Warum der Transport von Waren aus China jetzt plötzlich viermal teurer ist
Von Ostasien durch den Suezkanal nach Europa: Der Warentransport über die Weltmeere kostet heute massiv mehr als vor einem Jahr. Woran das liegt und was die Folgen sind.
Von Philipp Albrecht, 03.05.2021
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Als die «Ever Given» im März den Suezkanal verstopfte, blickte die Welt belustigt, aber auch erstaunt auf das gigantische Containerschiff. Ein einziger Unfall im engsten Flaschenhals der Seefahrt genügte, um den globalen Warentransport beinahe zum Stillstand zu bringen.
Nach einer Woche war die Blockade gelöst – und Dutzende von Schiffen, die sich nördlich und südlich des Kanals gestaut hatten, konnten ihre Reise von Asien nach Europa (oder umgekehrt) fortsetzen.
Doch die freie Fahrt bedeutet nicht, dass alle Probleme beim Warenverkehr behoben wären. Im Gegenteil: Die Tarife für Containertransporte sind gerade historisch hoch.
Schuld daran ist nicht etwa die «Ever Given» oder die Enge des Suezkanals, sondern die Pandemie. Sie hat die schon länger bestehenden Schwächen im globalen Warentransport offengelegt.
Die Containerpreise sind explodiert
Die Welt der Reedereien und Spediteure ist geprägt von einem destruktiven Preiskampf und einer maroden Infrastruktur. Doch die Pandemie brachte eine unerwartete Wendung. Sichtbar wird die, wenn man die wichtigste Masseinheit dieser Branche anschaut: den Preis fürs Verladen und Verfrachten eines Schiffscontainers zwischen zwei internationalen Häfen.
Es gibt einen Index, der diesen Preis misst und ausgehend vom grössten Containerhafen der Welt standardisiert: den «Shanghai Containerized Freight Index». Letzten Winter haben sich die in diesem Index erfassten Preise innerhalb von nur 10 Wochen vervierfacht. Bezahlte man im Oktober 2020 für den Transport eines Standardcontainers von China nach Europa noch rund 1100 Dollar, kostete die gleiche Dienstleistung im Januar 2021 bereits 4400 Dollar. Seither blieb der Preis auf diesem Niveau relativ stabil. Expertinnen sprechen von einem Ereignis, wie es bestenfalls einmal pro Jahrzehnt vorkommt.
Aus China kommt vieles, was uns im Alltag begleitet: Smartphones, Spielkonsolen, Fahrräder – oder Lebensmittel wie Pilze, Knoblauch und Ingwer. Per Flugzeug oder auf Schienen transportiert wird nur der kleinste Teil der Ware: Rund 90 Prozent werden in Containern nach Europa verschifft.
Wiedererwachte Konsumlust
Der aktuelle Preisanstieg hat seinen Ursprung in Chinas Häfen. Als vor gut einem Jahr im Land das Virus ausbrach, wurde der Warentransport stark heruntergefahren. Viele Hafenangestellte mussten in Quarantäne. Der Ausfall konnte nicht durch zusätzliches Personal kompensiert werden.
Dann verbreitete sich das Virus über die ganze Welt. Es gab Lockdowns, der Konsum brach ein. Weil die chinesischen Häfen ohnehin mit reduzierter Kraft arbeiteten, war das für die Schiffsspediteure zunächst halb so schlimm. Denn die Produkte, die europäische und amerikanische Konsumentinnen zunehmend online bestellten, waren anfangs noch in Lagern vorrätig.
Doch im Spätsommer leerten sich die Lagerhäuser, während gleichzeitig die Konsumlust stieg. Vom heimischen Computer aus oder per Handy kauften die Leute im grossen Stil Velos, Möbel und Fitnessgeräte.
So legten die Importe von Konsumwaren etwa in den USA, dem für China wichtigsten Abnehmermarkt, massiv zu. Normalerweise kommen dort monatlich rund 1,8 Millionen Container an – so hoch lag der Durchschnittswert im Vorkrisenjahr 2019. Ab August 2020 lagen die monatlichen Importe deutlich darüber: bei rund 2,1 Millionen Containern.
Nachdem zu Beginn der Pandemie Flaute geherrscht hatte, erhielten Reedereien nun also viel mehr Aufträge, als sie abwickeln konnten. Dabei zeigte sich, dass die Container fehlten, um die bestellte Ware auszuliefern. Die Container standen auf der ganzen Welt verstreut herum: Viele waren an Häfen und in Warenlagern gestrandet und mussten zuerst nach China zurückgebracht werden. Wertvolle Wochen gingen so verloren.
Hinzu kamen reduzierte Verladekapazitäten. Denn das Virus grassierte weiter und verschonte auch das Hafenpersonal nicht. Das hatte direkte Folgen: Kann einer von vier Kränen nicht in Betrieb genommen werden, weil Kranführer in Quarantäne sind, fallen 25 Prozent der Kapazität weg. Zudem brachten die Schutzmassnahmen gegen das Virus die Arbeitspläne durcheinander. Vielerorts durften sich etwa die Schichten der Arbeiter nicht mehr überschneiden, um weitere Ansteckungen zu vermeiden.
Sind Flugzeuge eine Alternative?
Auf Flugzeuge umzusteigen, war für die Logistikerinnen nicht möglich. Denn rund die Hälfte der weltweiten Luftfracht wird auf Passagierflügen transportiert – auch davon gibt es pandemiebedingt nur sehr wenige. Neue Frachtflugzeuge lassen sich derweil nicht auf die Schnelle produzieren – und Kartons auf Sitze von Passagiermaschinen zu stapeln, so wie man es als Notmassnahme mit Gesichtsmasken gemacht hat, ist ineffizient und nur mit leichter Fracht möglich.
All diese Faktoren und Umstände führen dazu, dass sich schliesslich die Schiffe vor den grossen Häfen stauten, weitere Verzögerungen waren die Folge. Die Pünktlichkeit, bei Schiffstransporten ohnehin nicht besonders hoch, sank weiter. «Hatten wir im vergangenen Jahr im Februar eine Pünktlichkeit der Schiffe von 70 Prozent, so lag dieser Wert in diesem Februar gerade einmal bei 35 Prozent», sagte Detlef Trefzger, CEO des grössten Seefracht-Spediteurs Kühne + Nagel, Mitte April in einem Interview. «Die Wartezeit beträgt etwa vor den US-Häfen derzeit mehr als zwei Wochen. Diese Container wiederum fehlen der Industrie zur Verladung.»
Mit «US-Häfen» meint Trefzger vor allem jene zwei vor Los Angeles. Sie sind die grössten der USA, weil geografisch am nächsten zu China, und stehen deshalb unter besonderer Beobachtung. Zeitweise warteten dort vor der Küste 30 Schiffe darauf, gelöscht zu werden. Inzwischen hat sich die Situation wieder leicht entspannt: Letzte Woche zählte die Schlange noch 9 Schiffe.
Dass sich die Lage rasch normalisiert, ist allerdings nicht absehbar. Beim Gütertransportunternehmen Kühne + Nagel rechnet man mindestens bis Herbst mit dem aktuellen Preisniveau.
Dies dürfte sich auf die Preise im Laden auswirken. Bislang hatten die hohen Transportkosten auf die Endpreise kaum einen Einfluss, weil die Importeure und Händlerinnen davon ausgingen, dass die Frachtpreise nicht über längere Zeit hoch bleiben würden. Sie haben die Aufschläge geschluckt und auf einen Teil des Gewinns verzichtet.
Doch viele Verträge, die Grosskundinnen mit Spediteuren abschliessen, haben eine Laufzeit von ein paar Monaten. Wenn sie nun neu verhandelt werden, wird es deutlich teurer als beim letzten Mal.
Und so sieht es auf die lange Sicht aus
Inzwischen hat beispielsweise Procter & Gamble, einer der weltweit grössten Hersteller von Konsumgütern, höhere Endpreise ab September angekündigt – unter anderem wegen der hohen Transportkosten. Babyprodukte, Windeln für Erwachsene und Pflegeprodukte für Frauen würden um einen mittleren bis hohen einstelligen Prozentbetrag teurer. Ähnliche Ankündigungen hatten in den USA zuvor bereits verschiedene Nahrungsmittelhersteller gemacht. Auch der Kupferpreis ist im Welthandel gestiegen, teilweise aus dem gleichen Grund.
Davon profitieren die Firmen, die den Transport organisieren – darunter die grössten Seefracht-Spediteure Kühne + Nagel (Schweiz), DHL (Deutschland) oder Sinotrans (China). Noch besser ergeht es den grossen Reedereien Hapag-Lloyd (Deutschland), MSC (Schweiz) und Maersk (Dänemark). Letztere hat ihren Börsenwert innerhalb von 12 Monaten mehr als verdoppelt. Den Reedereien gehören die Schiffe und Container. Zuletzt wurde Kritik laut, sie würden die Verknappung künstlich hoch halten.
Wie lange die Preise hoch bleiben, hängt vom weiteren Pandemieverlauf ab. Gegenüber dem «Wall Street Journal» hat sich kürzlich Handelsanalyst Chris Rogers von S&P Global Market Intelligence dazu geäussert: «Wenn wir einen weiteren Sommer im Lockdown verbringen müssen, werden die Leute jede Menge Sachen kaufen, die sie letztes Jahr nicht gekauft haben», meint er. «Wenn aber alles wieder offen ist und die Leute in die Ferien fahren können, dann wird vor allem Geld für Dienstleistungen ausgegeben und nicht mehr für Ware. Also wird die Schifffahrt-Nachfrage relativ bald nachlassen.»
Auf lange Sicht sind höhere Konsumentenpreise wegen Containerknappheit nicht vorstellbar. Wenn die Passagierflugzeuge wieder im grossen Stil abheben und das Hafenpersonal durchgeimpft ist, dürften sich auch die Staus vor den Häfen von Shanghai, Los Angeles oder Rotterdam auflösen.