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Holen Sie Luft

27.11.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Erinnern Sie sich noch an die Zeit vor der Maske? Als die Pandemie schon ausgebrochen war, aber das Mantra noch hiess: Hände waschen und Abstand halten? Von einer möglichen Übertragung über die sogenannten Aerosole war damals nur am Rande (oder in Wissenschaftskreisen) die Rede.

Wir haben von Ihnen zahlreiche E-Mails bekommen mit der Frage, wie das denn nun genau mit diesen Aerosolen sei. Und auch wir haben uns immer wieder gefragt, was denn nun der genaue Stand der Dinge ist. Also geht Republik-Journalistin Marguerite Meyer das luftige Thema mal wieder an.

Wir erinnern uns: «Ein Aerosol ist ein flüssiges oder festes Teilchen, das in der Luft schwebt. Das kann auch ein Virus sein.» So erklärte das André Prévôt vom Labor für Atmosphärenchemie am Schweizer Paul-Scherrer-Institut.

Was ist der Unterschied zwischen «Tröpfchen» und «Aerosolen»? Bei Tröpfcheninfektionen «reisen» die Viren nicht über die Luft in die Lunge – sie sind dafür zu schwer (und landen deshalb bald auf dem Boden). Ein Abstand von 2 Metern reicht also aus – ausser jemand spuckt einem direkt ins Gesicht oder man kommt direkt damit in Berührung. Aerosole hingegen sind äusserst klein und bleiben insbesondere in Innenräumen in der Luft hängen. Sie schweben quasi herum – bis sie jemand einatmet oder sie beispielsweise vom Stosslüften weggetragen werden.

Bereits im Frühsommer hatten sich in der Wissenschaft die Hinweise verdichtet, dass sich Covid-19 durch die Luft verbreiten kann. Doch bis zu dem Zeitpunkt war nicht klar, ob das Virus in der Luft überlebt oder nur «abgestorbene» Teile des genetischen Materials. Dann kam Anfang August der wissenschaftliche Durchbruch: Eine Studie der Universität Florida untersuchte die Luft in einem Corona-Spitalzimmer und zeigte auf, dass sich das infektiöse Virus über die Luft übertragen und Menschen infizieren kann. Und zwar weiter als über die 1,5 bis 2 Meter Abstand, die in den meisten Ländern empfohlen wurden und werden. Sprich: mindestens so weit, wie man Zigarettenrauch oder Parfüm riechen kann. Um es mal sehr unwissenschaftlich zu formulieren.

Trotz Rufen aus der Wissenschafts-Community waren verschiedene Behörden zunächst sehr zögerlich mit der Kommunikation, dass Covid-19 nicht nur durch Tröpfchen, sondern durch Aerosole übertragen wird. Im Juli noch sagte der damalige Leiter des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Stefan Kuster, dass diese bei der Ansteckung keine grosse Rolle spielten.

Auch heute noch lautet die Aussage des BAG, dass Übertragungen via Aerosole nicht häufig vorkommen. Anfang Herbst hatten Wissenschaftlerinnen in der Schweiz gewarnt, man müsse insbesondere auf die kalte Jahreszeit hin die Schutzkonzepte auf genau diese Art von Übertragung anpassen – damit die Menschen nicht unwissend in gefährliche Situationen reinlaufen würden.

Das Zögern des BAG erstaunt nicht – orientieren sich doch viele Länder an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch diese zögerte recht lange. Heute jedoch sagt sie: Die Übertragung geschieht mehrheitlich in geschlossenen, engen Räumen ohne gute Lüftung. Beispielsweise in Restaurants, bei Chorproben, in Fitnesscentern, in Büros. Hier hinkt die Schweizer Politik mit ihren Massnahmen beziehungsweise ihrer Kommunikation nach wie vor der Wissenschaft hinterher.

Was bedeutet das konkret im Alltag? Hier die wichtigsten Tipps:

  • Wenn möglich Leute draussen treffen.

  • Wenn das nicht geht, idealerweise sowohl eine Maske tragen als auch auf genügend Abstand achten.

  • In Innenräumen regelmässig – idealerweise alle 15 Minuten – gut lüften. Dabei gilt: 15 Minuten sind ein Richtwert. Je mehr Menschen, je enger der Raum, desto mehr sollte gelüftet werden.

  • Bei automatischen Lüftungen sicherstellen, dass diese nicht einfach nur die gleiche Luft im Innenraum «umwälzen», sondern Frischluft zuführen.

  • Zu guter Letzt, insbesondere an den Feiertagen, gilt: Aufs gemeinsame Singen in der Stube verzichten. Und aufs Anschreien sowieso.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK-N) will es Unternehmen erleichtern, Härtefallbeiträge zu erhalten. Sie fordert eine Umsatzschwelle von 50’000 statt 100’000 Franken jährlich, wie dies der Bundesrat nach den Änderungsvorschlägen aus der Vernehmlassung vorgeschlagen hatte. Nun will dies eine Mehrheit der Wirtschaftskommission rückgängig machen. Die Härtefallverordnung basiert auf den Änderungen des Covid-19-Gesetzes, das in der Wintersession des Parlaments beraten wird. Die Session beginnt am Montag.

Die Impfskepsis ist in der Schweiz während der zweiten Welle gewachsen. Das Vertrauen in die Behörden und deren Informationsleistung ist gesunken. Dies zeigt eine Umfrage der Forschungsstelle Sotomo im Auftrag des BAG. Wie sich die positiven Nachrichten zu verschiedenen Impfstoffkandidaten auf die Einstellung auswirken, werde sich allerdings erst in den nächsten Befragungswellen zeigen, schreibt Sotomo.

Die bayrische Stadt Passau verhängt strenge Ausgangsbeschränkungen. Diese sollen am Samstag beginnen und eine Woche dauern, so der Oberbürgermeister Jürgen Dupper. Passauerinnen dürfen ihre Wohnung nur noch für die Arbeit, den Arztbesuch oder zum Einkaufen verlassen. Ausserdem gilt ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Mit einem Anstieg der Inzidenzrate auf 440 Infizierte pro 100’000 Einwohnerinnen ist Passau Deutschlands Hotspot Nummer zwei nach dem Landkreis Hildburghausen in Thüringen. Zum Vergleich: Die Schweiz hat eine durchschnittliche Inzidenzrate von 670.

Und zum Schluss: Der Lagebericht zur Woche

Sie erinnern sich, vor einer Woche hatten wir an dieser Stelle geschrieben, dass wir eine gute Nachricht hätten: Und zwar sank die Zahl der neuen Spitaleinweisungen im Vergleich zu den vorangegangenen Wochen.

Mit Blick auf die jetzige Woche bleiben wir in der gleichen Grundstimmung: vorsichtig optimistisch (mit viel gutem Willen). Denn: Zwar geht die Anzahl der neu Hospitalisierten seit einer Weile etwas zurück, aber wir liegen immer noch auf sehr hohem Niveau.

Neue Spitaleinweisungen; gleitender Mittelwert über 7 Tage. Die Daten nach dem 20. November sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berücksichtigt. Stand: 27.11.2020. Quelle: Bundesamt für Gesundheit

Im Moment liegen in Schweizer Spitälern etwa gleich viele Patienten mit Covid-19 wie auf dem Höhepunkt der ersten Welle.

Die Zusammentragung der Zahlen ist nicht ganz zuverlässig, da es Lücken und Verzögerungen bei den Meldungen gibt, wie das BAG auch schreibt. So ist jeweils besonders das Kurvenstück der vergangenen Woche mit Vorsicht zu interpretieren, deshalb zeigen wir es jeweils auch in der Grafik nicht. Denn die Daten der vergangenen 3 bis 7 Tage sind noch zu unvollständig, als dass wir sie – und den weiteren Rückwärtstrend, den sie suggerieren – gleich stark gewichten könnten wie weiter zurückliegende Zahlen.

Wir können uns also leider nichts vormachen: Die Lage ist immer noch eher düster. Mit etwas Hoffnung (und Solidarität) wird es aber auf den 1. Advent hin etwas heller.

Es ist 19 Uhr: Gönnen Sie sich, was Sie zum Apéro eben trinken. Santé!

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marie-José Kolly und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Ein kleiner Admin-Reminder (weil die Autorin dieses Newsletters dies alljährlich vergisst): Auch dieses Jahr läuft Ende November die Frist aus, um die Krankenkasse zu wechseln und die Prämien anzupassen.

PPPPS: Unsere letzten Zeilen behandeln ein wahres Bijou des Internets. Und zwar den «Distractor». Die Plattform haben die Berufskolleginnen der «New York Times» während der Präsidentschaftswahlen ins Leben gerufen. Zu Thanksgiving (das gestern stattfand) haben sie ihr ein Update verpasst. Es geht darum um: nichts. Beziehungsweise: um alles andere ausser Politik, Corona, News. Geniessen Sie allerlei wohltuend Banales – Ton an!

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