Auf lange Sicht

Der Welthandel aus Schweizer Perspektive

Muss die Schweiz ihre Handels­politik auf die USA und China fokussieren oder die Nähe zur EU suchen? Zwei verschiedene Darstellungen geben zwei unterschiedliche Antworten.

Von Simon Schmid, 06.01.2020

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Die Schweiz ist eine Handels­nation. Stärker als viele andere Länder ist sie darauf angewiesen, dass der Waren­austausch gut funktioniert.

Doch welches sind die wichtigsten Handels­partner der Schweiz? Worauf sollte die Handels­politik ihr Augen­merk richten?

Zwei Positionen werden in dieser Frage häufig vertreten:

  1. Das Wichtigste ist, dass die Schweiz den Handel mit Übersee weiter ankurbelt, denn hier wird das grösste Wachstum verzeichnet.

  2. Die wichtigsten Handels­partner der Schweiz sind vor der Haustür, darum sind die Beziehungen zur EU von grösster Bedeutung.

Welche Aussage überzeugender ist, hängt nicht zuletzt davon ab, in welcher Form die dazugehörigen Daten präsentiert werden.

1. Voller Fokus auf Übersee

Für Position 1 lässt sich hervorragend argumentieren, indem man einige Zeitreihen­charts vorführt – am besten mit einer gekürzten y-Achse, was gerade noch so knapp zulässig ist, wenn man eine Prozent­zahl abbildet: den Anteil der Europäischen Union am Aussen­handel der Schweiz.

Dieser hat über die vergangenen drei Jahr­zehnte hinweg stark abgenommen, wie die folgende Grafik zeigt: Die Exporte in die EU sanken von 66 auf 52 Prozent, die Importe gingen von 81 auf 69 Prozent des jeweiligen Gesamt­handels zurück.

Abnehmender Stellenwert

Anteil der EU am Aussen­handel der Schweiz

Achse gekürzt198820002010201981 %69 % Import66 %52 % Export406080100 %

2019 = Januar bis November. Quelle: EZV

Das ist hervorragende Munition, um als Wirtschaftsminister die Nähe zu Donald Trump zu suchen und ein Freihandelsabkommen mit den USA voranzutreiben. Zumal sich der Handel mit den Vereinigten Staaten genau gegenläufig entwickelt: Seit der Finanz­krise nehmen die Anteile zu, wobei vor allem der Export in die USA regelrecht boomt: 1988 betrug er noch 8 Prozent am Gesamt­total der Ausfuhren, heute sind es bereits 17 Prozent.

Exporte nach Westen

Anteil der USA am Aussen­handel der Schweiz

19882000201020195 %7 % Import8 %17 % Export01020 %

2019 = Januar bis November. Quelle: EZV

Ein erster Anlauf für ein Freihandels­abkommen mit den USA scheiterte 2006. Ironischer­weise erreichten die Exporte genau in jenem Jahr ihren Tiefpunkt.

Danach ging es aufwärts – auch ohne speziellen Handels­vertrag. Das liegt vor allem am Export von chemisch-pharmazeutischen Produkten: Von 2008 bis 2018 legte dieser stark zu. Weniger prominent als Absatz­markt sind die USA etwa für die Maschinen- und die Uhren­industrie oder für Nahrungsmittel.

Neben den USA hat auch China als Handels­partner an Bedeutung gewonnen. 2014 schloss die Schweiz mit der Volksrepublik einen Vertrag. Seither gelten niedrigere Zölle.

Der grenzüberschreitende Handel intensivierte sich freilich schon zuvor. Besonders die Importe aus China nahmen zu: Vor dreissig Jahren lagen sie noch unter 1 Prozent, 2010 waren es bereits 3,5 Prozent, und nach einem weiteren Sprung sind heute 7 Prozent der hiesigen Einfuhren made in China.

Importe aus dem Osten

Anteil von China am Aussen­handel der Schweiz

19882000201020190 %7 % Import1 %5 % Export0510 %

2019 = Januar bis November. Quelle: EZV

Nicht nur mit China, sondern generell mit Asien nahm der Waren­austausch zu. Die Schweiz exportiert viele Uhren und importiert nebst Produkten der Pharmaindustrie viele Maschinen, Elektronik und Textilien aus Asien.

Grund genug also, den Kopf in beide Richtungen zu drehen: ganz nach Westen und ganz nach Osten – Hauptsache, möglichst weit weg von der Schweiz.

Doch man kann die Handels­statistik auch noch auf andere Weise darstellen.

2. Aufgepasst auf die Nachbarschaft

Und zwar, indem man die Handels­anteile der drei grossen Wirtschafts­räume schlicht und einfach in einen gemeinsamen Balken­chart platziert. Etwa so:

Am meisten Güter kommen aus Europa

Aussenhandel nach Regionen, 2019

EU
USA
China
Rest
69 % Anteil an den Importen7 % 7 % 17 %

2019 = Januar bis November. Quelle: EZV

In dieser Grafik dominiert die blaue Fläche – sie symbolisiert den Anteil der Güter, den die Schweiz aus der EU bezieht. Er liegt derzeit bei 69 Prozent.

7 von 10 Franken für importierte Produkte werden demnach für Lieferungen aus der EU ausgegeben. Es liegt auf der Hand, dass günstige Konditionen für diese Lieferungen ein wichtiger Wirtschafts- und Wohlstands­faktor sind.

Für Position 2 – die Beziehungen zur EU sind von grösster Bedeutung – lässt sich analog auch ein Balken­chart mit den Export­anteilen ins Feld führen.

Am meisten Güter gehen nach Europa

Aussenhandel nach Regionen, 2019

EU
USA
China
Rest
52 % Anteil an den Exporten17 % 5 % 26 %

2019 = Januar bis November. Quelle: EZV

Die blaue Fläche ist hier zwar nicht mehr ganz so dominant wie bei den Importen, doch sie ist immer noch grösser als alle anderen Flächen zusammen.

Dass der Export in die Europäische Union reibungslos funktioniert, bleibt somit eine wichtige Aufgabe der Handels­politik. Jeder zweite Franken, den die hiesige Wirtschaft mit Lieferungen ins Ausland verdient, hängt davon ab.

Zudem sind die Exporte breiter diversifiziert: So entfallen etwa 60 Prozent der Exporte nach Nord­amerika auf den Bereich Chemie und Pharma. Die Ausfuhr von Medikamenten, Diagnostika und Wirkstoffen dominiert den Handel mit den USA. In der EU macht diese Sparte nur etwa 40 Prozent aus.

Dafür haben andere Produkte, etwa aus der Maschinen-, Elektronik- und Metall­industrie, einen grösseren Stellen­wert. Europa ist also gerade für die hiesigen KMU, auf die ein Grossteil der Beschäftigung entfällt, wichtig.

Was stimmt nun also – Position 1 oder 2?

Wer bei Google nach den wichtigsten Handels­partnern der Schweiz sucht, findet unterschiedliche Antworten.

Die simple Wahrheit ist, dass beide Aussagen zutreffen. Ja, der Handel mit fernen Ländern wird tendenziell wichtiger. Aber ja, die Schweiz bleibt auch stark davon abhängig, was in unserer nächsten Nachbarschaft geschieht.

Lassen Sie sich also nicht täuschen, wenn die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) Ende Januar die ganzjährigen Handels­zahlen fürs abgelaufene Jahr bekannt gibt – und Kommentatoren dem ihren jeweiligen Spin geben: Der Welthandel aus Schweizer Sicht lässt sich nicht in einseitige Botschaften verpacken.

Zu den Daten

Sie stammen von der Swiss-Impex-Datenbank der Eidgenössischen Zoll­verwaltung. Die Anteile fürs Jahr 2019 sind anhand der Monate Januar bis November hochgerechnet und provisorisch.

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