«Unsere Prüfer haben die Verträge gelesen, unsere Kritiker wahrscheinlich nicht»

Kurz vor seinem Abschied bringt Michel Huissoud nochmals das halbe Bundes­haus gegen sich und seine Behörde auf. Warum die Eidgenössische Finanz­kontrolle den Deal für den Kauf neuer Kampfjets kritisiert, warum amtliche Fehl­leistungen in der Schweiz so selten Konsequenzen haben und warum er als Anarchist ausgerechnet beim Bund gelandet ist.

Ein Interview von Dennis Bühler, Priscilla Imboden (Text) und Fabian Hugo (Bilder), 12.07.2022

Synthetische Stimme
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Ende August ist seine Zeit als Chef der Eidgenössischen Finanzkontrolle vorbei, das mindert seine Leidenschaft für den Job keineswegs: Michel Huissoud.

Herr Huissoud, Sie widersprechen dem Verteidigungs­departement (VBS), das sich auf den Standpunkt stellt, es habe mit den USA Fixpreise für den Kauf der Kampfjets ausgehandelt. Weshalb?
Wir haben die Beschaffungs­verträge und die Vertrags­bedingungen und Erklärungen der USA dazu studiert. Diese verschiedenen Dokumente widersprechen sich teilweise. Deshalb können wir nicht bestätigen, dass die Schweiz fixe Pauschal­preise für den F-35 nach Schweizer Recht­sprechung erhalten hat. Ausserdem gibt es kein Schieds­gericht, was wir ebenfalls als problematisch einstufen.

Zudem kritisieren Sie in Ihrem Bericht, das VBS habe das Risiko unterschätzt, dass die Betriebs­kosten der F-35-Jets höher ausfallen könnten als veranschlagt. Wie kommen Sie darauf?
Die Betriebskosten sind in den ersten Jahren zwar pauschalisiert, es handelt sich aber um Schätzungen. Für die Kosten der Folgejahre basieren die Schätzungen ausschliesslich auf dem vom Bundesamt für Rüstung Arma­suisse entwickelten Modell. In Bezug auf ein allfälliges finanzielles Risiko für die Schweiz lassen die Erfahrungen im Ausland Zweifel an der Schätzung der Betriebs­kosten offen. In den USA weist ein Bericht der amerikanischen Finanz­kontrolle auf eine zu optimistische Schätzung dieser Kosten hin. Diese Informationen hat Armasuisse in der Risiko­analyse nicht berücksichtigt.

Das VBS widerspricht Ihrer Darstellung und wirft der Eidgenössischen Finanz­kontrolle (EFK) vor, sie «gefährde die Interessen der Eidgenossenschaft erheblich», indem sie trotz «klaren und ausdrücklich bestätigten vertraglichen Vereinbarungen» Zweifel anbringe. Tun Sie das?
Nein, es ist umgekehrt. Wir machen auf Probleme und Risiken aufmerksam und erlauben damit, die Verträge noch vor der Unter­schrift nachzubessern.

Bürgerliche Sicherheits­politiker haben heftig auf Ihren Bericht reagiert. Sie kritisieren, Ihre Warnungen seien «unglaubwürdig» und «an den Haaren herbei­gezogen». Haben Sie unseriös gearbeitet?
Nein. Unsere zwei Prüfer haben die Verträge gelesen, unsere Kritiker wahrscheinlich nicht.

Sie wurden auch persönlich ins Visier genommen: Man wirft Ihnen Ihre armee­kritische Vergangenheit vor.
Ich bin das gewohnt. Ich bin – abhängig von der jeweiligen Prüfung – auch schon als gewerkschafts- und bauern­feindlich taxiert worden.

​​Zur Person

Michel Huissoud leitet seit 2014 die Eidgenössische Finanz­kontrolle, bei der er seit 1988 tätig ist. Immer wieder legte sich der Genfer Jurist in den letzten Jahren mit Bundesrätinnen, Parlamentariern und Chef­beamtinnen an. Ende August wird der 65-Jährige, der sich als Student in der linken Szene Genfs bewegte und sich selbst als Anarchist bezeichnet, pensioniert.

Welche Folgen hätte es, wenn die EFK zurück­gebunden oder privatisiert würde, wie es manch einer Ihrer Kritiker nun fordert?
Die Arbeit der EFK unterstützt das Parlament in seiner Ober­aufsicht. Wer die EFK schwächt, schwächt deshalb die parlamentarische Ober­aufsicht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dies die wahre Absicht von diesen Personen sein kann.

Seit Russland in der Ukraine einmarschiert ist, kann der Kampfjet­kauf der Mehrheit im Parlament nicht schnell genug gehen: Der Ständerat hat ihm bereits zugestimmt, ohne auf die Untersuchungs­berichte von EFK und Geschäfts­prüfungs­kommission zu warten.
Wenn der Kauf eines Kampf­flugzeuges jetzt möglichst schnell gehen soll, müssten die Offerten aller Hersteller auch dahin­gehend verglichen werden. Wer kann schnell liefern?

Was raten Sie, damit der Kampfjetkauf nicht zum finanziellen Debakel wird?
Die Verträge sollten noch vor der Unterschrift in zwei Punkten verbessert werden: Zuerst sollten die Begriffe und die normative Hierarchie zwischen den unterschiedlichen Dokumenten eindeutig definiert werden; und dann muss es möglich sein, bei allfälligen Divergenzen zwischen dem Käufer und dem Lieferanten ein Gericht anzurufen, mindestens ein Schieds­gericht.

Schon einmal lief eine Kampfjet­beschaffung finanziell völlig aus dem Ruder. Nach der Mirage-Affäre in den 60er-Jahren musste Bundesrat Paul Chaudet zurücktreten. Kann sich diese Geschichte wiederholen?
Eine Geschichte wiederholt sich nie. Damals wollte man 100 Flugzeuge der Firma Dassault stark «helvetisieren» und in der Schweiz unter Lizenz bauen. Das hat nicht viel zu tun mit der Beschaffung von 36 F-35 in den USA. Die einzige Ähnlichkeit ist die Unsicherheit über die Kosten. Ob die Beschaffung der F-35-Kampfjets schlussendlich problematisch sein wird, werden wir aber erst in mehreren Jahren erfahren.

Nach der Mirage-Affäre wurde die Eidgenössische Finanz­kontrolle aufgewertet.
So ist es. Die meisten Skandale der Geschichte der modernen Schweiz haben zu einer Stärkung der Aufsicht geführt.

An welche früheren Skandale denken Sie?
Neben der Mirage-Affäre, die zu der ersten parlamentarischen Untersuchungs­kommission der Geschichte und unserem heutigen Finanzkontroll­gesetz geführt hat, sind mir vor allem zwei Skandale in Erinnerung. Zum einen das Chaos bei der Pensions­kasse des Bundes Mitte der Neunzigerjahre. Und zum anderen das Debakel beim Informatik­projekt Insieme der Eidgenössischen Steuer­verwaltung, bei dem von 2006 bis 2012 rund 120 Millionen Franken in den Sand gesetzt wurden.

Freuten Sie sich über diese Skandale, weil Sie danach Ihre Macht vergrössern konnten?
Nein, so einfach ist es nicht. Zumal ich beide Skandale hautnah erlebte. Als zuständiger Prüfer der Pensions­kasse musste ich mitansehen, wie Finanz­minister Otto Stich unsere Warnungen jahrelang ignorierte – obwohl die EFK die Ordnungs­mässigkeit der Pensionskassen­rechnung ab 1987 nicht mehr bestätigte, genehmigte er sie Jahr für Jahr. Das war extrem frustrierend. Ähnlich war es mit dem Projekt Insieme: Wir hatten frühzeitig auf die Probleme aufmerksam gemacht, wurden aber vom Departement nicht gehört. Und am Ende wurde uns vorgeworfen, wir seien nicht an den Gesamt­bundesrat gelangt, als das Finanz­departement über die Probleme hinwegblickte.

Änderte die EFK ihr Verhalten, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten?
Ja. Zum einen benennen wir Missstände in unseren Berichten seither noch präziser und konsequenter. Zum anderen scheuen wir uns nicht davor, einen Fall zu eskalieren.

Was heisst das?
Das Gesetz sieht vor, dass wir den Gesamt­bundesrat informieren, wenn wir gravierende Mängel feststellen. Seit 2014 machen wir das systematisch: Wir melden jährlich zwei bis fünf Fälle an die Regierung. Denn wir wissen durch die Skandale der Vergangenheit, dass es nicht genügt, ein Problem allein mit einem Departement zu besprechen, weil es das so viel zu einfach schubladisieren kann.

Die EFK kann allerdings keine Korrekturen vornehmen, sondern nur Empfehlungen abgeben.
Kernaufgabe der EFK ist es seit jeher, auf Missstände aufmerksam zu machen. Diese Beurteilung ist zentral. Dazu geben wir Empfehlungen ab. Persönlich sehe ich das manchmal kritisch, weil wir damit in die Geschäfts­führung eingreifen.

Was wäre besser?
Wenn ein Amtsdirektor seinen Laden nicht im Griff hat und mich fragt, was er tun soll, müsste ich eigentlich antworten: Vielleicht solltest du kündigen?

In der Schweiz werden Chefbeamte nach Fehl­leistungen so gut wie nie entlassen. Ist man zu nachsichtig?
Ja, wir sind zu wenig konsequent. Ich kann mich nur an zwei Skandale in meinen 34 Jahren bei der EFK erinnern, nach denen die Verantwortlichen ausgetauscht wurden: Nach der Insieme-Affäre musste der Direktor der Eidgenössischen Steuer­verwaltung gehen, dasselbe passierte der Leiterin der Zentralen Ausgleichs­stelle der AHV in Genf nach einer Spesenaffäre. Beide wurden von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf entlassen. Ich glaube, sie hatte den Mut, der anderen oft fehlt.

Wieso handeln die Bundesräte nicht konsequenter?
Bei jedem Amtsdirektor und jeder Staats­sekretärin macht man ein Assessment, um zu überprüfen, ob sie die nötige Führungs­qualität haben. Bei Bundesräten passiert das nicht.

Dafür sind sie demokratisch gewählt.
Sie sind nicht direktdemokratisch gewählt, sondern vom Parlament. Und dort dominiert manchmal die Taktik, von anderen Parteien keinesfalls den Besten in den Bundesrat zu wählen.

Ist der Bundesrat dennoch fähig, die Schweiz durch die Krisen der Gegenwart zu führen?
Während der Pandemie hat der Bundesrat recht gut geführt. Jedenfalls war ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren glücklich, in der Schweiz zu leben und nicht in Deutschland oder Frankreich. Doch gegen zwei Hindernisse musste die Regierung kämpfen: Erstens sind die föderalen Strukturen vollkommen ungeeignet, um landesweite oder sogar globale Krisen zu bewältigen. Und zweitens funktioniert jedes Departement wie eine kleine Firma, es fehlt an einer departements­übergreifenden Führungsstruktur.

Was meinen Sie damit konkret?
Nehmen Sie nur die wichtige Frage der Informatik­sicherheit: Der Delegierte für Cyber­sicherheit Florian Schütz ist dem Finanz­departement unterstellt. Er darf keine Weisungen geben, er darf keine Prüfung in anderen Departementen durchführen. Es fehlt ihm also an Durchsetzungs­macht. Wenn ein Amt seine Pflicht nicht erfüllt, kann der liebe Herr Schütz nichts tun ausser eskalieren.

Wenn Sie gern Dinge ändern würden: Hatten Sie nie Lust, Politik zu machen?
Ich habe grosse Mühe, mich in einer Partei zu sehen. Ich bin ein freier Mensch, und eine Partei geht mir ein bisschen gegen meine Persönlichkeit.

Sie waren als junger Mann ein fichierter Anarchist. Was sind Sie jetzt?
Ich glaube, ich bin weiterhin Anarchist. Aber ein gemässigter, gewaltloser Anarchist. Anarchismus ist spannend: Es geht dabei nicht um den Schwarzen Block. Die Pariser Kommune, die Gedanken von Pierre-Joseph Proudhon gehören dazu. Und auch die Kibbuz-Bewegung in Israel fusst auf dem Anarchismus.

Sie meinen damit also die Selbstregierung der Menschen.
Ja. Wie es etwa in unserem Vereins­leben üblich ist: Ein Quartierfest, das ist gelebter Anarchismus.

Weshalb gingen Sie als Anarchist in den Dienst der Bundes­behörden?
Ich bin zwar im Dienst der Bundes­behörden, aber noch wichtiger, ich bin im Dienst der Steuer­zahlenden. Nur schon deshalb hätte ich niemals einer Partei beitreten können – es gibt in der Schweiz keine Partei, die die Steuerzahler vertritt.

Ist das Ihr Weg, den übergreifenden Staat ein bisschen in die Schranken zu weisen?
Die EFK ist der Gegenpol zur Bundes­verwaltung. Wir kämpfen für die Steuer­zahlenden, damit ihr Geld richtig eingesetzt wird: keine Geld­verschwendung, keine Zweck­entfremdung. Wir schauen, dass die Leute, die Steuern bezahlen, durch unsere Bericht­erstattung einen Einblick bekommen. Das sind übrigens nicht nur die Schweizer, das sind auch die Ausländer, die hier wohnen, die Steuern bezahlen, aber keine politische Vertretung haben.

Aber Sie können so den Staat nicht abschaffen.
Ich bin gar nicht für die Abschaffung des Staats.

Das will doch ein Anarchist meistens.
Nein, nicht unbedingt. Wenn der Staat eine Demokratie ist, ist er in Ordnung.

Wie weit vom Ideal ist der Schweizer Staat entfernt?
Nicht weit.

Was fehlt?
Es geht um Details. Zum Beispiel brauchte es mehr Transparenz bei der Parteien­finanzierung.

«Ja, ja, Druckversuche gibt es. Aber es sind eben nur Versuche.»

Das hat ja das Parlament letztes Jahr beschlossen: Parteien und Abstimmungs­komitees sollen neu Spenden über 15’000 Franken offenlegen. Sie liegen aber momentan im Streit mit dem Bundesamt für Justiz, das die Umsetzung vorbereitet. Was kritisieren Sie am Verordnungs­entwurf?
Die EFK sollte die Liste der geplanten und effektiv durchgeführten Vor-Ort-Kontrollen veröffentlichen können, diese Kontrolle ohne zu grosse Hürden durchführen und am Schluss Hinweise über Ergebnisse der Kontrollen geben dürfen.

Sie fordern also mehr Kompetenzen. Und sind bereits in die Offensive gegangen: Sie haben öffentlich damit gedroht, diese neue Aufgabe abzulehnen.
Wir haben noch nicht eskaliert.

Das Bundesamt für Justiz sagt, Sie hätten gar nicht das Recht dazu …
Das Bundesamt für Justiz übersieht, dass die EFK gesetzlich unabhängig ist. Wir suchen noch einen Kompromiss. Ich bin überzeugt: Wir finden einen Weg.

Weshalb ist die Frage der Parteien­finanzierung wichtig für Sie?
Die Demokratie ist ein gutes System, solange die Meinungs­bildung neutral und sachlich stattfindet. Und je mehr man die Meinungs­bildung irgendwie stört oder beeinflusst – egal, in welche Richtung –, desto nachteiliger ist es für die Demokratie. Deshalb braucht es hier Transparenz über die Frage, wer Einfluss nimmt bei Wahlen und Abstimmungen.

Schaffen wir ein wenig Transparenz zu Ihrer Tätigkeit: Die EFK kostet 30 Millionen Franken pro Jahr. Wie viel Geld haben Sie für die Steuer­zahlenden im Laufe Ihrer Karriere eingespart?
Es ist schwierig, dies genau zu quantifizieren. Klar ist, dass wir mehr Geld einbrachten, als wir gekostet haben. Es gab ein paar grosse Fälle, mit denen wir viel Geld aufs Mal zurückholten, etwa beim Swissair-Konkurs oder der von uns veranlassten Steuer­nachforderung beim brasilianischen Rohstoff­konzern Vale. Allein dank dieser beiden Fälle erhielt die öffentliche Hand mehr als 400 Millionen Franken zurück. Unsere Prüfungen bringen aber auch oft Einsparungen, die schwieriger zu quantifizieren sind. Wie die Verbesserungen der Handelsregister­qualität. Oder sie helfen, Schaden zu vermeiden, zum Beispiel in der IT-Sicherheit.

Trotzdem: Sie haben nicht nur Lob erhalten für Ihre Berichte und Empfehlungen. Es gab immer wieder Ärger mit der Politik und der Verwaltung. Guy Parmelin versuchte noch als Nationalrat, Ihnen mittels Motion einen Maulkorb zu verpassen, weil er Ihre Kommunikation zu proaktiv fand. Haben Sie mit ihm seither auch Probleme?
Im Gegenteil. Herr Parmelin ist wahrscheinlich der Departements­chef, der am besten mit der EFK zusammenarbeitet. Er interessiert sich für unsere Empfehlungen, die sein Departement betreffen, und will sie jeweils persönlich mit uns besprechen. In diesem Sinne ist er der beste Partner der sieben.

Mit welchem Departement haben Sie am meisten Mühe, sich Gehör zu verschaffen?
Ich sage Ihnen nur, welche die besten sind.

Okay, welches ist dann das zweitbeste?
Das Innendepartement hat sehr gut gearbeitet, auch während der Pandemie. Vorsteher Alain Berset kommt mit Wünschen zu uns, wo er gern eine Prüfung hätte. So war es beispielsweise beim elektronischen Patienten­dossier.

Aus anderen Departementen wurden Sie wiederholt kritisiert. Unter anderem warf man Ihnen vor, Sie machten mit Ihren Berichten Politik. So etwa, als Sie 2017 unmittelbar vor der Abstimmung über die Unternehmens­steuerreform III einen Bericht veröffentlichten. Nahmen Sie dort politisch Einfluss?
Kaum. Die Reform wurde mit 59,1 Prozent abgelehnt. Ich glaube nicht, dass unser Bericht so viel Macht hatte. Im Bericht legten wir nur dar, dass die Schätzungen der Bundes­verwaltung zu den Kosten von Vorlagen generell unzutreffend ausfallen. Ausgangspunkt des Berichts war zwar die Falsch­prognose zu den Steuer­ausfällen bei der Unternehmens­steuer­reform II neun Jahre zuvor. Von der Unternehmens­steuer­reform III aber war im Bericht nicht die Rede. Was wir nicht voraussahen, war die Reaktion der Medien. Der «Blick» titelte: «Jetzt ist in Bern der Teufel los.» Und schrieb, die EFK giesse Wasser auf die Mühlen der Gegner der USR III. Das ist total aus dem Ruder gelaufen. Ich habe mich damals beim Bundesrat entschuldigt.

Wie entscheiden Sie, wann Sie die Berichte publizieren?
Das ist wie ein Fliessband: Sobald ein Bericht fertig ist und die Übersetzung in die anderen Landes­sprachen vorliegt, wird er veröffentlicht. Es gibt bloss zwei Regeln: Wir publizieren keine Berichte während der Parlaments­session, und wir halten uns in den letzten vier Wochen vor einer Abstimmung zurück.

Ist das eine Lehre aus der Kritik wegen der USR III?
Ja. Aber einen idealen Moment gibt es wohl nie, erst recht nicht aus Sicht der in Berichten kritisierten Departemente. Obwohl wir den Bericht über den F-35 nun zu einem Zeitpunkt veröffentlichen, zu dem er auch dem Parlament noch von Nutzen sein kann, wird das nicht goutiert.

Gibt es manchmal Druckversuche?
Ja, ja, Druckversuche gibt es. Aber es sind eben nur Versuche.

Wie äussern sich diese?
Man bittet mich beispielsweise, die Publikation eines Berichts zu verschieben, bis ein Geschäft abgeschlossen ist. Oder wir sollten die Namen der Kantone bei einem Kantons­vergleich unterlassen. Aber ich sage dann einfach Nein.

Und dann lässt man Sie in Ruhe?
Meistens. Die Öffentlichkeit ist auf unserer Seite: Sie weiss dank unserer Jahres­programme, die wir im Vorfeld publizieren, welche Berichte in der Pipeline sind. Sie würde es nicht akzeptieren, wenn ein Bericht unter Verschluss bleiben würde.

Wie ist Ihr Eindruck nach 30 Jahren bei der Eidgenössischen Finanz­kontrolle: Ist das Gefühl, dass man sich im Geschäft mit dem Staat alles erlauben kann, weitverbreitet?
Ich hoffe es nicht.

Und was sagt Ihre Erfahrung?
Mein Bauchgefühl sagt leider das Gegenteil: Denken Sie nur an den Bau der Autobahn A9 im Wallis, die Covid-Missbrauchs­fälle oder das Dossier, bei dem ein SBB-Angestellter Geld veruntreute und sich einen Swimmingpool bauen liess … Ich glaube, das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Ihr Berufsleben hat nicht gereicht, um das zu verhindern?
Genau. Deswegen gehe ich ungern in Pension. Ich habe meine Aufgabe nicht zu Ende geführt.

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