Am Gericht

Obacht, carbon copy!

Zwei gestandene Geschäftsherren, der eine Arzt, der andere Ingenieur, geraten sich in die Haare. So weit, so ungewöhnlich. Doch zwei Mails beziehungsweise deren «cc» führen zu einem abstrusen Straffall.

Von Brigitte Hürlimann, 24.04.2019

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Ort: Obergericht des Kantons Zürich
Zeit: 18. April 2019, 8.30 Uhr
Fall-Nr.: SB 180179
Thema: üble Nachrede

Wer weiss, vielleicht hat die eine oder der andere das lange Oster­wochenende dazu benutzt, wieder einmal die Mailbox aufzuräumen – sprich: Nachrichten endlich zu löschen, eingegangene und abgesendete. Und musste bei dieser nicht gerade erquicklichen Tätigkeit feststellen, wie viele alte und vor allem auch belanglose Mitteilungen das Postfach verstopfen. Denn wen interessieren heute noch Schreiben, die etwa im Dezember 2015 ausgetauscht wurden?

Das Obergericht des Kantons Zürich, beispielsweise. Und die Staats­anwaltschaft. Und zwei Geschäftsherren, die es offensichtlich nicht mehr miteinander können, die den jeweils anderen auf den Mond wünschen, um es einmal freundlich auszudrücken. Und deren Anwälte. Die ganze Angelegenheit ist ziemlich abstrus – und gleichzeitig lehrreich für alle, die mit Mails hantieren, also für fast jedermann. Eine Warnung sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen: Hütet euch vor der «cc».

Beginnen wir von vorne: Es waren einmal ein Augenarzt und ein Ingenieur, 56 und 57 Jahre alt, sie pflegten eine geschäftliche Beziehung. Irgendwann geigte es zwischen den beiden nicht mehr, warum genau, das bleibt im Strafverfahren schleierhaft. Fest steht auf jeden Fall, dass diverse zivilrechtliche Auseinandersetzungen angezettelt wurden und noch hängig sind. Und ebenso klar ist, dass zunehmend mit harten Bandagen und sehr emotional gefochten wird; um Forderungen, Gegenforderungen, Schuld­zuweisungen, Anschwärzungen.

Anfang Dezember 2015 schickt der Ingenieur seinem Kontrahenten, dem Augenarzt, zwei Mails und nimmt einen Geschäftspartner ins «cc». Er sendet diesem Dritten sozusagen einen Kohlepapierdurchschlag, besser bekannt als carbon copy, denn das und nichts anderes ist die Bedeutung der berüchtigten «cc»-Zeile. Der besagte und einzige «cc»- Empfänger ist allerdings kein unbekannter, aussenstehender Dritter, sondern eben ein Partner, der von Anfang an in die Auseinandersetzung zwischen den beiden Streithähnen involviert war. Doch wären die Mails nicht per «cc» auch noch an ihn gegangen, das Strafrecht hätte gar nicht bemüht werden müssen.

Denn erst dadurch, dass ein Dritter vom Schlötterlig Kenntnis nimmt, wird der Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt. Die üble Nachrede gehört zu den Ehrverletzungs­delikten. Ist im Strafrecht von Ehre die Rede, geht es darum, den Ruf zu schützen, ein ehrbarer Mensch zu sein; sich so zu verhalten, wie es laut Bundesgericht ein «charakterlich anständiger Mensch» zu tun pflegt. Und was das höchste Schweizer Gericht seit langem festhält: Wird jemand gegenüber einem oder mehreren Dritten als ein Straftäter bezeichnet, als ein Dieb, Betrüger, Gauner oder Mörder, so ist das auf jeden Fall ehrverletzend.

Obacht also vor unbedachten Äusserungen in der Hitze des Gefechts, und mögen sie auch «nur» per Mail fallen. Carbon copy ist rasch mit im Spiel, und dann ist der Schaden angerichtet.

Was der Ingenieur dem Arzt, mit dem er verfeindet ist, per Mail unbestrittener­massen mitteilt, ist nicht besonders schlimm – aber eben geeignet, die Ehre des anderen zu verletzen. In einer ersten Mail wirft der Ingenieur dem Arzt falsche «Schuld­beschwerden» und mehrfache Treuepflicht­verletzungen vor. Was mit «Schuld­beschwerden» gemeint ist, bleibt unklar, möglicherweise sind damit unberechtigte zivilrechtliche Forderungen gemeint. Davon geht die erste Instanz aus, das Bezirksgericht Horgen, und es taxiert diese erste Mail nicht als ehrverletzend. Die Vorwürfe seien im Rahmen einer energisch und dezidiert geführten zivilrechtlichen Auseinandersetzung geäussert worden. Sie tangierten zudem bloss die berufliche Geltung eines Geschäftsmannes, was gemäss Bundesgericht nicht geschützt werde.

Anders aber die zweite Mail, die ein paar Tage später verschickt wird.

In dieser Mitteilung wirft der Ingenieur dem Arzt einen Betrugsversuch und damit ein strafbares Verhalten vor. Das sprengt nach Ansicht des Bezirksgerichts den Rahmen einer «zivilisierten, wenn auch dezidiert ausgetragenen zivilrechtlichen Auseinandersetzung». Wegen dieser zweiten Mail und wegen der Erwähnung eines allfälligen Betrugsversuchs wird der 57-jährige Ingenieur zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 220 Franken verurteilt, bei einer Probezeit von 2 Jahren.

Keiner der beiden Streithähne ist mit dem Urteil zufrieden, beide rufen sie das Obergericht an.

Und glänzen dann beide am Berufungsprozess kurz vor Ostern durch Abwesenheit, lassen sich von der Anwältin beziehungsweise vom Verteidiger vertreten. Der erstinstanzlich verurteilte Ingenieur kämpft um einen vollständigen Freispruch. Erstens sei in der Mail nur von einem Betrugsversuch die Rede, nicht von Betrug, so Verteidiger Peter Ruggle. Zweitens handle es sich um eine blosse Vermutung, festgehalten in der Konditional- und Passivform, also massiv abgeschwächt und im Rahmen einer heftigen Auseinandersetzung: eine Reaktion auf diverse Provokationen.

«Nichts da», erwidert Rechtsanwältin Rita Zeiter, die im Namen des Arztes und Privatklägers einen vollständigen Schuldspruch für den Ingenieur fordert. Beide Mails seien ehrverletzend, der Arzt unter Druck gesetzt und eingeschüchtert worden, es gehe um gravierende Vorwürfe, auch was die Treuepflicht­verletzung betreffe. Dass ein Dritter miteinbezogen wurde, eben via carbon copy, erhärte das Ganze. Der Ingenieur sei deshalb der mehrfachen üblen Nachrede schuldig zu sprechen, eventuell der mehrfachen Beschimpfung.

Das dreiköpfige Obergerichts­gremium unter dem Vorsitz von Rolf Naef hört sich die Argumente an, bereits nach vierzig Minuten ist der Prozess beendet. Die Plädoyers waren kurz, Replik und Duplik noch kürzer, und zu einer Befragung des beschuldigten Ingenieurs ist es nicht gekommen, da dieser dispensiert worden war. Und wie stuft nun die Berufungs­instanz die Sache ein?

Das bleibt vorerst offen. Das Obergericht hat im Anschluss an den kurzen Prozess das Urteil zwar allenfalls beraten, aber es mag den Entscheid nicht mündlich eröffnen und kurz begründen. Der Gerichtsvorsitzende verweist auf ein schriftlich begründetes Urteil, das den Parteien und der Journalistin dereinst zugestellt werde. Die Anwältin und der Verteidiger haben auf eine entsprechende richterliche Anfrage hin auf die mündliche Urteils­verkündung verzichtet; das ist gesetzlich möglich (Artikel 84 Absatz 3 der Strafprozess­ordnung) und leider nicht unüblich, zumindest im Kanton Zürich.

Die Journalistin hingegen wurde nicht gefragt, sie hätte auch nicht zugestimmt – sondern auf Absatz 1 der genannten Norm hingewiesen: «Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung und begründet es kurz.» Will heissen: Dies ist der Regelfall, eine bloss schriftliche Zustellung des Urteils die Ausnahme, auf die nicht leichtfertig zurückgegriffen werden sollte. Nicht einmal dann, wenn das lange Oster­wochenende vor der Türe steht.

Nichtsdestotrotz: Wir werden das Urteil noch nachliefern. Sobald es eingetroffen ist.

Illustration Friederike Hantel

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