Humane Ressourcen

Wie vertraut man einem Dobermann?

Die Atmosphäre auf Arbeits­ämtern ist von Misstrauen geprägt: Das müsste nicht sein. «Humane Ressourcen», Folge 4.

Von Reto Hunziker (Text) und AHAOK (Illustration), 11.05.2021

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«Mein RAV-Berater ist ein richtiger Dober­mann», sagte mir einmal ein Stellen­suchender. «Er wartet nur auf die Gelegenheit, zuzuschnappen.»

Das Statement ist ohne Seltenheits­wert: Das Verhältnis zwischen Arbeits­suchenden und Personal­beratenden auf den Regionalen Arbeits­vermittlungs­zentren (RAV) ist angespannt. Zwar gibt es durchaus Arbeits­suchende, die von tollen und verständnis­vollen Beratern schwärmen. Aber mindestens genauso viele sprechen von «Waden­beisserinnen» oder «Kontrolleuren» und klagen über Ignoranz, Unvermögen und fehlende Flexibilität.

Im Netz finden sich auf Anhieb zahlreiche Artikel, in denen sich Arbeits­lose über unhaltbare Zustände auf dem RAV auslassen. Auch im Dialog­forum zum vorletzten Beitrag dieser Serie wurde Frust über die Arbeits­ämter laut. «Von Unter­stützung war nichts zu spüren», schreibt eine Kommentatorin. Eine andere sieht RAV-Mitarbeiterinnen als «besondere Spezies von Bürokratinnen, die ihre Befriedigung darin finden, Betrügerinnen und Faulenzerinnen aufzuspüren und ihnen mit mahnendem Zeige­finger Strafe anzudrohen».

Weitere Vorwürfe: Die RAV-Personal­berater hätten weder Sachwissen noch Zeit, seien unfreundlich, oberflächlich und bestraften ihre Klientinnen bei der kleinsten Kritik oder Unregel­mässigkeit, indem sie Taggelder streichen.

Woher das Misstrauen kommt

Diese Darstellung ist einseitig und mit Sicherheit viel zu stark vereinfacht. Nicht nur gibt es kantonale Unter­schiede, auch agieren die einzelnen Arbeits­ämter nicht deckungs­gleich; und am Ende hat jeder Personal­berater einen gewissen Handlungs- und Inter­pretations­spielraum.

Zur Serie «Humane Ressourcen»

Wie liesse sich der Bewerbungs­prozess entstauben? Die Job­vermittlung auf dem Arbeits­amt weniger bürokratisch gestalten? Der Stellen­suche ihr Schrecken nehmen? Jobcoach Reto Hunziker geht in zehn Beiträgen der Frage nach, welche Fehler die verschiedenen Beteiligten – Firmen, Bewerberinnen, Ämter – immer wieder machen und wie ein humaner Stellen­markt funktionieren könnte. Hier finden Sie den Auftakt mit den grund­legenden Fragen.

Ihre Inputs nimmt Reto Hunziker gerne auf. Was haben Sie auf dem Stellen­markt erlebt? Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie konfrontiert? Welche Fragen stellen Sie sich? Schreiben Sie es ins Dialogforum.

Und doch muss man feststellen: Sehr oft herrscht Misstrauen zwischen Stellen­suchenden und RAV-Mitarbeiterinnen. Das erschwert einen konstruktiven Austausch. Und läuft so dem Ziel zuwider, einen neuen Job zu finden.

Zu einem beträchtlichen Teil ist dies system­immanent: Die Arbeits­ämter übernehmen sowohl die Beratung der Stellen­suchenden als auch die Kontrolle von deren Arbeits­bemühungen. In diesem Spannungs­feld betreuen RAV-Personal­berater teils bis zu 150 Klientinnen – wie soll da überhaupt eine Beziehung entstehen?

Hinzu kommt, dass auf dem Arbeitsamt unter­schiedliche Rollen und Bedürfnisse aufeinander­prallen. Während sich Stellen­suchende tendenziell eine nachhaltige und sowohl finanziell als auch inhaltlich befriedigende Joblösung wünschen, sind die Beraterinnen auf eine möglichst rasche Reintegration in den Arbeits­markt getrimmt, sie denken und handeln insofern eher kurzfristig. Da kommt es zwangsläufig zu Konflikten. Berater verdächtigen Arbeitslose, nicht hartnäckig genug nach einem Job zu suchen; Stellen­suchende erhalten umgekehrt den Eindruck, dass wegen ein paar wenigen, die faul sind oder tricksen wollen, beim RAV alle unter General­verdacht gestellt werden.

Was tun?

Chillt mal, Arbeitsämter

Eine ehemalige RAV-Beraterin, die mehr als fünfzehn Jahre lang als solche tätig war, sagt: «Die Strategie, Stellen­suchende möglichst rasch zu vermitteln, damit sie möglichst wenig Kosten verursachen, ist nachvollziehbar. Der damit einher­gehende Druck jedoch wirkt sich kontra­produktiv aus. Arbeitslose, die dazu gedrängt werden, möglichst schnell einen Job anzunehmen, sind oft nach einem Jahr wieder beim RAV – gerade Geringqualifizierte.»

Dazu muss man wissen: Nicht nur von den Stellen­suchenden werden Bemühungen verlangt – sondern auch von den RAV-Personal­beratern. Ihre Arbeit wird anhand von sogenannten Wirkungs­indikatoren gemessen: Wie viele meiner Klientinnen werden wie schnell vermittelt? Wie viele werden ausgesteuert? Wer kommt wieder? «So entsteht eine Angst­kultur», sagt die ehemalige RAV-Mitarbeiterin. «Nicht nur haben die Stellen­suchenden Angst vor Konsequenzen, wenn sie nicht spuren. Auch die Personal­beraterinnen stehen unter Erfolgs­druck. Und leiten diesen unter Umständen weiter.»

Statt eine pauschale Wieder­eingliederungs­strategie zu verfolgen, wäre es sinnvoller, individuell auf die Klienten einzugehen und auf Qualifizierung zu setzen. Auch sei beim Einstellen der Beraterinnen die Sozial­kompetenz stärker zu berücksichtigen, findet die ehemalige RAV-Mitarbeiterin. Wer beim Arbeitsamt arbeite, müsse engagiert sein sowie überzeugt vom Gedanken: Wir sind Arbeits­markt­spezialistinnen, informieren und helfen. «Ein Berater muss realistisch sein, aber auch Möglich­keiten aufzeigen. Meist weiss aber der Stellen­suchende am besten, was ihn weiterbringt», sagt sie.

Die RAV-Mitarbeitenden sind also gefordert: Trotz Zielvorgaben gilt es, jeder Klientin Vertrauen zu schenken. Und im Zweifels­fall darauf zu zählen, dass Arbeitslose von sich aus genügend motiviert sind, in die Arbeits­welt zurück­zukehren und einen Job zu finden, der auf Dauer zu ihnen passt.

Seid transparent, Stellen­suchende

Doch auch Stellen­suchende müssen einen Schritt auf ihr Gegenüber zugehen. Gemäss einer anderen RAV-Mitarbeiterin, die seit über fünf Jahren als Personal­beraterin tätig ist, haben sich die Arbeits­ämter in den letzten Jahren bemüht, Fortschritte zu machen: «Die RAV wollen ihr verstaubtes Image loswerden und investieren entsprechend.»

«Bissige Hunde» gebe es überall, sagt sie, doch insgesamt sei die Arbeit stark reglementiert: «Wir können nicht einfach wüten, wie wir wollen.» Die klaren Weisungen vom Staats­sekretariat für Wirtschaft gäben die Strategie vor. Und da gehe es nun mal primär um Integration und Existenz­sicherung und nicht um Selbst­verwirklichung und die Suche nach dem Traumjob. Sodass auch einem gelernten Elektro­mechaniker, der neu Richtung Marketing will, halt meist empfohlen wird, sich wieder als Elektro­mechaniker zu bewerben.

Trotzdem sei das Bestreben da, individueller auf die Stellen­suchenden einzugehen. «Das bedingt, dass die Stellen­suchenden offen kommunizieren – im Guten wie im Schlechten.» Das heisst: bei Problemen das Gespräch suchen; wenn die Chemie zwischen Berater und Stellen­suchendem nicht stimmt, einen Berater­wechsel beantragen; aber auch generell die Karten auf den Tisch legen – egal ob es um Burn-out, Quereinstieg oder Selbst­ständigkeit geht. «Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir beraten», so die RAV-Mitarbeiterin.

Und hier liegt wohl der springende Punkt: Eine gute Zusammen­arbeit basiert auf Vertrauen. Und damit dieses entstehen kann, braucht es gegenseitige Information. Stellen­suchende müssen RAV-Beratern ihre Situation offen darlegen. Und Beraterinnen müssen Suchende aufklären, dass sie ein Gesuch für Weiter­bildung einreichen oder auf Einarbeitungs­zuschüsse zählen können.

Es ist ein wenig so, als würde man einem Kind, das Angst davor hat, von einem Hund gebissen zu werden, raten, möglichst unverkrampft auf den Hund zuzugehen. Beide Parteien sind vorsichtig, zumal sie miteinander Negatives erlebt haben. Je verkrampfter der eine, desto vorsichtiger der andere – und umgekehrt. Doch damit sie zusammen funktionieren können, sind Unvorein­genommenheit, Offenheit und klare Signale nötig.

Tipps im Umgang mit RAV-Dobermännern

1. Seien Sie transparent. Teilen Sie Ihre Ängste, Sorgen und Wünsche – nur so kann Ihnen Ihre RAV-Personal­beraterin weiter­helfen. Und Sie merken schnell, ob Sie damit auf Resonanz oder Wider­stand stossen.

2. Fordern Sie Ihre Rechte ein. Wenn Sie merken, dass die Chemie zwischen Ihnen und der Beratungs­person nicht stimmt, dann sprechen Sie es an – und beantragen Sie einen Wechsel. Das steht Ihnen zu.

3. Schauen Sie sich nach alternativen Hilfen um. Sei es in einer arbeits­marktlichen Massnahme, einem intensiven Coaching oder einer Weiter­bildung – und fragen Sie, ob das RAV die Kosten dafür übernimmt oder sich daran beteiligt.

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