Leben in Trümmern

Malanka

Lesha hat Geburtstag. Doch statt Party steht ein Behörden­gang auf dem Programm. Dann nimmt er an einer Feier nach altem Brauch teil – und trifft auf Menschen, die sich vom Krieg ihre Traditionen nicht nehmen lassen.

Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Übersetzung und Bildredaktion), 30.01.2023

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Vorgelesen von Regula Imboden
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Das Kostüm eines Rom: Der Chef der Bären.
Leshas Freund Tolik mit der Maske eines «did» (Grossvaters).

Es geht uns so weit gut. Die erste Januar­woche war ungewöhnlich warm, wahrscheinlich fiel auch deshalb der Strom nur selten aus. Es hat sich zuweilen schon fast normal angefühlt. Nach dem 9. Januar ging es dann wieder los mit den Unter­brüchen. Aber wir sind uns das gewohnt und gewöhnen uns wohl noch an vieles mehr.

Putin hatte für die orthodoxen Weihnachten einen Waffen­stillstand ausgerufen, daran hat aber niemand wirklich geglaubt. Es gab schon so viele orthodoxe Feiertage, an denen die Ukraine bombardiert wurde, und auch Weihnachten war keine Ausnahme. Die Bomben fielen diesmal auf Cherson.

Am 11. Januar war mein Geburtstag. Leider war es auch der Tag, an dem wir uns um Bürokratie kümmern mussten: Die Aufenthalts­bewilligung meiner Frau Agata lief ab. Agata ist Russin, was ja immer wieder zu Schwierigkeiten führt.

Wir bereiteten alle Dokumente vor und machten uns auf den Weg aufs Amt, um eine neue Bewilligung zu beantragen. Anschliessend mussten wir weitere Papiere nachreichen und zu einem Interview erscheinen. Ich denke, es lief gut, aber wir warten noch auf den Bescheid.

Ich war auch sonst nicht so in Feier­laune, hatte mir aber schon länger vorgenommen, an meinem Geburtstag eine Spenden­aktion zu starten. Ich wählte fünf Bilder aus, die ich in verschiedenen Grössen und Preisen als Prints anbiete, der Erlös kommt der ukrainischen Armee zugute.

Ich habe mir das lange überlegt, es ist mir klar, dass viele Menschen lieber humanitäre Zwecke unterstützen. Aber ich persönlich bin unserer Armee einfach dankbar dafür, dass ich diesen Geburtstag überhaupt erleben kann. Am Ende des Tages hatte ich genug Geld beisammen, um ein Auto zu kaufen, das ich nach Donezk oder Luhansk bringen möchte, weil ich diesen Regionen sehr verbunden bin. Meine Freunde des Kollektivs Livyj Bereh werden mir dabei helfen, das Auto an die Front zu fahren – im Moment sind sie in der Gegend von Charkiw und reparieren Häuser.

Verlassenes traditionelles Haus in Vashkivtsi.
Unterwegs in die Westukraine.
Die Universität von Chernivtsi.
Nach der Aktion: Man darf die Maske ablegen, und es gibt Essen und Trinken im Haus von Natalja (links aussen) und Vasyl (stehend in der Mitte).

Der Jahres­wechsel nach julianischem Kalender ist vom 13. Januar auf den 14. Januar. An diesem Tag – oder besser Abend – wird Malanka gefeiert. Das ist eine sehr alte ukrainische Tradition, sie wird seit vielen Generationen weiter­gegeben und hat auch die Verbote der Sowjet-Ära überlebt. Insbesondere in kleinen Dörfern, weit entfernt von den sowjetischen Autoritäten, wurde sie aufrechterhalten.

Ich wollte das schon lange einmal miterleben, darum plante ich nun, dafür in die Region von Chernivtsi in der West­ukraine zu fahren. Am Tag vor meiner Abreise informierte mich ein Freund, dass wegen des Kriegs alle Feierlichkeiten abgesagt worden seien. Ich machte mich trotzdem auf den Weg, in der Hoffnung, in einem kleinen Dorf in der Peripherie fündig zu werden – immerhin geht es nicht um irgendeine Feier, sondern um die Segnung des neuen Jahres. Und wann, wenn nicht jetzt, ist das nötiger? Irgendwo hatte ich gelesen, dass auch während der beiden Welt­kriege jeweils das neue Jahr auf diese Art begangen wurde.

Zwei Freunde begleiteten mich, und wir hatten Glück. Im ersten Ort, den wir ansteuerten, war die Feier zwar abgesagt, aber im zweiten, in Vashkivtsi, wurden wir fündig. Bei der Ankunft erkundigten wir uns bei den Leuten auf der Strasse nach den Festivitäten und wurden weiter­gereicht, bis wir am Ende die lokale Kultur­direktorin kennen­lernten. Sie erzählte uns von einigen Gruppen, von denen sie wusste, dass sie unterwegs sein würden. Aber nicht nur das, sie rief sie alle an und fragte, ob wir sie begleiten dürften und wo und wann wir sie treffen könnten.

Wir waren kurz etwas sprachlos ob des begeisterten Empfangs. So ging es dann den ganzen Abend weiter. Ich hatte angenommen, dass wir als Zuschauer dabei sein würden und ich mehr oder weniger unbemerkt würde fotografieren können. Das war dann nicht so, wir wurden erwartet und gerieten sofort ins Zentrum des Geschehens.

Die Menschen kamen zu uns und entschuldigten sich, dass der Anlass so bescheiden sei. Sie erklärten, dass das dem Krieg geschuldet sei und dass wir nächstes Jahr unbedingt wieder­kommen sollten, um zu erleben, wie das Fest in Friedens­zeiten gefeiert wird. Was für sie wenig war, hat mich ziemlich überwältigt. Ich war auch beeindruckt zu sehen, wie viele junge Leute daran teilnahmen und sich verkleideten. Die Menschen erzählten mir, dass sie den Brauch von ihren Eltern und Gross­eltern her kennen und es als ihre Aufgabe betrachten, ihn an die nächste Generation weiterzugeben.

Auf dem Nachhause­weg am nächsten Tag erreichte uns dann die Nachricht über den Angriff auf Dnipro und das zerbombte Wohnhaus. Traurig verfolgten wir die steigenden Opfer­zahlen. Wieder ein paar Tage später stürzte ein Helikopter in der Nähe von Kiew neben einem Kinder­garten ab. 17 Menschen verloren dabei ihr Leben, davon 4 Kinder.

In der Ukraine zu leben, bedeutet, jeden Moment bad news zu bekommen. Manchmal ist es einfach zu viel aufs Mal.

Die Bären.

Zum Fotografen

Lesha Berezovskiy arbeitet als freier Fotograf in Kiew. Er ist 1991 im ostukrainischen Bezirk Luhansk geboren. Als dort 2014 der Krieg ausbricht, zieht er in die Hauptstadt, wo er heute mit seiner Frau Agata lebt.

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