozent des landesweiten Ausstosses an CO2 aus.

Nicht einfach, dieser riesigen Menge an CO2 beizukommen im reichsten Land der Welt, das Jahr für Jahr mehr Müll produziert und verbrennt. Eine Möglichkeit wäre gewesen, das Recycling zu forcieren, wie das andere Länder tun, eine andere, den Müll teurer zu machen, damit die Menschen weniger auf die Strasse stellen (und auch die Wirtschaft weniger produziert).

Doch Bastien Girod ist, in Vertretung der 29 Kehricht­verbrennungs­anlagen, einen anderen Weg gegangen.

Er hat mit dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) einen exklusiven Vertrag abgeschlossen, der die Anlagen im Vergleich zu anderen Industrie­zweigen grosszügig bevorzugt. Erstens ist im Vertrag festgeschrieben, dass sie bis spätestens 2050 auf null Emissionen kommen. Zweitens soll dies aber nicht durch die Reduktion des Ausstosses von CO2 geschehen, sondern mit der Technologie des carbon capture and storage, des Ausfilterns von CO2 mit anschliessender Deponierung in unter­irdischen Kavernen; und drittens haben sich die Betreiberinnen der Kehricht­verbrennungs­anlagen verpflichtet, mit einer Pilotanlage bis 2030 gerade mal 100’000 Tonnen CO2 aus den Schloten rauszufiltern und sicher einzulagern, einen Bruchteil des gesamten Ausstosses.

Ob das überhaupt realistisch ist, zieht ausgerechnet Robin Quartier in Zweifel, der Geschäfts­führer des Verbands der Betreiber Schweizerischer Abfall­verwertungs­anlagen. Er lässt sich in der Zeitschrift «Surprise» mit den Worten zitieren, man sei zwar technisch in der Lage, das CO2 in den Kaminen abzuscheiden, aber man wisse nicht, wohin damit; es sei unsicher, ob es überhaupt Kapazitäten gebe, um das CO2 tief unter der Nordsee in Kavernen zu deponieren. Man wisse nicht einmal, ob man die Millionen Tonnen CO2 mit einer Pipeline bis in die Nordsee führen könne, und man habe auch «keine Ahnung, was das kostet».

Aber Bastien Girod, locker auf seinem Stuhl im Café sitzend, lässt sich durch die Aussagen seines Geschäfts­führers nicht beirren: «Es geht doch einfach grundsätzlich darum, dass wir die Emissionen runter­bringen, weil es zu viel CO2 in der Luft hat und die Kehricht­verbrennungs­anlagen viel dazu beitragen. Deshalb haben wir den Fahrplan so festgelegt mit dem Vertrag, den wir mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga geschlossen haben.»

«Der Vertrag beruht auf der Annahme, dass man eines Tages das ganze CO2 der Anlagen in unter­irdischen Kavernen einpressen kann», wende ich ein. «Nur sind diese Kavernen von Northern Lights, einer Anlage in der Nähe von Bergen in Norwegen, bereits voll, obwohl der Bau noch nicht einmal begonnen hat. Ausserdem wollen alle ihr CO2 da deponieren, von Shell bis zu ganzen Städten und Industrie­zweigen.»

«Dann müssen wir eben auf andere Kavernen ausweichen, auf andere Lager­möglichkeiten», sagt Girod. «Die gibt es zur Genüge, das habe ich mit Kollegen an der ETH diskutiert. Und die Technologie entwickelt sich, das Abscheiden von CO2 ist keine Raketen­wissenschaft. Schön ist das nicht, dass man CO2 abscheiden und einlagern muss, aber hätte man vor dreissig Jahren auf die Grünen gehört, wären wir nicht so weit.»

«Ihr Credo lautet: Lieber CO2 abscheiden und einlagern, als Müll zu vermeiden?»

«Nein, natürlich müssen wir Müll reduzieren, aber es gibt so viel Abfall, der nicht sinnvoll rezyklierbar ist, Bauschutt und komplexe Produkte. Zum Beispiel Skis, die künstliche Intelligenz drin haben oder seltene Metalle. Das müssen Sie irgendwie verarbeiten, im Ofen verbrennen und dann die seltenen Metalle rausnehmen. Und beim Plastik­recycling können wir auch nur 30 Prozent stofflich verwerten.»

«Immer diese Sachzwänge», sage ich.

«Ich suche nach Inseln der Lösungen», sagt Girod. «Aber ich wünsche wirklich, es würden Kontinente daraus.»

Bastien Girod gehörte zu den Leuten, die den Anstoss gaben dafür, dass die Kreislauf­wirtschaft im Schweizer Umwelt­recht verankert wird. Dafür hat er als Präsident der Umwelt­kommission des Nationalrats gekämpft, hat er Brücken gebaut zur Mitte und einmal mehr die FDP mitgezogen. Girod, der noch immer beim selben Kaffee sitzt und jetzt genauso sachlich, wie er vorher die Einlagerung von CO2 im Untergrund verteidigt hat, über die Klimabilanz von pflanzlich hergestellten Joghurt­bechern im Vergleich zu Mehrweg­bechern unter Berücksichtigung des geringeren Gebrauchs referiert. Zwischen­durch hält er inne und sagt Sätze wie:

«Ich glaube fest daran, dass das Gute gewinnt.»

Oder: «Es ist einfach meine Rolle, dass ich zuversichtlich bin.»

Oder: «Wer kämpft, hat Narben.»

Er spricht, als könnte ihn nichts beirren, als kreise er auf vorgegebener Bahn. Und aus der lässt er sich auch nicht werfen, als wir auf ein weiteres heikles Thema zu sprechen kommen, auf seine Arbeit als Managing Director Europe bei South Pole.

Im Strudel der Skandale

South Pole wurde mitgegründet von Renat Heuberger, den das WEF einst zum «Social Entrepreneur of Switzerland» kürte. Und heute hat South Pole ein gröberes Problem. Denn das Unternehmen (Slogan: «From ambition to action») gerät gerade tief in einen Strudel von Skandalen rund um sein Kernbusiness: die Kompensation von CO2.

South Pole berät nicht nur Firmen, wie sie ihren CO2-Abdruck durch reale Massnahmen reduzieren können (die Autoflotte elektrifizieren, Flugreisen eindämmen, die Wertschöpfungs­kette klima­neutral machen). Die Firma bietet auch ein breites Portfolio an Projekten, mit denen Firmen ihren CO2-Ausstoss «kompensieren» können.

Es werden Plastik­vermeidungs­projekte in Indien angeboten, Biogas­anlagen in Thailand, Wind­projekte auf Neukaledonien zur Kompensation von CO2, vor allem aber auch Projekte zur Konservierung von Wäldern. Und die haben es in sich.

Wie wir heute dank Recherchen der «Zeit» und des «Guardian» wissen, sind 90 Prozent der untersuchten Kompensations­geschäfte «wertlos»: Sie bringen keine Reduktion von CO2. Die Recherchen haben auch ergeben, dass andere Projekte wie die Wald­projekte «überbewertet» seien, dass aus ihnen viel mehr CO2-Zertifikate heraus­gezogen würden, als die Wälder real als Senken leisteten. Konkret: mindestens das Doppelte, und das alles trifft insbesondere auf das Projekt Kariba in Zimbabwe zu, ein Wald­gebiet fast viermal so gross wie der Kanton St. Gallen.

Die Annahme, die auch beim Wald­gebiet von Kariba zugrunde liegt, ist immer dieselbe: dass die lokale Bevölkerung den Wald früher oder später abholzen würde. Diese (im Übrigen sehr neokoloniale) Unter­stellung wird vom Zertifizierungs­konzern Verra mit Sitz in Washington D.C. in CO2 umgerechnet, nach dem Motto: Der Erhalt dieses Waldes spart so und so viel CO2. Die Ersparnis an CO2 ergibt sich aus der Differenz zwischen der unter­stellten Zerstörung und dem Erhalt des Waldes; je grösser das Waldgebiet und je umfang­reicher die projizierte Zerstörung, desto mehr Zertifikate können verkauft werden.

South Pole hat sehr viele Zertifikate aus Kariba verkauft: an grosse Kunden wie Nestlé, Gucci oder das Film­festival von Cannes. Die Zertifikate wurden selbst dann noch verkauft, als interne Unter­suchungen ergaben, dass das Projekt Kariba auf beinahe das Dreifache überbewertet war, wie Recherchen der Investigativ­plattform «Follow the Money» ergaben. Für die internationalen Grosskunden bedeutete das einen schweren Reputations­schaden, ihre Klimaschutz­strategien rochen mit einem Mal nach Greenwashing; schleunigst stiegen sie aus dem Projekt aus, für South Pole ein Riesenschaden.

Doch Bastien Girod zieht in unserem Café ein Blatt Papier hervor und zeichnet die «Baseline» auf für ein Projekt wie das von Kariba – die «Baseline» ist die erwartete, angenommene (aber nicht reale) Zerstörung des Waldes – und erläutert, dass auf dieser Basis gerechnet werde.

Ich wende ein, dass real kein Kilo CO2 eingespart werde, weil das Ganze nur auf der Annahme beruhe, dass der Wald gerodet werde. «Ich war in einem Projekt in Moçambique», sagt Girod. «Und da haben wir gesehen, dass die Einsparung von CO2 real ist, konkret. Weil die Gelder der Bevölkerung zugute­kommen, die müssen dann den Wald nicht mehr abholzen, und ich muss schon sagen, dass das um viele Faktoren besser ist, als wenn man alte Baum­bestände abholzt und dann neue pflanzt. Aufforstungen, das haben viele Studien gezeigt, bringen weniger als der Erhalt von bestehendem Wald, weil bei neuen Forsten die Biodiversität rasant schwindet, das sind oft Monokulturen.»

«Sinnvoll wäre, die bestehenden Wälder zu erhalten und gleichzeitig biodivers aufzuforsten», wende ich ein.

«Richtig, es geht darum, die Kapazitäten des Ökosystems, CO2 aufzusaugen, zu vergrössern, weil noch immer rund die Hälfte des von der Menschheit produzierten CO2 in den Ökosystemen aufgesaugt wird», sagt Girod.

«Es hilft den Ökosystemen aber nichts, wenn Firmen wie South Pole nutzlose Zertifikate ausstellen wie in Kariba», insistiere ich.

«Die Zertifikate waren alles andere als nutzlos, so wurde der Urwald in der Projekt­region nicht abgeholzt, im Unterschied zum Umland. Doch sind die Prognosen davon ausgegangen, dass Robert Mugabe an der Regierung bleibt und seine Politik, welche das Abholzen förderte, weitergeführt wird. Seine Abwahl konnte niemand voraussehen. Die Berechnungen werden aber neu gemacht, und wo zu viele CO2-Zertifikate ausgestellt wurden, wird das korrigiert. Auch wird die Methode angepasst. So geht das, man lernt aus den Fehlern, und folglich werden jetzt die Projekte alle sechs Jahre überprüft und nicht mehr nur alle zehn Jahre.»

Bastien Girod betont, dass das System der Kompensations­zahlungen grundsätzlich funktioniere, und es helfe niemandem, wenn Firmen jetzt reihenweise absprängen, wenn Projekte sistiert würden, wenn der Präsident von Zimbabwe, Emmerson Mnangagwa, sein Land für Kompensations­geschäfte sperre. Das System sei allerdings erst wirklich wirksam ab einem Preis von 200 Dollar pro Tonne CO2, erst dieses Preis­niveau bilde die externen Kosten der Belastung der Atmosphäre wirklich ab; erst dann sei die Schmerz­grenze erreicht, die Unternehmen dazu zwinge, ihre Emissionen drastisch zu reduzieren. Damit man so weit komme, brauche es keine gesetzlichen Vorgaben, sondern Druck von Nichtregierungs­organisationen und auch von der Klima­bewegung.

Nur einmal verliert Girod die Contenance

So sieht die Klimazukunft der Schweiz in der Vorstellung von Bastien Girod aus: die technische Reduktion von CO2 in allen Bereichen plus die Einlagerung von CO2 im Boden mit viel Technik plus der Ausbau (nicht der Rückbau) des Kompensations­geschäfts.

Diese Zukunft ist auch im Klimaschutz­gesetz so eingeschrieben, mit den Zielen, die in Artikel 1 festgelegt sind. Nicht im Gesetz steht, mit welchen Mitteln diese Ziele erreicht werden sollen; das wird bei der erneuten Revision des CO2-Gesetzes im Herbst diskutiert, wenn es, einmal mehr, um die Höhe der Abgaben auf CO2 gehen wird. Kernstück dieser zweiten Auflage des CO2-Gesetzes ist der Nachvollzug des Tempos, das die EU mit ihren Klimazielen vorgibt; und das wird zu reden geben.

Bastien Girod zeigt keine Anzeichen von Müdigkeit, auch nach zwei Stunden Gespräch bleiben seine Antworten wortreich, ausführlich.

Nur als ich ihn frage, was denn wäre, wenn das Klimaschutz­gesetz an der Urne durchfiele, verliert er einen Moment lang die Fassung: «Dann weiss ich echt nicht mehr weiter, wirklich. Dann muss ich davon ausgehen, dass dieses Land in einem Meer der Ignoranz bleiben will. Dann sind wir nicht mehr Teil der Lösung, und wir können nur noch hoffen, dass die EU weiterhin das Tempo vorgibt.»

Ich sage: «Sie können sich eine Ablehnung gar nicht vorstellen.»

«Nein, nicht wirklich. Denn das hiesse, dass eine Mehrheit in diesem Land es akzeptiert, den eigenen Kindern eine Welt zu hinterlassen, die von Hitze­wellen heimgesucht wird, wo die Meeres­spiegel um zehn Meter ansteigen und wo es zu sozialen Kämpfen kommen wird, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.»

Zum Autor

Christoph Keller ist freischaffender Reporter, Autor und Moderator. 2019 veröffentlichte er die Reportagen- und Essay­sammlung «Benzin aus Luft. Eine Reise in die Klimazukunft».

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