Gift und Galle

Disneys dicker Hintern

Von Ronja Beck, 26.07.2019

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Wagen wir ein Gedankenexperiment.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen einen Hamburger essen. Sie treten durch die Glastür ins Schnell­restaurant, blicken auf die schönen Bilder über der Theke und bestellen. Wenig später kriegen Sie ein in fettiges Papier gewickeltes Etwas vor die Brust geworfen. Sie wickeln es auf und fragen sich, ob es tatsächlich sein könnte, dass sich jemand versehentlich auf Ihren Burger gesetzt hat.

Dieser wie von Arschbacken geplättete Hamburger ist im Grunde nichts anderes als die Neuverfilmung von «The Lion King».

Das war jetzt gemein.

Aber wissen Sie, was auch gemein ist? Wenn einem ein Stück Kindheit geraubt wird. Und das, obwohl man längst ausgewachsen ist und denkt, dass es da nicht mehr viel zu holen gibt. Dass diese Zeiten, die meist ganz gut waren, passé sind, abgeschlossen, Schlüssel weg, schön wars.

Und dann kommt Disneys dicker Hintern.

Währenddessen ist der eigene dicke Hintern fest im Kinosessel vertäut. Nur wenige Menschen im Rücken, aber es ist auch ein sonniger Sonntag­mittag. Auf jeden Fall sitzt man gemütlich da, und Beyoncé brettert durch die Lautsprecher, während die unechten echten Löwen vor uns durch die Savanne springen. Und man denkt sich:

Wieso tut ihr uns das bloss an?

Der «König der Löwen», also das Original, das 1994 in die Kinos kam, ist zweier Dinge wegen so gelungen: zum einen, Achtung Spoiler, weil der Löwenpapa Mufasa stirbt, getötet von seinem eigenen Bruder. Sohn Simba kann sich nur noch zu seiner Leiche legen. Eine Hauptfigur wird kaltblütig gekillt im ersten Drittel des Filmes. Sowas gabs bei Hitchcock, aber für Disney war das ungewöhnlich.* Das war hart für einen Trickfilm, das war Mord, Selbsthass und Vergebung. Der dunkle Torf, auf dem das Leben wächst. Das war frühkindliche Konfrontation, die wirkte.

Zum anderen war der Film so gut wegen der Musik. Komponist Hans Zimmer, Songtexter Tim Rice und Sir Elton John addiert ergab Melodien – o Junge!

Und was hat das jetzt mit dem Burger vom Anfang zu tun? Nun, die Neuverfilmung von «The Lion King» hat all das auch, die Tragik, die Musik. Aber sie hat es auch wieder nicht.

Mufasa stürzt zwar auch 2019 in eine wilde Gnu-Herde und stirbt. Aber dieses Mal sind die Gnus, die Löwen und alles andere dreidimensional und bis aufs Haar animiert. Und das so präzise, dass der Film in verschiedenen Medienbeiträgen fälschlicherweise als live action, also als Realverfilmung, bezeichnet wurde. Und Menschen in Kommentar­spalten fragten, wie man es denn fertigbrachte, die Tiere so gut zu trainieren.

Die Computer lassen die Tiere lebendig wirken. Das ist sehr schön anzusehen. Doch Disney bezahlt die Perfektion mit der Seele.

Das offenbart sich schön am Höhepunkt dieser an Shakespeares «Hamlet» angelehnten Helden­reise. Da entdeckt Simba seinen toten Vater, und anstatt in ein tränennasses Löwen­gesichtlein wie im Trickfilm blicken wir in das ausdrucks­schwache Antlitz einer afrikanischen Raubkatze.

Realität: 1, Seele 0.

Seele, Gefühl, Charme – nennen Sie es, wie Sie wollen, aber dieser 260-Millionen-Dollar-Produktion fehlt es. Da sind keine tanzenden Timon und Pumbaa, keine zu fantastischen Pyramiden aufgetürmten Elefanten und Ameisen­bären, keine dicken Löwen­tränen. Und wohin sind die ganzen prallen Farben entschwunden?

Der König der Löwen wurde kurzerhand an die Leine genommen und durch das geweihte Land gezerrt.

Immerhin ist da noch die Musik. Die funktioniert noch immer. Es ist ja auch dieselbe wie vor 25 Jahren, auch wenn der pathos­fanatische Hans Zimmer lauter und länger trommeln lässt als damals. Soll er doch. Solange er die Songs in Ruhe lässt.

Macht er, die sind immer noch gleich. Also fast. Jetzt werden sie halt von Tieren gesungen, wie man sie im Zoo sieht, was etwas schräg ist. Die Stimmen leiht ihnen dafür ein neuer, grösstenteils dunkel­häutiger Cast. Das war 1994 nicht so. Jetzt sprechen und singen Chiwetel Ejiofor statt Jeremy Irons, Donald Glover statt Matthew Broderick und Beyoncé statt Moira Kelly.

Das ist auf den ersten Blick ein Fortschritt. Schliesslich musste Disney viel Kritik dafür einstecken, dass ausgerechnet die Hyänen im Schatten­reich von Dunkelhäutigen synchronisiert wurden und Slang sprachen. Doch es riecht eben auch sehr nach Kalkül – und ändert doch letztlich nichts an der bereits in den Neunzigern kritisierten Tatsache, dass Disney mit dem Film im Grunde eine faschistische Löwendiktatur glorifiziert.

Disney hat seit jeher scharfe Fronten zwischen Gut und Böse gezogen und dabei ordentlich die Moralkeule geschwungen. Schwing! Wertestark. Schwing! Familienfreundlich. Schwing! Konservativ.

Im Gegensatz zu anderen Produktions­firmen – wie dem grossartigen Studio Ghibli in Japan – humpelt Disney mit diesem knorrigen Moral­system der Zeit stets hinterher.

Nun kommt zu alldem auch noch, passend zum Zeitgeist, computer­generierte Perfektion hinzu. Dass der Film trotz durchzogener Kritik weltweit bereits über eine halbe Milliarde Dollar eingespielt hat, macht nur noch mehr Bauchweh.

Etwa so wie ein matschiger Hamburger. Manchmal lebt es sich fern der Realität einfach schöner.

* Okay, stimmt: «Bambi» war auch traurig.

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