Das Leben spielt

Wie ich einst dem Christkind zur Hand ging

Von Andrea Arezina, 22.12.2018

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Die Frage aller Fragen: «Weli Farb hetted Sie gern?»

Ich habe sie bestimmt tausendmal gestellt, immer von morgens um 11 Uhr bis abends um 20 Uhr. Als Einpackerin am Geschenktisch vom Globus Zürich, in der Bahnhofstrasse, im 5. Stock, zwischen Bademänteln und Plüschtieren.

«Rot oder schwarz?»

Diese Zeit liegt schon ein paar Jahre zurück, aber vor Weihnachten muss ich wieder daran und an die goldene Regel aller professionellen Geschenk-Einpacker denken: Es gibt nichts, was du nicht einpacken kannst. Und nichts, was nicht jemand einpacken lassen kann.

Ich packte preisreduzierte Socken ein, einen Toaster mit Toastbrot und zwei Dosen Ananas (also eigentlich ein Toast-Hawaii-Set). Fünfzig Gabeln, einen Überseekoffer, vergoldete Sparschäler, ein Flacon Essig für 350 Franken und ein XXL-Schaumbad für 13.50 Franken.

Unvergessen die Frau, die mit einer Schachtel in der Hand vor mir am Geschenktisch stand und auf die Frage aller Fragen («rot oder schwarz»?) überlegte und überlegte. Mir wars recht: Ich hatte Zeit, die Menschen in der langen Schlange hinter ihr mit völliger Gleichgültigkeit zu mustern.

«Äääh, schwarz … ah nei, ämu lieber rots Papier. Är het äbe gnueg schwarz gseh das Johr.»

Sie reichte mir die Schachtel. Ein Toiletten-Golfset: ein kleiner Kunstrasen für unters WC mit Schläger, Ball und Zielloch. Etwas für längere Sitzungen.

«Messi fürs Iipackä, är wird Froid ha.»

Klassisch war der Typ älterer Mann, der im vorweihnachtlichen Stress seiner Anzüglichkeit freien Lauf lässt: «Also Sie, jungs Frölein, chönd das bestimmt gaaaanz schöööön iipackä.»

Einmal kam einer mit einem hundehütten­grossen Puppenhaus mit Giebeldach und Aussenbereich. In so einem Moment darf eine Einpackerin nicht die Nerven verlieren. Christo hat den Reichstag eingepackt, sagte ich mir und nahm mir vor, wenn kein schönes Geschenk, dann wenigstens ein nie da gewesenes Kunstwerk zu erschaffen. Alles eine Frage des Stils.

Als ich das eingepackte Puppenhaus vor ihn hinstellte, rief der Kunde: «Geil, meine Frau wird mich lieben dafür.» Er reichte mir eine Zwanzigernote. «Nimm das bitte, trink ein Bier, hast mir den Arsch gerettet.»

Die Hölle war jeweils kurz vor Feierabend los. Etwa, als um 19:59:50 Uhr eine Frau mit einer Ladung Bademäntel den Geschenktisch überfiel. «Ich würde die gerne einpacken lassen, nehmen Sie einfach überall das rote Papier, damit es schneller geht.»

Vor mir lagen sechs rote Bademäntel, aber in mir schrie alles nach Arbeitsschluss. Natürlich lernt man, mit einer solchen Situation umzugehen. Ganz langsam entfernte ich die Preise der sechs Bademäntel, dann kramte ich gemächlich das schon verräumte Papier wieder hervor. Und noch bevor ich es in individuelle Bogen schneiden konnte, sagte die Frau auch schon: «Wäre es möglich, dass Sie mir das Geschenkpapier mitgeben und ich es selber einpacke?» Aber sicher, die Kundin war bei uns Königin.

Nach tausend eingepackten Geschenken schwor ich mir damals, nie mehr ein Geschenk einzupacken.

Daran hielt ich mich jedoch nicht immer. Bislang wussten allerdings einzig meine besten Freundinnen, dass das grösste Geschenk, das sie von mir bekommen, nie der Inhalt ist. Sondern die Verpackung.

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