Humane Ressourcen

«HR» steht nicht für «höchst­richterlich»

Stellensuchende sehen in Personal­verantwortlichen oft eine fast gottgleiche Instanz, die über richtig und falsch entscheidet. Dabei gibt es durchaus Spielraum für Individualität. «Humane Ressourcen», Folge 5.

Von Reto Hunziker (Text) und AHAOK (Illustration), 18.05.2021

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:

In Monty Pythons Ritterfilm-Parodie «Die Ritter der Kokos­nuss» haben die Ehren­männer der Tafel­runde die Brücke des Todes zu überwinden, die von einem Greis bewacht wird. Dieser, so viel wissen sie, stellt drei Fragen: Wer alle richtig beantwortet, kann passieren, wer einmal patzt, stirbt. Der mutige Sir Lancelot geht vor, beantwortet die drei Fragen – Name? Auftrag? Lieblings­farbe? – und spaziert über die Brücke. Sir Galahad, von der Einfach­heit der Aufgabe ermutigt, will es ihm nachmachen. Bei der Lieblings­farbe sagt er aber Blau (wie Lancelot), bemerkt im selben Moment, dass er nur seinem Vorgänger nach­plappert und dies gar nicht seine Lieblings­farbe ist – und stirbt einen eher komischen als tragischen Tod.

Hätte Sir Galahad besonnen und vor allem aufrichtig geantwortet, wäre der Durchgang frei gewesen. Doch seine Angst, es dem Wächter nicht recht und damit etwas falsch zu machen, stand ihm im Weg.

Ja, das ist meine Analogie zum Bewerbungs­prozess.

Stellensuchende vertrauen oft nicht auf die eigene Fähigkeit, eine zu ihnen passende, überzeugende Bewerbung zu verfassen. Zu fest fokussieren sie darauf, wie es ankommen könnte: «Wie findet das denn der HR-Mensch, wenn ich so schreibe, wie ich spreche?», «Den Brief gestalten? Darf man das überhaupt?», «Kommt das nicht über­heblich rüber, wenn mein Bild grösser ist als ein Passfoto?», «Muss ich nicht ‹Sehr geehrte› schreiben?», «Wie lange darf mein CV sein?» – das sind Fragen, die ich immer wieder höre.

Verständlicherweise. Sie stehen für die Unsicherheit, mit denen Stellen­suchende zwangs­läufig zu kämpfen haben. Alle haben sie schon unzählige Meinungen dazu gehört, wie eine perfekte Bewerbung auszusehen hat. Unter­schiedliche, teilweise auseinander­gehende Meinungen natürlich. Und viele davon stammten aus HR-Abteilungen.

Branchen funktionieren unterschiedlich

Es ist absolut nachvollziehbar, wenn Bewerbende Angst davor haben, etwas falsch zu machen. Schliesslich geht es oft um ihre Existenz. Zwei Irrtümer hängen ihnen dabei jedoch wie Klötze an den Beinen. Die Annahme, es gebe einen einzigen richtigen Weg; und die Vorstellung vom HR-Menschen, der begutachtet und richtet, ob es recht gemacht ist. Damit unter­schätzen sie sowohl die Komplexität des Unter­fangens – wie viele Faktoren zusammen­spielen müssen, damit ein Bewerbungs­prozess mit einer Anstellung gekrönt wird – als auch jene der HR-Welt.

Zur Serie «Humane Ressourcen»

Wie liesse sich der Bewerbungs­prozess entstauben? Die Job­vermittlung auf dem Arbeits­amt weniger bürokratisch gestalten? Der Stellen­suche ihr Schrecken nehmen? Jobcoach Reto Hunziker geht in zehn Beiträgen der Frage nach, welche Fehler die verschiedenen Beteiligten – Firmen, Bewerberinnen, Ämter – immer wieder machen und wie ein humaner Stellen­markt funktionieren könnte. Hier finden Sie den Auftakt mit den grund­­legenden Fragen.

Ihre Inputs nimmt Reto Hunziker gerne auf. Was haben Sie auf dem Stellen­markt erlebt? Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie konfrontiert? Welche Fragen stellen Sie sich? Schreiben Sie es ins Dialogforum.

Ein einheitliches Heer aus geeichten HR-Fachleuten, quasi einen HR-Leviathan, kann es nur schon darum nicht geben, weil Branchen unter­schiedlich funktionieren. Zudem ticken Konzerne anders als KMU, jede Firma hat eine eigene Kultur und jedes Individuum eigene Präferenzen.

Der HR-Verantwortliche in einer Grossbank legt andere Anforderungen an eine Bewerbung als der HR-Verantwortliche eines Spitals. Die Chefin einer inhaber­geführten Agentur (ohne HR-Angestellte) nochmals andere. Es gibt Recruiter, die zuerst das CV anschauen, aber auch solche, die zuerst das Schreiben lesen. Gewisse ziehen einseitige Lebens­läufe vor, andere ausführlichere. «Es geistern unzählige Meinungen herum», sagt ein HR-Verantwortlicher im Technik­bereich, «was für den einen stimmt, stimmt für die andere nicht.»

Auch wenn es vieles vereinfachen würde: So wenig wie den HR-Menschen gibt es die Bewerbungs­expertin, den RAV-PB, den Jobcoach oder die Stellen­suchende. Also kann es auch keinen «einzig wahren Weg» geben. Wir kommen in einem Bewerbungs­prozess nicht darum herum, ein Risiko einzugehen.

Weder wissen wir noch können wir beeinflussen, wer unsere Bewerbung in die Finger bekommt. HR-Fachperson, CEO oder Sach­bearbeiter. Fest steht, dass diese Person eine Auswahl treffen muss und so darüber entscheidet, ob eine Kandidatin weiter­kommt im Rennen um eine Stelle oder nicht. Sicherlich gibt es Muster, aber selbst wenn unter­schiedliche Personen ähnliche Muster anwenden, ergibt das schnell unter­schiedliche Heran­gehensweisen.

Meist ist wenig Zeit vorhanden

Weithin gültig ist eines – und das setzt die Grenzen: Meist ist wenig Zeit vorhanden. Weil jede Menge Bewerbungen eingetroffen sind. Die Entscheidungs­trägerinnen möchten darum möglichst rasch eruieren, warum sie sich das vorliegende Dossier genauer anschauen sollen. Auf möglichst einen Blick sollen sie erfassen können, wo eine Person gearbeitet hat, welche Aus- und Weiter­bildung sie gemacht hat, was ihre Stärken sind. Stellen­suchende, die das gewähr­leisten können, sind im Prinzip schon mal auf der sicheren Seite.

«Weckt das CV irgendwie mein Interesse, wird alles andere sekundär», sagt ein (sic!) HR-Experte. «Niemandem, der sonst vom Profil her passt, wird abgesagt, nur weil sein Lebens­lauf vier statt drei Seiten lang ist.» Auch das ist nicht allgemein­gültig, aber vielleicht beruhigend.

Ein paar No-Gos existieren: Unübersicht­lichkeit, keine Struktur, respekt­loser Ton, viele Fehler, unvollständiges Dossier, wider­sprüchliche oder dubiose Angaben. Alles Dinge, die wir wahrscheinlich selber nicht gerne sehen. Was wieder zeigt: Wir wüssten es doch selbst. Es ist darum keine schlechte Strategie, sich in die Position des Betrachters zu versetzen und sich zu fragen: Was würde ich mir für eine Bewerbung wünschen?

Vielleicht eine möglichst spannende, die mich über eine Person informiert, die ich noch nie gesehen habe. Die mir diese Person näher­bringt, ihre Vorzüge kommuniziert und mir zeigt, dass sie einzigartig ist. Und kompetent. Und motiviert. Mit Vorteil so, dass ich auch im Gespräch den Eindruck habe, ich hätte dieselbe Person vor mir. Im Grunde keine Hexerei. Um einen weiteren HR-Menschen zu zitieren: «Es gibt keine Alter­native zu Authentizität.»

Übrigens: Als König Arthur vor dem Wächter der Todes­brücke steht, fragt ihn dieser: «Was ist die Flug­geschwindigkeit einer unbeladenen Schwalbe?» «Afrikanische oder europäische Schwalbe?», will Arthur wissen. Der Greis ist überfragt und stürzt selbst in die Schlucht. Auch die vermeintlichen Hüter einer (vermeintlichen) Weisheit sind nur Menschen.

Mehr Mut zur eigenen Bewerbung: Das könnte helfen

1. Gesundes Misstrauen: Behauptet jemand «So bewirbt man sich und nicht anders» – seien Sie skeptisch. Hinter­fragen Sie Ratschläge (ja, auch diesen), und werten Sie für sich aus.

2. Zielgruppe kennen: Je besser Sie Ihre Adressaten kennen, desto besser können Sie beurteilen, was Sie gemeinsam haben. Setzen Sie darauf, aber verbiegen Sie sich nicht. Alles und allem entsprechen zu können, ist eine Illusion.

3. Memento tombola: Sie können nicht voraus­sagen, worauf Ihr Gegen­über Wert legt. Darum: Ziehen Sie alle Register und holen Sie aus jedem Bestand­teil der Bewerbung (Schreiben, CV, Zeugnisse) das Beste heraus.

Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob die Republik etwas für Sie ist? Dann testen Sie uns! Für 21 Tage, kostenlos und unverbindlich: