Der meistgesuchte Badi-Pächter der Welt

Nach langer Suche hat eine Gemeinde am Zürichsee einen Gastronomen für ihre Badeanstalt gefunden. Das Problem: Er versteckt sich in der Schweiz vor der New Yorker Justiz.

Von Dennis Bühler (Text) und Yves Bachmann (Bild), 21.07.2022, Update 22.12.2023

Synthetische Stimme
0:00 / 13:04

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:

Er wolle vor allem Salate, Plättli, Snacks und Glace anbieten, sagte X. Ende April zu einer Lokal­zeitung. Im Bericht ging es um den erfolg­reichen Abschluss einer monate­langen Suche nach einem neuen Pächter für den Kiosk in der gemeinde­eigenen Badi.

Und um ein kleines Problem, das es bis zum Saisonstart am 7. Mai noch zu lösen gebe: Wegen Lärm­konflikten mit der Nachbarschaft müsse die Badeanstalt seit einigen Jahren selbst bei gutem Wetter wochentags um 20 Uhr und am Wochenende um 19 Uhr schliessen, der neue Chef X. aber wolle den Kiosk mindestens eine Stunde länger geöffnet halten.

Kein Thema war ein ungleich grösseres Problem, dessen sich die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht bewusst war: X. ist von der US-Justiz zur Fahndung ausgeschrieben.

Dem 61-Jährigen wird vorgeworfen, Mitglied einer zehnköpfigen Bande gewesen zu sein, die internationale Investoren um mehr als 6 Millionen US-Dollar abgezockt haben soll. Die Aufgabe des ehemaligen Bankers und heutigen Kiosk­pächters sei es gewesen, die Herkunft des Geldes zu verschleiern.

Verurteilt ist X. nicht, es gilt die Unschulds­vermutung. Er selbst sagt, er sei vollkommen unschuldig.

Einziges Bandenmitglied auf freiem Fuss

Überweisungsbetrug, Geldwäsche, schwerer Identitäts­diebstahl: Im Oktober 2021 erhebt die Staats­anwaltschaft für den südlichen Bezirk von New York schwere Vorwürfe gegen zehn mutmassliche Betrüger. Mit ausgeklügelten Täuschungs­manövern sollen diese in diversen Ländern gutgläubige Menschen dazu gebracht haben, ihnen Geld zu überweisen.

Wie sie das geschafft haben? Mithilfe betrügerischer Websites und E-Mail-Adressen, die den Opfern vorgaukelten, sie hätten es mit Mitarbeitern erfolgreicher Finanz­investitions­firmen zu tun; mit Namen, Titeln, Unterschriften und Konterfeis von echten, in der Geschäfts- und Finanzwelt bekannten Personen, die davon freilich nichts wussten; mit spezifisch dafür erstellten Artikeln über die gefälschten Firmen und ihre angeblichen Investitionen, die die Bande online veröffentlichte und die sie via Werbung auf Suchmaschinen verbreitete. Zudem sollen die Betrüger aus sogenannten Boiler Rooms in Spanien, Rumänien, Kambodscha und auf Zypern hartnäckiges Telefon­marketing betrieben haben, um ihre Opfer dazu zu bringen, ihnen Geld zu überweisen.

Wer auf die Masche hereinfiel, glaubte, in verschiedene Unternehmen zu investieren, die hohen Gewinn versprachen; tatsächlich aber floss das Geld gemäss Anklage­schrift direkt oder indirekt auf die Konti der mutmasslichen Kriminellen. Denn die vermeintlichen Firmen und Aktien­pakete existierten gar nicht.

Fünf Verdächtige wurden im Mai 2021 auf Zypern verhaftet, zwei weitere wenig später in Rumänien und Spanien. Im Herbst kamen zwei weitere mutmassliche Banden­mitglieder in Grossbritannien in U-Haft.

Nur an einem beissen sich die Strafverfolger bis heute die Zähne aus: «X., ein Schweizer Staats­angehöriger, ist weiterhin auf freiem Fuss und hält sich seit Mai 2021 in der Schweiz auf, wo er vor der US-Justiz auf der Flucht ist», heisst es in einer Medienmitteilung der US-Staatsanwaltschaft vom 26. Oktober letzten Jahres. «X. war in dem Komplott ein wichtiger ‹Banker› – das heisst Geldwäscher –, der die Gelder der Opfer über Bank­konten in den Vereinigten Staaten und mehreren anderen Ländern wusch.»

«Was in den USA läuft, braucht uns nicht zu interessieren»

X. bestreitet die Vorwürfe, die ihm bis heute nicht zugestellt worden seien, kategorisch. «Es handelt sich um ein Missverständnis», sagt er im Gespräch mit der Republik. «Ich gehe davon aus, dass das US-amerikanische Department of Justice meinen Namen in der Anklage fallen lassen wird.»

Auch die Gemeinde sieht kein Versäumnis. «Die Liegenschaften­kommission hat seine Bewerbungs­unterlagen eingehend geprüft und ihn interviewt», sagt der Gemeinde­schreiber auf Anfrage. «Es gab keinen Anlass, ihn als Pächter des Kiosks nicht zu berücksichtigen.» X. habe einen einwandfreien Strafregister­auszug vorgelegt, in der Schweiz könne er folglich nicht rechtskräftig verurteilt sein. «Was in den USA läuft, braucht uns nicht zu interessieren.»

Die Gemeinde gehe mit der saisonalen Verpachtung kein finanzielles Risiko ein, zumal X. für den Kiosk keine Miete zu entrichten habe. «In einem Badi­kiosk werden kleine Umsätze erzielt», sagt der Gemeinde­schreiber. «X. verkauft dort unter anderem Wähen – wie soll er dies nutzen, um Geld zu waschen oder andere krumme Dinger zu drehen?»

Treuhänder des legendären Florian Homm

Doch X. ist auch der Schweizer Justiz einschlägig bekannt. Auch wenn es in seinem nur in englischer Sprache existierenden Wikipedia-Beitrag heisst, er sei hierzulande «für sein philanthropisches Engagement und die Förderung von Wohltätigkeits­veranstaltungen im Auftrag des Schweizer Finanzsektors bekannt». Und auch wenn er der Republik ungefragt einen blanken Strafregister­auszug vorlegt, der auf Mitte Mai 2022 datiert ist.

Tatsache ist: In einem viel beachteten Prozess wurde X. im April 2021 als Mitbeschuldigter «in den meisten Anklage­punkten für schuldig gesprochen», wie es in der Medienmitteilung des Bundesstrafgerichts hiess. «Namentlich der qualifizierten Geld­wäscherei, der mehrfachen Urkunden­fälschung sowie des betrügerischen Konkurses.»

Allerdings hat das Urteil bis heute keine Rechtskraft erlangt, weil verschiedene Parteien Berufung dagegen einlegten. Dazu gehört auch X., wie er gegenüber der Republik bestätigt. «Die notorisch skandal­trächtige Geschäfts­führung der Bundes­anwaltschaft zog es vor, ihre eigene persönliche Agenda durchzu­setzen und Millionen von Steuer­geldern in den Sand zu setzen», sagt X., der am Prozess aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnahm.

Bei den beiden Behörden will man sich zum Sachverhalt nicht äussern. «Der derzeitige Verfahrens­stand erlaubt uns leider keine Erteilung weiterer inhaltlicher Auskünfte», sagt eine Sprecherin des Gerichts.

Wie Recherchen der Republik zeigen, hat die Berufungs­kammer das Urteil des Bundes­strafgerichts Anfang Juni aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die Gründe sind formaler Natur: Zum einen hatte es das Gericht versäumt, die prozessuale Rolle aller Verfahrens­beteiligten auf dem Deckblatt des Urteils zu erwähnen; zum anderen war die schriftliche Urteils­begründung nicht allen Beteiligten zeitgleich zugestellt worden, was zu unterschiedlichen Berufungs­fristen führte. Im Entscheid der Berufungs­kammer heisst es: «Diese Rückweisung bedeutet weder eine inhaltliche Änderung des Urteils (…) noch eine Wiederholung von Verfahrens­handlungen.»

X. rechnet dennoch damit, dass die Haupt­verhandlung dereinst wiederholt werden muss – auf Anordnung des Bundes­gerichts, wie er hofft.

Hauptangeklagter im Prozess, für den die Bundes­anwaltschaft 13 Jahre ermittelt hatte, war der deutsche Florian Homm, in den Nuller­jahren ein so berühmter wie berüchtigter Star einer völlig entfesselten internationalen Finanzszene. X. war sein Treuhänder.

Ich will es genauer wissen: Wer ist Florian Homm?

«Wir verdienten vor allem damit Geld, dass wir Aktienkurse in den Keller schickten», erinnerte sich Florian Homm 2021 in einem Interview mit der deutschen «Bild»-Zeitung an jene Zeit. «Skrupel verhindern nur die Gewinn-Maximierung. Vor allem klatschten wir dann in die Hände, wenn ein Vorstandschef einen Herzinfarkt erlitt oder ihm bei einem Autounfall etwas passierte.» Wenn Zehntausende Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, weil ein Unternehmen wegen seiner Wetten auf fallende Aktienkurse in finanzielle Schieflage geriet, sei ihm das egal gewesen. Denn: «Ich machte Kohle damit.» Ein von Homm verwalteter Hedgefonds kam zeitweise auf ein Volumen von bis zu 3 Milliarden US-Dollar.

Im September 2007 aber, kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise, tauchte Homm ab. Sechs Jahre war er mit gefälschten Pässen auf der Flucht, bis ihn die italienische Polizei 2013 nach Hinweisen von Ziel­fahndern des FBI in der Gemälde­galerie Uffizien in Florenz verhaftete. Der Vorwurf: Als Fonds­manager soll Homm in den USA Aktien­kurse manipuliert und Anlegerinnen so um mindestens 170 Millionen Franken geprellt haben – in ähnlicher Manier wie der von Leonardo DiCaprio dargestellte Jordan Belfort im Hollywoodfilm «Wolf of Wall Street».

Eineinhalb Jahre wartete Homm in einer Zelle in Pisa auf die Auslieferung an die USA, wo ihm bis zu 225 Jahre Haft drohen. Schliesslich kam er auf freien Fuss, weil sich Italien und die USA nicht einigen konnten und die zulässige Höchstdauer für eine Auslieferungs­haft überschritten wurde. Im Juni 2014 reiste Homm nach Deutschland, wo er sich bis heute aufhält (und inzwischen einen Börsenbrief für zahlungskräftige Kleinanleger herausgibt).

In Abwesenheit verurteilte ihn das Bundes­strafgericht in Bellinzona am 23. April 2021 wegen «qualifizierter ungetreuer Geschäfts­besorgung und mehrfacher Urkunden­fälschung» zu einer Haftstrafe von 36 Monaten, die Hälfte davon auf Bewährung. Den Haupt­vorwurf der Bundes­anwaltschaft, Homm habe sich in den Nullerjahren um mindestens 170 Millionen US-Dollar bereichert, verfolgte das Gericht nicht weiter. Weil die betreffenden Delikte in den USA begangen worden seien, bestehe keine schweizerische Gerichtsbarkeit.

X. sieht sich im «Fall Homm» zu Unrecht beschuldigt. «Ich bin völlig unschuldig», bekräftigt er. Die Bundes­anwaltschaft habe ihn 2009 zum Kronzeugen erkoren, um den abgetauchten Hedgefonds­manager ans Messer zu liefern. Dies aber habe er weder gekonnt noch gewollt. «Ich werde niemanden zu Unrecht anschuldigen», sagt er. Schweizer Banken hätten damals schriftlich bestätigt, dass die Herkunft von Homms Geldern sauber und abgeklärt war.

«Seltene Beharrlichkeit an den Tag gelegt»

Für Treuhänder X. war es nicht das erste Mal, dass er mit dem Gesetz in Konflikt kam.

2014 liquidierte die Finanzmarkt­aufsicht (Finma) X.s Finanz­gesellschaft zwangsweise und sprach eine sogenannte Unterlassungs­anweisung gegen ihn aus: Sie verbot ihm unter Straf­androhung, Tätigkeiten als Finanz­intermediär anzubieten oder zu bewerben.

In einem weiteren Fall verurteilte ihn das Bundesstrafgericht im November 2017 wegen schwerer Veruntreuung und Urkunden­fälschung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren. X. hatte im Jahr 2009 widerrechtlich Aktien von einer Firma, deren Verwaltungsrat er war, zu einer anderen transferiert, um sie so dem Zugriff einer Drittpartei zu entziehen, die ein Pfandrecht auf die Aktien besass. Das Gericht verpflichtete X., der gemäss Urteil von der Gier nach Gewinn getrieben gewesen sei, für den entstandenen Schaden von rund 3,5 Millionen US-Dollar aufzukommen. Und es hielt fest: «Er hat nicht nur das Vertrauen mehrerer seiner Geschäfts­partner eifrig missbraucht (…), sondern auch eine seltene Beharrlichkeit an den Tag gelegt.»

Im Laufe des Verfahrens habe X. nie Reue oder Einsicht in seine eigene Schuld gezeigt, sondern die Behörden beschuldigt, einen Rache­feldzug gegen ihn zu führen, heisst es im Urteil. Die Vielzahl seiner Beschwerden grenze an Quer­köpfigkeit und könne als missbräuchlich bezeichnet werden. Kurz: «Sein Verhalten gegenüber den Behörden war äusserst schlecht, seine Verweigerungen der Zusammenarbeit grenzten an Obstruktion.»

Gegen dieses Urteil von November 2017 hat X. inzwischen eine Revision beantragt, weil er aus medizinischen Gründen nicht am Prozess habe teilnehmen können. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Die Berufungskammer des Bundes­strafgerichts hat eine Revision im Dezember 2021 abgelehnt, X. versucht es nun noch bei der letzten ihm verbliebenen Instanz: dem Bundesgericht. «Es ist ein grundlegendes Recht, sich verteidigen zu können, wenn einem etwas vorgeworfen wird», sagt X. Auch in diesem Fall bekräftigt er seine Unschuld.

Der Schweizer Justiz wirft er vor, seit mehr als zehn Jahren eine «beispiellose Vendetta» gegen ihn zu führen, weil er die Straf­verfolgungs­behörden im «Fall Homm» nicht wie gewünscht mit einer «Falsch­aussage» bedient habe. X. hält fest, in seiner gesamten Karriere nie Geld gewaschen zu haben.

Leserbrief in eigener Sache

Während in Bellinzona also in Abwesenheit gegen ihn prozessiert wurde, lebte X. auf Zypern.

Auch im Inselstaat sorgte er für Unruhe: Gemäss Medien­berichten gefährdeten die Ermittlungen der Schweizer Bundes­anwaltschaft gegen ihn den Erfolg einer Flug­gesellschaft, in deren Verwaltungsrat er in den Jahren 2015 und 2016 sass. Zum einen sollen sich mehrere zunächst interessierte Investoren geweigert haben, in die zypriotische Airline zu investieren, solange X. in irgendeiner Weise involviert war; zum anderen warfen ihm Mitstreiter vor, gegen Regeln und Abmachungen verstossen zu haben. Ende 2016 schied X. im Streit aus dem Verwaltungsrat aus. Der CEO des Unternehmens schrieb den Angestellten der Flug­gesellschaft, X. solle «bis auf weiteres keinen Zugang zu den Finanzen […], zu Geschäfts­plänen oder anderen sensiblen Materialien haben».

In der Folge vertrieb sich X. auf Zypern die Zeit auch mit dem Schreiben von Leser­briefen, in denen er Fälle schilderte, in die er selbst verwickelt war. Transparenz darüber schuf er nicht.

So kritisierte er im Mai 2019 beispielsweise, die Anklageschrift gegen Florian Homm sei ein «juristischer, publizistischer und faktischer Vernichtungs­feldzug, bei dem der gesamte Staatsapparat inklusive Finma zur Durchsetzung willkürlicher und fremder Ziele eingesetzt» werde: «Es ist einfacher, Herrn Homm und drei Schweizer Angestellte, letztlich bedeutungs­lose Ziele, anzugreifen und den ‹Fall› publizistisch hoch­zuspielen, als unsere Institutionen vor Übergriffen der US-Justiz zu schützen.»

Das erinnert an die Zürcher Gemeinde, die sich nicht dafür interessieren will, was in den USA läuft. Selbst­verständlich steht es ihr frei, X. in ihrer Badi weiterhin Wähen verkaufen zu lassen. Denn mangelnde Vertrautheit mit dem Gastro­geschäft wird ihm niemand vorwerfen können. Während seiner Zeit auf Zypern führte seine Ehefrau ein Strandcafé.

Aufgrund einer Stellungnahme des Schweizer Presserats haben wir diesen Beitrag am 21. Dezember 2023 überarbeitet: Seither ist X., für den wir schon zuvor dieses Pseudonym verwendet hatten, noch konsequenter anonymisiert – konkret werden im Text nun weder der Name der Gemeinde noch jener der Bade­anstalt genannt. Zudem haben wir diverse Links und ein Bild der Badi entfernt. Mehr zur Stellungnahme des Presserats lesen Sie hier.

Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob die Republik etwas für Sie ist? Dann testen Sie uns! Für 21 Tage, kostenlos und unverbindlich: