Schuldsprüche für Klimaaktivisten hier, Freisprüche dort
Mehrere Frauen und Männer sind am Freitag in Zürich wegen eines Protests am CS-Hauptsitz schuldig gesprochen worden. Ganz anders wurde eine ähnliche Aktion in Basel beurteilt.
Von Brigitte Hürlimann, 14.05.2021
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Es geschah an einem Montagmorgen, zeitgleich in Basel und in Zürich.
In der Stadt am Rheinknie blockierten am 8. Juli 2019 Klimaaktivistinnen den Haupteingang zur UBS am Aeschenplatz. Mehrere Dutzend Leute wurden verhaftet, die Staatsanwaltschaft erliess Strafbefehle – und die Beschuldigten verlangten eine gerichtliche Überprüfung. Sie akzeptierten die Strafbefehle nicht, mit denen sie schuldig gesprochen worden wären.
Gleichentags in Zürich: 64 Frauen und Männer brachten sich am frühen Morgen vor dem Hauptsitz der CS am Paradeplatz in Stellung; in weissen Overalls, mit Pflanzenkübeln und Velos, an die sie sich teilweise ketteten. Sie blockierten den Haupteingang sowie mehrere Nebeneingänge und skandierten Parolen. So zum Beispiel: «Fossil banks too big to stay.»
Das Basler Urteil …
Beide Aktionen blieben gewaltfrei. In einer ersten Prozessrunde beurteilte das Strafgericht Basel-Stadt im Januar exemplarisch die Vorwürfe gegen fünf Aktivistinnen, die sich gegen die Strafbefehle gewehrt hatten – diese Urteile sind gefällt und inzwischen rechtskräftig geworden.
Einzelrichterin Susanne Nese vom Strafgericht Basel-Stadt sprach sämtliche fünf Beschuldigten frei. Sie taxiert die Aktion als ein friedliches und kreatives Happening. Einige UBS-Mitarbeiter hätten einen kleinen Umweg in Kauf nehmen müssen, seien aber in ihrer Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt worden. Die Aktion sei nicht von strafrechtlicher Relevanz gewesen. Klima schützen sei kein Verbrechen – die Freisprüche, so die Richterin, dürften jedoch nicht als Freipass für militante Aktionen verstanden werden.
Was im Basler Fall bemerkenswert ist: Die UBS hatte vor dem Strafprozess ihre Strafanzeige zurückgezogen sowie Desinteresse erklärt, was die Offizialdelikte betrifft. Thema der Strafuntersuchung waren die Tatbestände Nötigung, Land- und Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Zusammenrottung.
… und der jüngste Entscheid aus Zürich
Ganz anders nun die strafrechtliche Aufarbeitung der zeitgleichen Zürcher Aktion; zumindest, was die erste Instanz betrifft. In der Stadt an der Limmat hatte die Staatsanwaltschaft 42 Strafbefehle ausgestellt. Neun Betroffene akzeptierten diese nicht und riefen das Strafgericht an. Acht von ihnen wurde Nötigung und Hausfriedensbruch vorgeworfen, dem neunten Beschuldigten nur Nötigung.
Die CS trat vor dem Bezirksgericht Zürich als Privatklägerin auf und verlangte Schuldsprüche im Sinne der Anklage – sie wollte weder ihre Strafanträge zurückziehen noch Desinteressenserklärungen abgeben, verzichtete hingegen darauf, Schadenersatz geltend zu machen.
Einzelrichter Marius Weder hatte die Klimaaktion am Paradeplatz zu überprüfen. Er verurteilte am Freitagnachmittag alle neun Beschuldigten wegen Nötigung und acht von ihnen zusätzlich wegen Hausfriedensbruchs. Diese acht Aktivistinnen werden zu bedingten Geldstrafen von 40 Tagessätzen à 10 Franken verurteilt, der neunte von ihnen zu 30 Tagessätzen à 10 Franken. Von einer zusätzlichen Busse sah der Richter ab, dafür gebe es «keine Veranlassung».
Er fällt damit deutlich mildere Strafen, als Staatsanwalt Daniel Kloiber am ersten Prozesstag gefordert hatte – nämlich 90 Tagessätze à 30 Franken. Dieser Antrag erstaunt umso mehr, als der Staatsanwalt in seinen Strafbefehlen noch 60 Tagessätze à 30 Franken als angemessen erachtet hatte. Für jene neun, die seine Entscheide nicht akzeptierten, erhöhte er den Strafantrag also flugs um ein Drittel – kombiniert mit einer Busse von 500 Franken.
«Zweifellos ein ehrenwerter Zweck»
Die Klimaaktivistinnen wollen die Schuldsprüche des Bezirksgerichts Zürich vor Obergericht ziehen; das liessen sie unmittelbar nach der Urteilseröffnung noch im Gerichtssaal verlauten. Die Konsternation über das erstinstanzliche Verdikt war ihnen deutlich anzusehen. Es handelt sich bei ihnen um junge, nicht vorbestrafte Leute aus der Westschweiz und aus Bern, die meisten von ihnen sind Studentinnen.
«Sie haben mit Ihren Taten gegen das Strafgesetz verstossen», liess sie der Zürcher Richter wissen. «Sie haben zwar zweifellos einen ehrenwerten Zweck verfolgt, aber das falsche Mittel gewählt. Man darf protestieren und auf den Klimawandel aufmerksam machen, das ist ein absolut berechtigtes Interesse. Man muss es aber so machen, dass nicht gegen das Gesetz verstossen wird.»
Für den Richter ist klar, dass die Zürcher Aktion eine Nötigung war, auch wenn keine Gewalt angewendet wurde. Mitarbeiter und Kundinnen seien abgeschreckt und damit in relevanter Weise in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt worden: «Niemand will über Aktivisten klettern müssen. Und die Betroffenen wussten ja nicht, ob die Aktion gewaltlos verlaufen würde.»
Die Regeln im demokratischen Rechtsstaat
Einzelrichter Marius Weder verneint zudem das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds. Das bedeutet: Seiner Meinung nach lag weder ein Notstand vor noch galt es, berechtigte Interessen zu wahren.
Für einen Notstand habe es an einer konkreten Gefahr für konkrete Personen gefehlt. Kollektive Rechtsgüter dürften nicht geltend gemacht werden. Für den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der «Wahrung berechtigter Interessen» mangle es an der Subsidiarität: «Sie hätten ihre Aktion problemlos auf einem öffentlichen Platz durchführen können, ohne in die Rechte der CS eingreifen zu müssen.»
In einem demokratischen Rechtsstaat, so der Zürcher Richter, müsse man sich gesetzeskonform verhalten. Illegale Aktionen seien gar nicht nötig, das zeige die Klimabewegung mit ihren zahlreichen legalen Grossaktionen und Protesten.
Zufriedene Gesichter bei den Rechtsvertretern der CS, die am Prozess mehrfach ihr Verständnis für die Klimaproteste geäussert hatten. Oder davon sprachen, die Bank anerkenne ihre Mitverantwortung und habe ihr Engagement für mehr Klimaschutz ausgeweitet. Die Anwälte wählten ihre Worte mit Bedacht, wollten offensichtlich nicht noch mehr Öl ins Feuer giessen.
Ganz anders Staatsanwalt Kloiber: «Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen», begann er sein Plädoyer, um danach von einem «bestens vorbereiteten Mob», einer «Schmierenkomödie», von «Selbstjustiz» oder einer «billigen Effekthascherei» zu reden. Wer es mit den Anliegen ernst meine, so der Staatsanwalt, solle diese gefälligst in den politischen Prozess einbringen.
Das Argumentarium der Verteidigung
Die neun Verteidigerinnen der Beschuldigten wiederum hatten eine ganze Salve an Argumenten vorgebracht, um entweder die Einstellung der Strafverfahren oder aber Freisprüche zu erwirken. Sie sagten:
Die Anklageschrift sei ungenügend, weil bei einem unveränderten Sachverhalt und bei einer unveränderten rechtlichen Würdigung die Strafe um ein Drittel erhöht worden sei. Das sei eine Verletzung des Fairnessgebots. Ausserdem sei der Sachverhalt nur ungenügend abgeklärt worden. Es sei kein einziges Nötigungsopfer bekannt.
Die Untersuchung hätte von Anfang an vereint geführt werden müssen, mit den Teilnahmerechten der Beschuldigten und mit Konfrontationseinvernahmen.
Es liege kein Hausfriedensbruch vor, die Aktivistinnen seien nie in die Räumlichkeiten eingedrungen, sondern hätten sich bewusst draussen aufgehalten; an einem Ort, der ihrer Meinung nach öffentlich gewesen sei. Allenfalls handle es sich um einen Sachverhaltsirrtum.
Es sei auch nicht zu Nötigungen gekommen, denn der verfolgte Zweck der Aktion und das eingesetzte Mittel seien erlaubt gewesen. Niemand sei daran gehindert worden, das Gebäude zu betreten oder zu verlassen.
Weil es an einem Strafbedürfnis der Öffentlichkeit fehle, sei auf eine Strafe zu verzichten: «Es sitzen die Falschen auf der Anklagebank.»
Weitere Fälle in der Waadt und in Genf
Bleibt also abzuwarten, wie das Zürcher Obergericht die Aktion am Paradeplatz einstufen wird. Ebenfalls noch nicht rechtskräftig sind zwei weitere Fälle von Klimaprotesten aus der Waadt und aus Genf. Um es gleich vorwegzunehmen: Von einer einheitlichen Rechtsprechung kann bisher nicht die Rede sein.
Im Genfer Fall war ein Klimaaktivist von der zweiten Gerichtsinstanz freigesprochen worden, obwohl er die Fassade einer CS-Filiale verschmiert hatte. Die Berufungsrichter anerkannten einen rechtfertigenden Notstand; anders als die Vorinstanz, die einen Schuldspruch gefällt hatte.
Im Waadtländer Fall ist die Ausgangslage genau umgekehrt: Ein erstinstanzlicher Lausanner Richter hatte zwölf Aktivistinnen wegen Notstands freigesprochen, die in einer CS-Filiale Tennis gespielt hatten. Die Berufungsinstanz kippte die Freisprüche und verurteilte die Beschuldigten.
In einer früheren Fassung haben wir geschrieben, dass sich nur fünf Klimaaktivistinnen gegen die in Basel ausgefällten Strafbefehle gewehrt hatten. Das ist nicht korrekt, sämtliche Betroffenen haben gegen die Strafbefehle Einsprache erhoben. Wir entschuldigen uns für das Versehen.