Aus der Redaktion

Freispruch für Republik-Reporter

Ein ETH-Professor erstattete Anzeige gegen einen Journalisten der Republik. Dieser wurde nun in allen Punkten freigesprochen.

Von Carlos Hanimann, 25.04.2023

Vorgelesen von Patrick Venetz
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Am Dienstag hat das Bezirks­gericht Zürich einen Reporter der Republik freigesprochen.

Dem Reporter war vorgeworfen worden, er habe gegen das Gesetz über unlauteren Wettbewerb verstossen und üble Nachrede begangen, als er kritisch über das Gebaren eines ETH-Professors geschrieben hatte. Ausserdem war ihm vorgeworfen worden, Inhalte aus angeblich geheimen Dokumenten veröffentlicht zu haben und damit gegen den sogenannten «Maulkorb»-Artikel verstossen zu haben.

Das Bezirksgericht wies zudem die Zivil­klage des ETH-Professors ab und sprach für den Reporter eine Entschädigung in der Höhe von 13’000 Franken. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Messlatte für die Strafbarkeit sei zu Recht hoch, sagte der Richter bei der Urteils­begründung am Dienstag­nachmittag. «An den Vorgängen an der ETH gibt es ein grosses Interesse der Öffentlichkeit und insbesondere auch der Steuer­zahler.»

Die Republik begrüsst das Urteil des Bezirks­gerichts. Co-Chefredaktorin Bettina Hamilton-Irvine spricht von einem «Sieg für die Presse­freiheit»: «Es ist unsere Aufgabe als vierte Gewalt, Macht kritisch zu hinter­fragen und auch dort zu recherchieren, wo sonst niemand hinschaut. Und es ist richtig und wichtig, dass wir unsere Arbeit tun können, ohne dafür bestraft zu werden.»

Zahlreiche Dokumente, über ein Dutzend Informantinnen

Im Frühling 2021 recherchierte Republik-Reporter Elia Blülle über Vorgänge an der ETH Zürich. Ein Professor war des Plagiats bezichtigt worden, allerdings arbeitete die ETH den Fall nie transparent auf. Sie stellte jegliches wissenschaftliches Fehl­verhalten in Abrede, obwohl ihr Hinweise auf ein Plagiat vorlagen.

Recherchen der Republik zeigten, dass die ETH nicht nur bei den Plagiats­vorwürfen eine schlechte Falle machte. Dem betroffenen Professor waren weitere Vorwürfe gemacht worden: Er habe seine Doktoranden ausspioniert und schikaniert. Zudem habe er einige Jahre zuvor eine Kollegin mit schweren, aber haltlosen Vorwürfen eingedeckt.

Für die Recherchen sprach Reporter Blülle mit mehr als einem Dutzend Informantinnen, die alle direkte Kenntnisse vom Fall hatten. Ausserdem lagen ihm zahlreiche schriftliche Belege vor: E-Mails, Untersuchungs­berichte und insbesondere der interne Untersuchungs­bericht der ETH.

Gestützt auf diese Informationen veröffentlichte die Republik am 15. April 2021 den Artikel «Eidgenössische Toxische Hochschule», in dem über die Missstände an der Elite­universität berichtet wurde. Der Professor wurde nicht namentlich genannt, auch die Quellen traten anonymisiert auf.

Einige recherchierte Vorwürfe gab der Professor zu. Andere stritt er ab. Die ETH zog es vor, keine Stellung zu beziehen, weil die Republik schon früher kritisch über die Hochschule berichtet hatte.

Der kritisierte Professor erstattete später Anzeige gegen Republik-Reporter Blülle. Die Staats­anwaltschaft Zürich klagte Blülle daraufhin an. Die Vorwürfe: Veröffentlichung geheimer Dokumente, üble Nachrede und unlauterer Wettbewerb.

Willkürlicher «Maulkorb»-Artikel

Dass Journalisten mit Drohungen und Straf­anzeigen eingeschüchtert werden sollen, gehört zum bedauerlichen Alltag investigativer Arbeit. Dabei argumentieren Mächtige häufig damit, dass ihre Persönlichkeit verletzt, ihr Ruf beschädigt worden sei.

Hin und wieder versuchen kritisierte Personen und Unternehmen, die Gerichte zu überzeugen, dass die journalistische Recherche ihre Wettbewerbs­fähigkeit eingeschränkt habe. Das ist eine besonders perfide Vorgehens­weise, weil damit wirtschaftliche Interessen Privater über die demokratischen Interessen der Öffentlichkeit gestellt werden sollen.

In diesem Fall geht es aber um einen weiteren Vorwurf, der als besonders krasser Versuch gewertet werden muss, die verfassungs­mässig garantierte Presse­freiheit einzuschränken: die angebliche Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen nach Artikel 293 im Straf­gesetzbuch.

Dieser ist besser bekannt als «Maulkorb»-Artikel für Journalistinnen. Dass er überhaupt noch existiert, ist eigentlich ein Unding. Denn der Straf­artikel schafft einen strafrechtlich geschützten Geheim­bereich, wo es keinen geben sollte (oder nur in sehr gut begründeten Ausnahme­fällen): bei öffentlichen Institutionen, dem Parlament und der Verwaltung. Vor allem aber bestraft der Artikel nicht die Geheimnis­verräter, sondern die Überbringer der Botschaft, die Journalisten.

Immer wieder hätte der Artikel in der Vergangenheit aus dem Strafgesetz­buch getilgt werden sollen, doch am Ende konnte sich das Parlament nicht zu einem ersatzlosen Streichen durchringen.

Der Straf­artikel wird sehr selten und sehr willkürlich eingesetzt: Pro Jahr wurden in den letzten 14 Jahren laut Polizei­statistik höchstens 3 Fälle angezeigt. Allerdings gab es gemäss der Strafurteils­statistik des Bundes seit 2008 keine einzige Verurteilung aufgrund des umstrittenen «Maulkorb»-Artikels.

Der Anwalt der Republik hatte am Dienstag vor dem Bezirks­gericht auf einen Freispruch plädiert. Er hatte sämtliche Vorwürfe zurück­gewiesen: Der fragliche Professor sei nicht erkennbar, die vorgeworfenen Tat­bestände nicht erfüllt.

Dieser Argumentation folgte der Einzel­richter Tobias Brütsch am Dienstag­nachmittag. Das Gesetz über unlauteren Wettbewerb sei nicht anwendbar, sagte er bei der mündlichen Urteils­eröffnung. Zwar hätten einzelne Passagen im Text der Republik tatsächlich ehrverletzenden Charakter, allerdings fänden sie sich alle im Untersuchungs­bericht der ETH, auf den sich Reporter Blülle stützt. Man könne dem Reporter nicht den Vorwurf machen, er habe selektiv berichtet. «Vielmehr ergibt sich aus dem Untersuchungs­bericht, dass der Führungs­stil von Professor H. von verschiedenen Personen kritisiert wurde», sagte Richter Brütsch.

Zum «Maulkorb»-Artikel hielt der Richter fest: Selbst wenn es einen Geheimhaltungs­beschluss für die entsprechenden Dokumente gegeben hätte, hätte sich Reporter Blülle im Sinne der Presse­freiheit auf Rechtfertigungs­gründe stützen können und keine Verurteilung in Kauf nehmen müssen.

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