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Liliane Wihler
Republik-Alumni
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Als ich heute die Front gesehen habe und ein bekannter Name dort aufgetaucht ist, hab ich mich sogleich in die Lektüre gestürzt! Eine Rezension von Sieglinde Geisel - gibt es etwas Besseres am Montagmorgen?
Beim Lesen bin ich dann über einige Aussagen gestolpert, die bei mir Fragen aufgeworfen haben.

  1. Die Legasthenie - wie kann man ihr Lesen und Schreiben beibringen, wenn dies unmöglich schien im Kindesalter? War diese Legasthenie wirklich psychisch bedingt? Gibt es das? Erklärt das der auktoriale Erzähler irgendwo?

  2. Ironie - mit diesem Begriff habe ich zu kämpfen. Ich tue mich schwer, diese herauszulesen. Aber Ironie erklären ist sicher auch nicht einfach..

  3. Eher eine Bemerkung als eine Frage.
    Beim Romananfang "Niemand weiss, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt," wird für mich klar, dass wir nie herausfinden werden, woher Adelinas Unglück kam. Oft gibt es ja eh keine Erklärung für das Unglück einer Person. Vermutlich sollte durch diesen künstlerischen Handgriff eine Möglichkeit geschaffen werden, ihre Vergangenheit und Herkunft auszuschmücken.

Es gluschtet mich jedenfalls nun, die Fortsetzung zu lesen!

Danke für die gelungene Rezension.

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Sieglinde Geisel
Literaturkritikerin, Schreibcoach
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Vielen Dank für die interessanten Fragen!

  1. Zu Adelinas Legasthenie: Das Wort selbst taucht im Roman nicht auf, und zwischen den Zeilen wird klar, dass man hier mit der reinen Psychologie nicht weiterkommt. Ich konnte das aus Platzgründen nicht auch noch ausführen (die Rezension ist ohnehin schon luxuriös lang, Republik sei dank!): Adelina hat in der Primarschule zuerst eine hingebungsvolle Lehrerin, Frau Kägi versucht alles, ihr die Buchstaben beizubringen, allerdings ohne jeden Erfolg. Der Lehrer, der die Klasse danach übernimmt, kümmert sich nicht mehr darum. (Überdies sind wir hier in den 60er Jahren, da gab es noch keine ausgefeilten Therapien dafür.) Auf mich wirkt diese seltsame Legasthenie im Roman fast etwas mythisch. Es gehört zu den Dingen, die ich als konstruiert empfinde: Adelina lernt nicht lesen und schreiben, weil ihr Autor das so will.

  2. Ironie: Sie grundiert einige der Sätze, die ich zitiere (der Kommentar zu Renato: «Er hatte alles verstanden, ihr Unglück und das Unglück der Welt», oder auch die Bemerkung zu Adelinas Mutter: «die tüchtigste Frau des Universums, wie Mario meinte»). Und der Auftritt den Roten Brigadiers Renato ist für mich nur in einer ironischen Lesart plausibel. Doch ist diese Ironie tatsächlich schwer fassbar, und ich kann mir vorstellen, dass man den Roman auch anders lesen kann.

  3. Sehr schöne Interpretation! (Renato weiss im Roman beispielsweise zu genau, woher das Unglück kommt, ich bin gespannt, was im nächsten Band mit seiner Theorie geschieht...)
    Jeder Kopf liest anders - ich bin gespannt auf Ihre Lektüre!

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Es ist meistens so, dass ein Autor seine Figuren dorthin bringt, wo er sie haben will. Ein Roman ist immer auch ein Konstrukt. Wie glaubwürdig das Ganze dann ist, ist eine andere Frage. Es scheint so, dass Adelina, die Hauptfigur, Opfer ihrer eigenen begrenzten Möglichkeiten geworden ist. Ob dies in der Realität so ist, sei mal dahingestellt.

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Zum Punkt 3. Zufällig las ich heute dieses Zitat und ich finde es irgendwie passend und gleichzeitig beruhigend dies in verschiedene Kontexte zu Lesen.
"Nichts, was mir im Leben widerfahren wird, werde ich mit Trübsinn oder einer schlechten Einstellung begegnen. Ich werde meine Steuern klaglos zahlen. Alle Dinge, über die man klagt oder vor denen einen graut, sind wie die Steuern des Lebens. Dinge, mein lieber Lucilius, von denen du nicht hoffen solltest, verschont zu werden oder ihnen zu entkommen." Vielleicheit bilde ich es mir ein, aber mich beruhigt es und gibt Zuversicht irgendwie und lässt mich mein Leben trotzallem sehr geniessen und Dankbarkeit verspüren. Und wenn ich mich nach Jahren täusche, merke ich es hoffentlich.
Und ich freue mich umso mehr auf das Buch. Erneut besten Dank:)

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Das war jetzt spannend und intensiv erklärt. Habe mir soeben das Buch bestellt und freue mich riesig.
Besten Dank dafür:)

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Eine Freude, wieder etwas von Frau Geisel zu lesen. Ich hoffe auf ein weniger langes Warten bis zum nächsten Mal.
Für die Zeit dazwischen erlaube ich mir auf das von ihr verantwortete Literaturmagazin „tell“ hinzuweisen: https://tell-review.de

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christian balke, der Fliegendruck
erst, einzig und letzter Fliegendruck
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danke für diese subjektive Hinführung, Frau Geisel.
ich hab Ihren Text erst heute gelesen, NACHDEM ich die Krume gekaut hab.
(die Novelle ist schnelle gelesen, dass es Teil des Romans ist, erkenne ich erst jetzt).

Es könnte sein, Ihre Nacherzählung verschafft dem Buch - neben dem literarisch Gwundrigen und sozial Interessierten - auch Leserinnen aus dem Feld des Krimis: Die Brigate Rosse scheint eigentlich erst in den letzten Windungen dieses Buches auf.
Genau hier, mit "Renatos Rede ist Mansplaining at its worst – eine Parodie", finde ich Dario Fos gestochenscharfes Formulieren. (ich wünsch diesem Buch ebenso Zehntausende Leser!)
Ob all der Trübsal, die im Buch waltet und mir fast den Verleider beschert, erinnere ich mich an die Lektüre UNTERM RAD von Hesse (nota ein Roman, der später zur Novelle / Erzählung wurde). Auch hier viel Innenleben, wenig Action.
Die Handlung in DIE KRIME ist eine Achterbahnfahrt und schlüssig? schlüssig muss einzig mein Empfinden sein, Bärfuss manövriert die weibliche Schachfigur gezielt in Situationen, in denen sie keine Wahl hat. Dies ist beklemmend und glücklicherweise ist nicht jedes Buch, das ich lese, so beelendend.
Autobio: Er weiss, «was es heisst, arm zu sein in einem Land, in dem es Armut eigentlich nicht geben sollte» 29. März 2017, wieso soll er davon nicht berichten? (so griesgrämig er mir im TV, in der Illustrierte entgegeblickt, begegen wir uns in berns Strassen, sehe ich einen interessierten, wachen und ja auch lachenden Mann).
Mein Rezept: diese Literatur ist Medizin.

Mir bedeutsam, dass die HUNDERT TAGE genannt werden, dies ist so hyperrealistisch, dass es doch gar nicht sein kann... Doch, die Figuren, die Anlage sind Literatur der Stoff ist grässlichwahr!
für mich ds reinste Lesevergnügen und ebenso AUCH ein Lehrstück ist der Frühling der Barbaren. Hier wird das abendländisch Untergehen zur Lachnummer, ich bleib nicht so irritiert und bedrückt zurück, denke an Franz Hohlers durstigen Mann in der Wüste, mit Kreditkarte und lache - verhalten.
Jagenau, wir sind gwundrig, wohin wir noch mitgenommen werden.

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