Leben in Trümmern

Weihnachten

Es fallen Bomben auf Kiew, der Strom ist rationiert. Fotograf Lesha und seine Frau Agata wollen trotzdem Weihnachten feiern – auch wenn er nicht wirklich in Stimmung dafür ist.

Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Übersetzung und Bildredaktion), 23.12.2022

Vorgelesen von Miriam Japp
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Winterliche Impression in Kiew.

Russland ist sehr bemüht, uns die Weihnachts­feiertage zu vermiesen. Die Sirenen gehören wieder zum alltäglichen Hintergrund­geräusch, offenbar gab es eine neue Lieferung iranischer Drohnen. Bis vor kurzem waren wir in unserer Wohnung in Kiew erstaunlich selten von Strom-, Wasser- und Heizungs­ausfällen betroffen. Ich glaube, das liegt am Kinder­garten neben unserem Gebäude oder an der kleinen Klinik in unserer Strasse.

Seit letzter Woche ist das anders. Wie die meisten Bewohnerinnen von Kiew haben auch wir regelmässig und manchmal lange keinen Strom. Meistens sind die Unter­brüche geregelt: Kiew ist in Sektionen aufgeteilt und jede hat einen eigenen Stunden­plan für die Ausfälle. Diese gibt es dreimal am Tag während vier bis fünf Stunden; also eigentlich die Hälfte der Zeit. Doch bei Angriffen auf Elektrizitäts­werke ist auch dieser Plan obsolet und wir haben alle gleichzeitig keinen Strom.

Am 19. Dezember – dann feiern wir in der Ukraine den St.-Nikolaus-Tag – wurden wir einmal mehr von russischen Bomben geweckt und hatten den ganzen Tag keinen Strom. In der Nacht war er dann plötzlich wieder da und ich wurde unsanft geweckt: Wir hatten vergessen, einige Licht­schalter umzulegen. Ich hoffte, der Strom würde den Tag über verfügbar bleiben, aber am Morgen war er schon wieder weg. Leider dachten wir mitten in der Nacht nicht daran, unsere Handys einzu­stecken, um sie während der paar wenigen Stunden aufzuladen.

Nach den Angriffen der letzten Woche hatten wir am Freitag gar nichts mehr – Strom, Wasser und Heizung waren weg und kamen erst am Abend wieder zurück. Selbst die Metro konnte bis am Samstag nicht mehr fahren. Solange wir Wasser haben und heizen können, geht es schon, auch ohne Strom. Den habe ich dafür meistens im Studio, dort gibt es auch Internet – aber keine Heizung.

Ich gehe also in ein kaltes Studio, um zu arbeiten, und komme nach Hause, um mich aufzu­wärmen. Das ist unser Alltag im Moment. Wir beklagen uns nicht, es könnte schlimmer sein. Wir kochen zum Beispiel mit Gas, so können wir uns jeder­zeit etwas Warmes zubereiten. Freunde von mir, die elektrisch kochen, haben mehr Mühe – der Strom­stundenplan richtet sich meistens nicht nach ihren Frühstücks- und Abendessens­zeiten.

Licht gibts nicht immer: Agata auf dem Sofa.
In Leshas Studio gibt es oft Strom und selten Wärme.
Wasser: Im Fluss reichlich da, in den Wohnungen nicht.

Überall ist nun die Rede von einer möglichen Invasion aus Belarus. Ein Szenario, das von Woche zu Woche realistischer erscheint. Ich befürchte, es ist eine Frage der Zeit, vor allem nachdem nun Putin in Minsk gewesen ist. Von Panik ist aber noch nicht viel zu spüren, die Menschen haben anscheinend viel Vertrauen in unsere Abwehr. Aber auch die ist nur so gut, wie sie ausgerüstet werden kann. Und dafür sind wir zu einem grossen Teil vom Westen abhängig.

Meine Frau Agata ist in letzter Zeit nervlich sehr angespannt. Vor allem die Gespräche mit ihren Eltern tun ihr gar nicht gut. Irgendwie leben die in Russland immer noch in einer Parallel­welt. Letzte Woche hat sich ihr Vater erkundigt, wie es uns gehe, und sie hat ihm geschrieben: «Wir sitzen oft im Wohnungs­eingang. Haben kein Wasser, keine Heizung und der Strom ist auch weg, weil die russischen Bomben die Infra­struktur zerstört haben.»

Seine Antwort war, wir sollten doch den Generator nutzen, den ich besorgt hatte. Er versucht noch nicht mal zu verstehen, dass die Power­station, die ich gekauft habe, eher wie eine Art Power­bank funktioniert und uns weder für Wasser noch fürs Heizen etwas bringt. Dann schickte er ein paar Fotos vom Weihnachts­shopping in einem Einkaufs­center. Wahrscheinlich wird Agata in Zukunft weniger mit ihren Eltern kommunizieren, wie damals im Frühling, als der Krieg angefangen hat.

Dafür ruft mich mein Gross­vater aus Luhansk etwa einmal die Woche an, und ich bin jedes Mal erleichtert, wenn er das tut. Bei ihnen ist es so weit recht ruhig. Sie können heizen, haben Strom und Wasser, die kritische Infra­struktur wird in Ruhe gelassen. Eine Sorge weniger für den Moment.

Und trotz allem: Agata kommt in Weihnachts­laune und plant ein Fest­essen mit Freunden. Ich freue mich natürlich auch sehr auf ein paar gemütliche Stunden, doch Weihnachts­stimmung mag sich bei mir nicht so recht einstellen. Das hat wahr­scheinlich auch damit zu tun, dass ich im Moment mit den Bildern beschäftigt bin, die ich seit der Invasion gemacht habe, um sie für ein Projekt zusammen­zustellen und für mögliche Ausstellungen oder Foto­messen zu sortieren.

Dabei kommen viele Erinnerungen hoch. An die Momente, die Gefühle, die dieses Jahr geprägt haben. Und ich werde sehr müde davon, mental und körperlich. Das einzig Gute an 2022 ist, dass wir es überlebt haben. Keines der vielen schlimmen Szenarios, die ich im Kopf hatte, als es losging, ist wahr geworden. Ich hoffe einfach, das bleibt so.

Ein wenig Weihnachtsstimmung muss sein, trotz allem.

Zum Fotografen

Lesha Berezovskiy arbeitet als freier Fotograf in Kiew. Er ist 1991 im ostukrainischen Bezirk Luhansk geboren. Als dort 2014 der Krieg ausbricht, zieht er in die Haupt­stadt, wo er heute mit seiner Frau Agata lebt.

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