Was Homeoffice und Homeschooling mit Hauspreisen machen
In der Pandemie sehnen sich Menschen nach grosszügigem Wohnraum. Gleichzeitig wird wenig Wohneigentum zum Verkauf ausgeschrieben. Das ergibt ein explosives Gemisch.
Von Simon Schmid, 15.02.2021
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«Wenn das Gewitter kommt, ziehen sich Menschen in ihre Höhle zurück», sagt Donato Scognamiglio, Partner beim Immobilienbüro IAZI. «Es gibt eine Angebotsverknappung», sagt Stefan Fahrländer, der in derselben Funktion beim Büro FPRE tätig ist. Und Robert Weinert von Wüest Partner sagt: «Das Bedürfnis nach Wohnkomfort, nach einem geräumigen Zuhause, am liebsten mit Garten, Balkon und Terrasse, hat in letzter Zeit deutlich zugenommen.»
Die Statements der drei Experten deuten es an: Der Immobilienmarkt ist zurzeit in Aufruhr – und die Pandemie ist ein wesentlicher Grund dafür.
Eine Reihe von Grafiken zeigt, weshalb.
1. Die Pandemie ist eine Sondersituation
Dass wir uns für diesen Artikel mit Scognamiglio, Fahrländer und Weinert unterhalten haben, ist kein Zufall. Die Büros, bei denen sie arbeiten, pflegen umfangreiche Datenbanken. Sie enthalten Tausende von Inseraten und Immobilientransaktionen. Aus diesen Daten berechnen die Büros periodisch einen Index, der Preisveränderungen im Immobilienmarkt anzeigt. (Wer wissen will, wie das funktioniert: Wir beschreiben es am Ende ausführlich.)
Aus den jüngsten Publikationen geht hervor: Die Preise von Wohneigentum sind stark gestiegen. Besonders im 4. Quartal 2020 gab es einen Sprung: Für Eigentumswohnungen wurden – je nach Quelle – inflationsbereinigt zwischen 5 und 7 Prozent höhere Preise bezahlt als im vierten Quartal 2019. Das ist eine deutlich höhere Wachstumsrate als im langjährigen Schnitt.
Nicht nur Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern, sondern auch Einfamilienhäuser waren zuletzt gefragt. Hier sind die Transaktionspreise, je nachdem, welchen Index man betrachtet, um bis zu 8 Prozent gestiegen. Der Schnitt liegt, wenn man die Teuerung herausrechnet, bei rund 3 Prozent.
Besonders markant war die Steigerung nicht an den Orten, wo Immobilien ohnehin teuer sind – in Städten wie Zürich oder Genf –, sondern im Umland.
2. Rund um Zürich geht die Post ab
Gemeint sind Gebiete wie das Knonaueramt südlich von Zürich, die Region um Wil westlich von St. Gallen oder das Glarner Hinterland. Hier sind die Handänderungspreise für Eigentumswohnungen gemäss den Daten von Wüest Partner am stärksten gestiegen. Insgesamt sticht die Nordostschweiz mit hohen Wachstumsraten hervor; daneben diverse periphere Regionen wie der Kanton Jura, das Entlebuch und die Region Tre Valli im Nordtessin.
Das eigentümliche Muster erklären sich die Fachleute mit zwei Faktoren.
Die Nachfrage. Sie hat sich während der Pandemie verlagert. Die Leute möchten mehr Platz – sei es, um ein Homeoffice einzurichten, sei es, weil sie schlicht mehr Zeit innerhalb der eigenen vier Wände verbringen. Tendenziell nehmen sie dafür auch grössere Pendeldistanzen in Kauf.
Das Angebot. Pandemiebedingt, aber auch wegen der generell rückläufigen Neubautätigkeit bei Wohneigentum kamen vergangenes Jahr weniger Objekte auf den Markt. Gerade Seniorinnen zögern derzeit, die Wohnung aufzugeben und ins Altersheim oder in kleinere Wohnungen zu ziehen. Gegenüber 2015 habe sich die Zahl der Verkaufsinserate um rund ein Fünftel verringert, sagt Robert Weinert von Wüest Partner.
So kommt es, dass ausserhalb der Städte – dort, wo Wohneigentum noch erschwinglich ist – ein starkes Preiswachstum eingesetzt hat. Eine Wohnung, die vor einem Jahr noch für 1 Million Franken verkauft worden wäre, wechselt heute gut und gerne für 1 Million und 50’000 Franken den Besitzer.
3. Es kommt zum Bieterwettbewerb
Dass eine solche Dynamik überhaupt möglich ist, dafür gibt es nebst der Pandemie weitere Gründe. Der wichtigste davon: Wohneigentum bleibt attraktiv. Die Zinsen sind tief, die Finanzierungsbedingungen günstig – Eigentümerinnen haben typischerweise tiefere Wohnkosten als Mieter.
Zudem lief die Wirtschaft vor der Pandemie recht gut – viele Leute hatten zu Beginn der Krise ein ordentliches Finanzpolster. Ausserhalb der Gastro- und der Kunstbranche konnten viele ihre Jobs auch in der Pandemie behalten. Und die Börse hat sich nach dem anfänglichen Einbruch rasch wieder erholt. Das alles bedeutet, dass Geld, um Immobilien zu kaufen, weiterhin vorhanden ist.
Vermehrt bieten Käufer die Immobilienpreise deshalb nach oben. Das legt ein Vergleich der Preise nahe, die in Verkaufsinseraten angegeben sind (der sogenannten Angebotspreise), mit den Preisen, die am Ende effektiv bezahlt werden (den Transaktionspreisen). Letztere sind zuletzt rund 5 Prozent schneller gewachsen als Erstere, wie aus der folgenden Grafik hervorgeht.
Dieses Phänomen ist allerdings nicht ganz neu. Schon vor gut drei Jahren begannen die Transaktionspreise gemäss den Indizes von Wüest Partner schneller zu wachsen als die Angebotspreise. Die Marktberuhigung, die Mitte der 2010er-Jahre durch verschärfte Regulierungen zum Erwerb von Wohneigentum in der Schweiz herbeigeführt wurde, hielt also nicht lange an.
4. Die Immobilienpreise steigen und steigen
Damit ist klar: Die Preisentwicklung, die man am Immobilienmarkt aktuell beobachten kann, ist zwar extrem. Doch sie passt ins längerfristige Muster.
Seit der Jahrtausendwende haben Immobilien kontinuierlich an Wert gewonnen. Eigentumswohnungen sind im Vergleich zu einem Warenkorb von Konsumgütern heute ungefähr doppelt so teuer wie vor zwanzig Jahren, wie die folgende Grafik zeigt. Bei Einfamilienhäusern sind die Preise, je nachdem, welchen Index man anschaut, um etwa 70 bis 80 Prozent angestiegen.
Nach Ansicht der Experten gibt es wenig Gründe, die für eine fundamentale Trendumkehr sprechen. Wohneigentum bleibt auch in Zukunft gefragt – solange sich die Leute Immobilien leisten können, werden sie welche kaufen.
Wie dauerhaft die mentalen Spuren sind, welche die Pandemie hinterlässt, wird sich zeigen. Donato Scognamiglio vom Büro IAZI schätzt, dass der Platzbedarf der Menschen noch ausgeprägter wird. «Das Eigenheim wird vermehrt als Rückzugsort wahrgenommen, die Leute wünschen sich wieder mehr Nähe zur Natur.» Das würde bedeuten, dass die Preise in ländlichen Regionen weiter steigen. Stefan Fahrländer glaubt dagegen nicht an einen Epochenwandel. «Viele werden auch in Zukunft in der Stadt wohnen wollen.»
So oder so dürfte sich der Markt in naher Zukunft jedoch etwas beruhigen. Mit Verzögerung wird die Wirtschaftskrise die Schweizer Haushalte doch noch treffen – das dämpft die Nachfrage. Und mit der Zeit kommen auch wieder mehr Wohnungen auf den Markt – das vergrössert das Angebot.
Statt einen «aussergewöhnlichen» gibt es gemäss den Experten dieses Jahr deshalb wohl bloss einen «normalen» Preisanstieg. Was begrüssenswert ist, sofern man beim aktuellen Preisniveau wirklich von «normal» sprechen mag.
Um einen Immobilienpreisindex zu berechnen, braucht es zwei Zutaten: eine Datenbank von verkauften Liegenschaften und ein statistisches Modell.
In der Datenbank stehen die Verkaufspreise. Daneben wird für jedes Objekt eine Reihe von Eigenschaften erfasst: Wohnfläche, Zustand, Alter und Baustandard (Eigenschaften der Liegenschaft selbst) sowie Steuerniveau, Erreichbarkeit, Aussicht, Lärmbelastung (Angaben zur Lage der Liegenschaft). Mit statistischen Methoden wird danach jeder Eigenschaft ein bestimmter Betrag zugewiesen, den eine Käuferin während einer bestimmten Zeitperiode (zum Beispiel im 4. Quartal 2020) typischerweise zu zahlen bereit war. Der Wert einer Liegenschaft ergibt sich aus der Summe ihrer Eigenschaften und deren jeweiligem Preis.
Um einen Preisindex zu berechnen, muss man zunächst aus allen Liegenschaften in der Datenbank eine für die Schweiz (oder für eine bestimmte Region, für ein bestimmtes Marktsegment, für einen bestimmten Wohnungstyp) repräsentative Muster-Immobilie zusammenstellen. Danach schaut man, welchen Wert das statistische Modell dieser Immobilie zu verschiedenen Zeitperioden zuweist.
Die Indizes der einzelnen Anbieter unterscheiden sich einerseits methodisch: Es werden unterschiedliche Eigenschaften erfasst und unterschiedliche Muster-Immobilien gebildet (typischerweise versucht man dabei, mit einer geeigneten Gewichtung von Eigenschaften das «mittlere Marktsegment» abzubilden). Andererseits unterscheidet sich die Datenbasis: Bei IAZI werden nach eigenen Angaben 25’000 Handänderungen pro Jahr ausgewertet. Dabei handelt es sich um «anonymisierte Angaben von Banken, Versicherungen und Pensionskassen». Bei Wüest Partner sind es 20’000 Transaktionen, bei FPRE rund 22’000.