Was lebt hier?
Die Künstlerin Sofia Crespo platziert Fantasietiere in reale Umgebungen und arrangiert traumhafte Wasserwelten. Mithilfe von künstlicher Intelligenz schafft sie eine imaginierte Natur von surrealer Schönheit.
Von Mona Schubert (Text) und Sofia Crespo (Bilder), 02.01.2021
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Die Arbeiten der argentinischen Künstlerin Sofia Crespo loten die Grenzen von Realität und Kunst aus. Die Bilder ihres laufenden Projekts «Neural Zoo» ähneln Pflanzen und Lebewesen, die wir aus unserer organischen Umwelt kennen. Gleichzeitig wirken sie fremd, weil Crespo die bekannten Elemente neu kombiniert.
Wir entdecken Korallenriffe und Traumwelten, fliessend und voller Leben. Atemberaubende Ökosysteme, durchzogen von faszinierenden Strukturen und strahlend-bunten Farben. Mysteriöse Tiefseegestalten tauchen auf, die uns mit ihren leuchtenden, schwebenden Körpern magisch anziehen. «Neural Zoo» lässt uns in eine imaginierte Natur und die unendlichen Facetten ihrer Schönheit eintauchen.
Crespo nutzt eine Technik namens Convolutional Neural Network (kurz CNN). Diese ist Teil des bildbasierten Deep Learning, eine Methode des maschinellen Lernens. Ein CNN besteht aus mit Tier- und Pflanzen-Bilddaten-Sammlungen gespeisten Filtern (convolutional layers) und Aggregations-Schichten (pooling layers), die nur die wichtigen Bildinformationen übernehmen. Am Ende werden diese sich abwechselnden Schichten in eine vollständig verbundene Oberfläche überführt. So können künstliche Tier- und Pflanzenwelten generiert werden, die kaum mehr von echten Fotos zu unterscheiden sind.
Crespos neuestes Projekt «Artificial Remnants», das 2019 bis 2020 in Kollaboration mit dem Entangled Others Studio entstand, geht noch einen Schritt weiter und schlägt mithilfe einer Augmented-Reality-Anwendung eine Brücke von der digitalen zur physischen Welt. Über einen frei verfügbaren Instagram-Filter können kuriose Tierchen, die aus 3-D-Modellen von Insekten entstanden sind, mit dem Smartphone in unsere Umwelt platziert werden. Mit ihren seltsam deformierten Körpern ohne Gesichtern und den sich eigenartig bewegenden Gliedmassen lösen die Kreaturen ein Unbehagen aus, das wir aus Science-Fiction-Szenarien kennen. Sind es Aliens, unentdeckte Lebensformen von der Erde oder vielleicht doch Urzeitgestalten?
Crespo führt uns mit «Neural Zoo» und «Artificial Remnants» vor Augen, welches kreative Potenzial in künstlicher Intelligenz steckt und wie einfach sich unser visueller Apparat überlisten lässt. Damit stellt sie nicht nur die bisherige Rolle der Künstlerinnen, sondern auch jene der Betrachter infrage.
Dass dies kein entferntes Zukunftsszenario ist, beweist ein computergeneriertes Herrenporträt im Stil einer Malerei des 18. Jahrhunderts. Das Kunstwerk des Pariser Kollektivs Obvious wurde 2018 beim renommierten Auktionshaus Christie’s für stolze 432’500 Dollar versteigert.
Sofia Crespos Arbeiten zeigen auf, dass natürliche, computergenerierte und künstlerische Welten weit weniger voneinander losgelöst sind, als wir vielleicht annehmen.