Was diese Woche wichtig war

Schock in den USA, Provokation in Indien, Hilfe für Suchtkranke – und zweimal Italien

Woche 32/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck und Philipp Albrecht, 09.08.2019

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Zwei Attentate erschüttern die USA

Darum geht es: In den Vereinigten Staaten kam es vergangenes Wochenende zu zwei Attentaten. Am Samstag­morgen schoss ein Mann in einer Walmart-Filiale im texanischen El Paso mit einem Sturm­gewehr um sich. Er tötete 22 Menschen, 26 wurden verletzt. Der Tatverdächtige stellte sich der Polizei und wurde verhaftet. In der Nacht auf Sonntag, also keine 24 Stunden später, erschoss ein Mann im Ausgeh­viertel von Dayton, Ohio, 9 Menschen und verletzte 27. Der Täter wurde von der Polizei erschossen.

Trauer nach dem Massaker: Gedenken in El Paso an den Tod von 22 Menschen. John Locher/AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: Wenige Minuten vor dem Anschlag in der Grenzstadt El Paso war auf der Internetplattform «8chan» ein hetzerisches Manifest gepostet worden, in dem von einer «hispanischen Invasion in Texas» die Rede war. Das vierseitige Manifest, das auch dem Attentäter von Christchurch applaudierte, soll laut den US-Behörden vom 21-jährigen Tatverdächtigen verfasst worden sein. Es werde nun ermittelt, ob es sich beim Attentat um ein Hassverbrechen und Inland­terrorismus handle. Das Motiv des 24-jährigen Attentäters in Dayton ist derweil noch unklar. Laut dem FBI habe er sich für «gewalttätige Ideologien» interessiert. Beide Attentäter hatten ihre Waffen legal erworben. Kurz nach den Anschlägen entbrannte zum wiederholten Mal eine Debatte um das Waffen­recht in den USA. Verschiedene Vertreter von demokratischer, aber auch von republikanischer Seite forderten eine Verschärfung der Waffen­gesetze und verurteilten den weissen Nationalismus, gestärkt vom Präsidenten. Trump sprach sich in seiner Rede am Montag im Weissen Haus ebenfalls gegen das weisse Supremat und gegen Rassismus aus. Trump propagierte die Todes­strafe für Massen­mörder und kritisierte gewalttätige Video­spiele. Zudem sollten Menschen, die eine «Bedrohung für die öffentliche Sicherheit» darstellten, sogenannte red flags, am Besitz einer Waffe gehindert werden. Am Mittwoch reiste Trump gemeinsam mit First Lady Melania in die beiden betroffenen Städte El Paso und Dayton. In beiden Städten kam es zu Protesten gegen den Besuch.

Was als Nächstes passiert: Die Red-Flag-Gesetze, wie es sie in 17 US-Bundesstaaten bereits gibt, gehen den Demokraten zu wenig weit. Sie fordern besonders eine Verschärfung von sogenannten background checks bei Waffenkäufern. Auf seinem Weg nach Dayton und El Paso zeigte sich Trump – wie 2018 nach dem Attentat an einer Highschool in Parkland, Florida – ebenfalls als Befürworter umfassenderer background checks, zum Ärger der National Rifle Association. Wie lange Trump seine Linie dieses Mal hält, ist ungewiss. Bei einem entsprechenden Gesetzes­entwurf des Repräsentanten­hauses, der seit Februar beim Senat hängig ist, hatte er sein Veto angedroht. Die Demokraten bemühen sich derweil darum, den republikanischen Mehrheits­führer im Kongress auf ihre Seite zu bringen.

Indien provoziert erneuten Krieg in Kashmir

Darum geht es: Indien hat der Region Jammu und Kashmir den Sonderstatus entzogen. Das Oberhaus in Delhi hat ein entsprechendes Gesetz durchgewinkt, wie Innen­minister Amit Shah am Montag bekannt gab. Das Unterhaus bestätigte den Entscheid. Der Gliedstaat soll zudem in zwei Teile aufgespalten werden. Die nationalistische Hindu-Regierung fasste den Entschluss einseitig und entsandte in den letzten Wochen Zehntausende zusätzliche Soldaten in die Region, um Wider­stände zu verhindern. Zudem wurden am Sonntag Telefon- und Internet­verbindungen in der Grenzregion am Himalaja gekappt. Oppositions­führer in Kashmir wurden kurzerhand unter Hausarrest gestellt.

Ausnahmezustand: Indische Soldaten in Srinagar, einer Stadt in der Region Jammu und Kashmir. Dar Yasin/AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: Kashmir wird seit 1947 umkämpft, damals wurde das Kolonialreich Britisch-Indien in die Staaten Indien und Pakistan aufgeteilt. Grosse Teile der Region werden von Indien oder von Pakistan verwaltet, ein kleiner von China. Gut 70 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch. 1949 wurde dem indisch verwalteten Teil Jammu und Kashmir mit dem Verfassungsartikel 370 eine Teilautonomie gewährt. Dadurch erhielt der Gliedstaat unter anderem eine eigene Verfassung und eine Regional­regierung. Die Spaltung Kashmirs führte zu drei Kriegen zwischen Pakistan und Indien. Trotz einer seit 2003 verhängten Waffenruhe kommt es weiterhin jährlich zu Attentaten und Kämpfen. Die letzte grosse Eskalation war im Februar dieses Jahres, als sich ein islamistischer Attentäter im indischen Gebiet in die Luft sprengte und 40 indische Soldaten tötete. Indien reagierte mit Luftangriffen auf Pakistan. Dem Premierminister Narendra Modi und seiner hindu­nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) war der Sonderstatus des mehrheitlich muslimischen Jammu und Kashmir ein Dorn im Auge. Artikel 370 war erst im April 2018 von seinem ursprünglichen Status in einen permanenten überführt worden. Dieser Beschluss machte eine Aufhebung der Teilautonomie eigentlich unmöglich. Dass es nun doch so weit kam, sorgt bei internationalen Menschenrechts­organisationen für Entrüstung. Kritiker werfen dem Premier­minister vor, aus dem säkularen Indien unter faden­scheinigen wirtschaftlichen Argumenten einen Hindu-Staat machen zu wollen. Juristen zweifeln zudem an der Rechtmässigkeit des Gesetzes.

Was als Nächstes geschieht: Pakistan hat den Beschluss als illegal bezeichnet und am Mittwoch angekündigt, als Folge den bilateralen Handel mit Indien zu sistieren. Auch werde der indische Botschafter aus dem Land gewiesen. Wann die Massnahmen in Kraft treten werden, liess die Regierung bislang offen. In Kashmir herrscht derweil eine grosse Verunsicherung unter der Bevölkerung.

Neues Gesetz in Italien will drakonische Strafen für Seenotretter

Darum geht es: Bis zu einer Million Euro Busse und zehn Jahre Haft – damit müssen Seenotretter künftig rechnen, sollten sie ohne Bewilligung in italienische Gewässer einfahren. Die italienischen Behörden haben zudem neu das Recht, die Rettungs­schiffe zu beschlag­nahmen. Der Senat in Rom hat vergangenen Montag ein entsprechendes Gesetz mit 160 zu 57 Stimmen verabschiedet.

Warum das wichtig ist: Das Gesetz hat seinen Ursprung in einer Notverordnung vom Juni, gepusht vom rechtsextremen Innen­minister Matteo Salvini. Diese sah ein härteres Vorgehen gegen die von Salvini verhassten privaten Seenotretter vor und Strafen von 10’000 bis 50’000 Euro. Kapitänin Carola Rackete wurde auf Basis des Dekrets mit einer Busse von über 16’000 Euro bestraft. Jetzt wurde aus dieser temporären Notverordnung ein Gesetz. Zudem wurde der mögliche Bussgeld­betrag massiv erhöht. Die Abstimmung im Senat war an eine Vertrauens­frage geknüpft, um das Gesetz möglichst zügig und unverändert durch die Kammern zu bringen – ein gern angewendeter Kniff der italienischen Regierung. Wirklich bedrohlich war die Situation für Salvini jedoch nicht, hält doch die Koalition aus seiner Lega und der populistischen 5-Sterne-Bewegung die Mehrheit im Senat. Für den Innenminister ist dieser Ausgang ein Triumph. Er bedankte sich auf Twitter sogleich bei der heiligen Jungfrau Maria für das Resultat. Verschiedene NGOs und das Flüchtlings­hilfswerk der Uno (UNHCR) zeigen sich derweil alarmiert, wie schon beim Erlass des Dekrets im Juni.

Was als Nächstes geschieht: Das Gesetz muss in einem letzten Schritt vom Staats­präsidenten Sergio Mattarella unterzeichnet werden. Er könnte es zu einer erneuten Begutachtung zurücksenden, doch dass er das tun wird, ist unwahrscheinlich. Die Gegner des Gesetzes sind jedoch nicht nur alarmiert, sondern auch hoffnungsvoll. Gorden Isler von der Organisation Sea-Eye vertraut auf die italienischen Juristen, die dieser «völlig entgleisten Politik» den Riegel vorschieben würden. Eine Busse würde Sea-Eye nicht ohne Widerstand hinnehmen. Laut dem italienischen Verfassungsrechtler Gaetano Azzarita sei das Gesetz weder mit internationalem Seerecht noch mit der italienischen Verfassung kompatibel. Die EU-Kommission will derweil prüfen, ob das Gesetz im Einklang mit europäischem Recht stehe, so ein Sprecher. Falls nicht, könnte dies ein sogenanntes Vertrags­verletzungs­verfahren gegen Italien nach sich ziehen.

Suchterkrankte dürfen neu IV-Rente beziehen

Darum geht es: Das Schweizer Bundes­gericht hat einen wegweisenden Entscheid für suchterkrankte Menschen gefällt. Neu haben diese einen Anspruch auf eine Invalidenrente. Konkret beschäftigte sich das Gericht mit dem Fall eines drogen­abhängigen Mannes, dessen Antrag auf IV-Rente in Zürich abgelehnt worden war. Das Zürcher Sozialversicherungs­gericht hatte den Entscheid gestützt.

Warum das wichtig ist: Bisher hatten Menschen mit einem Suchtproblem nur dann einen Anspruch auf eine IV-Rente, wenn die Sucht aus einer Krankheit heraus entstand oder in eine mündete. Zudem galt eine Sucht als selbst verschuldet – und damit auch die eigene Arbeits­unfähigkeit. Die Amtsstellen sahen den Anspruch auf IV-Gelder deshalb nicht gegeben. Mit dem am Montag veröffentlichten Urteil vom 11. Juli kippt das Bundesgericht diese Haltung. Wie in der medizinischen Praxis seit langem üblich, erkennt das Gericht eine Sucht als eine Erkrankung an. Für Manuel Herrmann, den stellvertretenden General­sekretär vom Fachverband Sucht, ist dieses Umdenken überfällig. Die Gelder bleiben jedoch an gewisse Bedingungen geknüpft. So muss die erkrankte Person eine ärztliche Abklärung vornehmen und kann zu einer Therapie verpflichtet werden.

Was als Nächstes geschieht: Mit dem Entscheid müssen die IV-Stellen ihre Praxis anpassen. Die IV geht jedoch nicht davon aus, dass sich die Anzahl an Empfängern vergrössern wird. Dies sei auch nicht der Fall gewesen, als das Bundes­gericht bei psychisch Erkrankten gleich entschied.

Italien sucht nach Steuersündern in der Schweiz

Darum geht es: Italien verlangt erstmals von der Schweiz, dass sie Daten von möglichen UBS-Kunden mit italienischem Wohnsitz ausliefert. Die italienische Steuer­behörde will wissen, ob es vermögende Landsleute gibt, die zwischen Februar 2015 und Dezember 2016 bei der grössten Schweizer Bank Geld liegen hatten, das sie nicht nach italienischen Gesetzen versteuert hatten. Die Anfrage stammt vom Dezember 2018, wurde allerdings erst am Dienstag bekannt, als sie die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) im Bundesblatt publizierte.

Warum das wichtig ist: Es handelt sich um die erste sogenannte Gruppen­anfrage aus Italien, wie der Tessiner Steueranwalt Giovanni Molo sagt. Dass die Schweiz überhaupt auf solche Anfragen reagiert, ist erst seit ein paar Jahren möglich. Ähnliche Begehren kamen bereits aus den Niederlanden, Israel und Frankreich. Die Steuer­behörden der Staaten gehen wahrscheinlich davon aus, dass es noch Landsleute gibt, die bis Ende 2016 – als der automatische Informations­austausch noch nicht in Kraft war – ein Schweizer Bankkonto hatten und dies auch dann nicht meldeten, als man ihnen eine Steuer­amnestie anbot.

Was als Nächstes geschieht: Die vom Amtshilfe­gesuch betroffenen Personen haben 20 Tage Zeit, sich bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu melden. Dann können sie sich zur Auslieferung ihrer Daten äussern. Sind sie mit der Datenlieferung nicht einverstanden, schickt ihnen die ESTV eine Verfügung, die sie bis vor Bundesgericht anfechten können. In der Finanz­branche wird vermutet, dass die Italiener später auch von anderen Schweizer Banken Daten verlangen könnten, um diese in Klagen gegen Finanz­institute zu verwenden. Das wäre allerdings nach internationalem Recht verboten.

Fast zum Schluss: #dichterdran

Manchmal lohnt es sich halt trotzdem, in den sozialen Netzwerken rumzustöbern. Der jüngste Beweis ist #dichterdran auf Twitter. Die Basis ist ein Post der Schweizer Journalistin Nadia Brügger vom 2. August. Darin kritisiert sie ein Porträt von Sally Rooney, einer jungen Bestseller­autorin aus Irland. Der Text stammt von einem Kultur­redaktor des «Tages-Anzeigers». Und der schreibt zum Beispiel, Rooney sehe aus wie «ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen». Brügger empört sich – zu Recht – über den ranzigen male gaze. Sie bleibt damit nicht lange allein. Kein öffentlicher Shitstorm, die Sache wurde viel besser. Denn Brügger tat sich mit der Journalistin Simone Meier und Filmregisseurin Güzin Kar zusammen, und gemeinsam stellen sie sich die Frage, wie das eigentlich aussähe, wenn Frauen über Autoren schrieben, und zwar so, wie Männer über Autorinnen schreiben. Die drei Frauen übten sich sogleich auf Twitter, signiert mit #dichterdran. Brügger, Meier und Kar blieben nicht lange zu dritt, der Hashtag trendet seit Tagen, schwappte über bis nach Deutschland. Manchmal fährt Literaturkritik – und die Kritik an der Kritik – richtig ein.

Top-Storys: Was zu lesen fürs Wochenende

Der Mann hinter dem Meme 20 Filme in zwei Jahren: Nicolas Cage stemmt einen Output wie kaum jemand in Hollywood. Er macht ja gefühlt alles mit. Die «New York Times» hat den legenden­umwobenen Schauspieler getroffen. Entstanden ist ein Gespräch über schlechtes Schauspiel, blutige Brunnen und hungrige Kobras.

Mais non! Die Franzosen sagen so gerne «non». Wieso eigentlich? BBC Travel ging auf die Suche nach einer Antwort und fand heraus, dass sie mit ihrem Nein (in diesem Fall) manchmal auch Ja sagen wollen.

Hammer im Kopf Chronische Kopfschmerzen tun nicht nur verdammt weh, sie treiben die Betroffenen auch in die Isolation. Wie man trotz lähmender Schmerzen ein soziales Leben führen kann, beschreibt Ulrike Pichl, selber Migräne­patientin, in ihrer neusten Kolumne im Magazin der «Süddeutschen Zeitung».

Beloved Nobelpreisträgerin Toni Morrison ist diese Woche im Alter von 88 Jahren verstorben. Die Afroamerikanerin gab mit ihrem Werk jenen eine Stimme, die nicht gehört wurden. In einem Nachruf führt «The Guardian» durch ihr Schaffen.

Was diese Woche wichtig war

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