Was diese Woche wichtig war

Brasilien wählt rechts, Skripal-Verdächtige identifiziert – und ein Whistleblower bekommt recht

Woche 41/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 12.10.2018

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Rechtsextremer Bolsonaro als Favorit in Brasilien

Darum geht es: Bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien verpasste der rechtsextreme Kandidat Jair Bolsonaro den Sieg nur knapp. Beim Stichentscheid in zwei Wochen entscheidet Brasilien zwischen ihm und dem Kandidaten der Arbeiterpartei, Fernando Haddad.

Wissen sie, wen sie da gewählt haben? Bolsonaros Anhänger in Rio de Janeiro. Fernando Maia/EFE/Keystone

Warum das wichtig ist: Nur vier Prozent Wählerstimmen mehr hätten gereicht, und die Brasilianerinnen und Brasilianer hätten auf Anhieb einen Kandidaten ins Präsidentenamt gewählt, der offen für eine Diktatur einsteht, Homosexualität kriminalisieren und Waffenkäufe vereinfachen will und der einst einer Abgeordneten vor laufender Kamera sagte, dass sie es nicht wert sei, vergewaltigt zu werden – eine mitnichten abschliessende Aufzählung seiner Abscheulichkeiten.

Wie Bolsonaro in Griffweite der Macht gespült werden konnte, versteht man nur, wenn man betrachtet, wie das Land im letzten Jahrzehnt niedergewirtschaftet wurde und in einem Sumpf der Korruption ertrank. Lesen Sie die Hintergründe dazu in unserem Stück von Philipp Lichterbeck nach. Eines von zahlreichen Problemen: Viele romantisieren in der heutigen Krisenzeit die Militärdiktatur, die erst 1985 endete – und das Bild einer starken, führenden Hand, die Bolsonaro verkörpert. Als Kontrast zu diesem Bild dient dasjenige von Bolsonaros aussichtsreichstem Widersacher: Doch Ex-Präsident Lula da Silva sitzt im Gefängnis und darf nicht kandidieren. Sein Stellvertreter Haddad wirkt im Vergleich zu Lula blass.

Was als Nächstes geschieht: Gewinnt Bolsonaro die Wahl, könnte sich einiges ändern im Land. Der rechtsextreme Kandidat lobt Hitler als «grossen Strategen». Selbst wenn er von seinen extremsten Vorhaben absieht, könnte die Unsicherheit über seine Person genügen, internationale Investoren abzuschrecken und das Land wirtschaftlich weiter zu schwächen.

Zweiter Verdächtiger im Fall Skripal identifiziert

Darum geht es: Auch der zweite Verdächtige im Fall Skripal ist russischer Marineoffizier. Das Investigativteam von «Bellingcat» identifizierte den Militärarzt und Geheimdienstagenten Alexander Mischkin als mutmasslichen Attentäter im Fall des ehemaligen russischen Agenten Sergei Skripal und dessen Tochter vergangenen März.

Aus Alexander Mischkin wird Alexander Petrow: Recherchen des «Bellingcat»-Netzwerks zeichnen den Werdegang des Russen nach. Bellingcat via AP/Keystone

Warum das wichtig ist: Langsam wird es peinlich. Die russische Regierung streitet noch immer jegliche Verbindung zum Giftanschlag auf ihren ehemaligen Agenten Sergei Skripal und dessen Tochter in der südenglischen Stadt Salisbury ab. Dabei lag der Verdacht bereits ohne die Identifizierung der mutmasslichen Täter nahe. Die russische Haltung änderte sich auch nicht, als «Bellingcat» und «The Insider» vor zwei Wochen den ersten Mann, den Sicherheitskameras gefilmt hatten, als Geheimdienstoffizier Anatoli Chepiga identifizierten. Zuvor hatten die Verdächtigen mit einem Interview im staatsnahen russischen Sender RT versucht, ihre Unschuld zu beteuern. In einer detaillierten Recherche legt das Investigativteam nun stichhaltige Indizien vor, dass Russland den Giftanschlag auf Skripal und seine Tochter verantwortet.

Was als Nächstes geschieht: Putin beschwichtigte unlängst und nahm die Verdächtigen in Schutz. Die Verantwortung für den Giftanschlag durch russische Agenten wird der russische Präsident nicht übernehmen, auch wenn alle Fakten in diese Richtung weisen. Viel zu befürchten hat er ohnehin nicht. Politisch ist die britische Regierung angesichts des hängigen Brexit derzeit sowohl isoliert als auch blockiert.

Wurde der saudische Journalist Khashoggi ermordet?

Darum geht es: Der regimekritische saudiarabische Journalist Jamal Khashoggi verschwand während eines Besuch auf dem saudischen Konsulat in Istanbul. Freunde und Medien behaupten, Khashoggi sei von saudischen Agenten im Konsulatsgebäude ermordet worden. Die Regierung in Riad weist die Vorwürfe zurück. Inzwischen gehen auch die türkischen Ermittler von einer Straftat aus.

Es sieht nicht danach aus, als ob die Forderung dieser palästinensischen Demonstranten in Gaza erfüllt würde. Ismael Mohamad/Newscom/Keystone

Warum das wichtig ist: Die Türkei und Saudiarabien sind sich in wenigem einig. In den wichtigsten aussenpolitischen Angelegenheiten der Region vertreten die Regionalmächte unterschiedliche Positionen, etwa in Fragen zu Katar und Ägypten, aber auch in Bezug auf den Syrien-Konflikt. Im Fall Khashoggis geben sich beide Nationen zurückhaltend. An einer Eskalation scheint keine der beiden Seiten interessiert zu sein. Der türkische Präsident Erdogan vermied es in einer Rede, Saudiarabien offen zu beschuldigen, obwohl türkische Ermittlungen laufen.

Saudiarabien verharrt bislang auf dem Standpunkt, dass Khashoggi das Konsulat wieder verlassen habe, und schickte zur Untersuchung der Angelegenheit Unterstützung aus Riad. Dieser Darstellung widersprechen Recherchen der «Washington Post», für die Khashoggi unter anderem schrieb. Demnach soll ein 15-köpfiges saudisches Killerkommando vor seinem Verschwinden nach Istanbul gereist sein.

Was als Nächstes geschieht: Jamal Khashoggi ist ein kritischer Journalist, der dem Regime in Riad in der Vergangenheit immer wieder ungemütlich wurde. Doch selbst wenn die türkische Justiz zum Schluss kommt, dass ein staatlich beauftragter Mord stattfand, wird sie angesichts des eigenen fraglichen Umgangs mit Journalistinnen nicht mit dem Finger auf die Saudis zeigen wollen.

Freispruch für Banken-Whistleblower

Darum geht es: Das Bundesgericht hat entschieden, dass Rudolf Elmer das Bankgeheimnis nicht verletzt hat. Damit endet ein dreizehn Jahre lang dauernder Kampf des international bekannten Schweizer Whistleblowers. Elmer war angeklagt worden, weil er Kundendaten der Julius Baer Bank & Trust Company Ltd., einer Schwestergesellschaft der Privatbank Julius Bär auf den Cayman Islands, an die Medien, Wikileaks und Schweizer Steuerbehörden weitergegeben hatte. Das oberste Schweizer Gericht bestätigt damit einen Entscheid des Zürcher Obergerichts vom August 2016.

Warum das wichtig ist: Das Bundesgericht hat mit dem Urteil einen wegweisenden Entscheid gefällt, der die Grenzen des Bankgeheimnisses aufzeigt. Rudolf Elmer führte in den 1990er-Jahren das Offshore-Geschäft der Zürcher Privatbank Julius Bär auf den Cayman Islands. 2002 erhielt er nach einem Streit die Kündigung. In den darauffolgenden Jahren informierte er die Behörden über die Offshore-Strukturen der Bank, bevor er sich an die Öffentlichkeit wandte. International für Aufsehen sorgte Elmer, als er in London vor den laufenden Kameras der Weltpresse angebliche Kundendaten an Wikileaks-Gründer Julian Assange übergab. 2011 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich wegen Verletzung des Schweizer Bankgeheimnisses. Recherchen zeigten schon damals, dass nicht einmal die Bank selbst glaubte, dass ihre Offshore-Geschäfte dem Bankgeheimnis unterstehen. Jetzt hat eine Mehrheit der Bundesrichter entschieden, dass Elmer tatsächlich nicht bei einer Schweizer Bank angestellt war und damit auch nicht gegen das im Bankengesetz festgehaltene Bankgeheimnis verstossen konnte. Der Entscheid fiel mit drei zu zwei Stimmen knapp aus: Die beiden SVP-Bundesrichter stellten sich auf den Standpunkt, dass das Bankgeheimnis auch bei Schweizer Bankablegern in Steuerparadiesen gelte.

Was als Nächstes geschieht: Rechtskräftig verurteilt bleibt Elmer wegen Drohung und versuchter Nötigung, weil er Angestellte seiner ehemaligen Arbeitgeberin in E-Mails belästigt und bedroht hatte. Die Bank wiederum überwies Elmer 700’000 Franken, weil sie ihn mit Privatdetektiven unter Druck gesetzt hatte und einen Rechtsstreit darüber verhindern wollte. Republik-Reporter Carlos Hanimann hat die Geschichte von Whistleblower Elmer in einem lesenswerten Buch aufgeschrieben: «Elmer schert aus».

Tod durch Journalismus zum Zweiten (nur kurz)

Während über den Verbleib Jamal Khashoggis noch gerätselt wird, ist das Schicksal Viktoria Marinovas klar. Die bulgarische Investigativjournalistin wurde vergangenes Wochenende in einem Park der Stadt Russe vergewaltigt und erwürgt. Ob ein Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit besteht, wird derzeit noch untersucht. Der Verdacht liegt jedoch nahe, da Marinova kurz zuvor in ihrer TV-Sendung über einen angeblichen Betrug mit EU-Fördergeldern berichtete. Nach Daphne Caruana Galizia, über die wir in unserer Malta-Serie geschrieben haben, und Ján Kuciak in der Slowakei ist Marinova die dritte europäische Journalistin, die innerhalb eines Jahres mutmasslich bei der Ausübung ihres Berufs den Tod fand.

Zum Schluss: Papst schiesst gegen Abtreibung (nur kurz)

Lange schwieg der Heilige Vater diesen Sommer zu den Missbrauchsvorwürfen, in der Hoffnung, ein sehr langes Gebet würde alles richten. Bis er nicht mehr anders konnte und schliesslich ein alles aufarbeitendes Dossier ankündigte. Überhaupt widmet sich Franziskus nun wieder einer aktiveren Themensetzung. Der Papst weiss, worauf die Medien anspringen. So verglich er bei der Audienz vergangenen Mittwoch im Vatikan Abtreibungen mit dem Anheuern eines Auftragsmörders.

Top-Storys: Lesestoff aus anderen Redaktionen

Brett Kavanaugh: Die republikanische Mehrheit im Senat hat den umstrittenen Richterkandidaten für den Obersten Gerichtshof der USA bestätigt, trotz heftigstem Widerstand aus der Bevölkerung und aus Juristenkreisen. Warum das Krieg bedeutet, erklärt Charles M. Blow in einem erhellenden Kommentar in der «New York Times».

Meng Hongwei: Es war ein grosser Erfolg für China, als vor zwei Jahren ein Landsmann das Präsidium von Interpol übernahm. Nun wird er von seinem Heimatland aufgrund mysteriöser Korruptionsvorwürfe festgehalten. Die Karriere des obersten Polizisten zeichnet die «South China Morning Post» nach.

Sepp Blatter: Über seinen Nachfolger Gianni Infantino sagt er: «Die Kopie ist immer schlechter. Und er hat keinen guten Kopierapparat.» Warum der ehemalige Fifa-Chef auch sonst mit sich im Reinen ist, erzählte er der «Süddeutschen Zeitung».

Dylann Roof: Wie kreiert man einen Killer? Rachel Kaadzi Ghansah hat für «Gentlemen’s Quarterly» Monate im Gefängnis bei einem jungen Mann verbracht, der eines Tages in eine Kirche trat und acht Menschen erschoss.

Von Affen und Menschen: Passend zu Mona Fahmys Porträt über den Tierschützer Karl Ammann ging «Reportagen» der Frage nach, wie viel Persönlichkeit Affen innewohnt.

Oktoberfest: Wie gefährlich das organisierte Besäufnis dieses Jahr war, weiss die Polizei München – und teilt die Daten gleich auf Twitter.

Stadt versus Land: Die Grenzen zwischen Land- und Stadtleben verschwimmen immer mehr. Wirklich? Der «Tages-Anzeiger» geht in einer interaktiven Grafik dem Graben auf den Grund

Hinweis der Redaktion:
In einer früheren Fassung stand, dass Sergei Skripal und seine Tochter durch den Giftanschlag im März ums Leben gekommen seien. Das stimmt nicht: Beide haben überlebt. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

Dialog mit der Redaktion

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