Was diese Woche wichtig war

Krisenherd Europa, AfD jetzt flügellos und weiter rechtsextrem – und die EU will wachsen

Woche 13/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck und Simon Schmid, 27.03.2020

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Covid-19: Erleichterung in China, Krise in Europa

Darum geht es: Besonders in Europa und den USA nehmen die Krankheits­fälle weiterhin exponentiell zu. In Italien sind über 80’000 Menschen an Covid-19 erkrankt – bald mehr als in China. Allein in New York haben sich mehr als 25’000 Menschen infiziert. Der indische Premier­minister hat für die 1,3 Milliarden Bewohner des Landes eine Ausgangs­sperre verhängt. Während in Ländern wie Ungarn oder Israel die Demokratie ausgehebelt wird, zerbricht in Kosovo die junge Regierung wegen der Corona-Krise. In China scheint sich die Lage derweil zu entspannen.

Ausgangssperre für 1,3 Milliarden: In Jammu, Indien, werden Desinfektionsmittel versprüht. Jaipal Singh/EPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Die chinesischen Behörden melden seit Tagen keine neuen Ansteckungen mehr im Land. Ein neues Problem sind dafür erkrankte Chinesen im Ausland, die nun wieder nach Hause reisen: China verzeichnet über 400 dieser sogenannten importierten Fälle. Dennoch dürfen die Menschen in der Region Hubei seit dieser Woche wieder verreisen – die Stadt Wuhan ausgenommen. (Alle Meldungen aus China sollte man allerdings mit viel Skepsis betrachten. Die Diktatur hat grosses Interesse daran, Kontrolle und Effizienz heraus­zustreichen.) Für viele andere Länder bleibt die Situation sehr ernst. In Spanien melden die Behörden schon beinahe so viele Erkrankte wie Italien – und mehr Todesfälle als in China. Das Parlament hat am Donnerstag beschlossen, die Ausgangs­sperre um zwei Wochen zu verlängern. In Deutschland dürfen seit dieser Woche nicht mehr als zwei Personen gemeinsam unterwegs sein. Der britische Premierminster Boris Johnson hat nach längerem Zögern die Briten gebeten, ebenfalls zu Hause zu bleiben. Die EU hat die Ausfuhr von medizinischer Schutz­ausrüstung begrenzt – die Schweiz zog am Mittwoch nach. Die US-Regierung kämpft mit allen Mitteln gegen den anhaltenden Tiefflug der Börse: Sie boxt das grösste Rettungspaket in der Geschichte des Landes durch die beiden Kammern. Die zusätzlichen 2 Billionen Dollar sollen die schwer strauchelnde Wirtschaft stützen. Für andere Regierungen bedeutet das Coronavirus das Ende: In Kosovo wurde der frisch gewählte Minister­präsident Albin Kurti via Misstrauensantrag gestürzt. Kurti, von dem sich viele im Land eine Erneuerung erhofft hatten, hat sich mit seinen Koalitions­partnern über die Corona-Strategie zerstritten. In Israel wurde derweil kurzerhand das Parlament abgeriegelt. Minister­präsident Benjamin Netanyahu regiert zurzeit mit freier Hand per Notdekret. Sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán will es ihm gleichtun und hat diese Woche dem Parlament einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt.

Was als Nächstes geschieht: Wann wird sich die Situation entspannen? Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Schweizer Bundesamt für Gesundheit, wagte diese Woche eine Prognose: «Wir gehen mit unseren Berechnungen davon aus, dass es im Frühsommer normaler sein sollte», sagte er in einer Sondersendung des SRF. Die Weltgesundheits­organisation hat diese Woche die Regierungen davor gewarnt, getroffene Massnahmen gegen das Virus zu früh wieder zu lockern.

EU startet Beitrittsverhandlungen mit alten Bekannten

Darum geht es: Nordmazedonien und Albanien erhalten eine neue Perspektive. An einer Videokonferenz vom Dienstag einigten sich Ministerinnen der EU-Staaten darauf, Beitritts­verhandlungen mit den beiden Balkan­staaten aufzunehmen. Damit würden die «intensiven Reform­bemühungen dieser beiden Länder anerkannt».

Warum das wichtig ist: Die Aufnahme von Beitritts­verhandlungen mit den beiden Staaten war vor einem halben Jahr noch gescheitert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Aufnahme der Gespräche damals im Alleingang blockiert. Dies mit der Begründung, bevor die EU neue Mitglieder aufnehmen könne, müsse sie zuerst Reformen beschliessen – und dabei insbesondere auch festlegen, auf welche Weise ein Land wieder aus der EU austreten könne. Macron wurde daraufhin vorgeworfen, er benutze die Balkan­länder als Druckmittel, um seine eigene Vision eines stärker integrierten Europas voranzutreiben. Dabei begehe er jedoch einen strategischen Fehler. Nordmazedonien schlitterte als Folge des Vetos in eine Regierungskrise: Um die Forderungen Griechen­lands zu erfüllen, hatte sich das Land, das zuvor Mazedonien hiess, extra zu einer Namensänderung durchgerungen.

Was als Nächstes geschieht: Die formelle Aufnahme von Beitritts­verhandlungen ist eine Etappe eines längeren Prozesses. Nordmazedonien ist schon seit 2005 Beitritts­kandidat der Europäischen Union. Um in die EU aufgenommen zu werden, müssen Länder eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllen. Am Ende müssen sowohl das Europäische Parlament als auch sämtliche Mitglieds­länder einem neuen Beitritt zustimmen.

Der Flügel der AfD löst sich auf – oder?

Darum geht es: Die rechtsextreme Gruppierung innerhalb der deutschen AfD, der sogenannte «Flügel», soll aufgelöst werden. Das hat der Bundes­vorstand der Partei vergangenen Freitag beschlossen. In einem auf Facebook veröffentlichten Brief gaben die führenden «Flügel»-Vertreter Björn Höcke und Andreas Kalbitz schliesslich die Auflösung bekannt. Der deutsche Verfassungs­schutz hat den «Flügel» seit März unter Beobachtung gestellt.

Warum das wichtig ist: Die Ankündigung kam nicht ohne sofortige Relativierung: «Grundsätzlich kann nicht aufgelöst werden, was formal nicht existiert», schreiben Höcke und Kalbitz in ihrem Brief. Die Arbeit gehe weiter, wenn auch nicht im Rahmen der Gruppierung. Die Ankündigung der Auflösung ist die direkte Folge des Beschlusses des Verfassungs­schutzes vor wenigen Wochen: Am 12. März stufte die Behörde den Flügel als rechtsextrem ein. Gleichzeitig stellte sie die Gruppierung unter Beobachtung. Das wurde der Partei­spitze zu ungemütlich: Am Freitag entschieden 11 der 13 Bundesvorsitzenden, dass sich der «Flügel» bis Ende April 2020 aufzulösen hat. Personelle Konsequenzen beschlossen sie keine. Die rechtsextremen «Flügel»-Gesichter Björn Höcke und Andreas Kalbitz leisteten dem Beschluss schliesslich Folge.

Flügellahm, aber trotzdem weiter stramm rechts: Björn Höcke wird die AfD weiter prägen. Martin Schutt/dpa/Keystone

Was als Nächstes geschieht: Die Auflösung wird wohl kaum etwas ändern an der rechts­extremen Politik von Höcke und seinen «Flügel»-Kollegen: Der Thüringer Verfassungs­schutz bezeichnet die Aktion als «Nebelkerze». Dessen Chef Stephan Kramer sagte am Mittwoch zur Deutschen Presse­agentur: «Viel wichtiger ist doch, ob sich die Partei vom ‹Flügel› tatsächlich distanziert.» Davon sehe er bisher leider wenig. Die Arbeit der «Flügel»-Mitglieder gehe auch ohne Übernamen weiter. Entsprechend bleibt der Teil der AfD unter Beobachtung.

USA drängen Afghanistan in die Einigung

Darum geht es: Die USA streichen eine Milliarde Dollar an Hilfsleistungen für Afghanistan. Das gab US-Aussen­minister Mike Pompeo am Dienstag auf seinem Heimflug von Kabul bekannt. Dort hatte er diese Woche die beiden Politiker Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah getroffen. Beide reklamieren zurzeit den Posten des Präsidenten für sich.

Warum das wichtig ist: Der 29. Februar in Doha brachte das lange Unmögliche: Die USA und die islamistischen Taliban schlossen ein Friedens­abkommen. Die USA versprachen, dass ihre eigenen sowie die Truppen ihrer Verbündeten bis 2021 das Land verlassen. Die Taliban hätten im Gegenzug dafür zu sorgen, dass sich keine Terroristen in Afghanistan unter ihrem Schutz niederlassen können. Zudem mussten sie Verhandlungen mit der afghanischen Regierung starten. Diese war auf Geheiss der Taliban von dem Treffen in Doha ausgeschlossen worden. Die Wochen nach Vertrags­schluss waren schliesslich von Tumulten geprägt. Taliban griffen wiederholt afghanische Truppen an. Und Anfang März liessen sich gleich beide Präsidentschaftsanwärter, Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, vereidigen. Ghani hatte die Wahl im September knapp gewonnen, wie die Wahlkommission Monate später bekannt gab. Abdullah wollte das Resultat nicht akzeptieren. Für US-Aussenminister Mike Pompeo ist dies ein unhaltbarer Zustand. Wie er Reportern auf seinem Rückflug sagte, brauche es eine «einheitliche Regierung», damit auch diese sich am Friedens­prozess beteiligen könne.

Was als Nächstes geschieht: Die gestrichene Milliarde kommt für das Land, das fast vollständig von ausländischen Hilfs­leistungen abhängig ist, zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Pompeo hat zudem angedroht, im kommenden Jahr eine weitere Milliarde zu streichen, sollte sich die Situation nicht stabilisieren. Ein erster Lichtblick ist in Sicht: Gemäss dem Nationalen Sicherheitsrat wollen die Taliban und die afghanische Regierung in den kommenden Tagen erste Gespräche führen.

Unsichere Verhältnisse: Mike Pompeo (links) ist US-Aussenminister, aber ist Ashraf Ghani Präsident von Afghanistan? Afghan Presidency Press Office/Handout/Anadolu Agency via Getty Images

Zum Schluss: 20 Anklagen und kein Prozess

Am 2. Oktober 2018 wurde der saudiarabische Journalist Jamal Khashoggi in Istanbul ermordet. Er bezahlte den Besuch des saudiarabischen Konsulats, wo er seine Heirats­dokumente abholen wollte, mit seinem Leben. Nun hat die türkische Staats­anwaltschaft 20 Männer angeklagt, die an seinem Tod schuld sein sollen. Unter den Angeklagten finden sich berühmte Namen, etwa Ahmad bin Hassan al-Asiri, der ehemalige Vizedirektor des Geheim­dienstes, oder Saud al-Qahtani, früher ein Berater des saudischen Königs­hauses. Beide waren enge Vertraute des Kronprinzen Muhammad bin Salman. MBS, wie er verkürzt genannt wird, ist nicht unter den Angeklagten – obwohl gemäss der Uno-Sonderbericht­erstatterin Agnès Callamard wie auch der CIA vieles auf seine Beteiligung hindeute. So oder so wird es wohl kaum zu einem Prozess kommen, wie die «New York Times» resümiert: Keiner der Angeklagten befindet sich in der Türkei – Grund­voraussetzung für einen Prozess im Land. Und eine Auslieferung von Saudi­arabien ist kaum zu erwarten.

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Corona-Spoiler-Alert Die Corona-Krise ist da. Und zwar fast überall. Schauen wir in die Zukunft: Wann wird sie enden, und was wird sie ändern? Verleger R. F. teilt einen Essay im «Atlantic» über die «Generation C». Sehr US-zentriert, und trotzdem global spannend.

Der Penny am Kiez Falls Sie auch manchmal etwas Corona-Overload haben: Spiegel TV hat die berühmte Doku von 2007 über den Penny-Markt an der Hamburger Reeperbahn ins Netz gestellt. Eine Doku mit viel Armut, aber auch viel Herz, wie Republik-Trainee Ronja Beck sagt. Und mit dem legendären Satz: «Ich seh zwar aus wie’n Arschloch, kann aber hauen wie’n Pferd!» Teil 1 und Teil 2 können Sie auf Youtube schauen.

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Illustration: Till Lauer

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