Unser täglich Fleisch
Weltweit wächst der Hunger nach Poulet, Rind, Lamm und Schwein. Dabei ist die Fleischproduktion eine grandiose Verschwendung: Neun von zehn Kalorien gehen verloren.
Von Daniel Bütler, 15.03.2021
Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!
Als meine Mutter ein Kind war, gab es zum Znacht «Gschwellti». Und das jeden Tag – Fleisch bekam sie vielleicht am Sonntag. Das war noch vor der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Später wurde es selbstverständlich, jeden Tag Fleisch zu verzehren. Und manche sind heute der Meinung, sie hätten nicht richtig gegessen, wenn sie weder Filet noch Plätzli oder Wurst auf dem Teller hatten.
Viele Tiere auf dem Teller
Weltweite Fleischproduktion
Quelle: FAO / Our World in Data.
Auch wenn in bestimmten Milieus immer weniger tierische Produkte konsumiert werden: Weltweit ist der Hunger nach Fleisch ungebrochen. In den letzten sechs Jahrzehnten hat sich die globale Fleischproduktion fast verfünffacht – und in den letzten dreissig Jahren verdoppelt. Dominierend sind Rind, Schwein und Geflügel. Letzteres hat die grössten Wachstumsraten und macht heute mehr als ein Drittel der gesamten Produktion aus.
Dazu beigetragen haben der Anstieg der Weltbevölkerung und der zunehmende Wohlstand. Gleichzeitig sind in vielen Ländern Lebensmittel im Allgemeinen und Fleisch im Besonderen viel günstiger geworden. Darum hat meine Mutter uns ein Vielfaches dessen vorgesetzt, was sie selbst als Kind bekommen hatte. (Wir geben heute übrigens so wenig Geld für Ernährung aus wie noch nie: im Schnitt nur 6 Prozent des Einkommens.)
Weil Fleisch erschwinglicher geworden ist, hat sich auch der weltweite Pro-Kopf-Konsum seit 1960 beinahe verdoppelt – auf 43 Kilogramm pro Jahr. Das ist erfreulich für die Fleischindustrie. Doch die ökologische Rechnung geht auf die Länge nicht auf.
1. Mehr Wohlstand bedeutet mehr Fleisch
Grundsätzlich gilt: Je reicher ein Land ist, umso mehr Fleisch essen seine Bewohnerinnen. Das illustriert die folgende Karte: Je dunkler ein Land eingefärbt ist, desto mehr Fleisch wird dort im Schnitt verzehrt.
Wo am meisten Fleisch gegessen wird
Fleischkonsum pro Person, 2017
Hinweis: Die Zahlen für die Schweiz sind höher als vom BFS ausgewiesen, weil das Angebot an Fleisch (geschlachtete Tiere) und nicht die real konsumierte Menge gezählt wird. In der Schweiz wird gemäss Inland-Statistik 48 kg pro Kopf konsumiert. Quelle: FAO / Our World in Data.
Innerhalb der einzelnen Länder gibt es sozioökonomische Nuancen. In den Industrienationen nimmt der Fleischverbrauch mit höherer Bildung und höherem Einkommen ab. Umgekehrt ist es in ärmeren Ländern: Hier kommen die Wohlhabenden auf ähnlich hohe Werte wie die Menschen in den reichen Ländern, während für die Armen Fleisch ein Luxus ist.
Ein weiterer Faktor ist die Kultur. Teile der indischen Bevölkerung ernähren sich – auch aus religiösen Gründen – vegetarisch, deshalb ist der Fleischkonsum relativ tief. Ganz anders in China. Dort wächst der Fleischhunger rasant: Fast ein Drittel der weltweiten Fleischproduktion entfällt heute auf das Land.
Zwar ist der Konsum pro Kopf in wohlhabenden Ländern wie der Schweiz seit längerer Zeit leicht rückläufig. Doch global nimmt der Konsum zu. Es fehlt nicht mehr viel, bis China pro Kopf zur EU aufgeschlossen hat. Auch in anderen Schwellenländern landet immer mehr Fleisch auf dem Teller.
Das ist ja interessant, denken Sie nun vielleicht, aber so what?
2. Um Fleisch herzustellen, braucht es viele Pflanzen
Fahren Sie mal durchs Schweizer Mittelland, und zählen Sie die Maisfelder. Das ist alles Tierfutter. Es wird benötigt, um unseren Fleischverzehr zu ermöglichen. Um Fleisch zu produzieren, braucht es Agrarfläche. Schweine und Hühner benötigen viel Eiweiss in Form von Mais oder Soja. Hochleistungskühe und Mastkälber fressen Kraftfutter, das zuerst auf Feldern wachsen muss.
Viel Mais für Tiere
Anteil des Tierfutters an der Ernte
Quelle: OECD / FAO / Fleischatlas.
Gemessen am Erntegewicht wird rund ein Drittel der weltweiten Feldfrüchte zur Fütterung von Tieren verwendet. Spitzenreiter ist Mais: Die proteinreiche Pflanze landet mehr als zur Hälfte in einem Tierfuttertrog.
Gemessen am Kalorienertrag verschwindet sogar etwas über ein Drittel in Tiermägen. Davon kommen am Schluss aber nur 12 Prozent beim Menschen an. Neun Zehntel der Kalorien, die in verfütterten Pflanzen stecken, gehen also bei der Ernährung von Tieren verloren.
Ebenfalls bei einem Drittel liegt der Anteil am Flächenverbrauch. Auf jeder dritten Hektare Ackerlandes wird also Tierfutter angebaut. Die Schweiz liegt dabei über dem Schnitt: Etwa die Hälfte der rund 400’000 Hektaren Ackerfläche wird hierzulande für Tierfutter genutzt, vor allem Mais und Getreide. Doch das reicht längst nicht. Mehr als die Hälfte des Kraftfutters wird eingeführt. Das bedeutet: Im Ausland wächst zusätzlich auf 200’000 Hektaren Futter für Schweizer Tiere.
3. Fleisch ist kein effizientes Nahrungsmittel
Aus ressourcenökonomischer Sicht bahnt sich hier ein riesiges Problem an. Eines, das unnötig ist, wenn man es aus Sicht der Ernährung betrachtet.
Viehzucht ist landintensiv
Landverbrauch von Nahrungsmitteln
Quelle: Poore & Nemecek, 2018 / Our World in Data.
Die Zahlen dazu sind eindrücklich. Ein Kilo Lammfleisch verbraucht sage und schreibe 420-mal so viel Fläche wie ein Kilo Kartoffeln. Nicht viel weniger ist es beim Rindfleisch. Auch Käse ist ein flächenintensives Nahrungsmittel. Und selbst bei der Geflügelmast, die oft auf sehr engem Raum stattfindet, wird pro Kilogramm Nahrung rund viermal so viel Fläche benötigt als bei der Reis-, Mais- oder Weizenproduktion.
Auf ähnliche Verhältnisse kommt man, wenn man statt des Gewichts die Menge an produzierten Kalorien oder Proteinen vergleicht.
Und auch die Klimabilanz sieht fast identisch aus: Fleisch, vor allem Rind und Lamm, verursacht ein Vielfaches der Treibhausgasemissionen von Getreide, Gemüse, Früchten oder Nüssen.
Wissenschaftler aus Österreich und den Niederlanden haben berechnet: Um neun Milliarden Menschen mit der Nahrung zu versorgen, die für Bewohnerinnen der Industrieländer heute üblich ist, bräuchte es fast doppelt so viel Ackerland, wie aktuell weltweit verfügbar ist.
Woher sollen wir dieses Land nehmen? Neues Ackerland wird in erster Linie dadurch gewonnen, dass Urwälder gerodet werden. Man muss also wirklich kein Mitglied einer grünen Partei sein, um zu erkennen, dass es nicht ganz unproblematisch ist, wenn die Menschen, speziell in den Industrieländern, ihre Essgewohnheiten nicht umstellen und wenn wie bisher produziert wird.
Wir sollten die Ernährung umstellen
Wohlgemerkt: Tierhaltung ist nicht per se des Teufels. Längst nicht alle Böden sind für den Ackerbau, also für Weizen, Reis, Mais oder Kartoffeln, geeignet. Der Grossteil der Landwirtschaftsfläche weltweit ist Grasland.
Das gilt gerade auch für die Schweiz mit ihren ausgedehnten Hügel- und Bergzonen. Dieses Land mit Kühen, Schafen, Ziegen und anderen Tieren zu beweiden, halten selbst Umweltorganisationen für sinnvoll. Die Weidetiere können das Raufutter in Energie umwandeln, die für den Menschen nutzbar ist – in Form von Milchprodukten und Fleisch. Zudem wird so Kulturland erhalten. Das in der Klimadiskussion verbreitete Rinderbashing, das auf dem hohen Methanausstoss der Tiere gründet, ist aus einer Ernährungs- und Landschaftsperspektive daher nicht der Weisheit allerletzter Schluss.
Doch um weltweit Hunger, aber auch Kahlschlag in den Regenwäldern zu vermeiden, sollten wir insgesamt mehr Pflanzen selber essen, statt sie an Tiere zu verfüttern. Würde die weltweite Ernte direkt zu Nahrungsmitteln verarbeitet und nicht in Tiermägen landen, so liessen sich vier Milliarden Menschen mehr ernähren. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität von Minnesota. Wir können also problemlos genug Nahrung für die Welt produzieren. Es ist alles eine Frage der (Ernährungs-)Politik.
Doch im Bundeshaus und in anderen Regierungsstätten regiert nicht immer die reine Vernunft. Lobbys verteidigen ihre Interessen. So gibt es im Nationalrat Vorstösse mit dem Ziel, die Fleischproduktion herunterzufahren. Sie werden wie alle Vorschläge, die zu einer Senkung der Landwirtschaftsproduktion führen würden, eisern bekämpft. Aus Sicht der Bauern, die um Einnahmen bangen, mag das verständlich sein. Ökologisch gibt es aber einige gute Argumente, eher Schweizer Kartoffeln, Getreide und Gemüse als Schweizer Fleisch zu fördern.
Nie mehr Fleisch also? Falls für Sie eine solche Zukunft etwas gar dystopisch wirkt, können Sie beruhigt sein. Selbst wenn wir in der Schweiz auf den Äckern statt Tierfutter ausschliesslich Nahrung für Menschen anbauen und die Nutztiere nur mit Raufutter füttern würden, bekämen Sie Ihr Fleisch auf den Teller. 10 Kilo pro Person und Jahr lägen immer noch drin (statt fast 50).
Damit wären wir wieder auf dem Niveau meiner Mutter von vor 70 Jahren.
Die meisten Zahlen stammen von «Our World in Data», einer Plattform, die Daten sammelt und visualisiert. Dahinter stehen Forscherinnen der Universität Oxford und der britischen Non-Profit-Organisation Global Change Data Lab. Die Wissenschaftler greifen dabei unter anderem auf Primärdaten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zurück. Weitere Infos wurden dem «Fleischatlas» der Heinrich-Böll-Stiftung aus Berlin entnommen.
Daniel Bütler ist freier Journalist und Texter in Zürich. Er hat Germanistik und Wirtschaftsgeschichte studiert und schreibt regelmässig über Umweltthemen, unter anderem für den «Beobachter».