Manipulative Musik

Der Einsatz von Hintergrundmusik in Videos kann unsere Gefühle instrumentalisieren. Unser Autor, sonst zuständig für den Podcast «Am Klavier», hat seine musikanalytische Methode für einmal auf ein im Netz kursierendes Video zu einer Rede von Daniele Ganser angewandt.

Von Tomas Bächli, 13.04.2019

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Wir nehmen kaum wahr, in welchem Ausmass wir Hintergrund­musik konsumieren. Denn genau das ist ja ihr Sinn: In Filmen und Videos, wo sie omnipräsent ist, soll sie möglichst unkontrolliert in unser Unbewusstes eindringen, möglichst unbemerkt ihre Wirkung entfalten. Jedes aufmerksame Zuhören ist eine Zweck­entfremdung, ein unbotmässiger Akt. Denn wenn man diese Klänge ins Bewusstsein holt, hat man dasselbe Gefühl wie beim Lesen der Liste von Zusatz­stoffen auf einer Verpackung von Lebens­mitteln: Es verdirbt einem den Appetit. Die unterlegten Sounds erweisen sich meist als musikalisch belanglos, sie müssen ja unauffällig bleiben und dürfen kein Eigen­leben besitzen. Oft bewegen sie sich am Rande eines Plagiats. Doch das ist in der Logik des Genres kein Makel: Der Konsument soll ja an etwas erinnert werden, was bereits vorhanden ist.

Im Frühling 2018 tauchte in den sozialen Netzwerken ein Video der Internetseite Phoenix Division auf. Es zeigt die stark verkürzte Fassung einer Rede von Dr. Daniele Ganser, die dieser ein halbes Jahr zuvor im Rahmen der Aktions­woche «Stopp Air Base Ramstein» gehalten hatte. Sie wurde bebildert und mit Hintergrund­musik unterlegt. Als ich per E-Mail nachfragte, wer diese Fassung hergestellt habe, konnte mir Daniele Ganser keine Antwort geben; er wisse nicht, von wem diese Bearbeitung stamme. Das Video ist allerdings auf Gansers Website verlinkt.

In seiner Rede rechnet Ganser mit der amerikanischen Aussen­politik nach 1945 ab. Er redet über die Interventionen in Teheran, Guatemala, Chile, über den Vietnamkrieg, und er spannt den Bogen zur Rolle Amerikas in den aktuellen Konflikten in Syrien und in der Ukraine. Vieles davon ist unbestreitbar richtig, einiges scheint mir fragwürdig. Wenn zum Beispiel der syrische Diktator Bashar al-Assad im gleichen Atemzug wie der ehemalige chilenische Präsident Salvador Allende genannt wird, empfinde ich das als manipulativ. Es geht mir hier aber nicht darum, ob Ganser recht hat oder nicht. Es geht mir ausschliesslich um die musikalische Untermalung, die während der 14 Minuten, die das Video dauert, zu keinem Zeitpunkt aussetzt. Und es geht mir um den Zusammen­hang dieser Musik mit dem Text.

Die Musik zur Rede besteht aus wiederholten vier- oder achttaktigen Patterns, ein Begriff aus der Minimal Music. Im Gegensatz zu den Wiederholungen in der klassisch-romantischen Musik soll die Repetition bei der Minimal Music nicht bewusst wahrgenommen werden. Die kurzen soundbites sollen in einer Endlos­schleife in den Körper und in das Bewusstsein dringen. Diese Patterns werden nur geringfügig variiert. Entscheidend ist das Timing der Sounds und die Art und Weise, wie sie eingesetzt werden: Sie sind präzise auf Wirkung kalkuliert.

Meist handelt es sich um sphärisch wirkende elektronische Klänge, sie passen zum grossen Gestus, mit dem Ganser die Weltpolitik erklärt. Wenn ich diese Musik auf dem Klavier nachspiele, stellt sich dabei ein Verfremdungs­effekt ein.

Gleich zu Beginn wird ein Legenden­ton angestimmt: düstere Akkorde in einem archaischen Dreiertakt, auf dessen zweitem Schlag die immer gleiche Note obsessiv wiederholt wird, ähnlich dem Beginn von Erik Saties berühmter «Gymnopédie No. 1». Die penetrante Wiederholung evoziert eine unausweichliche Tragik.

Beispiel 1:

Gansers Stimme zählt dazu die amerikanischen Interventionen auf, mit einem leggiero-Tonfall, der einen aparten Kontrast zu den dunklen Klängen der Musik bildet. «Das darf man nicht! Haben sie aber gemacht. Imperiale Politik eben!» Mehrfach wiederholt er dieses «Das darf man nicht»: Sein Text selbst hat eine Pattern-Logik. Bei jedem weiteren Krieg, den Ganser erwähnt, wird die Lautstärke der Begleitung erhöht, Oktaven und Füllstimmen kommen dazu.


Beispiel 2:

Nur bei der gescheiterten Schweinebucht-Invasion wird das gleichförmige Fliessen der Musik durch eine absteigende Gitarren­linie plötzlich unterbrochen.


Beispiel 3:

Daniele Ganser spricht über die Iran-Contra-Affäre, und nun macht der Text einen seltsamen Schwenk: Es geht ihm plötzlich um die Notwendigkeit deutsch-russischer Freundschaft. Im Publikum brandet Applaus auf. Damit endet in der Musik dieses erste Pattern zunächst einmal.

Dass nun ein anderer Abschnitt beginnt, teilt uns allein die Musik mit, das heisst, die meisten Betrachter dieses Videos werden dies nur unbewusst wahrnehmen. Das Pattern ändert sich: statt des Dreiertakts eine gerade Taktart, statt des Schaukelns ein Vorwärts­schreiten, immer noch sehr langsam und sehr düster. Die Musik erinnert mit ihrem Seufzer­motiv an «Frozen», einen Song von Madonna, übrigens in derselben Tonart f-Moll.


Beispiel 4:

Nun hat die Musik eine Richtung. Ganser zählt weitere US-Interventionen auf, vorwiegend im arabischen Raum und in Osteuropa. Beim Thema Deutschland (Beteiligung der rot-grünen Regierung am Kosovo-Einsatz) wird eine motorische Achtel­bewegung auf die Akkorde gesetzt. Ganz entfernt assoziieren wir vielleicht Carl Orffs «O Fortuna» aus der «Carmina Burana».


Beispiel 5:

Ganser redet hier in einer etwas eigenartigen Wortwahl von den Konzentrations­lagern als «Trauma der Deutschen». Der Text geht über zu 9/11. Hier werden Text und Musik plötzlich synchron. In dem Moment, wo Ganser den Krieg gegen den Terror als neue Rahmen­erzählung des «US-Imperiums» definiert, wechselt der musikalische Back­ground, aus den Trümmern steigt – aus dem tiefsten Pianissimo – ein weiteres Viertakt­pattern in immer höhere Lagen mit immer dichteren Gegenstimmen.


Beispiel 6:

Wir sind beim Syrien-Krieg angelangt: «Dieser Regime-Change hat nicht funktioniert.» Die Musik wechselt abrupt.

Es gibt ein Problem, das in jeder illustrierenden Kunst­form auftaucht: Das Gute ist schwieriger darzustellen als das Böse, die Hölle erregt unsere Fantasie, das Paradies tut dies kaum. Das Gute (aus Gansers Sicht): Dank der militärischen Intervention von Putin und dem Iran wurde Assads Sturz verhindert. Diese frohe Botschaft kann nicht zart genug untermalt werden, es soll keinesfalls der Eindruck entstehen, hier werde dick aufgetragen. Ein Streicher­choral, der so leise bleibt, dass wir ihn kaum hören können, deutet Genesung und Erholung an.


Beispiel 7:

Doch das ist nicht von Dauer. Für den Ukraine-Krieg zieht der Macher des Videos noch einmal alle Register. Eine beschwingte Musik mit grossem Orchester und Chor strebt emphatisch in die Höhe.


Beispiel 8:

Dann kippt sie plötzlich ins Idyllische: ein lyrisches Schalmeien­motiv, das von den Streichern weitergeführt wird, obschon Ganser immer noch von amerikanischen Bombardements redet. Doch die Musik kündigt den Frieden schon an, und kurz danach schlägt auch die Rede sanftere Töne an. «Wir sind eine Menschheits­familie, und das Leben ist heilig.»


Beispiel 9:

Nach einem kurzen Jingle von KenFM dann die Reprise, wir hören noch einmal die archaischen Klänge des Anfangs. Das Video endet zu freundlichem Applaus des Publikums.

Ich bin mir sicher: Man könnte dieselben Sounds auch einer Rede unterlegen, die das Gegenteil von Gansers Position vertritt. Musik verstärkt Emotionen. Worauf sich diese Gefühle richten, darüber sagt sie nichts. In ihrer Bedeutung ist sie beweglich. Dass die Klänge für sich allein eine politische Haltung einnehmen können, ist wohl eine romantische Illusion. Deshalb ist es entscheidend, sie immer auf die Sprache und auf den Kontext zu beziehen, in denen sie steht.

Das zeigt exemplarisch die Karriere des Film­komponisten Wolfgang Zeller (1893–1967), dessen Musik Filme der gesamten politischen Bandbreite untermalte. Er schrieb Musik zu national­sozialistischen Propaganda­filmen wie «Thüringer Land – dem Führer die Hand» und zu Veit Harlans «Jud Süss». Nach dem Krieg vertonte Zeller dann antifaschistische Filme wie «Morituri» (1948). Seine letzte Arbeit war der Dokumentarfilm «Serengeti darf nicht sterben» (1959) von Bernhard Grzimek, ein Film über Tierschutz in Afrika, der 1960 einen Oscar erhielt. Während beim antisemitischen «Jud Süss» Sabbat­gesänge zitiert werden, wird bei «Serengeti darf nicht sterben» «afrikanische» Musik (oder was man damals dafür hielt) eingestreut.

Interessant auch, wie schnell diese abrufbaren Emotionen veralten. Das sinfonische Pathos dieser Film­musiken kommt uns heute eher lächerlich vor.

Die Frage aber, die sich aufdrängt, lautet: Hat Hintergrund­musik überhaupt eine Wirkung jenseits der Verstärkung bereits vorhandener Gefühle?

Sie hat durchaus eine eigene Wirkung. Denn sie ruft durch fixe Codes Emotionen ab, die auf unseren persönlichen Erlebnissen beruhen. Und sie verniedlicht alles, was die Grenzen unserer Erfahrungen überschreitet. Das führt zurück zu Daniele Ganser.

Ganser redet über Bürger­kriege und Verbrechen gegen die Menschheit, über Dinge, die wir im westlichen Europa der Nachkriegs­zeit nicht selbst erlebt haben und hoffentlich auch nie erleben werden. Jede Musik, die hier unterlegt wird, bewirkt deshalb eine Verharmlosung. Die Emotionen, die durch Background­musik geweckt werden, haben etwas Behäbiges: Ja genau, so ist es, ja genau, so sind die eben. Aber die Art und Weise, wie diese Emotionen eingesetzt werden können, ist beunruhigend. Jemand spielt mit uns ein Spiel. Wir wissen nicht einmal, wer es ist.

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