Am Gericht

Noch mehr Zündstoff

Ein verzweifelter Messie, eine entnervte Gemeinde, ein Fall für die Justiz. Karl war vor Gericht. Ob mit dem Urteil Ruhe einkehren wird in Knonau?

Von Yvonne Kunz, 15.05.2019

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Ort: Bezirksgericht Affoltern am Albis
Zeit: 6. Mai 2019
Fall-Nr: B-4/1001737
Thema: Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte

Acht Monate unbedingt hat er kassiert, der Karl. Eine halbe Stunde nach seiner Verurteilung wegen mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte blinzelt er vor dem Bezirks­gebäude Affoltern am Albis durch seine Brille in die Abend­sonne. Mitgenommen, aber nicht überrascht.

Der Richter sei befangen gewesen. Jetzt weiterziehen, ans Obergericht, keine Frage. Sagte er, Sekunden nachdem das Urteil gesprochen war. Sagt er jetzt auch ins Mikrofon der Republik-Journalistinnen, die in der Podcast-Serie «Zündstoff» der Geschichte seines langjährigen Knatsches mit der Zürcher Gemeinde Knonau nachgegangen sind.

Entgegen der Gepflogenheiten der Gerichts­berichterstattung ist die Identität des Beschuldigten in diesem Fall also kein Geheimnis. Karl hat nichts dagegen.

Für die nicht Eingeweihten: Der 73-Jährige ist im Zürcher Säuliamt weitherum als Messie und Querulant bekannt. Seine Liegenschaft, das älteste Haus im historischen Kern des kleinen Orts, war und ist ein allgemeines Ärgernis, ein Schandfleck.

War, weil sich auf dem Areal immer wieder Gerümpel türmte, bis es auf öffentlichen Grund überquoll. 32 Mulden à 30 Kubikmeter Krempel waren es bei der Zwangs­räumung 2015 aus gesundheits­polizeilichen und nachbar­rechtlichen Gründen.

Ist, weil das Haus 2017 niederbrannte – und die Ruine bis heute mit verkohltem Dach­stock und noch drei Aussen­mauern dasteht. Daneben haust der Beschuldigte im Wohnwagen.

Des einen Müll­deponie, des anderen Requisiten­lager. Karl stattete die Bühnen der Luzerner Freilicht­spiele aus oder eine historische Ausstellung über den Bauern­alltag in Maschwanden. Auch von der Kunstgewerbeschule seien sie vorbeikommen, wenn sie was brauchten. Was die Gemeinde wegräumte, und das tat sie noch zwei weitere Male, sei sein Lebens­unterhalt, ja Lebens­werk gewesen, sagt Karl.

Behutsam ist die Gemeinde bei den Räumungen nicht vorgegangen. Verteidiger Max Bleuler schilderte, wie selbst die Steinplatten des Garten­sitzplatzes herausgerissen und abtransportiert wurden. Immer erboster war Karl über die Entsorgungs­aktionen – und die Hundert­tausenden von Franken, die ihm dafür in Rechnung gestellt wurden. Wie er es sieht, schulden ihm die Behörden 2,6 Millionen Franken.

Erschiessen würde er die Verantwortlichen, so steht es in der Anklage, den damaligen Gemeinde­präsidenten und ein Gemeinderats­mitglied. Dann sich selbst richten. So rapportierte ein besorgter Dorf­bewohner Karls Worte in einer E-Mail an die Behörden. Die Bedrohten erstatteten Anzeige. In den Tagen bis zu Karls Verhaftung öffnete die Gemeinde­verwaltung aus Sicherheits­gründen nur auf Voranmeldung.

Drei Mal schuldig

Einzelrichter Peter Frey schloss den Prozess mit der Anmerkung: «Das Wichtigste ist, künftig einen Konsens zu finden.» Das erscheint wie ein frommer Wunsch. Ein Einlenken von Karl ist auch nach dieser Verhandlung schwer vorstellbar. Und die Gemeinde hat inzwischen die Zwangs­verwertung des Grund­stücks eingeleitet. Man will den Brandplatz nicht mehr dulden. Es wäre Karls endgültiger Ruin.

Die miteingeklagten Delikte im Zusammenhang mit Karls Festnahme findet der Richter «etwas hochstilisiert». Da gehe es ihm wie dem Verteidiger: Bei allem Respekt dafür, dass sich die Polizei nicht alles bieten lassen will – sie sollte sich auch nicht lächerlich machen.

Zum Beispiel mit Mehrfach­anzeigen gegen einen widerborstigen Rentner. Beileibe kein Sumoringer, wie Frey sagt, und die Polizei zu dritt. Karl hat auch nie bestritten, sich gewehrt zu haben, mit Treten, Kratzen, Beissen. Dem verhörenden Polizisten warf er ein Glas Wasser ins Gesicht.

Im Hauptpunkt kommt für den Richter der vom Verteidiger geforderte Freispruch nicht infrage. Dass es sich bei den Drohungen um «impulsive Äusserungen» handelte, wie an Stamm­tischen oder im Militär üblich, lässt er nicht gelten. Selbst wenn der genaue Wortlaut, wie Karl insistiert, ein anderer gewesen wäre.

Auch dass Karl die Drohungen nicht direkt an die betroffenen Personen gerichtet habe, spiele keine Rolle. Denn: «Wer jemanden mit dem Tod bedroht, muss damit rechnen, dass die Drohung zum Bedrohten gelangt und Angst und Schrecken auslöst.» Das eine Opfer ging nicht mehr in sein Stamm­kaffee, das andere vermied es, nachts allein unterwegs zu sein.

Strafmindernde Faktoren anerkennt Frey mehrere, allen voran Karls Entschuldigung bei einem Opfer. Aber auch die schwierige Lebens­situation, die Geständnisse, die leicht bis mittelgradig verminderte Schuldfähigkeit.

Dennoch verhängt er nicht die vom Verteidiger geforderten fünf, sondern die vom Staats­anwalt verlangten acht Monate. Sechs hat Karl mit der Untersuchungs­haft bereits verbüsst.

Der Einzelrichter folgte auch Staats­anwalt Beat Suter-Karers Antrag auf eine unbedingte Strafe. Denn die dafür notwendige gute Prognose könne nicht mehr gestellt werden. Schon in früheren Konflikten, etwa mit der Kesb, sei es zu Todes­drohungen gekommen. Von Bussen und bedingten Strafen habe sich Karl nie beeindrucken lassen. Und das psychologische Gutachten stuft die Gefahr, dass er die Drohungen «in einer situativen Zuspitzung» in die Tat umsetzt, als hoch ein.

Karl ist vor allem krank, nicht kriminell. Darin sind sich – ausser Karl – die Verfahrens­beteiligten einig. Hinsichtlich des «pathologischen Hortens» beschreibt ihn das Gutachten als hoffnungslosen Fall. Aber darum, erklärte Einzel­richter Frey, gehe es bei der Massnahme auch nicht. Karl müsse Strategien entwickeln, die ihm in schwierigen Situationen helfen.

Immer Opposition

Als Frey dem Beschuldigten nach der zweistündigen Verhandlung das Schluss­wort erteilt hatte, wanderten dessen Blicke einige lange Momente durch den Raum.

Was ihn beschäftige, sagte er dann, sei die Situation unmittelbar nach dem Brand. Die Frau, bei der er untergekommen sei. Der ging es auch sehr schlecht. Kam ins Spital. Am Abend habe er noch lange mit ihr telefoniert. Am nächsten Tag sei sie tot gewesen. Da habe er im Auto auf dem Park­platz des Gemeinde­hauses übernachtet.

Da war er kurz ganz weg, der umtriebige Typ, der er mal gewesen sein muss, voller Energie und Schalk. Gugge­musig, Feuer­wehr, Ski­akrobatik. Der auch während der Verhandlung immer wieder durchdrückte. Und dessentwegen sich die Gerichts­schreiberin das Grinsen nicht verkneifen konnte. Aber der nur noch eine Grund­einstellung hat: Opposition.

«Ist es richtig, dass Sie vom 25. Mai 2018 bis 22. November 2018 in Untersuchungs­haft waren?», fragte der Richter. «Habe so was bemerkt», antwortete Karl in gedehnter Pampigkeit. «Waren Sie aggressiv bei der Verhaftung?» – Klar, sagte Karl. Er hatte noch nicht gefrühstückt. Und es sei um sein Liebstes gegangen, seinen Hund. Den konnte er nicht allein lassen. «Wenn man da nicht hässig wird, dann verstehe ich die Menschheit nicht mehr.»

Die Menschheit ihn auch nicht.

Illustration Friederike Hantel

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