Covid-19-Uhr-Newsletter

Telefon mit Adolf Ogi

04.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Es hat lange gedauert, länger als normal, bis der Gesundheitsminister Alain Berset heute Nachmittag vor die Medien in Bern trat. Warum, ist kein Geheimnis. Die sieben Bundesräte sind sich je länger, desto weniger einig, was genau getan werden soll, damit die neuen Ansteckungen nicht nochmals durch die Decke gehen. Heute hat die Regierung dann vor allem «starke Empfehlungen» gemacht. Und mal wieder die Kantone in die Pflicht genommen. Die Details lesen Sie weiter unten im Newsletter.

Aber zuerst müssen wir noch einmal über die Skiferien sprechen. Dazu hat der Bundesrat heute beschlossen:

  • Die Skigebiete dürfen öffnen. Ab dem 22. Dezember brauchen sie dazu eine Bewilligung. Und die werden die Kantone erteilen – oder verweigern.

  • Es wird keine Kapazitätsbegrenzungen geben. Aber die Platzzahl in den Gondeln, Kabinen und Zügen wird auf zwei Drittel beschränkt.

  • Falls die Fallzahlen wieder steigen und die Spitäler keine freien Plätze mehr haben, dürfen die Kantone keine Bewilligung erteilen.

Voilà – das ist das Ergebnis nach einer Woche Medientrubel, hitziger Debatte und intensiven Lobbyings. Zeit für eine kleine Einordnung. Und wer könnte die besser liefern als … Adolf Ogi.

Cinzia Venafro hat in Kandersteg im Berner Oberland angerufen.

Herr Alt-Bundesrat, ach, das Skifahren …
Adolf Ogi: Ach ja. (seufzt) Ich will doch auch so bald wie möglich auf die Piste. Mit Abstand und Sicherheitskonzept.

Wieso kann man den Schweizerinnen das Skifahren denn nicht ganz verbieten?
Der Bundesrat hat richtig gehandelt. Ein anderer Entscheid würde die Hoffnung auf eine positivere Zukunft nicht nur bei den Wintersportlern definitiv infrage stellen. Die Psyche der Menschen ist heute wichtiger denn je. Auch der Geist braucht Kraft und Wärme. Und diese schenkt auch der Wintersport. Das hat der Bundesrat nicht unterschätzt. Wintersport bedeutet den Schweizern Freiheit, nicht nur Bewegung. Darum kann die Schweiz nicht machen, was Frankreich, Deutschland und Österreich fordern. Das geht nicht. Der Wintertourismus ist fundamental wichtig für die Schweizer Wirtschaft und die Schweizer Psyche.

Inwiefern?
Die Berge, die Skipisten, die Langlaufloipen: Sie sind doch Balsam für die Seele der Schweizer! Diese Pandemie schlägt derart aufs Gemüt. Besonders diese zweite Welle finde ich persönlich mental viel schlimmer. Wir brauchen Aktivitäten, die uns vorwärtsschauen lassen. Wie eben das Skifahren.

Aber die Pandemie macht keinen Halt vor Wintersportlern.
Darum appelliere ich an alle Schweizer auf den Pisten und in den Bergbahnen: Zeigt doch etwas mehr Disziplin! Ich sehe noch immer viel zu viele Menschen, viel zu nah beieinander. Die Bergbahnen müssen ihre Schutzkonzepte strikter umsetzen. Dann dürfen wir auch andere Freiheiten leben. Ich höre aber, dass in Kabinen Enge herrscht. Das darf einfach nicht sein! Es steht so viel auf dem Spiel – und die Bergbahnen wissen das doch. Ganz wichtig: Und auf Après-Ski muss verzichtet werden. Ohne Wenn und Aber.

Schadet der Schweizer Alleingang der Reputation der Schweizer Skigebiete langfristig? Die Schweiz stand bisher für Sicherheit.
Wir sind nicht EU-Mitglied! Es gilt, Druck auszuhalten. Wir müssen mit unseren Nachbarn geschickt kommunizieren – offiziell, aber auch auf persönlicher, diplomatischer Ebene. Nicht vergessen: Wir haben im Sommer von Italien, Frankreich und Spanien auch nicht gefordert, die Strände zu schliessen.

Geschickt kommuniziert hat das BAG Ihrer Meinung nach nicht. Was bemängeln Sie?
Die Menschen brauchen endlich mehr Hoffnung, darum fordere ich: Das BAG soll nicht nur die täglichen Neuinfektionen und Hospitalisierungen verkünden, sondern auch die Zahl der Entlassenen und Genesenen! Das würde uns allen Zuversicht schenken. Wir müssen uns eingestehen: Es ist sehr mühsam geworden. Darum brauchen wir positive Zahlen und Beispiele. Wie jenes der 88-jährigen Mutter von Alt-Bundesrätin Doris Leuthard: Sie hatte Corona und hats überlebt. Auch Zahlen, wer in welchem Alter wegen Corona gestorben ist, wären wichtig.

Wenigstens sind die Impfungen auf Kurs.
Die Schweiz muss hier unbedingt vorwärtsmachen, ich will mich im Januar impfen lassen. Ich vertraue der Medizin, die ganze Welt hat danach geforscht.

Wie haben Sie in dieser Pandemie eigentlich Ihre berühmte Zuversicht nicht verloren?
Man hat mich oft als unverbesserlichen Optimisten bezeichnet. Und man hatte recht damit. Ich will positiv sein – und dabei hilft mir die Natur. Ich gehe jeden Morgen eine Stunde in den Wald. Joggen, laufen, joggen. Und zurück zu Hause mache ich circa fünf Minuten lang den Yoga-Kopfstand. Im Kopfstand mache ich Gedächtnistraining, rekapituliere den vergangenen Tag und bete. Dieses Ritual nimmt mir auch Corona nicht weg.

Und damit zu den restlichen Entscheiden des Bundesrats.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Der Bundesrat bittet/droht/fleht/mahnt in Richtung der Kantone. Wenn diese nicht im Verlauf der Woche strengere Massnahmen beschlössen, dann werde er das am kommenden Freitag selber tun. Gesundheitsminister Alain Berset wollte unter anderem Homeoffice zur Pflicht machen und die Treffen von Menschen auf zwei Haushalte beschränken. Damit ist er heute bei seinen Kolleginnen im Bundesrat nicht durchgedrungen. Stattdessen wird beides einfach noch eindringlicher empfohlen.

Weniger Personen in den Läden und strengeres Regime in den Restaurants. Der Bundesrat hat neue nationale Regeln für den Verkauf und die Gastrobranche erlassen. Sie gelten ab nächstem Mittwoch. Restaurants müssen dann die Kontaktangaben eines Gastes pro Tisch erheben, dafür dürfen sie am Silvesterabend statt bis 23 Uhr bis um  1 Uhr offen haben. Grössere Läden dürfen wieder weniger Kunden gleichzeitig reinlassen – ah ja, und Singen ist ausserhalb des Familienkreises und der obligatorischen Schulen jetzt verboten, auch für Chöre und an Gottesdiensten.

Der Kanton Jura lockert nach einem kantonalen Shutdown seine Schutzmassnahmen. Ab dem 10. Dezember dürfen Gastrobetriebe und Museen wieder ihre Türen öffnen. Allerdings müssen Betriebe ohne Küche um 18.30 Uhr jeweils schliessen. Geschlossen bleiben Clubs, Theater, Kinos und Konzerthallen.

Grossbritannien will am kommenden Dienstag als erstes Land der Welt mit dem Impfen beginnen. Dies teilte der britische Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) mit. Eine erste Lieferung soll rund 800’000 Impfdosen beinhalten; Bewohnerinnen und Mitarbeitende von Pflegeheimen, über 80-Jährige und medizinisches Personal soll zuerst geimpft werden. Am Mittwoch hatte das Vereinigte Königreich Pfizer/Biontech eine Notfallzulassung für deren Impfstoff erteilt.

Pfizer hat die Zielmenge für die Auslieferung seines Impfstoffs für dieses Jahr halbieren müssen. Dies aufgrund von Verzögerungen beim Ausbau der Lieferkette, so der Pharmakonzern. Der Ausbau dauere länger als angenommen, ausserdem seien die Ergebnisse der klinischen Studie später vorgelegen. Statt 100 Millionen Impfdosen sollen es nun 50 Millionen bis Ende 2020 sein. Pro Person wird von zwei Impfdosen ausgegangen, um geschützt zu sein.

Und zum Schluss: Der Lagebericht zur Woche

Sie erinnern sich, vor einer Woche hatten wir an dieser Stelle geschrieben, dass wir uns leider nichts vormachen dürften, denn: Die Lage zeigte sich trotz Abwärtstrend immer noch düster.

Endlich können wir nun vermelden: Die Zahl der neu ins Spital eingewiesenen Patienten liegt nun klar unter den Werten vom Höhepunkt der ersten Welle, und sie sinkt nach wie vor:

Neue Spitaleinweisungen; gleitender Mittelwert über 7 Tage. Die Daten nach dem 27. November sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berücksichtigt. Stand: 04.12.2020. Quelle: Bundesamt für Gesundheit.

Dennoch kommt die Belegung der Intensivbetten je nach Region stark an ihre Grenzen. Und nach wie vor sterben (wie auch in den vergangenen Wochen) rund 100 Personen pro Tag.

Etwas Hoffnung macht der Blick auf die Fallzahlen der vergangenen Woche, die aber auch mit Vorsicht zu geniessen sind, denn vermutlich sind sie noch unvollständig. Die getesteten Neuansteckungen gingen gesamtschweizerisch im Vergleich zu vergangener Woche um rund 6 Prozent zurück auf rund 3700 pro Tag.

Der leichte Rückgang der Neuansteckungen muss mit einer weiteren wichtigen Information im Hinterkopf betrachtet werden: Die Schweizer Regionen unterscheiden sich in ihrer Entwicklung. In der Romandie, wo vor einigen Wochen griffigere Massnahmen aufgrund hoher Zahlen beschlossen wurden, sind die Neuinfektionen gesunken – in der Ostschweiz hingegen gestiegen. So ist St. Gallen unterdessen zum neuen Hotspot geworden.

Dass Vorsicht angezeigt ist, lässt sich auch mit einem Blick auf die Positivitätsrate feststellen: Sie liegt immer noch über 18 Prozent – rund dreieinhalbmal zu hoch für ein funktionierendes Contact-Tracing. Dies bestätigt auch das Bundesamt für Gesundheit: Die kantonalen Stellen seien durch den starken Anstieg der Fallzahlen überlastet – deswegen seien die Zahlen zum Contact-Tracing auf der BAG-Website nicht vollständig, schreibt das Amt.

Bleiben Sie also umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Oliver Fuchs, Marie-José Kolly, Marguerite Meyer und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Uns erreichen viele Fragen aus der Republik-Community bezüglich PCR-Tests: Wie verlässlich sind diese? Wie ansteckend sind positiv getestete Menschen? Die Kolleginnen vom «Spiegel» haben hier mal die wichtigsten Punkte ganz gut aufgedröselt. Der Artikel ist zwar auf Deutschland ausgelegt, aber er liefert einige gut verständliche Informationen zu den Polymerase-Chain-Reaction-Tests (PCR), die auch hier insbesondere bei Symptomen zur Anwendung kommen.

PPPPS: Die Mitarbeiterinnen eines Altersheims in Ohio (USA) wollten ihren Bewohnern in dieser schwierigen Zeit etwas zum Lachen geben. Und so montierten sie Geweih und rote Nasen über den Masken und liessen sich von den älteren Bewohnerinnen als zwischen den Tannenbäumen herumspringende Hirsche abknallen (mit weichen Pfeilen, versteht sich). Der Hinweis zum herzerwärmenden, lustigen und aufmunternden Video kam von Republik-Kollege Patrick Venetz. Sometimes silliness wins!

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