Briefing aus Bern

Neue Quarantäne-Regeln, erste Schritte zur Umsetzung der Pflege­initiative – und Masken-Vorbild Armee

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (174).

Von Reto Aschwanden, Priscilla Imboden und Cinzia Venafro, 13.01.2022

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Eine neue Wort­kreation geistert seit Dienstag durch die Schweiz: die «Super­infektions­woche». Laut Tanja Stadler, der Präsidentin der wissenschaftlichen Taskforce, soll sie noch im Januar auf uns zukommen: «Während des Höhepunkts werden sich in einer einzigen Woche 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung anstecken.»

Was heisst dies für die Auslastung der Spitäler – den wichtigsten Wert der Pandemie­bewältigung? Gesundheits­minister Alain Berset betonte gestern vor den Medien, die zuständigen Regierungs­räte in den Kantonen würden sich diesbezüglich wenig Sorgen machen. Wie sich abzeichne, würden zunehmend Leute statt auf der Intensiv­station in Akut­betten landen. Und da sei die Situation eine ganz andere.

Die Modelle der Taskforce gehen im besten Fall von 1500 Spital­einweisungen pro Woche und etwa 80 zusätzlich benötigten Intensiv­pflege­plätzen aus. Im schlechtesten Fall rechnet die Taskforce mit 10’000 Spital­einweisungen und 300 zusätzlichen Intensiv­pflege-Patientinnen wöchentlich. Es wäre der höchste Wert seit Pandemie­beginn.

Aber eben: Das eine sind wissenschaftliche Modelle, das andere ist Politik. Gestern traf sich der Bundesrat nach fast einem Monat zum ersten Mal wieder zu einer Sitzung. Bei der anschliessenden Medien­konferenz wünschte Bundes­präsident Ignazio Cassis erst mal ein «frohes Neues».

Neues hatten Cassis und Gesundheits­­minister Alain Berset denn auch zu verkünden:

  • Der Bundesrat verkürzt ab heute die Dauer von Isolation und Quarantäne auf 5 Tage. Bedingung: 48 Stunden keine Symptome. Zudem müssen nur noch Leute in Quarantäne, die mit einer «positiv getesteten Person im selben Haushalt leben oder in ähnlicher Weise regel­mässigen und engen Kontakt hatten».

  • Zudem will der Bundesrat die aktuellen Massnahmen wie 2G, 2G+ und die Homeoffice-Pflicht bis Ende März verlängern. Dazu sollen sich die Kantone bis zum nächsten Montag äussern. Genauso wie zum Vorschlag, das Impfzertifikat auf 9 Monate (aktuell ein Jahr) zu beschränken.

Weitere Themen, die zur Konsultation an die Kantone gehen:

  • eine Anpassung der Test­strategie aufgrund der starken Auslastung der Labors;

  • ein Verbot des Präsenz­unterrichts an den Universitäten;

  • die Kapazität im Bereich der Akutbetten;

  • die komplette Aufhebung der Quarantäne;

  • eine Ausweitung der Masken­pflicht im öffentlichen Raum.

Die Verkürzung von Isolation und Quarantäne liess im Medien­zentrum in Bern die Frage aufkommen, ob es dabei am Ende ums Portemonnaie gehe. Schliesslich muss der Bund dadurch weniger Erwerbs­ersatz zahlen.

Ignazio Cassis bemühte als Arzt unter den Bundes­räten als Antwort einen Vergleich aus seinem Fachgebiet: «Es ist wie bei einem Medikament: Eine zu niedrige Dosis wirkt nicht und eine zu starke tötet den Patienten.» Der Bundesrat habe zwischen Wirkung und unerwünschten Neben­wirkungen entschieden. Vehement verwahrte sich Ignazio Cassis gegen den Vorwurf, momentan laufe eine Durchseuchung: «Das ist überhaupt nicht unsere Strategie. Sonst hätten wir keine 2G- oder 3G-Regel oder keine Masken­pflicht.»

Gesundheits­minister Berset betonte, Omikron sei sehr ansteckend, aber weniger gefährlich. «Kein Grund zur Entwarnung, kein Grund für Alarmismus.» Vielleicht sei Omikron «der Anfang vom Ende, vielleicht wird aus der Pandemie eine Endemie».

Und so blickt Berset – trotz drohender «Super­infektions­woche» – vorsichtig optimistisch in die Zukunft: Es gebe in der Bevölkerung eine hohe Immunitäts­rate, und in der Tendenz werde eine Mutation immer weniger gefährlich: «Das ist einfach Darwinismus, wenn man das so sagen kann.»

Und damit zum Briefing aus Bern.

Europa­politik: Eile mit Weile

Worum es geht: Der Bundesrat hat an der ersten Sitzung dieses Jahres die Europa­politik erörtert, Aufträge erteilt und will an einer nächsten Sitzung die EU-Agenda besprechen, wie Bundes­präsident Ignazio Cassis gestern vor den Medien sagte. Derweil machen Parlamentarier und Kantone Druck. Die Aussen­politische Kommission diskutierte diese Woche ein Verhandlungs­modell von FDP-National­rat Hans-Peter Portmann. Sein Vorschlag sei positiv aufgenommen worden und fliesse nun in die Arbeiten des Aussen­departements ein, sagt Portmann. Der Zürcher Kantons­rat hat dem Regierungs­rat den Auftrag erteilt, dem Bundesrat in der Europa­politik Dampf zu machen. Konkrete Vorschläge kommen zudem von Parteien und Verbänden. Die SP wirbt mit einer europa­politischen Roadmap und ebenso der Verein «Die Schweiz in Europa», der die offenen Fragen im Rahmen der einzelnen bestehenden Abkommen klären möchte.

Warum das wichtig ist: Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind blockiert, seit der Bundesrat die Verhandlungen um das EU-Rahmen­abkommen beendet hat, ohne eine Alternative zu präsentieren. Nach einem bilateralen Treffen mit Aussen­minister Ignazio Cassis erklärte der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, er erwarte in der zweiten Januar­hälfte Vorschläge, wie die Schweiz die strittigen Punkte Streit­schlichtung, dynamische Rechts­übernahme sowie regel­mässige Kohäsions­zahlungen lösen möchte.

Wie es weitergeht: Derzeit suchen die Schweiz und die EU ein Datum für ein Treffen. Die Schweiz hat es nicht eilig, da sie noch keinen überzeugenden Vorschlag hat. Laut Hans-Peter Portmann, Vize­präsident der Aussen­politischen Kommission, will die Schweiz der EU vorschlagen, die strittigen Punkte in den einzelnen bilateralen Verträgen zu lösen statt mit einer Art Dach­vertrag wie dem Rahmen­abkommen. Die Krux ist, dass die EU ähnliche Vorschläge aus der Schweiz bisher abgelehnt hat. Mitte-Präsident Gerhard Pfister erinnerte am diesjährigen Dreikönigs-Medien­anlass seiner Partei daran, wer bei aussen­politischen Fragen in der Verantwortung steht: «Der Ball liegt beim Bundesrat.»

Pflegeinitiative: Ausbildungs­offensive soll rasch umgesetzt werden

Worum es geht: Die Landes­regierung will die im November 2021 mit grosser Mehrheit angenommene Pflege­initiative in zwei Etappen umsetzen. Die Vorschläge für eine Ausbildungs­offensive und die direkte Abrechnung werden «rasch und ohne erneute Vernehmlassung wieder­aufgenommen». Diese Punkte waren zentral im breit abgestützten indirekten Gegen­vorschlag aus dem Parlament und wären sofort in Kraft getreten, hätte die Initiative an der Urne Schiff­bruch erlitten.

Warum Sie das wissen müssen: Der Bedarf an mehr diplomierten Pflege­fachpersonen ist unbestritten. Denn der Anteil älterer Personen an der Gesamt­bevölkerung wird stetig zunehmen, und damit auch die Nachfrage nach professioneller Pflege und Unter­stützung. Bereits vor der Pandemie war der Handlungs­bedarf gross. Zudem haben seit Ausbruch der Pandemie 10 bis 15 Prozent aller Intensiv­pflege­­fachpersonen gekündigt. Auch in den anderen Pflege­fachbereichen ist die Fluktuation des Personals teilweise gross.

Wie es weitergeht: Der Bundesrat hat das Innen­departement beauftragt, den bestehenden Gesetzes­entwurf wieder­aufzunehmen und daraus eine Botschaft auszuarbeiten. In einer zweiten Etappe sollen dann die Gesetzes­änderungen für die Forderungen nach «anforderungs­gerechten Arbeits­bedingungen» sowie jene für «angemessene Abgeltung der Pflege­leistungen» angegangen werden. Weil dabei viele Stellen von Kantonen über Sozial­partner und Leistungs­erbringer bis zu verschiedenen Bundes­ämtern einbezogen werden müssen, dürfte das eine Weile dauern.

Häusliche Gewalt: Ausländische Opfer sollen nicht abgeschoben werden

Worum es geht: Ausländerinnen sollen besser vor dem Verlust ihrer Aufenthalts­bewilligung geschützt werden, wenn sie Opfer von häuslicher Gewalt werden. Derzeit sieht das Gesetz zwar vor, dass Opfer, die ihren gewalt­tätigen Partner verlassen, Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthalts­bewilligung haben. «Es obliegt jedoch dem Opfer, zu beweisen, dass diese Gewalt begangen wurde und von gewisser Dauer und Schwere war», schreibt die Staats­­politische Kommission des Stände­rats in einer Mitteilung. Sie findet deshalb, «dass die Schwelle für den Nachweis häuslicher Gewalt gesenkt werden muss».

Warum Sie das wissen müssen: Alle zwei Wochen stirbt eine Person in der Schweiz infolge häuslicher Gewalt. Zusätzlich kommt es jede Woche zu einem Tötungs­versuch. Laut dem Eidgenössischen Büro für die Gleich­stellung von Frau und Mann ist Gewalt zu Hause zwar in allen Bevölkerungs­schichten verbreitet, es bestehe jedoch «ein überproportionaler Anteil von Fällen bei Personen mit Migrations­hintergrund». Es kommt immer wieder vor, dass namentlich Frauen aus Angst vor einem Verlust ihrer Aufenthalts­bewilligung bei ihrem gewalt­tätigen Partner bleiben.

Wie es weitergeht: Eingereicht hatte diese parlamentarische Initiative die Staats­politische Kommission des National­rats. In der Schwester­kommission des Ständerats fand sich dafür nun mit 8 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen eine komfortable Mehrheit. Als Nächstes wird sich der National­rat der ausländischen Opfer häuslicher Gewalt annehmen. Interessant wird dabei das Abstimmungs­verhalten der SVP sein. Die grösste Partei des Landes behauptet immer wieder, dass «ausländische Täter aus frauen­­verachtenden Kulturen» überproportional für Gewalt gegen Frauen verantwortlich seien.

Konzern-Diplomatie: Kommission will Bund Sponsoring verbieten

Worum es geht: Die Staats­politische Kommission des Stände­rats will dem Bund verbieten, sich von Privaten «Aktivitäten, Publikationen oder Veranstaltungen wie die Welt­ausstellung sponsern zu lassen». Auch wenn die Verwaltung – speziell erwähnt werden das Aussen- und das Verteidigungs­departement – Anstrengungen unternommen habe, um «zweifelhafte Situationen» künftig zu vermeiden, reiche dies nicht aus, um die Verfilzung zwischen Staat und privaten Unter­nehmen zu unterbinden.

Warum Sie das wissen müssen: 2019 war der Aufschrei gross – und die Blamage des Aussen­departements (EDA) und seines Vorstehers Ignazio Cassis noch grösser. Damals liess sich die Schweiz die Eröffnung der neuen Botschaft in Moskau vom Tabak­­konzern Philip Morris sponsern. Wie die Republik publik machte, bot die Schweiz dabei «nicht nur Image­­transfer, sondern auch politische Unter­stützung» an. In einem anderen Fall versprach das EDA den Sponsoren des Schweizer Auftritts an der Welt­ausstellung 2020 in Dubai die «Assoziation ihres Images mit jenem der offiziellen Schweiz». Nun will der als Urheber der erfolg­reichen «Abzocker­initiative» bekannte Ständerat Thomas Minder mit einer parlamentarischen Initiative diese Praxis verbieten.

Wie es weitergeht: Das Verbot kommt nun in die national­rätliche Schwester­kommission und dann in beide Räte. Dort eine Mehrheit zu finden, wird schwierig: Bereits in der Staats­politischen Kommission des Stände­rats brauchte es bei 5 zu 5 Stimmen und 2 Enthaltungen den Stich­entscheid des grünen Kommissions­präsidenten Mathias Zopfi.

Maskenorder der Woche

Wir haben eine Gemeinsamkeit zwischen der Republik und der Schweizer Armee entdeckt. Nein, nicht die Kommando­struktur. Sondern: Hier wie dort ist in Innen­räumen seit Anfang Jahr das Tragen von FFP2-Masken obligatorisch. In der Armee hat diese Massnahme Ober­feldarzt Andreas Stettbacher verfügt, denn er traut den Soldaten mehr zu als der Bundesrat der Zivil­bevölkerung. Gesundheits­minister Alain Berset findet nämlich, FFP2-Masken böten im Alltag kaum zusätzlich Schutz, weil sie «nicht immer korrekt getragen werden». Nur konsequent kommentierte Bersets Departement die Masken­order des Militärs schmal­lippig und mit erhobenem Zeige­finger: «Wir gehen davon aus, dass die Armee­angehörigen im korrekten Gebrauch der Masken instruiert werden.» Das bringt uns auf eine Idee: Da derzeit gerade wieder Armee­­angehörige im Corona-Aktiv­dienst stehen und weil so eine Uniform eine gewisse Autorität ausstrahlt, könnten doch Soldaten den Bürgern Nachhilfe geben, die ihre Masken im Alltag noch immer nicht korrekt tragen. Das wäre mal ein sinnvoller Einsatz zur Landes­verteidigung.

Illustration: Till Lauer

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