Was diese Woche wichtig war

Das grosse Abkapseln, Billionen für die Wirtschaft – und Feuer auf Lesbos

Woche 12/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Philipp Albrecht, Ronja Beck, Oliver Fuchs und Simon Schmid, 20.03.2020

Teilen1 Beitrag1

Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 27’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!

Staaten igeln sich im Kampf gegen das Coronavirus ein

Darum geht es: Bei mehr als 240’000 Menschen weltweit wurde bis jetzt eine Infektion mit dem neuen Corona­virus nachgewiesen. Seit dieser Woche sind erstmals mehr Menschen ausserhalb Chinas infiziert als im Ursprungs­land der Epidemie selber. In der Schweiz sind fast 4000 Menschen an Covid-19 erkrankt. In Deutschland ist die Zahl der Infizierten auf Donnerstag um fast 30 Prozent auf 12’000 gesprungen. Weltweit reagieren die Staaten mit immer heftigeren Massnahmen auf die Pandemie. Internationale Gross­veranstaltungen wie die Fussball-Europa­meisterschaft und der Eurovision Song Contest wurden abgesagt.

Menschenleer: Die Tauben erobern den Zürcher Hauptbahnhof. Ennio Leanza/Keystone

Warum das wichtig ist: Europa ist zurzeit die Region der Welt mit den meisten Neu­erkrankungen. Am Montag haben die Regierungs­chefs der EU deshalb beschlossen, die Aussengrenzen des Schengen-Raums für zunächst 30 Tage zu schliessen. Die Schweiz zog am Mittwoch nach und schliesst die Grenzen für Nicht-Schengen-Länder. Die Einreise in die Schweiz ist generell nur noch in Ausnahme­fällen möglich. Auch Kanada, Australien und Neuseeland erlauben ab dieser Woche keine Einreise mehr von Ausländern ohne Aufenthaltsbewilligung. Einzelne Staaten haben ihre Mass­nahmen zusätzlich verschärft: Spanien, Frank­reich sowie Belgien folgten dem italienischen Modell und haben eine Ausgangs­sperre verhängt. Nur wer zum Einkaufen geht, alleine Sport machen will oder einen triftigen Grund vorweisen kann, darf seine Wohnung verlassen. Auch in ersten Orten im deutschen Bayern wurden die Menschen unter einen Lockdown gesetzt. Der italienische Minister­präsident Giuseppe Conte will die Ausgangs­sperre derweil über den 3. April hinaus verlängern, wie er am Donnerstag dem «Corriere della Sera» sagte. Donald Trump erwägt zurzeit, auf ein für Kriegszeiten gedachtes Gesetz zurückzugreifen, um in die Privat­wirtschaft eingreifen zu können. Er hat zudem ein Finanz­paket über eine Billion Dollar geschnürt. Gute Neuig­keiten gab es dafür aus China: Zum ersten Mal seit Ausbruch des Virus haben die chinesischen Behörden keine Neuinfektionen mehr gemeldet.

Was als Nächstes geschieht: Kommt es auch in der Schweiz zu einem Lockdown? Wie Daniel Koch, Leiter der Abteilung für übertragbare Krank­heiten des Bundesamts für Gesundheit, am Mittwoch in der «Rundschau» sagte, sei ein Ausgehverbot «sicher nicht das Ziel». Dieses würde «sehr weit auch in die demokratischen Gepflogen­heiten unseres Landes eingreifen», so Koch. In der Schweiz wie im Rest der Welt ist das oberste Ziel, die Fallzahlen-Kurve möglichst abzuflachen, um die Gesundheits­systeme zu entlasten.

Einmal am Tag die wichtigsten Nachrichten zur Pandemie

Im Covid-19-Uhr-Newsletter liefern wir Ihnen von Montag bis Freitag vernünftige Informationen und brauchbare Ratschläge. Hier finden Sie alle Ausgaben und können den Newsletter abonnieren.

Gigantische Hilfsprogramme für die Wirtschaft

Darum geht es: Regierungen und Noten­banken auf der ganzen Welt haben diese Woche im grossen Stil angekündigt, der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. So sollen in den USA grosszügigere Krankentaggelder ausbezahlt werden, über ein billionenschweres Konjunkturprogramm wird verhandelt. Auch in Deutschland, Frankreich und in zahlreichen weiteren Ländern wurden Mass­nahmen angekündigt. In der Schweiz hat der Bundesrat bereits rund 10 Milliarden an Hilfs­leistungen zugesagt, ein noch grösseres Paket ist gemäss Medienberichten in Vorbereitung.

Warum das wichtig ist: Die Kontroll­massnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie werden aller Voraus­sicht nach zu einem markanten Wirtschafts­einbruch führen. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH prognostiziert in einem Basis­szenario etwa eine Rezession fürs erste Halbjahr, ebenso das Seco. Die meisten Experten rechnen inzwischen damit, dass die Weltwirtschaft dieses Jahr schrumpft, statt wie vorgesehen um rund 3 Prozent oder mehr zu wachsen. Das bedeutet: Viele Firmen gehen Konkurs, Millionen von Menschen werden arbeitslos, und die ohnehin schon klammen öffentlichen Budgets werden weiter strapaziert.

Was als Nächstes geschieht: Im Verlauf der nächsten Wochen dürften sich die Prognosen weiter verdüstern. Regierungen in aller Welt werden sich beeilen müssen, ihre angekündigten Massnahmen umzusetzen, damit Firmen und Konsumentinnen über genügend liquide Mittel verfügen. Rasches Handeln ist wichtig, um eine Verschärfung der Rezession zu verhindern.

Eskalation auf Lesbos

Darum geht es: Die Türkei schliesst die Grenze zu Griechen­land wieder, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sie vor drei Wochen geöffnet hatte. Der Entscheid wurde einen Tag nach einer Videokonferenz kommuniziert, bei der die EU der Türkei mehr Geld für Flüchtlings­betreuung in Aussicht gestellt hatte. Die Situation für die Flüchtlinge bleibt indes prekär. Die griechische Regierung hat das Recht auf Asyl weiterhin sistiert. Gemäss der Nachrichtenagentur Associated Press wurden 450 Flüchtlinge, die in den letzten Wochen versucht haben, die Grenze zu überqueren, in einem Ausschaffungs­lager bei Athen interniert. In Moria, dem grössten der fünf griechischen Flüchtlings­lager, ist am Montag ein Feuer ausgebrochen, das mehrere Unter­künfte vernichtete und ein Kind das Leben kostete.

Die Lage auf Lesbos wird immer noch prekärer: Flüchtlinge vor dem Camp Moria, in dem ein Feuer ausbrach. Manolis Lagoutaris/AFP

Warum das wichtig ist: Zum andauernden Ausnahme­zustand auf Griechen­lands Flüchtlings­inseln addiert sich ein weiterer Ausnahme­zustand: Auf Lesbos wurde die erste Einwohnerin positiv auf Covid-19 getestet. Auch wenn die Türkei die Grenzen wieder schliesst, ändert das nichts daran, dass die Camps bis zu zehnmal mehr Menschen beherbergen als vorgesehen. Die Sanitär­anlagen sind so unzureichend, dass selbst einfache Hygiene­massnahmen wie regel­mässiges Hände­waschen nicht umgesetzt werden können: «Mancherorts in Moria wird ein einziger Wasser­hahn von 1300 Personen benutzt», schreibt die NZZ. Zusätzlich mussten mehrere Hilfs­organisationen im Zuge der gewalt­tätigen Ausschreitungen im Nach­gang zu Erdoğans Grenz­öffnung ihr Personal abziehen.

Was als Nächstes geschieht: Das Virus lässt sich nicht aufhalten. Früher oder später wird es auch die Flüchtlings­lager erreichen. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen fordert die sofortige Evakuierung der Lager und warnt: Sollte sich die jetzige Lebens­situation der rund 42’000 Menschen in den fünf Camps nicht bald drastisch ändern, wird die Lage tödlich.

Joe Biden kaum noch einzuholen

Darum geht es: Ex-Vizepräsident Biden hat bei den Vorwahlen der US-Demokraten den Abstand auf seinen Konkurrenten Bernie Sanders weiter vergrössert. Biden siegte diese Woche in Florida, Arizona und Illinois; in den letzteren beiden Staaten überraschend deutlich. In Ohio wurden die für Donnerstag geplanten Vorwahlen wegen der Covid-19-Pandemie kurzfristig verschoben. Das, obwohl ein Gericht zuvor deren Durch­führung angeordnet hatte.

Warum das wichtig ist: Noch vor wenigen Wochen dominierte der US-Wahlkampf auch hierzulande die Schlagzeilen. Unterdessen ist er schon beinahe zur Randnotiz geworden. Dabei ist es demokratie­politisch eigentlich hoch­problematisch, dass sich der Gouverneur von Ohio dem Gericht widersetzt hat – und weitere Staaten folgen dürften. Man stelle sich nur vor, wenn Präsident Trump mit demselben Argument die Wahlen im Herbst aussetzen würde.

Was als Nächstes geschieht: Kentucky und Maryland haben die Vorwahl diese Woche ebenfalls verschoben – beide auf den Juni. Es ist zunehmend wahrscheinlich, dass Sanders den Wahl­kampf bald aussetzen wird. Aus seinem Umfeld ist zu vernehmen, dass er in den nächsten Tagen Gespräche über «den weiteren Weg» der Kampagne führen werde.

Zum Schluss: Was wirklich zählt

Die US-Whistle­blowerin Chelsea Manning ist frei. Seit Mai 2019 war sie in Beuge­haft gewesen, weil sie sich geweigert hatte, im Prozess gegen die Plattform Wikileaks und deren Gründer Julian Assange auszusagen. Nachdem die Staats­anwaltschaft vor einer Woche den Geschworenen­prozess ausgesetzt hatte, ordnete das Gericht Mannings Frei­lassung an. Manning wird wohl weit über 200’000 Dollar Busse bezahlen müssen. Im Mai 2019 schrieb Manning dem vorsitzenden Richter einen Brief. Prozesse wie dieser seien nur dazu da, Journalisten und Medien einzuschüchtern. «Ich habe meine Werte – und das, seit ich ein Kind war. Und ich hatte Jahre der Haft, um über meine Werte nachzudenken. Ohne meine Werte, meine Entscheidungen und mein Gewissen hätte ich nicht überlebt. Ich denke nicht daran, sie jetzt aufzugeben.»

Was sonst noch wichtig war

  • China: 13 US-Journalisten von «Washington Post», «New York Times» und «Wall Street Journal» müssen das Land verlassen. Dies, nachdem schon die USA eine Ober­grenze an chinesischen Journalisten im eigenen Land festgelegt hatten. Ein gefährliches Macht­spiel um die Pressefreiheit.

  • Deutschland: Das Land­gericht Bonn hat entschieden, dass Cum-Ex-Steuertricks illegal sind. Es verurteilte zwei Aktien­händler wegen schwerer Steuer­hinterziehung und Beihilfe dazu.

  • Frankreich: Die französische Wettbewerbs­behörde hat Apple eine rekordhohe Busse über 1,1 Milliarden Euro auferlegt. Der US-Tech-Riese hat mit zwei Gross­händlern die Preise von Apple-Geräten (iPhones ausgenommen) abgesprochen.

  • Holland: Aus Gründen des Klima­schutzes gilt seit dieser Woche Tempolimit 100 auf nieder­ländischen Auto­bahnen. Zwischen 19 und 6 Uhr gilt allerdings weiterhin 120 bzw. 130.

  • Spanien: Eine Schmiergeld­affäre um seinen Vater Juan Carlos hat König Felipe VI. dazu bewogen, auf sein Erbe zu verzichten und den Kontakt zu seinem Vater abzubrechen.

  • EU: Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, hat laut Parlaments­abgeordneten Wortbruch begangen. Sie hat sich von ihrem Versprechen distanziert, dass künftig auch das Parlament Gesetzes­vorschläge machen könne. Gesetzes­initiativen darf in der EU nur die Kommission einbringen.

Top-Storys unserer Verlegerinnen und Verleger

Neue Perspektive Die vielen Zahlen und Statistiken, die gerade im Zusammen­hang mit der Covid-19-Pandemie publiziert werden, können überfordern. Darum empfiehlt Verleger M. M. diese neun Erkenntnisse aus der Psychologie, um in diesen unübersicht­lichen Zeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zusammen­getragen von der Uni Basel.

Machtspiele in der EU Weitgehend unter­gegangen ist die Initiative #Euroleaks des griechischen Ex-Finanz­ministers Yanis Varoufakis. Republik-Redaktor Philipp Albrecht empfiehlt dazu das neunminütige Video, in dem Varoufakis eindringlich erklärt, warum er jetzt fünf Jahre alte Audiodateien aus Sitzungen der Eurogruppe veröffentlicht und welch unrühmliche Rolle der deutsche Ex-Finanz­minister Wolfgang Schäuble dabei spielte.

Noch eine CIA-Firma Der US-Geheim­dienst hat sich offenbar nicht nur an der Zuger Crypto AG beteiligt, sondern auch an der Baarer IT-Sicherheits­firma Infoguard. Recherchen von CH Media zeigen, dass der 150-Mann-Betrieb, der kritische Infra­strukturen schützt, von 2002 bis 2018 derselben liechten­steinischen Gesell­schaft gehörte wie die Crypto AG.

Illustration: Till Lauer

Was diese Woche wichtig war

Wir beobachten für Sie das Weltgeschehen, filtern das Wichtigste heraus, ordnen es ein – und schicken es Ihnen jeden Freitag ansprechend verpackt in Ihre Inbox.

Wenn Sie weiterhin unabhängigen Journalismus wie diesen lesen wollen, handeln Sie jetzt: Kommen Sie an Bord!