Operation Nabucco

Pianissimi, Crescendi und die Wärme der Hörner

Von Michael Rüegg, 17.06.2019

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«Gott ist Liebe» steht in grossen Lettern an der Wand. Auch wenn der Ort durchaus Bühnenbild-Qualitäten hätte – wir sind bloss im ehemaligen Saal einer Freikirche am Zürcher Kreuzplatz. Nach ihrem Auszug hat ihn das Opernhaus als musikalischen Proben­raum bezogen.

So schön wurde hier früher nie gesungen und gespielt.

Auf den alten Holzbänken der Podesterie hat der Chor Platz genommen. Zuvorderst die Solistinnen und Solisten. Dann – wie im Graben – das Orchester von hinten nach vorn. Und an der Spitze, umringt von einem kleinen Kreis von Violinistinnen, ein schlanker Mann im schwarzen Poloshirt mit Dirigenten­stock: Fabio Luisi, General­musikdirektor des Opern­hauses – und musikalischer Leiter der «Nabucco»-Produktion.

Es ist Orchestersitzprobe. Das erste Mal seit Proben­beginn trifft das Orchester auf die Sängerinnen und umgekehrt. Kein Klavier mehr, sondern eine 80-köpfige Philharmonie. Der gesamte Instrumenten­fuhrpark ist aufgefahren, nur an den Harfen sitzt niemand, die stehen ganz verlassen da.

Das Auge hat nicht viel von einer Sitzprobe, es sei denn, man steht auf Strassen­kleidung, Turn­schuhe und bedruckte T-Shirts. Das Ohr hingegen findet hier schon viel von dem, was es später auch an der Premiere serviert bekommt. Mal abgesehen von den gelegentlichen Unter­brechungen durch den Dirigenten.

«Im Tempo bleiben.»

«Sie sind viel zu laut hier vorne.»

«Wenn Sie bei 28 ein Crescendo haben, streichen Sie das bitte, das gehört da nicht hin.»

Fünfmal hat das Orchester für sich allein geprobt. Die Stunden, die die Musikerinnen beim Studium ihrer Partituren und beim Üben daheim verbracht haben, nicht mitgezählt. Und seit vier Wochen proben die Solisten, gelegentlich ergänzt durch den Chor. Jetzt fügen sich beide ein erstes Mal zusammen. «Ohne szenische Ablenkung», wie ein Sänger frotzelt.

Dirigent Luisis Taktstock zuckt durch die Luft, sein Blick wandert von einer Ecke in die andere. Es wirkt, als ob er die Musik vortanzen würde, mit angeschraubten Füssen. Wie eine menschliche Fern­bedienung lenkt er das Orchester.

In der letzten Reihe, hinter den Holz­bläsern, sitzt László Szlávik, auf dem Schoss sein Horn. Er wartet auf seine Einsätze. Bei «Nabucco» muss er das nicht allzu lange tun, wie er in der Pause erklärt. Denn die vielen fanfaren­haften Elemente der Oper schreien geradezu nach Bläsern.

Michael Rüegg

Auch sonst kann sich ein Hornist nicht über zu wenig Mitwirkung beklagen. Denn obwohl eigentlich Blech­bläser, sitzen Szlávik und seine Kolleginnen hinter den Klarinetten, auf der anderen Seite der Posaunen und Trompeten. Und sie spielen auch häufig zusammen mit den Hölzern, weil die Klänge gut zueinanderpassen.

Wäre das Horn nicht aufgerollt, wäre es unpraktisch lang. «Es gab schon Barock­hörner bei Bach», sagt László Szlávik. Der Klang eines Horns sei wärmer und dunkler als derjenige einer Trompete. Und in noch einem Punkt unter­scheidet sich das Horn von Posaune und Trompete: beim Frauen­anteil. «Mittlerweile gibt es viele Hornistinnen», erzählt Szlávik. Tatsächlich herrscht bei den anderen Blech­instrumenten ein gewisser Männer­überhang. Doch der Geschlechter­anteil scheint sich mehr und mehr auszugleichen. Und selbst die Pauken haut an diesem Morgen ebenfalls eine Frau.

Als László Szlávik ein Kind war, wusste er nicht, was das ist, ein Horn. Es war ja eigentlich die Trompete, die ihn fasziniert hatte. Vor allem, wenn Louis Armstrong sie spielte. Szláviks Musik­lehrer, ein ausgebildeter Hornist, drückte ihm dann das Instrument in die Hand, das ihn zu seinem Beruf führen würde.

László Szlávik wuchs im sozialistischen Ungarn auf, vor der Wende. Als ausgebildeter Musiker kam er nach Zürich, wo er nun schon seit 26 Jahren im Orchester des Opernhauses spielt – oder in der Philharmonia Zürich, wie es sich nennt. Heute ist seine Position die des Ersten Horns.

Der wichtigste Orientierungs­punkt, so Hornist Szlávik, sei der Dirigent, den müsse man im Blickfeld haben. Aber als Musiker hört er auch auf die anderen Instrumenten­gruppen: «Wenn wir zum Beispiel mit den Celli zusammen spielen, muss man sich konzentrieren, die sind etwas weiter weg.»

Die Pause war kurz, alle sind zurück auf ihren Plätzen. Und etwas unvermittelt erklingt nach einem zarten Vorspiel plötzlich der «Gefangenen­chor». Es ist das erste Mal, dass ich das Lied während der Probe höre. Und gleich mit Orchester. Okay, man mag es für übertrieben gehypt halten. Gar für kitschig. Aber er hat was, der «Gefangenen­chor». Definitiv hat er was.

Dirigent Fabio Luisi hingegen ist mit der Interpretation noch nicht ganz zufrieden:

«Wir müssen bei ‹O mia patria› schon den Klang verändern», weist er an. Es ist die Stelle, wo der Chor das Volumen aufdrehen muss, um es dann wieder zurück­zunehmen. Beim nächsten Versuch tun die Sängerinnen und Sänger genau das. Und als Zuhörer denkt man an einen Porsche Turbo, bei dem man kurz aufs Gas drückt und dann das Bein wieder etwas anzieht. Power auf Knopfdruck.

Wenn die Probe zu Ende ist, werden sich Sängerinnen und Musiker in Sachen «Nabucco» ein paar Tage nicht mehr begegnen und getrennt voneinander weiterproben. Das nächste Mal werden sie sich auf der richtigen Bühne wiedersehen. Mit allem Drum und Dran. Es ist also jetzt ein günstiger Moment für Fabio Luisi, Einfluss zu nehmen. Und seine musikalischen Vorstellungen einzubringen:

«Während des ‹Bello› müssen Sie ein Riesen­crescendo machen.»

Und zu Michael Volle, dem Nabucco, sagt er:

«Ein Pianissimo hier, bitte.»

Zur Operation Nabucco

Michael Rüegg besucht bis zur Premiere am 23. Juni über mehrere Wochen die Proben für «Nabucco» am Zürcher Opernhaus und spricht mit zahlreichen Beteiligten. In der nächsten Folge lesen Sie, wer mit der Stoppuhr in der Hand ins Schwitzen gerät. Hier finden Sie alle erschienenen Beiträge.

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