Nationalbank rettet Credit Suisse, Iran und Saudiarabien gehen aufeinander zu – und ein russischer Jet lässt US-Drohne abstürzen
Woche 11/2023 – das Nachrichtenbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Reto Aschwanden, Daniel Graf, Angela Gross, Theresa Hein und Timo Kollbrunner, 17.03.2023
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Ukraine: Kiew will Bachmut weiter verteidigen und ein Zwischenfall über dem Schwarzen Meer
Das Kriegsgeschehen: Am Wochenende sind bei Luftangriffen auf die Stadt Cherson im Süden der Ukraine mindestens drei Menschen gestorben. Auch die Stadt Kramatorsk im Osten des Landes wurde von russischen Raketen getroffen. Die Behörden melden mindestens einen Toten und drei Verletzte.
In der Schlacht um Bachmut erleidet Russland nach ukrainischen Angaben grosse Verluste. Am Samstag meldete die Ukraine 500 getötete russische Kämpfer innert 24 Stunden. Die Ukraine will Bachmut weiter verteidigen. Ein hochrangiger Militärkommandant erklärte am Wochenende, die Ukraine kämpfe derart verbissen um die Stadt, um Zeit für die Planung einer Gegenoffensive zu gewinnen.
Die internationalen Entwicklungen: Am Dienstag ist es über dem Schwarzen Meer zu einem Zwischenfall gekommen. Nach amerikanischen Angaben besprühte ein russischer Kampfjet eine amerikanische Aufklärungsdrohne, die sich in internationalem Luftraum befand, mit Treibstoff und touchierte sie. Die Drohne stürzte daraufhin ins Meer. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums nannte das Vorgehen des russischen Piloten inkompetent und unprofessionell. Das Aussenministerium erklärte, es sei aber wahrscheinlich keine Absicht gewesen. Russland sagte, man habe Kampfflugzeuge losgeschickt, weil sich die Drohne der Krim genähert habe. Das sei inakzeptabel. Es habe aber keine Kollision gegeben. Die Verteidigungsminister der beiden Länder besprachen den Vorfall bei einem Telefonat.
Am Mittwoch berichteten mehrere Medien über ein Strategiepapier, das aus dem Kreml stammen soll. Darin wird skizziert, wie Moskau eine weitere Annäherung der Republik Moldau an Westeuropa verhindern will. Stattdessen soll unter den politischen und wirtschaftlichen Eliten eine «prorussische Stimmung» gefördert werden. Am Wochenende demonstrierten in der moldauischen Hauptstadt Chisinau Tausende gegen die proeuropäische Regierung. Die Polizei verhaftete mehrere Personen, die mit Unterstützung russischer Geheimdienste an «destabilisierenden Aktionen» gearbeitet haben sollen.
Polen will der Ukraine in den nächsten Tagen Kampfjets liefern. Am Donnerstag meldete die Regierung in Warschau zudem, man habe ein russisches Spionagenetzwerk zerschlagen, das Sabotageakte vorbereitet habe.
Am Montag hat Russland einer Verlängerung des Getreideabkommens mit der Ukraine um vorerst 60 Tage zugestimmt. Ein Kreml-Sprecher bezeichnete diesen Entscheid als «eine Art Geste des guten Willens».
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat am Mittwoch angekündigt, den Weg für einen Nato-Beitritt Finnlands freizumachen. Den Beitritt Schwedens blockiert die Türkei aber weiterhin.
Naher Osten: China bringt den Iran und Saudiarabien näher zusammen
Darum geht es: Der Iran und Saudiarabien gehen aufeinander zu: «Binnen zwei Monaten» soll es in Riad wieder eine iranische Botschaft geben, in Teheran eine saudische. 2016 hatte Saudiarabien die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran abgebrochen. Nun haben hochrangige Regierungsvertreter in Peking eine Übereinkunft unterzeichnet, die vorsieht, dass die Länder ihre staatliche Souveränität gegenseitig akzeptieren, sich nicht in innere Angelegenheiten des andern einmischen und ein 2001 unterzeichnetes Sicherheitsabkommen umsetzen. Der saudische Finanzminister stellte diese Woche auch mögliche Investitionen im Iran in Aussicht.
Warum das wichtig ist: Der Iran gilt als Schutzmacht der schiitischen Muslime, Saudiarabien als jene der Sunniten. Die beiden Länder unterstützen in diversen Konflikten – etwa im Jemen, im Libanon oder in Syrien – unterschiedliche Seiten. Von der Annäherung profitieren beide Regimes: Für den Iran ist sie ein Schritt aus der politischen und wirtschaftlichen Isolation, Saudiarabien ist auf eine Entspannung angewiesen, um seine Wirtschaftspläne voranzutreiben. Dass das Abkommen in Peking abgeschlossen wurde, ist ein Coup für China. Es unterstreicht die wachsende Bedeutung des Landes als globale Macht – und offenbart den schwindenden Einfluss der Vereinigten Staaten, die in den letzten Jahrzehnten die Politik in der Golfregion geprägt haben. Allem Anschein nach hat die abnehmende Bereitschaft der USA, sich an der Seite Saudiarabiens in der Region einzubringen, zu einem Umschwenken bei der Regierung dort geführt. Neben den USA gilt auch Israel als Verliererin des Abkommens.
Was als Nächstes geschieht: Noch ist nicht abzuschätzen, welche konkreten Folgen die Annäherung der beiden Länder zeitigen wird und ob China seinen Einfluss im Nahen Osten konsolidieren kann. Die Übereinkunft schürt Hoffnungen, dass der seit acht Jahren dauernde Stellvertreterkrieg im Jemen zu einem Ende kommen könnte. Am Samstag haben in Genf neue Gespräche für einen Gefangenenaustausch begonnen. In Syrien dürfte die Position des vom Iran unterstützten Präsidenten Bashar al-Assad gestärkt werden.
Schweiz: Nationalbank greift der CS mit 50 Milliarden unter die Arme
Darum geht es: Die Credit Suisse (CS) erhält bis zu 50 Milliarden Franken von der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Nachdem die CS-Aktie am Mittwoch auf unter 2 Franken gefallen war, teilten die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die SNB mit, dass sie der CS «im Bedarfsfall Liquidität zur Verfügung stellen» werden. In der Nacht auf Donnerstag gab die CS bekannt, dass sie von diesem Angebot Gebrauch macht. Am Donnerstag traf sich der Bundesrat zu einer Sondersitzung, um über die CS zu sprechen.
Warum das wichtig ist: Die CS ist seit längerem angeschlagen: Das letzte Jahr schloss die Bank mit einem Minus von über 7 Milliarden Franken ab. Ausserdem flossen Milliarden Franken an Kundengeldern ab, und die interne Reorganisation sorgte für Chaos. Letzte Woche löste der Kollaps der amerikanischen Silicon Valley Bank (SVB) eine Schockwelle in den Finanzmärkten aus. Die auf Tech-Start-ups spezialisierte Bank war unter Druck geraten, weil die Kundinnen aufgrund der hohen Zinsen ihre Gelder von der Bank abzogen. Das zwang die Bank, Staatsanleihen zu verkaufen, um ihre Kunden auszuzahlen. Das Verlustgeschäft führte schliesslich zum Konkurs der Bank. Am Montag sorgte die US-Regierung dafür, dass alle SVB-Kunden ihr Geld zurückerhielten, Aktionäre gingen aber leer aus. Aus Angst, dass sich der Kollaps der Silicon Valley Bank auf das globale Finanzsystem auswirken könnte, verkauften Anleger im grossen Stil Aktien. Europäische und Schweizer Aktienkurse reagierten mit grossen Verlusten, und die Aktie der CS fiel am Mittwoch auf ein Rekordtief von unter 2 Franken. Dies auch, weil die Saudi National Bank – eine Grossaktionärin der CS – bekannt gegeben hatte, dass sie kein weiteres Geld einschiessen werde.
Was als Nächstes geschieht: Am Donnerstag hat sich der Aktienkurs der CS erholt. Ob die finanzielle Unterstützung durch die SNB das Vertrauen in die CS wiederherstellen kann, wird sich noch zeigen müssen. Auch in der Politik wird die Rettungsaktion noch zu reden geben. Die Linke ruft nach mehr Regulierung, Bürgerliche halten die bestehenden Vorschriften für ausreichend.
Zum Schluss: Lineker vs. BBC 1:0
Fussballer sind nicht bekannt für pointierte politische Aussagen, auch und gerade, wenn sie nach dem Ende der Spielerkarriere ihr Geld beim Fernsehen verdienen. Eine Ausnahme bildet Gary Lineker, und damit verursachte er in Grossbritannien eine kleine Staatskrise. Der frühere Starstürmer präsentiert in der BBC-Sendung «Match of the Day» die Höhepunkte der englischen Premier-League-Spiele. Letzte Woche kritisierte er in einem Tweet die Asylpolitik der britischen Regierung und warf ihr vor, eine ähnliche Sprache zu verwenden wie Deutschland in den 1930er-Jahren. Weil die BBC grossen Wert auf Unparteilichkeit legt, suspendierte sie Lineker – und löste damit eine Kettenreaktion aus: Linekers Co-Moderatoren wie auch Kommentatoren erschienen aus Solidarität ebenfalls nicht zur Arbeit, weshalb übers Wochenende eine Reihe von Sportsendungen ausfielen. Dafür entschuldigte sich der Generaldirektor der BBC am Montag, und damit der Volkszorn nicht komplett überkocht, darf Lineker – unter Protestgeheul der regierenden Tories – nun wieder auf Sendung. Auf Twitter schrieb Lineker, die letzten Tage seien für ihn schwierig gewesen: «Aber das ist nicht zu vergleichen mit jemandem, der vor Verfolgung oder Krieg daheim fliehen muss, um in einem Land weit weg Schutz zu suchen.»
Was sonst noch wichtig war
Die Corona-Lage: Die Spitaleinweisungen aufgrund von Corona gingen letzte Woche leicht zurück. Das Infektionsgeschehen verharrt auf tiefem Niveau. Deshalb vermelden wir hier vorerst zum letzten Mal die aktuelle Lage. Sollten die Infektionszahlen wieder dramatisch ansteigen, werden wir die wöchentlichen Aktualisierungen wieder aufnehmen.
Schweiz: Nach heftiger Kritik wollen die SBB bei dem geplanten neuen Messsystem in Bahnhöfen nun doch auf die Gesichtserkennung verzichten. Auch sollen weder das Alter noch das Geschlecht einzelner Kundinnen erhoben werden.
Frankreich: Der Ministerrat hat beschlossen, die umstrittene Rentenreform ohne Abstimmung in der Nationalversammlung zu verabschieden. Laut Umfragen sind 70 Prozent der Bevölkerung gegen die Reform. Seit Wochen protestieren Gewerkschaften mit Demonstrationen und Streiks. Weil auch die Müllabfuhr die Arbeit niedergelegt hat, versinkt Paris im Abfall. Das eigenmächtige Vorgehen der Regierung dürfte die Wogen kaum glätten.
Deutschland I: Am Montag wurden mehrere deutsche Flughäfen bestreikt. Die Gewerkschaften wollen mehr Lohn. Auch im Bahnbereich laufen Tarifverhandlungen, weitere Arbeitsniederlegungen sind nicht ausgeschlossen.
Deutschland II: Der Axel-Springer-Verlag hat die drei Chefredaktorinnen der «Bild»-Zeitung mit sofortiger Wirkung ihrer Position enthoben. Der Verlag will die Strukturen radikal verändern, dabei liege der Fokus auch auf «Klarheit und Verlässlichkeit in der Führung und Verantwortung».
Polen: Ein Gericht in Warschau hat eine Abtreibungsaktivistin zu 8 Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt, weil sie einer Frau, die ungewollt schwanger war, Abtreibungspillen geschickt hatte. Den Vorsitz hatte eine Richterin, die von einem Gremium eingesetzt wurde, das unter dem Einfluss der Regierung steht. Abtreibungen sind im Land fast vollständig verboten.
Spanien: Am Wochenende sind die Temperaturen stellenweise auf über 30 Grad gestiegen. In vielen Stauseen liegt der Wasserpegel sehr tief. In Katalonien wurde der Wasserverbrauch beschränkt. Sollte es so trocken bleiben, könnte im Herbst der private Trinkwasserverbrauch eingeschränkt werden.
Griechenland: Am Mittwoch haben die Journalisten gestreikt. Sie fordern eine umfassende Aufklärung des tödlichen Zugunglücks vor zwei Wochen. Am Donnerstag folgte ein landesweiter Generalstreik. Der Zugverkehr ruht ohnehin seit dem Unglück und soll erst ab dem 22. März wieder aufgenommen werden.
Iran: Bei Feiern im Vorfeld des persischen Neujahrs kam es erneut zu Protesten gegen das Regime. In der kurdischen Stadt Saqqez sollen Sicherheitskräfte auf Demonstrantinnen geschossen haben.
USA: Die Regierung hat Ölbohrungen in Alaska genehmigt. Damit bricht Biden sein Wahlkampfversprechen, keine Bohrung auf Staatsgebiet mehr zuzulassen. Klimaaktivistinnen drohen mit Klagen.
Ostafrika: In Madagaskar, Malawi und Moçambique sind mehr als 270 Menschen gestorben, weil ein Zyklon gleich mehrfach über die Länder gezogen ist. Mindestens 20’000 Menschen wurden obdachlos.
China: Der Nationale Volkskongress hat Xi Jinping für eine dritte Amtszeit zum Staatspräsidenten gewählt. In einer Rede kündigte er an, die Armee zu einer «grossen Mauer aus Stahl» auszubauen. Dafür sollen die Verteidigungsausgaben um 7,2 Prozent steigen.
Big Tech: Meta, der Konzern hinter Facebook, Instagram und Whatsapp, will weitere 10’000 Stellen streichen. Auch Google entlässt Angestellte. In Zürich verlieren 250 Leute ihren Job. Am Mittwoch legten einige Hunderte Google-Angestellte in Zürich kurzzeitig die Arbeit nieder: Sie verlangen einen ausgebauten Sozialplan.
Die Top-Storys
Katar hört mit Es war ein Grund für den Rücktritt von Bundesanwalt Michael Lauber: 2017 traf er sich heimlich mit Fifa-Präsident Gianni Infantino im Hotel Schweizerhof in Bern. Lauber kann sich daran angeblich nicht erinnern. Katar wohl schon: Das Hotel gehört dem Staat, und das nutzten Agenten, um das Sitzungszimmer der beiden Männer zu verwanzen. Die «NZZ am Sonntag» mit einer wahren Spionagegeschichte. (Paywall)
Putsch von oben? Geht der von der Regierung geplante Umbau des Justizsystems in Israel als Reform durch? Oder handelt es sich um einen Staatsstreich? Ein Putsch von oben, schreibt der israelische Historiker Yuval Noah Harari in der «Süddeutschen Zeitung» (Paywall), sei sehr viel schwerer zu erkennen als ein Putsch von unten. Licht ins Dunkel bringe folgende Frage: «Sind der Macht der Regierung noch Grenzen gesetzt?»
Menschenrechte von trans Personen Das Gespräch von David Remnick mit Masha Gessen im «New Yorker» trägt die Überschrift «What We Talk About When We Talk About Trans Rights», und tatsächlich geht es um Grundsätzliches. Gessen zeigt auf, was im öffentlichen Genderdiskurs falsch läuft und wieso es nicht die eine Idee von transness, nicht die eine trans Community gibt – sondern eine Vielzahl von Erfahrungen und Identitätskonzepten.
Illustration: Till Lauer