Was diese Woche wichtig war

Aufatmen beim Klima, US-Senat gegen Saudis – und das giftige Ende einer grünen Ikone

Woche 51/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion

Von Michael Kuratli, 21.12.2018

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Synthetische Stimme
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Diplomatischer Erfolg am Klimagipfel

Darum geht es: Am Klimagipfel im polnischen Katowice einigten sich fast alle Staaten der Welt auf ein globales Regelwerk für die Treibhausgas-Reduktion. Unklar bleiben die Regeln für den CO2-Handel im Ausland, wo sich Brasilien gegen harte Verbindlichkeiten wehrte.

Warum das wichtig ist: Jede Buchhalterin würde den Kopf schütteln angesichts der Regelung, die Brasilien vorschlug. Investiert etwa die Schweiz zur Kompensation von CO2-Überschüssen im Inland in einen Solarpark im Amazonas, hätte sich Brasilien das Investment ebenfalls auf sein Klimakonto anrechnen lassen können. So weit sollte es nicht kommen, und die in Polen versammelten Staaten einigten sich darauf, diesen strittigen Punkt auf die nächste Verhandlungs­runde zu verschieben. Gerade für die Schweiz, die das CO2-Gesetz vor sich herschiebt und vor allem auf Massnahmen im Ausland setzt, ist der Umgang mit deren Anrechenbarkeit relevant. Abgesehen davon wird das Treffen als diplomatischer Erfolg angesehen: Alle beteiligten Länder müssen ab 2020 einheitlich angeben, wie ihre Massnahmen zur Reduktion von Treibhaus­gasen aussehen und später, ob sie diese erreicht haben. Anders als früher gelten dieselben Regeln auch für China, Indien und Brasilien.

Was als Nächstes geschieht: Jetzt wird sich zeigen, wie die einzelnen Länder das Regelwerk umsetzen. Mit den USA und Brasilien sind zwei Schwer­gewichte der Klimawende gegenüber negativ eingestellt. Kritische Stimmen warfen am Klimagipfel zudem ein, dass all die Diplomatie nichts bringe, wenn die Länder keinen eigenen Nutzen in der Klimawende sehen. «Viele der wirkungsvollen Massnahmen werden von Unternehmern durchgeführt», sagte etwa Kanadas Umwelt­minister. Es gilt also, nicht nur Gesetze zu erlassen, sondern Innovation zu fördern.

Vereinte Opposition demonstriert in Ungarn

Darum geht es: In Ungarn gingen vergangene Woche Tausende auf die Strasse, um gegen die Regierung von Viktor Orbán zu demonstrieren. Die Proteste entzündeten sich an einem Gesetz, das fast doppelt so viele Überstunden wie bisher erlauben würde, sowie an einem Umbau des Justiz­systems zugunsten der Regierung. Die Proteste verliefen mehrheitlich friedlich, vereinzelt kam es aber zu Auseinander­setzungen mit der Polizei.

«Alles, was ich zu Weihnachten will, ist Demokratie»: Tausende von Ungarinnen demonstrieren gegen ein neues Arbeitsgesetz.Martyn Aim/Getty Images

Warum das wichtig ist: Die Demonstrationen in Budapest geben ein seltsames Bild ab. Erstmals demonstrierten Linke und Gewerkschafts­vertreter gemeinsam mit der rechts­extremen Jobbik-Partei. Vereint wehren sie sich gegen das «Sklavengesetz», das die Erhöhung möglicher Überstunden von 250 auf 400 vorsieht. Doch die Proteste gehen weit über das Gesetz hinaus. So verlangte der grosse Demonstrations­zug mit bis zu 15’000 Menschen vergangenen Sonntag von der Zentrale des Staats­fernsehens, dass ein 5-Punkte-Programm verlesen werde. Darin wurden unter anderem unabhängige Gerichte und freie Medien verlangt. Die Opposition fordert mehr Demokratie in einem Staat, der seit der Macht­übernahme Orbáns im Jahr 2010 einen steten Abbau der politischen Rechte sah. Zur Verlesung der Erklärung am Fernsehen kam es zwar nicht, die Bilder von misshandelten Oppositionellen verbreiteten sich jedoch schnell auf den sozialen Netzwerken. Orbáns Regierung zeigte sich bislang von den Protesten unbeeindruckt und unterstellte den Demonstrierenden Verbindungen zum Milliardär George Soros – dem Lieblings­feind des Fidesz-Regimes.

Was als Nächstes geschieht: Die anstehenden Festtage werden wohl der Regierung in die Hände spielen, die ohnehin relativ kleinen Proteste dürften abflauen. Die Opposition ist jedoch entschlossen, ihre ungewohnte Einigkeit zu nutzen, und kündigte an, mit dem aktiven Protest weiterzumachen.

«Spiegel»-Reporter fälschte Storys

Darum geht es: Ein vielfach ausgezeichneter Reporter des «Spiegel» ist als Betrüger aufgeflogen: Wesentliche Teile seiner Reportagen waren ausgedacht. Der Mann heisst Claas Relotius und ist gerade mal 33 Jahre alt.

Warum das wichtig ist: Die Enthüllung, die der «Spiegel» am Mittwoch­mittag in eigener Sache machte, befeuert all jene, die Journalisten seit langem unter einen General­verdacht stellen: dass sie die Wahrheit hinbiegen und manipulieren. Facebook und Twitter brummten am Tag danach nur so von «Lügen­presse»-Geschrei. Die Causa Relotius ist ein trauriger Fall, der auch hier bei uns, bei der Republik, viele erschüttert hat. Immer höflich, hilfsbereit und bescheiden war Claas Relotius, ein scheinbar feinsinniger Autor, das Gegenteil jedenfalls eines breit­beinigen Haudegens – nicht vorstellbar, dass so jemand ein Doppel­leben führt und sich als Hochstapler entpuppt. Sein tiefer Fall wirft viele Fragen auf: Was trieb ihn ganz persönlich an? Wie konnten die Sicherungs­mechanismen ausgerechnet beim «Spiegel» versagen, der die grösste Dokumentations­abteilung im deutsch­sprachigen Journalismus unterhält? Wie verifiziert man Berichte aus entlegenen Krisengebieten? Denn dort, in Syrien, im Irak, in Gefängnissen und Lagern, spielten die grössten Märchen des Claas Relotius.

Was als Nächstes geschieht: Der «Spiegel» will intern aufräumen, allen Fälschungen nachgehen und seine Abläufe ändern. Die Wut und das Entsetzen in der Branche sind gewaltig. Die Diskussion unter den Journalistinnen wird noch lange weitergehen.

US-Senat konfrontiert Saudiarabien wegen Jemen und Khashoggi

Darum geht es: Der US-Senat hat in zwei überparteilichen Resolutionen Saudi-Arabien die finanzielle Unterstützung im Jemen-Krieg entzogen. Ausserdem machte die kleine Kammer des amerikanischen Parlaments die Regierung von Kronprinz und Vize-Premier Muhammad bin Salman für den Mord an Journalist Jamal Khashoggi verantwortlich.

Warum das wichtig ist: Die Botschaft an Präsident Donald Trump ist unmissverständlich. Der Senat ist nicht mehr gewillt, die bedingungslose Unterstützung der saudischen Regierung mitzutragen. Doch die Message geht weit über die amerikanische Innen­politik hinaus. Die Beschlüsse des Senats schwächen die Position Saudi-Arabiens. Die verabschiedeten Resolutionen tragen indirekt bei zur Einhaltung des vergangene Woche ausgehandelten Waffenstillstands zwischen der jemenitischen Regierung und den Huthi-Rebellen für die Stadt Hudaida. Über die Hafenstadt gelangt ein Grossteil der internationalen Hilfsgüter ins Land. Die Uno hielt in einer Erklärung fest, dass der Krieg im Jemen die zurzeit grösste humanitäre Katastrophe darstelle. Die Regierung in Riad verurteilte derweil den Senats­beschluss, der auf den Kron­prinzen abzielt. Die Anschuldigungen seien ohne jegliche Grundlage. Der Senat stützte sich hingegen auf einen Bericht der CIA zur Ermordung des in den USA lebenden saudischen Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober in Istanbul.

Die jemenitische Regierung und die Huthi-Rebellen haben bei Friedensgesprächen eine Waffenruhe für die Hafenstadt Hudaida vereinbart. Mohammed Mohammed/Photoshot/Keystone

Was als Nächstes geschieht: Die überparteiliche Einigkeit hat eine Signalwirkung. Trump hat nach den Zwischen­wahlen ab nächstem Jahr eine demokratische Mehrheit im Kongress gegen sich. Mit den Resolutionen demonstrierte auch der Senat, dass er in Schlüssel­fragen nicht unhinterfragt der Haltung des Präsidenten folgen wird.

Verfahren gegen Luzerner Staatsanwaltschaft im Fall Villiger

Darum geht es: Eine Privatperson hat gegen die Luzerner Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. Nun wird untersucht, ob die Straf­verfolger den Zuger CVP-Justiz­direktor Beat Villiger bei der Untersuchung wegen mehrerer Delikte begünstigt haben. Die Republik hatte den Fall Villiger im Oktober ins Rollen gebracht.

Warum das wichtig ist: Beat Villiger kann nichts gefährlich werden. So schien es nach den Wahlen im Kanton Zug im Oktober. Der Justizdirektor sah sich aufgrund einer Recherche der Republik unter anderem mit dem Vorwurf konfrontiert, einen Kauf­vertrag für ein Auto gefälscht zu haben, um einer Straf­verfolgung zu entgehen. Eine super­provisorische Verfügung hinderte die Republik damals, gewisse Erkenntnisse aus ihren Recherchen zu publizieren. Die Zugerinnen bestätigten trotz aller medialen Wirbel Villiger in der Regierung – wohl auch, weil der Politiker erst am Wahltag selber Fehler sowie die Existenz eines unehelichen Kindes zugab – als die meisten Zettel bereits in den Urnen lagen. Villiger bedingte sich nach der Wahl eine kurze Bedenk­zeit aus, zögerte, entschied dann aber, im Amt zu bleiben. Gleichzeitig stieg die Zahl der Kinder auf seiner Website von drei auf vier an. Doch die Frage, ob die Luzerner Staats­anwaltschaft den Politiker aus dem Nachbars­kanton nicht doch begünstigt hat, indem sie die Untersuchung gegen ihn einstellte, blieb unbeantwortet. Ein Vorstoss der SP im Luzerner Kantonsparlament, der dieser mutmasslichen Begünstigung nachgehen wollte, fand keine Mehrheit. Die Anzeige einer Privatperson, ebenfalls aus dem SP-Umfeld, trägt nun eine Untersuchung durch zwei Staats­anwälte aus dem Kanton Zürich nach sich.

Was als Nächstes geschieht: Bislang stellte sich die Staats­anwaltschaft Luzern auf den Standpunkt, korrekt gehandelt zu haben. Statt ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen, ging sie einer angeblichen Amtsgeheimnis­verletzung nach, in deren Rahmen sie (vergeblich) auch Journalisten der Republik befragen wollte. Der Beizug ausserkantonaler Straf­verfolger könnte nun Licht in die Sache bringen. Und als Nebenprodukt auch wieder die Frage auf den Tisch bringen, was der Verursacher des Schlamassels, Beat Villiger, nun getan oder unterlassen hat.

Zum Schluss: Schiffbruch bei Greenpeace

Ein ehemaliges Schiff von Greenpeace wird zurzeit an einem Strand von Bangladesh in seine Einzelteile zerlegt. Das Problematische dabei: Greenpeace setzt sich selbst gegen solches «Beaching» ein, bei dem giftige Stoffe einfach in der Umgebung entsorgt werden. Beim Schiff handelt es sich um die legendäre «Rainbow Warrior II», die 22 Jahre für Anti-Atom-, Klima-, und Fischfang-Kampagnen der NGO im Einsatz stand. Ihr Vorgänger war vom französischen Geheim­dienst versenkt worden. In seinen letzten Jahren war das Schiff für die bangladeshische Hilfs­organisation Friendship unterwegs gewesen. Greenpeace räumt massive interne Fehler ein, die dazu führten, dass das Schiff ein umwelt­schädliches Ende nahm. Der NGO droht der Raus­schmiss aus der «Shipbreaking Platform», die sich gegen die umwelt­schädliche Zerlegung von Schiffen einsetzt.

Das legendäre Greenpeace-Schiff «Rainbow Warrior II» – hier im Jahr 1995 beim Mururoa-Atoll im Südpazifik – wird zurzeit an einem Strand von Bangladesh zerlegt. Marcel Mochet/AP Photo/Keystone

Top-Storys: Geschichten wie Christbaumkugeln

Xi Jinping: Die «eiserne Hand im Samt­handschuh», wie ihn der Hongkonger Politologe Jean-Pierre Cabestan nennt, treibt China unerbittlich an, mit dem Ziel, das Land zur führenden Kraft auf der Welt­bühne zu machen. Einblicke in die Welt des mächtigsten kommunistischen Führers auf Lebzeiten bietet die Dokumentation auf Arte.

Schwarze Listen für Sex-Workerinnen: Informationen zu verbreiten, die Prostituierten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit helfen, ist in den USA verboten. Das bringt Sex-Workerinnen in ein Dilemma. Aktivistin Chanelle Gallant plädiert in ihrem Artikel im Online­magazin «Bitch» – ungeachtet aller Datenschutz­bedenken – für schwarze Listen gefährlicher Freier.

Washingtons Tote: Die Hauptstadt der USA hat in der Bekämpfung der Opioid-Krise versagt. Weshalb vor allem die schwarze Bevölkerung darunter leidet, dass entsprechende Initiativen fehlen, erläutert ein Artikel in der «Washington Post».

Was diese Woche wichtig war

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