Covid-19-Uhr-Newsletter

Schieflagen-Fragen

20.11.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Viele Menschen haben im Moment den Eindruck, dass im Schweizer Pandemiemanagement etwas schiefgelaufen ist.

Stand die Schweiz im Frühsommer noch als eines der erfolgreichsten Länder da im Umgang mit der Pandemie, geriet das Gesundheitssystem jetzt im Herbst innert kürzester Zeit an seine Belastungsgrenze. Fast 1700 Menschen sind seit Anfang Oktober an Covid-19 gestorben. Auch die Stimmung im Land ist schlechter geworden. Viele Menschen machen sich Sorgen, sind verzweifelt oder wütend. Der Umgangston ist härter geworden.

Gerade in solchen Momenten hilft es, nüchtern und konzentriert hinzuschauen. Und sich zu fragen: Was ist hier genau passiert? Was ist schiefgelaufen, wer trägt die Verantwortung dafür – und was sollte die Politik daraus lernen?

Genau das hat ein Team der Republik die letzten Wochen getan. Ronja Beck, Elia Blülle, Marie-José Kolly und Olivia Kühni haben mit Dutzenden Menschen gesprochen, die am Schweizer Pandemiemanagement in unterschiedlichen Rollen beteiligt waren: als Entscheidungsträgerin, Berater, Expertin oder Ausführende.

Ihr Fazit: Die entscheidenden Fehler passierten im Sommer, als es nach anstrengenden Monaten endlich etwas ruhiger wurde.

Die Autorinnen berichten von

  • einem Bundesrat, der nach einem guten Pandemiemanagement bis zum Juni die Führung zu radikal aus der Hand gab;

  • einem Bundesamt für Gesundheit (BAG), das im entscheidenden Zeitraum überfordert und aufgrund interner Probleme geschwächt war;

  • Kantonen, die sich nicht auf eine verbindliche gemeinsame Strategie einigen konnten und stattdessen teilweise auf ein Eingreifen des Bundes hofften;

  • einer Kommunikation, die gerade dann versagte, als die Bürgerinnen sie am meisten gebraucht hätten.

All dies verhinderte, dass die Schweiz im Herbst rechtzeitig reagierte. Und es sorgte dafür, dass aus einem der erfolgreichsten Länder im Pandemiemanagement eines wurde, das wegen seiner vielen Erkrankten und Verstorbenen weltweit für Schlagzeilen sorgt.

Eine Suche nach Schuldigen oder Sündenböcken hilft niemandem weiter. Es gehört aber in einer Demokratie dazu, dass Medien Fehler klar benennen und die Verantwortung von Politikerinnen einfordern. Nicht zuletzt, weil wir sonst eine Gelegenheit verpassen, für die Zukunft zu lernen.

Die ganze Recherche unserer Autorinnen finden Sie hier.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Der Bund übernimmt die Kosten für Corona-Tests für Menschen mit Symptomen oder mit einem Kontakt zu einer Infizierten. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser in einem Testzentrum oder anderswo durchgeführt wird. Dies bestätigte die Leiterin der Sektion Infektionskontrolle beim BAG, Virginie Masserey, an einer Pressekonferenz in Bern. Es gebe keinen Selbstbehalt.

Basel-Stadt beschliesst striktere Massnahmen. Im Gegensatz zum schweizerischen Trend steigen die Ansteckungen im Stadtkanton weiterhin. Deswegen schliessen sämtliche Restaurants und Bars sowie Gyms, Wellnessanbieter, Jugendtreffs, Turnhallen und Eisbahnen für drei Wochen. Die neue Obergrenze für Veranstaltungen liegt bei maximal 15 Personen. Der Kanton will weitere Hilfsgelder dafür bereitstellen.

Die italienische Provinz Südtirol will in einer dreitägigen Aktion übers Wochenende sämtliche Bewohnerinnen testen. Rund eine halbe Million leben in der kleinen Alpenprovinz Italiens, die Landesregierung will mit den kostenlosen und freiwilligen Abstrichen rund 70 Prozent der Bevölkerung an über 180 Standorten testen können. Die Aktion läuft unter dem Motto «Südtirol testet». Damit soll die zweite Corona-Welle im Südtirol schneller gebrochen werden.

Die beiden Firmen Biontech und Pfizer haben für ihren Corona-Impfstoff eine Notfallzulassung bei der US-Arzneimittelbehörde beantragt. Die Lieferung könnte – die Genehmigung vorausgesetzt – Ende dieses Jahres beginnen, hiess es. Die Schweiz ist mit Biontech/Pfizer in Verhandlungen und hat sich einen Anteil des Impfstoffes vorab reserviert.

Der Lagebericht zur Woche

Sie erinnern sich, vergangene Woche hatten wir vorsichtig optimistisch berichtet: Die Zahl der Neuinfektionen wuchs nicht mehr an, doch die Positivitätsrate (also der Anteil positiver Tests von allen gemachten Tests) blieb hoch. Auch diese Woche hatten wir eine sehr hohe Positivitätsrate von über 20 Prozent – ideal wären nach wie vor nur 5 Prozent.

Diesmal haben wir jedoch wirklich eine gute Nachricht: Die Zahl der neuen Spitaleinweisungen sinkt langsam im Vergleich zu den letzten beiden Wochen.

Neue Spitaleinweisungen; gleitender Mittelwert über 7 Tage. Die Daten nach dem 13. November sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berücksichtigt. Stand: 20.11.2020. Quelle: Bundesamt für Gesundheit.

Es gibt allerdings ein nicht allzu kleines Aber: Pro Tag müssen nach wie vor mehr Leute wegen Covid-19 ins Spital als auf der Spitze der ersten Welle im März. Das führte dazu, dass seit dieser Woche die zertifizierten Intensivbetten in der Schweiz praktisch vollständig belegt sind. Und jeden Tag sterben zwischen 80 und 100 Personen am Virus.

Wir brauchen also noch ziemlich viel kollektive Geduld, bis wir richtig aufatmen können. Und auch dann werden wir noch eine ganze Weile nur sozial distanziert aufatmen.

Sie haben es gelesen: Gemäss der heutigen Republik-Recherche gibt es nicht allzu viel Grund zu kollektivem Stolz, was die Schweizer Pandemiebewältigung angeht. Dennoch zeigt die Grafik: Das seit Oktober angepasste Verhalten von Ihnen und uns allen zeigt Wirkung.

Und zum Schluss: Ein Rezept, das Zeit braucht (nicht Ihre Zeit)

Wir sollen Sie zum Wochenende übrigens schön grüssen von unserem Hauskulinariker Michael Rüegg. Um die Wartezeit bis zum nächsten Weihnachtsmenü zu überbrücken, schlägt er vor, Rumdatteln zuzubereiten. Das ist unseres Wissens das einzige Dessert, das sich konjugieren lässt (abgesehen vom französischen Baiser).

Rumdatteln stehen seit Ewigkeiten auf der Dessertkarte der Zürcher Traditionsspelunke Kronenhalle. Vermutlich, weil sie so leicht herzustellen sind. Aber sie brauchen etwas Zeit, um ordentlich durchzuziehen. Daher sollten Sie jetzt welche einmachen, damit sie zu den Festtagen parat sind. Der Vorteil von Rumdatteln ist, dass man sich mit ihnen locker ein sogenanntes Damenräuschchen anfressen kann. Das beruhigt das Gewissen während der Festtage, man muss nicht ständig zur Flasche greifen. Am besten, Sie servieren etwas Vanilleglace oder Fior di Panna dazu.

Das folgende Rezept passt genau in zwei gut gereinigte (oder besser sterilisierte) leere Bonne-Maman-Konfitürengläser.

Zutaten: 500 g frische Datteln, 2 Vanilleschoten, 6 EL Rohrzucker, 4 dl weisser Rum. Vanilleschoten aufschneiden, Mark herauskratzen und in eine Schüssel geben. Ausgekratzte Schoten dritteln und dazugeben. Die Datteln einschneiden, Steine herauspulen, in die Schüssel geben (die Datteln, nicht die Steine). Rohrzucker und Rum dazutun, umrühren. Feste und flüssige Inhalte gerecht auf zwei Gläser verteilen. Deckel drauf und drei Wochen ziehen lassen, gelegentlich wenden.

Es ist 19 Uhr: Gönnen Sie sich, was Sie zum Apéro eben trinken. Santé!

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marie-José Kolly, Olivia Kühni, Marguerite Meyer und Michael Rüegg

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Das mit dem fehlenden Umarmen fällt uns manchmal ein bisschen schwer. Zum Glück gibt es Kreaturen, die von Social Distancing ausgenommen sind. Der dieswöchige belanglose, aber süsse Jöh-Fund aus dem Internet zeigt kleine Geisslein, die quasi für free hugs Schlange stehen. Hach. Herzerwärmend, finden Sie nicht?

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