Humane Ressourcen

Bye-bye für immer, Bewerbung_muster.doc

Bewerberinnen tun sich schwer mit Motivations­briefen und klammern sich darum an Vorlagen. Das schadet mehr, als es nützt. «Humane Ressourcen», Folge 1.

Von Reto Hunziker (Text) und AHAOK (Illustration), 20.04.2021

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Stellensuchende hassen Motivations­schreiben. Obwohl sie ahnen, dass sie wichtig sind. Erst sträuben sie sich, dann fügen sie sich – und schwurbeln: «Mit Interesse habe ich Ihre Anzeige» … «suche ich eine neue Heraus­forderung» … «erfülle all Ihre Anforderungen» … «zu meinen Aufgaben gehörten» … «zielorientierte Arbeits­weise» … «umfang­reiche Kenntnisse» … «freue mich, von Ihnen zu hören».

Wie kommt es so weit? Vermutlich, weil viele auf Nummer sicher gehen wollen. Sie googeln also «Bewerbungs­brief Muster», weil sie davon ausgehen, mit einem Muster nicht viel falsch zu machen. Dann ergänzen sie die Vorlage mit ihren Angaben – fertig. Vielleicht bringen sie auch noch die Keywords, die im Inserat stehen, unter. «Lösungs­orientiert», «belastbar», «flexibel» – eh klar. Das wünscht sich der potenzielle Arbeit­geber ja bestimmt.

Das Problem dabei: Nun lesen sich nahezu alle Bewerbungs­schreiben gleich. «Hiermit bewerbe ich mich auf die Stelle als …», «gerne möchte ich Sie von meinen Fähigkeiten überzeugen», «meine Sprach­kenntnisse runden mein Profil ab», «freundliche Grüsse».

Zu «Humane Ressourcen»

Wie liesse sich der Bewerbungs­prozess entstauben? Die Jobvermittlung auf dem Arbeitsamt weniger bürokratisch gestalten? Der Stellen­suche ihr Schrecken nehmen? Jobcoach Reto Hunziker geht in zehn Beiträgen der Frage nach, welche Fehler die verschiedenen Beteiligten – Firmen, Bewerberinnen, Ämter – immer wieder machen und wie ein humaner Stellen­markt funktionieren könnte. Hier finden Sie den Auftakt mit den grund­legenden Fragen.

Ihre Inputs nimmt Reto Hunziker gerne auf. Was haben Sie auf dem Stellen­markt erlebt? Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie konfrontiert? Welche Fragen stellen Sie sich? Schreiben Sie es ins Dialogforum.

Was Unternehmen in minutiöser Arbeit etablieren, löst hier der Muster-Mainstream von allein, indem er in der Manier eines Fleisch­wolfs Inhalte vermengt. Das Resultat: Text­bausteine. Dummer­weise geht es in der Sache aber darum, dass sich jeder Einzelne vom anderen abhebt. Je mehr Bewerbende beim Versuch, sich abzuheben, auf Muster zurück­greifen, desto einheitlicher werden die Motivations­schreiben, und je länger dieser Zustand anhält, umso stärker werden die Text­bausteine entwertet.

Das ist ein wenig so, als würde jede Schach­spielerin dieselbe Strategie anwenden, um ihr Gegenüber zu schlagen – nämlich jene, die sie sich zuvor unter «erfolgreichste Schach­strategie» ergoogelt hat (Plot-Twist: Sie ist nicht wirklich erfolgreich).

Vergebene Chancen

Verantwortliche von Human-Resources-Abteilungen (HR-Personen) sehen sich mit der Situation konfrontiert, dass sie das eine Motivations­schreiben sprachlich kaum vom anderen unterscheiden können. Schätzungs­weise 80 bis 90 Prozent der Motivations­schreiben verfallen in denselben Blabla-Ton. Deshalb überfliegen die HR-Leute sie lediglich (wenn überhaupt) und bleiben (wenn man Glück hat) höchstens an einigen Stich­wörtern hängen, die heraus­stechen (weil sie eben nicht in jedem Schreiben zu finden sind).

Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die Zeugnisse codiert sind, nein, jetzt sind es auch noch die Briefe.

Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen: Wartet eine Bewerbung mit einem total gewöhnlichen Schreiben im Text­bausteinstil auf, hat es die Person dahinter umso schwerer, überhaupt in Erwägung gezogen zu werden. Sie muss nämlich entweder mit dem Lebens­lauf auffallen, also mit allem, was sie gemacht hat – woran sie aber für den Moment nun mal nichts ändern kann. Oder aber allenfalls mit der Persönlichkeit, wobei mit dem Standard­schreiben ein geeignetes Gefäss, diese zu vermitteln, wegfällt. Bewerbende aus dem Mittelfeld, die nicht mit Erfahrung, Skills oder sonst einem Joker heraus­stechen, kommen so nicht in die nächste Runde. Obwohl sie vielleicht mit ihrer Motivation einige Schwächen wettmachen könnten.

Individualität ist erlaubt

Diese Abwärts­spirale macht alle zu Verliererinnen. Sie führt dazu, dass eines der wichtigsten Elemente einer Bewerbung obsolet wird. Darauf hat man bereits reagiert: Auf Platt­formen wie Linkedin ist die Bewerbung mittels Knopf­druck möglich – ohne Anschreiben. So kommen allerdings nur Bewerbende zum Zug, die ohnehin schon durch einen Vorzeige-Palmarès auffallen.

Andere Ansätze seitens der HR-Abteilungen wären viel naheliegender:

1. Attraktivere Stellen­anzeigen: Inserate, die selbst Motivation versprühen; die Lust auf mehr machen, die dazu verleiten, selbst in die Tasten zu greifen; die dazu animieren, ebenfalls etwas Attraktives zu schreiben (mehr dazu in einem der kommenden Beiträge).

2. Aufklärung: Bewerbende sollen wissen, dass sie viele Freiheiten geniessen. Es gibt nicht halb so viele Zwänge, wie sie denken. Respektvoll, möglichst fehlerlos, wahr – das sind die wichtigsten Imperative, was das Schreiben anbelangt. Alles andere: Ansichts­sache; oder zumindest Experimentiersache.

Erlaubt ist, was Sinn ergibt. Wahrscheinlich haben nicht alle die gleiche Anschauung davon, was Sinn ergibt. Aber geht es nicht genau darum, jene Person einzustellen, deren Auffassung am besten zu einem Job passt?

Reduce to the max

Lediglich zwei Fragen sollten in einem Motivations­schreiben zwingend beantwortet werden: Warum bewirbst du dich ausgerechnet bei mir? Und warum sollte ich ausgerechnet dich anstellen? Das ist es, was ich wissen will.

So viel Aufwand muss man zu betreiben bereit sein. Sich mit der Firma (und sich selbst) auseinander­setzen, recherchieren, analysieren, schlüssig argumentieren. Das kann pro Anzeige gut ein paar Stunden in Anspruch nehmen. So, dass das nicht für jede Stelle gemacht wird, die man sieht – sondern dass angefangen wird, auszuwählen. Und zwar jene Stellen, für die wirklich Interesse besteht oder die sogar begeistern. Ist die Motivation für eine Stelle tatsächlich vorhanden, fällt nämlich auch das Schreiben nicht mehr so schwer.

Genau das wäre das Ziel. Quasi eine Aufwärts­spirale. Denn so macht das Motivations­schreiben seinem Namen alle Ehre, so ergibt es überhaupt Sinn.

So erinnert sich der Leser danach an Sie

1. Schreib, wie du sprichst. Niemand hat etwas gegen eine einfache, authentische und reduzierte Schreibe – insbesondere wenn es darum geht, Informationen zu vermitteln.

2. Anekdoten sind gut, Floskeln sind schlecht. Anekdoten statt Floskeln: anstatt die Wort­hülsen aus dem Inserat zu wiederholen («flexibel», «belastbar» etc.), lieber Beweise oder gute Argumente liefern, zum Beispiel in Form von Anekdoten («Wenn sich niemand etwas zu sagen traut, dann mache ich einen ersten Vorschlag»).

3. Sofort Tempo aufnehmen und es dann beibehalten. Der erste Satz ist der wichtigste, verschwenden Sie dieses Momentum nicht mit unnötigen Informationen («Im Internet bin ich auf Ihr Inserat gestossen»), sondern etablieren Sie eine Story, eine These, ein Argument, das für Sie oder für Ihre Motivation spricht. Eine gute Möglichkeit ist auch, bereits hier auf die Beziehung zwischen Ihnen und dem Unter­nehmen einzugehen («Vor 10 Jahren habe ich Ihr Produkt gekauft – und nutze es immer noch»).

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