Briefing aus Bern

Zitternder Bundesanwalt, unzimperliche Rechtsextreme – und Politik für die Ewigkeit

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (57).

Von Andrea Arezina und Urs Bruderer, 16.05.2019

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Bundesanwalt muss weiter zittern

Was bisher geschah: Die Wiederwahl von Bundesanwalt Michael Lauber wird verschoben, das hat die Gerichtskommission einstimmig an ihrer gestrigen Sitzung entschieden.

Was Sie wissen müssen: Bundes­anwalt Michael Lauber hat aus zwei Gründen Probleme. Er hat informelle Treffen nicht protokolliert, obwohl die Straf­prozess­ordnung es vorsieht. Und er kann sich an eines von drei solchen Treffen mit dem mächtigen Fifa-Boss Gianni Infantino nicht mehr erinnern. Gedächtnis­lücke. Die Aufsichts­behörde leitete darum ein Disziplinar­verfahren gegen den Bundes­anwalt ein. Lauber ging daraufhin zum Gegen­angriff über und reichte bei den Geschäfts­prüfern des Parlaments eine Aufsichts­eingabe gegen seinen Aufsichts­chef ein, den als sehr integer geltenden ehemaligen Zuger Regierungs­rat Hanspeter Uster. Lauber spricht von einem «Angriff auf die Unabhängigkeit der Bundes­anwaltschaft» und davon, dass die Aufsicht eine institutionelle Krise «heraufbeschworen» habe. Kurz: Der Chef der Bundes­anwaltschaft und sein Aufseher befehden sich nun gegenseitig. Laubers Miss­tritte wirken wie Bagatellen, doch sie könnten die Arbeit der Bundes­anwaltschaft erschweren. In einigen Verfahren gingen beim Bundes­strafgericht wegen dieser informellen Treffen Ausstands­begehren gegen Lauber und verfahrens­führende Staats­anwälte ein. Weitere Verfahren könnten ins Stocken geraten, wenn Betroffene per Antrag in Erfahrung bringen möchten, ob auch in ihren Fällen informelle und nicht protokollierte Treffen stattfanden. Die ohnehin langen Verfahren der Bundes­anwaltschaft verzögern sich weiter und könnten gar verjähren.

Wie es weitergeht: Die Disziplinar­untersuchung gegen Lauber läuft. Mögliche Folgen für den Bundes­anwalt sind eine Verwarnung, ein Verweis oder eine Lohn­kürzung für maximal ein Jahr. Seine Wiederwahl soll wahrscheinlich im Herbst stattfinden. Offen ist auch, ob der Konflikt zwischen dem Bundes­anwalt und dem ihn beaufsichtigenden Hanspeter Uster zu einem Rücktritt oder einer Absetzung führt.

Kanäle von Rechtsextremen dürfen nicht überwacht werden

Worum es geht: Im März gründete ein gewisser G. S. in der Schweiz eine Facebook-Gruppe mit dem Namen «White Resistance», weisser Widerstand. Ihr gehören rund zwei Dutzend Personen an, darunter Hand­werker, Arbeits­lose und Hochschul­absolventen. Dies hat der «SonntagsBlick» herausgefunden. Er hat sich in die Gruppe eingeschleust und verdeckt recherchiert. Für Unverständnis sorgt jetzt, dass diese Gruppe vom Schweizer Nachrichten­dienst (NDB) nicht beobachtet werden darf, weil eine elektronische Überwachung dem NDB nur im Falle von Terrorismus erlaubt ist und militante Rechts­extremisten nicht zu dieser Kategorie gezählt werden.

Was Sie wissen müssen: Der Gründer der Facebook-Gruppe verfasste Nachrichten wie «Mir rotten alles us. In 10 Johr luege mr zrugg und sage guet gmacht» oder «Für mich sind die Ziite vom Blabla fertig». Wie der «SonntagsBlick» berichtete, posiert er auf Fotos mit Waffen, auf seinem Unterarm ist ein Doppel-S, das Erkennungs­zeichen von Hitlers Schutz­staffel, tätowiert. Im April stören Rechts­extreme eine Anti­rassismus­kundgebung in Schwyz. Ein Neonazi mit Kontakt zur Gruppe von G. S. postet am nächsten Tag ein Video von den Auseinandersetzungen und schreibt dazu: «Bluet muäs fliese.» Danach läuft nicht mehr viel in der Gruppe, die Mitglieder weichen auf einen verschlüsselten Messenger-Dienst aus.

Wie es weitergeht: SP-Nationalrat Cédric Wermuth hat einen offenen Brief an die zuständige Bundesrätin Viola Amherd geschrieben. Sowohl Wermuth wie auch BDP-Präsident Martin Landolt fordern die Bundesrätin auf, rechtsextreme Gewalt ernst zu nehmen. Und die Vizepräsidentin der Sicherheits­politischen Kommission Ida Glanzmann (CVP) fordert eine Anpassung des Gesetzes: «Es geht doch nicht, dass der Nachrichten­dienst Dschihadisten überwachen kann, bei Gewalt­extremisten hingegen nicht genauer hingucken darf.»

Der «schlimmste Gesetzesartikel»

Worum es geht: Um Versicherungen, Versicherte und die Verträge zwischen ihnen. Im sogenannten Vertrags­versicherungs­gesetz ist geregelt, was in einen Vertrag gehört und was nicht. Es ist hundert Jahre alt und soll endlich aufdatiert werden. In der vorberatenden Kommission, hinter verschlossenen Türen, winkten Vertreter der FDP und ein Teil der SVP einen extrem versicherungs­freundlichen Gesetzes­entwurf durch. Nun, im öffentlich debattierenden National­rat, wollten nur noch wenige SVPler an der ursprünglichen Vorlage festhalten.

Was Sie wissen müssen: Zwei Punkte sorgten für Aufruhr. Erstens hätten Versicherungen beispielsweise einen Unfall als Anlass nehmen können, um gewisse Leistungen in Zukunft nicht mehr zu bezahlen. Und zweitens wäre es den Versicherungen möglich geworden, Verträge einseitig anzupassen. Der Ombuds­mann sprach vom «schlimmsten Gesetzes­artikel», den er je gesehen hatte. Beide Punkte wurden vom National­rat gestrichen. Zuletzt verbesserte er das Gesetz sogar zugunsten der Versicherten: Aus Kranken­zusatz­versicherungen sollen sie von den Versicherungen nicht mehr rausgeschmissen werden können. Für ältere Menschen und Kranke ist das wichtig. Was die Rechts­bürgerlichen zum Umdenken bewog, ist nicht bekannt. Der Gedanke, dass sie an die Wahlen im Herbst dachten, drängt sich auf.

Wie es weitergeht: Als Nächstes befasst sich der Stände­rat mit dem Gesetz. Frühestens könnte das in der Herbst­session geschehen, also mitten im Wahl­kampf. Bereits ist zu hören, dass die kleine Kammer das Gesetz lieber erst später behandeln möchte. Rund ein Viertel der Stände­rätinnen und Stände­räte steht in einer Interessen­bindung mit der Versicherungsbranche.

Politik für die Ewigkeit

Ein Glück, gibt es auch in unseren hektischen Zeiten noch Parteien, die den Mut aufbringen, in den ganz grossen Zusammenhängen zu denken. In der Schweiz gebührt diese Auszeichnung derzeit vor allem der SVP und ihrem Klima­experten Roger Köppel. «Der Klima­wandel ist ein unvermeidbarer, weil natürlicher Vorgang», schrieb er kürzlich, «der seit Abermillionen von Jahren stattfindet und weitere Tausende Millionen von Jahren stattfinden wird.» Das ist mehr als kühn gedacht: Die Ewigkeit im Blick, reiht die SVP die Vorgänge auf unserem kleinen Planeten in die kosmischen Dimensionen ein. Dahinter steckt eine ungeheure Leistung, ein unbedingter Wille zur Freiheit des Geistes. Kein Wunder, ist diese Partei im Kleinklein des politischen Alltags allen anderen manchmal weit voraus. So weit zum Beispiel, dass ihr National­rat Thomas Matter in einem Vorstoss bereits fordert, Umwelt- oder Klima­flüchtlinge vom Flüchtlings­begriff im Asyl­gesetz auszuschliessen. Obwohl sie dort gar nicht drin sind: Wer von einer untergehenden Insel oder einem zu Wüste gewordenen Land in die Schweiz flieht, hat hier kein Bleibe­recht. Noch nicht, warnt Matter jetzt. Seit Abermillionen von Jahren nimmt die Schweiz keine Klima­flüchtlinge auf. Und es wäre kleinlich, der SVP vorzuwerfen, dass sie jetzt schon dafür sorgt, dass es weitere Tausende Millionen von Jahren so bleiben wird.

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