Die Partei der Erfolgreichen

Keine Partei hat in den letzten Jahren so zugelegt wie die Grünliberalen. Wie schaffen sie das? Und: Verfängt ihr Rezept auch 2023?

Von Priscilla Imboden (Text) und Alexander Glandien (Illustration), 11.01.2023

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Es klingt eigentlich unglaublich: Bei den letzten eidgenössischen Parlaments­wahlen 2019 erhöhte sich der Wähler­anteil der Grün­liberalen Partei im Nationalrat um 70 Prozent. Und seither hat die Partei in den 13 Kantonen, in denen sie bereits existierte, ihre Wähler­anteile um 80 Prozent gesteigert. In 6 weiteren Kantonen hat sie Fuss gefasst und Wahlanteile von mindestens 4 Prozent gewonnen – am spektakulärsten in Nidwalden. Dort holte sie letzten Frühling auf einen Schlag 8 Prozent und einen Sitz in der Regierung.

Diese Zugewinne sind für Schweizer Verhältnisse ein kräftiger Erdrutsch.

Und die Welle scheint nicht abzubrechen. Bei den anstehenden Wahlen am 12. Februar in Zürich dürfte die GLP weiter zulegen. So sagen es die Auguren voraus. Bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst will die Partei die 10-Prozent-Marke knacken und hofft auf einen Bundesrats­sitz.

Der Erfolg ist erstaunlich. Als sich die Grün­liberalen vor bald 19 Jahren im Kanton Zürich von den Grünen abspalteten, boten sie etwas Neues an: eine liberale, auf Markt­mechanismen basierende grüne Politik. Doch damit ist die Partei bis heute nicht durchgedrungen.

Warum legen die Grün­liberalen dennoch laufend zu? Lebt die Partei noch immer vom Nimbus des Neuen? Wofür steht sie eigentlich? Wer wählt sie? Und weshalb?

Die Grün­liberalen sind hip. Ihre Polit­apéros heissen «Cin Cin & Politik», zum Gedanken­austausch treffen sie sich im «GLP Lab». Die GLP ist die Partei der Jungen, Gebildeten und Gut­verdienenden. Die Partei der Nerds und Technokratinnen, die über dem Parteien­gezanke schweben und mit offenem Blick nach Lösungen suchen. In keiner anderen Partei antworten die Mitglieder auf die einfache Frage, wen sie denn vorher gewählt hätten, mit einem Vortrag über die Repräsentation aller gesellschaftlichen Kräfte in der Demokratie.

Wer verstehen will, was es mit den Grün­liberalen auf sich hat, muss nach Zürich reisen – dorthin, wo vor 19 Jahren alles begonnen hat, als sich eine kleine Gruppe um die damalige Stände­rätin Verena Diener und Nationalrat Martin Bäumle von der Grünen Partei abspaltete und die erste grün­liberale Kantonal­partei gründete.

Die Spitzen­kandidatin

Ende Oktober, Stadthaus Effretikon, blaue und hellgrüne Ballone hängen an der Wand des kargen, funktionalen Raums, in dem sich rund 140 Mitglieder der GLP des Kantons Zürich versammelt haben. Viele sind jung. Sie sind Forscher, Informatikerinnen, Volks­wirtschafter und Politik­wissenschaft­lerinnen, motiviert, eloquent und unglaublich optimistisch. Das Ziel der Kantonal­partei: ein Sitz im Ständerat.

Bei den Wahlen im Herbst 2023 will die GLP Zürich mit Tiana Angelina Moser in die kleine Kammer einziehen. Die 43-jährige Profi­politikerin politisiert seit über 15 Jahren im Nationalrat, seit 11 Jahren ist sie Chefin der Bundeshaus­fraktion – die erste und einzige, seit die Grün­liberalen in Bern Fraktions­grösse haben.

Moser lächelt, greift zum Mikrofon und spricht frei, geschliffen und gewinnend. In dieser Gegend sei sie aufgewachsen, sagt Moser, danach habe sie in München, Edinburgh und Barcelona gelebt: «Diese Orte haben mich geprägt.» Als Politik- und Umwelt­wissenschaftlerin seien grüne Themen für sie stets zentral gewesen. Diese Themen würden auch im Ständerats­wahlkampf wichtig sein, sagt sie. Sie werde sich für geregelte Beziehungen mit der EU engagieren und für die Zürcher Wirtschaft, kurz: für «Nach­haltigkeit, Offenheit, aber auch Standort­attraktivität».

Der Ständerats­wahlkampf von Tiana Angelina Moser wird entscheidend sein für die Zukunft der Grün­liberalen. Um in Bundesbern eine grössere Rolle zu spielen, müssen sie wieder im Stöckli Einsitz nehmen.

Seit Verena Diener, die Mitgründerin der Grün­liberalen, vor sieben Jahren nicht mehr zur Wiederwahl antrat, sind die Grünliberalen im Ständerat nicht mehr vertreten. Bei Geschäften, die vom Ständerat angestossen werden, ist die GLP nicht von Anfang an dabei. So war es etwa neulich bei der Förderung alpiner Solar­anlagen. Ohne Ständerats­sitz ist es auch schwieriger, Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat zu erheben.

Nur in Zürich hat die GLP eine realistische Chance auf einen Ständerats­sitz. Und nur mit Tiana Angelina Moser.

Tiana Angelina Moser ist quasi der Prototyp einer Grün­liberalen und eine der schweizweit bekanntesten Figuren der Partei. Getragen wird die GLP aber, wie jede Partei, von der Basis.

Die Basis

Das sind zum Beispiel Leute wie die Ustermer Stadträtin Beatrice Caviezel. Die 51-jährige Pflege­fachfrau stiess gleich nach der Partei­gründung zu den Grün­liberalen. Wie viele an diesem Abend in Effretikon sagt sie: «Vorher wählte ich FDP, aber die kümmert sich zu wenig um Nachhaltigkeit und grüne Themen. Den Freisinnigen geht es nur um Wirtschaft und Gewinn­maximierung.»

Die Spitex-Leiterin Caviezel findet, es brauche dringend mehr Pflegende in der Politik. Und auch wenn sich die Sozial­demokratinnen im Gegensatz zu den Grün­liberalen für die Pflege­initiative eingesetzt hatten, sei die SP nie eine Option für sie gewesen: «Die Sozial­demokraten wollen viel zu viel staatlich lenken.»

Line Magnanelli hingegen war früher bei der SP. Jetzt sitzt sie in der Bar eines Co-Working-Space in der Stadt Bern, am Apéro nach der Partei­versammlung der städtischen GLP im November. Zu Beginn, sagt die aus Neuenburg Zugezogene, sei sie gegenüber den Grün­liberalen skeptisch gewesen. «Ich hielt sie für Opportunisten mit grünem Deck­mäntelchen.»

Aber als sich die GLP für die Konzern­verantwortungs­initiative einsetzte, war Magnanelli überrascht und begann ihr Bild der Partei zu überdenken. Zugleich war sie enttäuscht von ihrer alten Partei, der SP. «Die ablehnende Position beim Rahmen­abkommen hat mich schockiert», sagt die 32-jährige Europa­rechtlerin, die als Anwalts­praktikantin arbeitet. In der SP Stadt Bern habe ihr zudem als Vollzeit arbeitende Mutter Skepsis entgegen­geschlagen. Von ihr sei erwartet worden, dass sie sich als Mutter mehr um ihre Kinder kümmere, sagt sie. Der Wechsel zur GLP fiel ihr nicht leicht. Es sei ein schwieriger Prozess gewesen, erzählt sie, sie habe mit sich gerungen: «Sechs Monate lang habe ich überlegt, bevor ich den Schritt vollzogen habe.»

Yasmin Abdullahi steht an der Bar und trinkt ein alkoholfreies Bier. Sie trat mit 20 Jahren in die GLP ein. Mit 22 wurde sie überraschend ins Berner Stadt­parlament gewählt. «Ich war auf Reisen, habe mit vielen Leuten geredet und erkannt, was wir in der Schweiz für Chancen haben: Dass wir mitreden können, das sollte man nutzen.» Sie schaute sich auch die Jungen Grünen und die Juso an und kam zum Schluss, dass verschiedene Meinungen in der GLP als Mittepartei eher Platz hätten.

«Die Grün­liberalen kümmern sich um die Themen, die mir wichtig sind», sagt Abdullahi. «Chancen­gleichheit und Gleich­stellung.»

Ausserdem gefalle ihr die Verbindung von wirtschafts­politischen und ökologischen Fragen, sagt die heute 24-jährige Volkswirtschafts­studentin.

Drei Frauen, drei Grün­liberale: Eine kam von der FDP, eine von der SP, eine wählte vorher keine Partei. Es sind drei Frauen, die typisch sind für die GLP und woher ihre Wählerschaft kommt.

Die Konkurrenz

Das Institut für Politik­wissenschaften der Universität Zürich hat für die Republik Nachwahl­befragungen der letzten drei eidgenössischen Parlaments­wahlen ausgewertet. Die Daten zeigen, woher die Stimmen der Grün­liberalen stammen.

Überdurchschnittlich viele Stimmen erhält die GLP von Nicht- und Erst­wählerinnen. Aber die Stimmen kommen auch von Wechsel­wählern. Reto Mitteregger, Politik­wissenschaftler der Universität Zürich, sagt: «Die GLP gewinnt einen verhältnis­mässig grossen Anteil ihrer Wählerschaft von anderen Parteien und profitiert von Wähler­wanderungen.» Am meisten Stimmen jagt die GLP der SP und der FDP ab – und zwar praktisch zu gleichen Teilen. Bei den letzten drei Wahlen kamen rund 17 Prozent der GLP-Wählerinnen von der FDP und ebenso viele von der SP.

Die Zahlen bestätigen, was Gespräche mit grün­liberalen Partei­gängern vermuten lassen: Die GLP bietet eine politische Heimat für Bürgerinnen, die sich mit einem linken Flügel der FDP identifizierten, den es nicht mehr gibt. Oder mit einem rechten Flügel der SP, der ebenfalls praktisch verschwunden ist.

Was die Konkurrenz ärgert, auch wenn sie es nicht zugeben will.

Die Präsidenten jener Parteien, denen der Erfolg der Grün­liberalen Sorgen bereiten sollte, geben sich betont gelassen: Sie spielen herunter, sie lenken ab – etwa, indem sie warnen.

Achtung: Das sind Rechte!

Das ist die Botschaft von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth. Oder in seinen Worten: «Die GLP ist ein Wolf im Schafspelz: Sie steht ziemlich weit rechts und wird aus Versehen von Linken gewählt.»

Sorgen mache er sich deswegen keine, sagt er. «Wer von der SP zur GLP wechseln wollte, hat das bereits getan.» Die Grün­liberalen verträten eine ökonomische Elite, die für einen progressiven Kapitalismus stehe. Das gelte auch für jene, die der SP wegen der Europa­politik den Rücken gekehrt hätten: «Die GLP ist bereit, soziale Errungenschaften zu opfern, um sich Europa anzuschliessen. Wir nicht.»

Achtung: Das sind Linke!

Das ist die Botschaft von FDP-Präsident Thierry Burkart, wenn er auf die GLP angesprochen wird: «Die Grün­liberalen haben ein hervor­ragendes Branding, aber sie sind ausser in gesellschafts­politischen Belangen kaum liberal: Gross­mehrheitlich stimmen sie im Nationalrat mit links-grün.»

Da sie sich immer mehr links der Mitte positionierten, seien sie aber für die Freisinnigen keine Gefahr mehr. «Ich mache mir keine Sorgen, denn bei den letzten kantonalen Wahlen hat es kaum noch Wander­bewegungen von der FDP zur GLP gegeben. Jetzt legen ja beide Parteien zu.» Dass der linke Flügel der Freisinnigen in den letzten Jahren praktisch verschwunden ist, bestreitet der Partei­präsident, er bestätigt allerdings, dass es schwieriger geworden sei, eine breite Volks­partei mit verschiedensten Strömungen zu sein: «Wir haben unser Profil geschärft.»

Der Ansatz

Aber stimmt es wirklich, wenn Wermuth und Burkart behaupten, die Abwanderungen seien längst vollzogen? Spielt es wirklich keine Rolle mehr, ob die SP weiterhin europhile Sozial­demokraten vergrämt? Oder dass die FDP die Atomkraft wieder­beleben möchte?

Politologe Reto Mitteregger sagt: «Über 30 Prozent der SP- und der FDP-Wählenden können sich vorstellen, die GLP zu wählen. Das ist vergleichs­weise viel.»

Immerhin in einer Frage geben die Daten den Partei­präsidenten der SP und der FDP recht: wo die GLP steht. Nämlich links der FDP und rechts der SP. Das besagt das Parlamentarier­rating der NZZ, das auf dem Abstimmungs­verhalten der Parlamentarie­rinnen basiert. Und das besagen auch grün­liberale Wähler in Nachwahl­befragungen selbst. Reto Mitteregger erklärt: «Die GLP ist – wenn man die Links-rechts-Selbst­einschätzung ihrer Wählerschaft anschaut – die mittigste der Mitte­parteien, mittiger noch als die selbst ernannte Mitte-Partei.»

Wohl deshalb sagen sowohl Thierry Burkart als auch Cédric Wermuth übereinstimmend: Das Problem hat die Mitte-Partei.

Damit liegen sie allerdings falsch, zumindest wenn man den Nachwahl­befragungen glaubt. Wechsel­wähler zwischen der Mitte und GLP sind selten – was nachvollziehbar ist, da das katholisch-konservative Erbe der Mitte-Partei sich schlecht verträgt mit der stark gesellschafts­liberalen Haltung der GLP.

Mitte-Partei­präsident Gerhard Pfister beobachtet den Aufstieg einer weiteren Kraft in der politischen Mitte nicht per se kritisch, denn dieser bedeute die wichtige Stärkung des politischen Zentrums. Aber was Pfister stört, ist: «Was man uns immer vorwirft – Wischi­waschi zu sein –, das wird der GLP positiv ausgelegt.»

Im Gegensatz zu Burkart und Wermuth hat er einen Plan, um sich gegenüber den Grün­liberalen besser zu positionieren. «Die GLP ist die Partei der Akademiker, der Gut­verdienenden, der Globalisierungs­gewinner. Aber sie ist, wie die FDP, sozial kalt.» Pfisters Strategie lautet folglich: «Die Mitte-Partei ist die soziale Alternative innerhalb des politischen Zentrums.»

Schöne Worte. In der Praxis scheitert Pfisters Strategie immer wieder am Verhalten seiner Fraktions­mitglieder.

Entspannt kann hingegen Balthasar Glättli sein, der Präsident der Grünen. Das ist eigentlich erstaunlich, zumal die Grün­liberalen einst aus einer Abspaltung der Zürcher Grünen entstanden. Die schmerzhafte Trennung hatte aber auch etwas Bereinigendes: Es gibt praktisch keine Wählerinnen mehr, die zwischen grün und grünliberal wechseln. Glättli sagt über das Erfolgs­geheimnis der einstigen Rivalin: «Sie bleiben nicht fassbar. Ihr Versprechen tönt gut und bequem: Umweltschutz, ohne dass sich was ändern muss. Aber man kann Wirtschaft und Gesellschaft nicht umbauen und aus der fossilen Abhängigkeit befreien, ohne dass sie es spürt.»

Aber selbst Glättli attestiert den Grün­liberalen, dass sie sich ein wenig entfernt hätten «von nur wirtschafts­freundlicher Klimapolitik».

Was den Grünen-Präsidenten freut, ist eigentlich ein Drama für die GLP: Mit ihrem ureigenen Ansatz ist sie bis jetzt gescheitert.

Ihr hellgrünes Versprechen lautete einst: eine liberale Umwelt­politik, die auf Anreize statt auf Verbote setzt; auf ökonomische Instrumente statt auf staatliche Steuerung. Partei-Mitgründer und Nationalrat Martin Bäumle sagt es so: «Unser Grund­konzept ist: Wir verknüpfen Wirtschaft und Ökologie. Dies wurde anfangs wenig ernst genommen, wurde aber zu einem Erfolgs­rezept.»

Stimmt das wirklich?

Kernstück des grün­liberalen Ansatzes sind Lenkungs­abgaben: Wer die Umwelt verschmutzt, soll zahlen, indem Energie mit einer Abgabe belastet wird. Die Einnahmen daraus werden an die Bevölkerung zurück­verteilt. Wer viel Energie braucht, zahlt drauf. Wer wenig braucht, erhält Geld zurück.

Das wollten die Grün­liberalen 2015 mit ihrer bis jetzt einzigen eidgenössischen Initiative umsetzen. «Energie- statt Mehrwert­steuer» hiess das Volks­begehren und scheiterte krachend: 92 Prozent der Wählenden lehnten sie ab.

Es war eine bittere Enttäuschung für den damaligen Partei­präsidenten Martin Bäumle. Heute sagt er: «Die Initiative kam wohl zu früh und war zu komplex. Sie war konzeptionell richtig, aber noch nicht reif.»

Aber das Konzept, in der Ökonomie seit Jahrzehnten etabliert, scheint noch immer nicht reif. Das CO2-Gesetz, das 2020 von allen Parteien ausser der SVP getragen wurde, enthielt ebenfalls eine Art Lenkungs­steuer. Es scheiterte an der Urne. Aus verschiedenen Gründen, einer aber war: Die Lenkungs­abgaben wurden nicht verstanden.

Und so kam der Kurswechsel: Die Neuauflage des CO2-Gesetzes setzt vor allem auf Subventionen und Verbote.

Der Präsident

Und die Grün­liberalen? Sie unterstützen das neue Gesetz. «Es ist nicht unser Wunsch­ansatz», sagt Nationalrat Martin Bäumle, «aber wir sind pragmatisch und suchen mehrheits­fähige Lösungen.» Trotzdem setzten sie sich weiter für eine liberale und technologie­neutrale Umwelt­politik ein. «So sehen wir in Power-to-X grosses Potenzial zum Beispiel für erneuerbare Flug­treibstoffe (SAF), während die Kernenergie zu risiko­beladen und vor allem zu teuer bleibt.»

Das bedeutet: Den Grün­liberalen bleibt aktuell nichts anderes übrig, als mit der SP und den Grünen zusammen­zuspannen, wenn sie in der Energie- und Klima­politik etwas bewirken wollen. Einen eigenen Stempel aber konnten sie dieser bislang nicht aufdrücken. Gleichzeitig nehmen sie Abschied von der Illusion, die sie früher verkauften: dass Wirtschafts­wachstum bei sinkendem Ressourcen­verbrauch möglich sei.

Die grün­liberale Politik ist also glaubwürdiger geworden als früher. Die Partei paktiert bei ökologischen Themen mit links, bei Wirtschafts-, Steuer- und Sozial­politik politisiert sie mit rechts. Und in gesellschafts­politischen Fragen mit den progressiven Kräften.

Partei­präsident Jürg Grossen schaut zuversichtlich ins Wahljahr. Zu den Beschreibungen Wermuths und Burkarts, dass sie zu rechts oder zu links seien, sagt er: «Das bestätigt, dass wir genau richtig liegen.» Das Links-rechts-Schema sei überholt. Für die Grün­liberalen gibt es offenbar vor allem eine Dimension im politischen Koordinaten­system: konservativ oder progressiv. Und dort legt er sich gerne fest: «Wir sind keine konservative Partei», sagt Grossen. «Wir stehen für den Fortschritt, wir wollen Entwicklung ermöglichen. Wir sind vom Mindset her chancen­orientiert.»

Dem kann fast niemand widersprechen. Und auch das ist Teil des Erfolgs­geheimnisses der Partei: gutes Marketing. Was die Partei­exponenten weniger laut sagen: In der Steuer- und Wirtschafts­politik politisiert die GLP stramm mit den rechten Parteien. So warben die Grün­liberalen für die Unternehmens­steuerreform III, die Stempelsteuer- und Verrechnungs­steuer­reformen, die alle an der Urne scheiterten. Manchmal aber geht die bürgerliche Klientel­politik sogar den Grün­liberalen zu weit. Dann distanzieren sie sich, so wie neulich bei der Tonnage­steuer für die Schifffahrts­gesellschaften. Auch das ist geschickt, denn so zeigt die GLP Unabhängigkeit – wenn auch nur in Einzelfällen.

Bei der Sicherheits­politik geschieht das hingegen häufiger. Gripen-Kampfjet: Nein. F-35-Kampfjet: Ja. Blinde Armeebudget­erhöhung: Nein. Da ist für alle was drin, sowohl für Militär­freundinnen als auch für Armee­kritiker. Die Grün­liberalen haben das grosse Glück, dass ihr Politikmix grundsätzlich den Zeitgeist trifft: modern, unideologisch und flexibel.

Der Aufstieg verlief aber nicht immer ungebrochen. 2015 verlor die Partei fünf Sitze, sodass nur noch sieben Grün­liberale im Nationalrat sassen. In jenem Wahljahr waren Flüchtlinge aus Syrien das grosse Thema. Die Grün­liberalen hatten dazu nicht viel zu sagen.

Danach ging es wieder bergauf. 2019 ritt die GLP auf der grünen Welle zum grössten Wahlsieg ihrer Geschichte. Ob sie an den Erfolg anknüpfen kann?

Die GLP vertritt eine relativ eng definierte Bevölkerungs­schicht. Aber ihr sei gelungen, was die BDP nie schaffte, sagt Politologe Reto Mitteregger: «Sie konnte eine bestimmte sozio­strukturelle Gruppe für sich gewinnen. Die GLP spricht ein klares Elektorat an: hochgebildete, gut verdienende und eher junge Leute in urbanen Räumen – und sie legt auch auf dem Land bei diesen Gruppen zu.»

Die Grün­liberalen erreichen diese Leute mit ihrer Politik. Aber vor allem, indem sie ein Lebens­gefühl verkaufen: den Glauben an die Zukunft.

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