Mehr Klimaschutz, mehr Solaranlagen und mehr Soldaten – aber ein Maurer weniger
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (206).
Von Carlos Hanimann, Angelika Hardegger, Lukas Häuptli, Priscilla Imboden und Jana Schmid, 06.10.2022, Update: 10.30 Uhr
Vor lauter Nachrichten den Überblick verloren? Jeden Donnerstag fassen wir für Sie das Wichtigste aus Parlament, Regierung und Verwaltung zusammen.
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Adieu, Ueli Maurer! Am Freitag hat der Finanzminister seinen Rücktritt auf Ende Jahr angekündigt. Er tritt als weitherum geachteter Staatsmann ab. Aber das war nicht immer so: Vor 14 Jahren wurde er mit einer Mehrheit von gerade mal einer Stimme in den Bundesrat gewählt, so gering war das Vertrauen des Parlaments in den vormaligen SVP-Präsidenten und Nationalrat des Kantons Zürich.
Ueli Maurer hatte als Parteipräsident grosse Erfolge gefeiert und den Wähleranteil der SVP von 1995 bis 2007 verdoppelt. Maurer verantwortete aber auch zahlreiche Tabubrüche und hetzerische Kampagnen, vom Messerstecher-Plakat bis hin zum schwarzen Schaf, das aus der Schweiz gekickt wird.
Als Verteidigungsminister war Ueli Maurer etwas glücklos, als die Stimmbevölkerung 2014 Nein zum Kampfjet Gripen sagte. Als Finanzminister aber war er erfolgreicher, indem er bis zur Corona-Krise das Bundesbudget fest im Griff hielt und Schulden abbaute. Im Bundesrat zeigte er sich unabhängiger von der Partei als zunächst erwartet: Gegen den Willen der SVP verkleinerte er die Armee und schaffte Steuerprivilegien für Grosskonzerne ab. Zudem verzichtete er auf Angriffe auf die Institutionen, wie dies Christoph Blocher als Justizminister getan hatte.
Aber Ueli Maurer provozierte immer wieder mit umstrittenen Aussagen und strapazierte die bundesrätliche Kollegialität bis aufs Äusserste – zuletzt etwa, als er ein Hemd der massnahmenkritischen Freiheitstrychler überzog. So hielt er seine Basis bei Laune.
Aussenpolitisch absolvierte Bundesrat Ueli Maurer immer wieder fragwürdige Sololäufe. So gab er als Bundespräsident in China zu Protokoll, man müsse einen Strich unter die Geschichte des Tiananmen-Massakers ziehen. Nach einem Treffen mit dem saudischen Finanzminister widersprach er dem Bundesrat, indem er erklärte, der Mord durch das Regime am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi sei schon lange abgehandelt. Und am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine pries er den russischen Aussenminister Sergei Lawrow als «einen der besten Aussenminister».
Nun wird intensiv über Ueli Maurers Nachfolge spekuliert. Ein aussichtsreicher Kandidat ist der Berner Nationalrat Albert Rösti, der auch in anderen Parteien Sympathien geniesst und nach den Wahlen 2019 als SVP-Parteipräsident abtrat. Die mächtige Zürcher Sektion möchte sich aber nicht geschlagen geben und hat angekündigt, einen eigenen Kandidaten oder eine Kandidatin aufzustellen. Im Gespräch sind die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (Update: Rickli hat am Mittwochabend abgesagt) sowie Nationalrat Thomas Matter.
Bereits abgesagt haben die Nationalrätinnen Magdalena Martullo-Blocher, Gregor Rutz und Franz Grüter. Mit der St. Galler Nationalrätin Esther Friedli ist eine weitere Kandidatin im Gespräch, der gute Beziehungen zu Herrliberg nachgesagt werden.
Nun soll es schnell gehen: Die Kantonalparteien können ihre Nominationen in den nächsten drei Wochen bei einer Findungskommission anmelden. Diese wird der Bundeshausfraktion bis Mitte November einen Vorschlag unterbreiten. Die SVP plant dann ein Bundesratsticket mit mehreren Kandidatinnen. Die Wahl findet am 7. Dezember statt.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Klimaschutz: Gletscherinitiative zurückgezogen
Worum es geht: Das Initiativkomitee hat am Mittwoch die Gletscherinitiative zurückgezogen. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments ermögliche einen «wirksamen und raschen Klimaschutz» in der Schweiz, teilte das Initiativkomitee mit. Der Rückzug erfolgt allerdings nur bedingt, da die SVP das Referendum gegen die neuen Klimaschutzmassnahmen ergriffen hat.
Warum Sie das wissen müssen: Das Nein zum CO2-Gesetz im Juni 2021 war ein grosser Rückschlag für die Klimapolitik in der Schweiz. Erdöl- und Autoimporteure hatten das Referendum ergriffen und wurden von der SVP unterstützt. Mit dem Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative macht das Parlament nun wieder vorwärts. Das ist nötig, damit die Schweiz die Verpflichtungen einhalten kann, die sie im internationalen Klimaschutzabkommen von Paris eingegangen ist.
Wie es weitergeht: Nächstes Jahr kommt das neue Gesetz zur Abstimmung, das als indirekter Gegenvorschlag formuliert wurde. Falls es an der Urne abgelehnt würde, könnte das Initiativkomitee sein Volksbegehren reaktivieren. Vorwärts macht auch Energie- und Umweltministerin Simonetta Sommaruga. Sie hat vor zwei Wochen die Botschaft für ein neues CO2-Gesetz präsentiert, das das bisherige ab 2024 ablösen soll.
Alpine Solaranlagen: Das Parlament will schnell mehr
Worum es geht: Das Parlament hat in nur einer Session ein Gesetz verabschiedet, das den Bau von alpinen Solaranlagen beschleunigen soll. Es setzt die üblichen Bewilligungsverfahren bis 2025 teilweise aus. Treibende Kräfte hinter dem ungewöhnlichen Aktivismus waren der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser und der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder. In der grossen Kammer sorgte SVP-Nationalrat Albert Rösti dafür, dass bei der seit Jahren blockierten Erhöhung der Grimselstaumauer die üblichen Rechtswege ausgehebelt werden. Als Zugeständnis an die Grünen sieht das Gesetz die Pflicht vor, auf grossen Neubauten Solaranlagen zu installieren.
Warum Sie das wissen müssen: Das völlig unübliche Tempo dieser Gesetzgebung wird von Staats- und Umweltrechtlern scharf kritisiert. Rechtsprofessor Alain Griffel von der Universität Zürich verglich das Vorgehen des Parlaments mit dem einer Bananenrepublik und sprach von einem Putsch gegen das Umweltrecht und die Verfassung. Der Staatsrechtler Markus Schefer von der Universität Basel stellt insbesondere die Dringlichkeit des Vorgehens infrage. Das sei ein Manöver, um die Verfassung auszuhebeln. Kritik am Vorgehen gab es auch vom Bundesamt für Justiz.
Wie es weitergeht: Das Gesetz wurde am vergangenen Samstag in Kraft gesetzt, die Umweltverbände verzichteten auf ein Referendum.
Strommangel: Ständerat will mehr erneuerbare Energie
Worum es geht: Der Ständerat hat das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien verabschiedet. Unter dem Eindruck der drohenden Energiekrise will er den Ausbau von Anlagen zur Nutzung von erneuerbarer Energie beschleunigen und die Energieeffizienz steigern. Er hat dafür verbindliche Ziele festgelegt. Der Ständerat verzichtet auf eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes und auf den allgemeinen Zugang zu den Daten zum Stromverbrauch.
Warum Sie das wissen müssen: Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft hat der Bundesrat eine energiepolitische Wende eingeleitet: Erneuerbare Energie soll die Kernkraft sowie die fossile Energie ersetzen. Aber die Wende geht zu wenig rasch voran. Im Winter droht Energieknappheit, da Russland wegen des Kriegs in der Ukraine den Erdgasexport drosselt. Das neue Gesetz kann das nicht beheben, aber es soll die Versorgungssicherheit mittelfristig erhöhen. Der Schutz der Umwelt soll dabei dem Interesse an mehr Stromproduktion untergeordnet werden – insbesondere für die 15 Wasserkraftprojekte, auf die sich Stromversorger und Umweltschutzorganisationen am runden Tisch von Energieministerin Simonetta Sommaruga geeinigt haben.
Wie es weitergeht: Das Geschäft kommt in den Nationalrat. Gut möglich, dass dieser die Umwelt- und Landschaftsschutzinteressen stärker gewichten wird.
Armeebestand: Nationalrat will den Zivildienst unattraktiver machen
Worum es geht: Der Nationalrat will die Attraktivität des Zivildienstes schmälern, um den Armeebestand zu stärken. Er hat eine Motion der SVP mit 93 zu 84 Stimmen gutgeheissen. Diese verlangt unter anderem, dass neu mindestens 150 Diensttage im Zivildienst leisten muss, wer sich von der Armee umteilen lässt. Zudem sollen Ärzte, Tierärzte und Zahnärzte keine Zivildiensteinsätze in ihrem Fachgebiet mehr leisten dürfen. Die SVP begründet den Vorstoss mit der verschlechterten Sicherheitslage in Europa.
Warum Sie das wissen müssen: Nachdem die Gewissensprüfung im Jahr 2008 abgeschafft wurde, stieg die Zahl der Zulassungen zum Zivildienst markant an und verharrt heute auf hohem Niveau. Ausserdem stellten in vergangenen Jahren häufig Personen Zivildienstgesuche, die die Rekrutenschule bereits begonnen oder abgeschlossen hatten. Der Bundesrat sorgt sich deshalb um die Sollbestände der Armee. Bei Wechseln von Fachspezialistinnen und Kadern der Armee in den Zivildienst gehe zudem aufwendig vermitteltes Führungs- und Fachwissen verloren. Weil im Zivildienst selten Führungsaufgaben wahrgenommen würden, könne dieses dort «nur ausnahmsweise einen Mehrwert für die Gesellschaft generieren». Kritikerinnen der Vorlage entgegnen, die Motion stärke nicht die Armee, sondern schwäche den Zivildienst, weil sich so mehr Dienstpflichtige aus medizinischen Gründen ganz ausmustern lassen würden.
Wie es weitergeht: Die Vorlage geht in den Ständerat. Stimmt er ebenfalls zu, wird der Bundesrat einen Erlassentwurf erarbeiten.
Eigenmietwert: Das Hin und Her geht weiter
Worum es geht: Der Nationalrat ist am letzten Donnerstag auf die Vorlage zur Abschaffung des Eigenmietwerts zwar eingetreten, hat sie aber zur weiteren Beratung an seine Wirtschaftskommission WAK zurückgewiesen. Für die Rückweisung stimmten SP, GP, GLP und Mitte, dagegen FDP und SVP. Damit muss die Kommission das Geschäft weiter beraten, das die WAK des Ständerats vor fast sechs Jahren vorgelegt hatte.
Warum Sie das wissen müssen: Mit dem Eigenmietwert soll ein steuerlicher Ausgleich zwischen Mietern einerseits und Besitzerinnen von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen andererseits geschaffen werden. Diese müssen den Eigenmietwert ihres Wohneigentums als Einkommen versteuern; das sollen 60 bis 70 Prozent des Betrags sein, den ein Besitzer mit der Vermietung seines Hauses oder seiner Wohnung erzielen würde. Im Gegenzug können die Wohneigentümerinnen Schuldzinsen und Unterhaltskosten bei ihrem Einkommen abziehen. In der Vergangenheit gab es mehrere Versuche von bürgerlicher Seite, den Eigenmietwert abzuschaffen. Wegen der dadurch drohenden Steuerausfälle in Milliardenhöhe lehnen nicht nur die SP, Grüne und Grünliberale die Abschaffung des Eigenmietwerts ab, sondern auch die Kantone.
Wie es weitergeht: In einem nächsten Schritt muss die Wirtschaftskommission des Nationalrats die Vorlage weiter beraten. Darauf kommt das Geschäft wieder in den Nationalrat. Sollten sich dieser und der Ständerat auf die Abschaffung einigen können, gilt es als sicher, dass dagegen das Referendum ergriffen wird und es zur Volksabstimmung kommt.
Wolf soll einfacher geschossen werden können
Worum es geht: Der Ständerat will den Schutz des Wolfes deutlich lockern. Bisher dürfen Wölfe nur geschossen werden, wenn sie Tiere gerissen haben und wenn ihnen das auch nachgewiesen worden ist. In Zukunft soll der Wolf von September bis Dezember von Wildhütern gejagt werden dürfen. Das entspricht der heutigen Regelung beim Steinbock, der wie der Wolf geschützt ist.
Warum Sie das wissen müssen: Vor zwei Jahren lehnte das Stimmvolk ein neues Jagdgesetz ab, das präventive Wolfsabschüsse erlaubt hätte. Nun holt der Ständerat solche «Abschüsse auf Vorrat» wieder ins Gesetz. So nannten es die Umweltverbände damals. Diese stimmen präventiven Abschüssen mittlerweile zu, wollen das aber nur für Einzeltiere erlauben, nicht für ganze Rudel. So war es vorgesehen in einem Kompromiss von Naturschutz, Bauern und Interessengruppen aus den Berggebieten. Diesen Kompromiss hat der Ständerat nun aufgekündigt.
Wie es weitergeht: Das Geschäft geht an den Nationalrat. Die Umweltverbände hoffen, dass dieser die Möglichkeiten zum Wolfsabschuss wieder einschränkt. Die Umweltkommission des Nationalrats hat das Geschäft für kommende Woche traktandiert.
Kandidat der Woche
Thomas Aeschi, einst Bundesratskandidat und heute Mitglied der SVP-Findungskommission, hat ganz offensichtlich ein neues Hobby: Er postet auf Twitter Bilder von möglichen Bundesratskandidatinnen, die den abtretenden Ueli Maurer ersetzen könnten. Am Samstagmittag SVP-Personal querbeet: Magdalena Martullo-Blocher, Gregor Rutz, Toni Brunner, Esther Friedli, Albert Rösti, Natalie Rickli. Am Samstagabend: SVP-Unternehmer Peter Spuhler und SVP-Banker Thomas Matter. Und am Dienstagmorgen dann SVP-Personal aus der Innerschweiz: Heinz Tännler, Monika Rüegger, Franz Grüter, Marcel Dettling, Peter Keller. Eine Person – und nur eine – ist auf allen Bildern abgebildet, mal in der Mitte, mal im Vordergrund, mal ganz oben. Ganz so, als wollte sie sich zuvorderst auf die Kandidatenliste setzen. Ihr Name: Thomas Aeschi.
Illustration: Till Lauer