Briefing aus Bern

Erwünschtes Radio­studio, unerwünschte Transparenz – und eine verfluchte Bäckerei

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (62).

Von Urs Bruderer und Dennis Bühler, 20.06.2019

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Einen unvergesslichen Satz zum Frauenstreik beigesteuert hat Tamara Funiciello: «Wir streiken, weil wir nicht nur die Hälfte des Kuchens wollen, sondern die ganze verfluchte Bäckerei!» Diesen Satz schrie die Noch-Juso-Präsidentin am Ende einer wütenden, persönlichen, tollen Rede vor dem Bundeshaus Zehntausenden Frauen zu. Und die jubelten, weil dieser Satz in diesem Moment so wahr klang.

Der Slogan vom grösseren Kuchen­stück und der Bäckerei ist altes altlinkes Zeug. Aber Funiciello hat ihn präzisiert. Auch die Hälfte des Kuchens könne nicht das Ziel sein, sagt sie. Und das heisst: Es geht den Frauen nicht nur um gleich viel Lohn und gleich viele Topjobs und politische Mandate. Sie fordern nicht nur Verteil­gerechtigkeit zwischen Mann und Frau. Sondern neue Verhältnisse.

Ein vages Ziel, verglichen mit all den konkreten Forderungen, die jetzt gestellt und zum Mass­stab genommen werden für den Erfolg des Aufmarsches von über einer halben Million Menschen, der grössten politischen Aktion in der Geschichte der Schweiz.

Doch direkte Folgen wird der Frauen­streik kaum haben. Fünf Tage danach nahm jetzt zwar überraschend auch der Ständerat die Frauen­quoten für Verwaltungs­räte und Geschäfts­leitungen von Unter­nehmen an. Aber die Quoten sind tief und unverbindlich. «Quötchen mit Samt­pfötchen», so die SP-Ständerätin Anita Fetz. Keine Chance haben hingegen die undurchdachten Vorschläge, Parteien mit finanziellen Anreizen oder Zwang dazu zu bewegen, gleich viele Frauen wie Männer auf ihre Listen zu nehmen. Auch hohe Bussen für Firmen, die Frauen weniger Lohn bezahlen, sind kaum mehrheitsfähig. Eine Elternzeit von 38 Wochen? Man wird sich schon über einen Vaterschafts­urlaub von 2 bis 4 Wochen freuen müssen. Vielleicht sinkt die Mehrwert­steuer auf Tampons.

Und doch wird der Streik nachwirken. Weil er zeigte, wie enorm weit verbreitet das Unbehagen der Frauen in der Gesellschaft ist. Weil viele Frauen gemeinsam für ihre Rechte und Anliegen gekämpft haben, das macht Mut. Weil er einen Platz in der Geschichte und im Gedächtnis aller Menschen in der Schweiz eingenommen hat. Weil er einen nicht fassbaren Einfluss auf die Wahlen im Herbst hat und mehr Frauen ins Bundes­haus bringt. Und weil dies ein ganz anderer Anlass war als jede andere Gross­demo, nämlich dezentral, friedlich und vielfältig – und weil er damit eine Ahnung gab von den neuen Verhältnissen, um die es geht.

Und damit zurück in die verfluchte Bäckerei, zum Briefing aus Bern.

Keine neuen Regeln für Lobbyisten

Worum es geht: Der Nationalrat will keine Transparenz­vorschriften für professionelle Lobbyisten mit Dauer­zugang zum Bundeshaus. Diese brauchen ihre Auftrag­geber und Mandate somit weiterhin nicht offenzulegen. Und das, obwohl im Vorfeld selbst der Lobbyisten­verband für die Reform geweibelt hatte.

Was Sie wissen müssen: Zu bürokratisch, zu teuer, kein Mehrwert – so lautete die Begründung von CVP-Nationalrat Marco Romano, der den Widerstand gegen den von der Ständerats­kommission erarbeiteten Gesetzes­vorschlag anführte. In Tat und Wahrheit geht es um Macht. Es gefällt den Parlamentariern, dass sie es sind, die den Lobbyisten einen exklusiven Zugang zum Bundes­haus gewähren können – jeder Volks- und Stände­vertreter darf zwei der begehrten Badges vergeben, womit die Lobbyisten in die Rolle von Bittstellern gedrängt werden. Und: «Wenn sie uns zu Transparenz zwingen würden, müssten sie selbst transparenter werden», sagt Lobbyistenpräsident Reto Wiesli. «Davor fürchtet man sich im Bundeshaus.»

Wie es weitergeht: Vier Jahre nach der Kasachstan-Affäre um FDP-National­rätin Christa Markwalder ist der damals kurzzeitig spürbare Schwung verflogen. Etliche Vorstösse wurden seither abgelehnt, abgeschrieben oder zurück­gezogen. Dennoch dürfte bald erneut Bewegung in die Sache kommen. Zum einen könnte es bei den Wahlen im Herbst zum Generationen­wechsel im Parlament kommen – und Jüngere gelten gegenüber Transparenz­begehren in der Regel als aufgeschlossener –, zum anderen gelangt im kommenden Jahr die Transparenz­initiative an die Urne, bei der es um das verwandte Thema der Parteien­finanzierung geht.

Bundesanwalt Lauber muss das Fifa-Dossier abgeben

Worum es geht: Das Bundes­straf­gericht hat die Ausstands­gesuche zweier hoher ehemaliger Funktionäre des Welt­fussball­verbands Fifa bestätigt und Bundes­anwalt Michael Lauber damit das Fifa-Dossier entzogen. Der oberste Staats­anwalt sei zumindest dem Anschein nach befangen, so das Gericht. Den Anschein von Befangenheit haben sich laut Gericht auch ein ehemaliger Staatsanwalt der Bundes­anwaltschaft zugezogen sowie derjenige, der die Verfahren um den Welt­fussball­verband Fifa derzeit führt.

Was Sie wissen müssen: Die Bundes­anwaltschaft ermittelt seit Jahren rund um die Fifa. In die Schlag­zeilen geriet Michael Lauber, als auskam, dass er sich mehrmals informell mit Fifa-Präsident Gianni Infantino getroffen hatte, und als er sagte, dass er sich an manche Treffen nicht mehr erinnern könne. Die Behörde, die die Aufsicht über die Bundes­anwaltschaft innehat, beantragte darum ein Disziplinar­verfahren. Lauber griff daraufhin die Aufsicht an und verteidigte sich mit dem Argument, solche informellen Treffen seien für die Arbeit der Bundes­anwaltschaft nötig. Dieses Argument ist nun gerichtlich widerlegt. Lauber hätte keine solchen Treffen abhalten dürfen, schon gar nicht, ohne sie zu protokollieren. Und auch die informellen Kontakte seiner Unter­gebenen zur Fifa waren unzulässig.

Wie es weitergeht: Die Bundes­anwaltschaft steht im Fifa-Dossier vor einem Scherben­haufen. Weitere Ausstands­gesuche sind hängig. Die Ermittlungen der nun in den Ausstand gezwungenen Staats­anwälte sind vor Gericht womöglich nicht mehr verwendbar. Die Verfahren sind zurück­geworfen und drohen zu verjähren. Und für Lauber wird es immer dunkler. Die Disziplinar­untersuchung gegen ihn läuft noch. Das Parlament will deren Resultat abwarten und hat deswegen seine ursprünglich für Mai geplante Wiederwahl auf den Herbst verschoben. Jetzt liegt schon ein Urteil des Bundes­strafgerichts vor, das seine Verteidigung der informellen Kontakte zwischen Bundes­staats­anwaltschaft und Fifa zerfetzt.

Der Nationalrat will das Radiostudio Bern erhalten

Worum es geht: Der Nationalrat setzt sich für den Erhalt des Radio­studios Bern ein. In fünf Vorstössen forderten SVP, FDP, CVP, Grüne und SP, dass die SRG ihr Radio-News-Angebot in Bern produzieren soll. Die zuständige Kommission lehnte die Vorstösse ab, doch der Rat hat sie überraschend deutlich angenommen, mit 120 zu 54 Stimmen.

Was Sie wissen müssen: Vergangenes Jahr entschied der SRG-Verwaltungs­rat, das Radio­studio Bern aufzugeben und die Redaktion nach Zürich an den Leutschenbach zu verlegen. Also dahin, wo SRF schon seine Fernseh­programme produziert. Die SRG sagt, sie könne so die Kosten senken. Um wie viel, ist unklar. Für die Kritikerinnen und Kritiker des Entscheids verstösst die geplante Zentralisierung gegen den Geist der föderalistischen Schweiz: Ein öffentlich-rechtliches Medienhaus solle den Trend zur Medien­konzentration nicht mitmachen, sagen sie. Tatsächlich sitzen inzwischen alle grossen, überregionalen News­redaktionen der Deutsch­schweiz in Zürich. Einzige Ausnahmen: die CH-Media-Redaktion in Aarau («Aargauer Zeitung», «Luzerner Zeitung», «St. Galler Tagblatt» und «Thurgauer Zeitung») und Radio SRF. Im Radio­studio entstehen heraus­ragende Sendungen wie «Heute Morgen», «Rendez-vous» oder das «Echo der Zeit». Ein Umzug nach Zürich gefährdet die Qualität der Radio­bericht­erstattung, schrieb die Republik.

Wie es weitergeht: Nun muss sich der Ständerat erneut mit dem Radio­studio beschäftigen. Als das föderalistische Gewissen der Schweiz müsste die kleine Kammer eine dezentrale SRG eigentlich befürworten. Doch überwog bei ihr bisher das Argument, dass die Politik der SRG nicht ins operationelle Geschäft hinein­reden dürfe. Als Nächstes stehen Gespräche an. Unter den Politikern und zwischen Politik und SRG.

Erneuter Geldsegen für die SDA-Aktionäre

Worum es geht: Die einzige vollwertige Schweizer Nachrichten­agentur SDA macht seit anderthalb Jahren primär mit Spar­massnahmen von sich reden. Dennoch haben die Aktionäre nun auf Antrag des Verwaltungs­rats eine Dividenden­ausschüttung von 1,4 Millionen Franken beschlossen – und das, obwohl die SDA seit Anfang 2019 vom Bund mit 2 Millionen Franken pro Jahr unterstützt wird.

Was Sie wissen müssen: Die SDA ist die Chronistin unter den Schweizer Medien­häusern. Tag für Tag verschickt sie Newsmeldungen, rund um die Uhr und stets gewissenhaft. 166’658 waren es im vergangenen Jahr laut Geschäfts­bericht insgesamt. Aber die SDA hat ein strukturelles Problem: Die Verleger sind einerseits ihre Besitzer, andererseits ihre Kunden. Als Besitzer wollen sie Rendite sehen, als Kunden möglichst wenig Geld für den Abdruck der Meldungen bezahlen. Als die SDA 2018 mit der Bild­agentur Keystone fusionierte, kam es zur Massen­entlassung und einem mehrtägigen Streik der Belegschaft. Davon unbeeindruckt liessen sich die Aktionäre im vergangenen Jahr 12 Millionen Franken aus aufgelösten Reserven auszahlen. Und nun erneut 1,4 Millionen Franken. Der Unternehmenssprecher wiegelt ab: Es handle sich nicht um eine neue Dividende, sondern um die Schluss­abrechnung unter den «Alt-Aktionären» nach dem Vollzug der Fusion.

Wie es weitergeht: Medien­ministerin Simonetta Sommaruga stellt die finanzielle Unterstützung des Bundes, die der regionalen Bericht­erstattung zugute­kommen soll, nicht infrage. Im Parlament sagte sie, die seit Anfang 2019 geltende Leistungs­vereinbarung erlaube es nicht, dass der Bundes­beitrag für die Dividenden­ausschüttung verwendet werde. «In Geschäfts­feldern ausserhalb der Leistungs­vereinbarung sind Gewinne und Dividenden aber auch in Zukunft zulässig.» Gut möglich also, dass die Besitzer der SDA – darunter seit der Fusion auch die österreichische Nachrichten­agentur APA – die Zitrone weiterhin auspressen werden.

Nach der Entschuldigung der Rücktritt

Die Aargauer SVP-Regierungsrätin Franziska Roth tritt zurück. Mit diesem Schritt kommt sie wohl einem Bericht über ihre Arbeits­weise zuvor, den ihre Regierungs­kollegen in Auftrag gegeben hatten. Der Bericht werde nun «nicht fertig­gestellt beziehungs­weise nicht veröffentlicht», so die Aargauer Regierung. Ihrem Rücktritt ging ein Austritt aus der SVP im April voraus. Roth fühlte sich von ihrer Partei fallen gelassen. Die SVP bat daraufhin «die Aargauerinnen und Aargauer in aller Form um Entschuldigung» dafür, Franziska Roth zur Wahl vorgeschlagen zu haben. Ihrer Regierungs­rätin mangle es an Willen, Interesse und Talent für das Regierungs­amt, schrieb die Partei im April. Nach der Wahl vor zweieinhalb Jahren sagte der Präsident der SVP Aargau noch, es gebe einiges aufzuräumen im Gesundheits- und Sozial­departement, «Franziska Roth kann das». Tja. Es kam anders. Dumm gelaufen. Ein Fehlgriff. Entschuldigung. Dummerweise bei der Vergabe eines der wichtigsten Posten im Kanton. Sorry.

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