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So sehr ich im allgemeinen die Rubrik « Auf lange Sicht » schätze, so daneben finde ich die Einleitung und sonstigen Untertöne des Artikels über Afrika, die Bevölkerungwachstum mit Wachstum schlechthin gleichsetzen und dieses als Fortschritt bzw. Wohlstand interpretieren – all dies ohne Argumente und eher implizit (ausser dem Schluss), aber nichtsdestoweniger deutlich.
Gehts denn noch ? Afrika ist nicht nur der ausgebeutetste Kontinent, sondern auch derjenige mit der grössten Armut (lies sozialen Ungleichheit, besonders ihre Ausdehnung nach unten), der grössten Analphebetismusrate trotz jahrzehntelanger Entwicklungshilfe, mit einer ausbeuterischen politischen « Elite » in vielen Ländern und, dementsprechend, Verwandtschaftsbeziehungen als einzigem sozialem Netz für die Mehrheit der Bevölkerung, ausserdem einem massiven Brain Drain, zu dem vermutlich auch ein grosser Teil der Kamikaze-Emigranten übers Mittelmeer gehört.
Die Aussicht, dass dank blossem Bevölkerungswachstum das alles sich bessern soll, ist kaum argumentierbar, wird hier aber als selbstverständlich unterstellt. Dass die für die anderen Kontinente vorhergesagte Wiederabnahme des Bevölkerungswachstums und sogar der Bevölkerung tout court auf dem dort wachsenden Wohlstand für etwas weniger schmale Bevölkerungsteile beruht, wird auch kaum thematisiert (knapp angesprochen am Schluss), genauso wenig wie die Tatsache, dass in Armutsbevölkerungen, in denen die Mortalität besonders hoch ist, die Familie eine zentrale Funktion als Solidaritätsverband hat (für Krankheit, Alter und anderes soziales Unglück), sodass viele Kinder zu haben die einzig zugängliche Form der Altersversicherung ist, und die Fruchtbarkeit ausserdem vom Ausmass der Unterdrückung der Frauen abhängt.
Demographie ist kein isolierter Selbstläufer mit alles treibender Eigendynamik, sondern hat mit gesellschaftlichen Zusammenhängen zu tun. Wenn man nur Fertilität, Mortalität und Migration berücksichtigt, bleibt man in einer buchhalterischen Logik stecken, die natürlich am Ende des Jahres stimmt, aber kaum etwas über die Ursachen von Veränderungen oder Stabilitäten aussagt. Denn die « Trägheit », d.h. die Stabilität eines gesellschaftlichen Parameters ist genauso erklärungsbedürftig wie ihre Veränderungen, und das Denken in Mittelwerten schafft erst einen wichtigen Teil dieser Stabilität, weil so die länder-internen Unterschiede, etwa zwischen sozialen Schichten, Regionen oder Kulturen, rein rechnerisch eingeebnet werden.
Darüber hinaus wären diese Betrachtungen eine willkommene Gelegenheit, den allgemein vorherrschenden Wachstumsfanatismus in Frage zu stellen, für den Kurven, die nach unten gehen, automatisch Alarmstimmung erzeugen. Man muss nicht gleich die Bevölkerungszunahme als Hauptschuldigen der Menschheitsprobleme postulieren, um einzusehen, dass Bevölkerungswachstum zwar ein geopolitischer Machtfaktor (unter anderen, wichtigeren) sein kann, aber gewiss nicht per se als Fortschritt für die Bevölkerung gelten kann.

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Herr L., Sie schreiben von "Kamikaze-Emigranten übers Mittelmeer". Auch wenn für das Wort Kamikaze der Duden umgangssprachlich auch "Tun, bei dem jemand bewusst ein sehr hohes Risiko in Kauf nimmt" an 2. Stelle aufführt, ist die erste Bedeutung, an die wahrscheinlich viele zuerst denken, eine andere. Die japanischen Kamikaze-Flieger in den Jahren 1944/45 waren Selbstmordattentäter. Ihr Ziel war die Zerstörung/Beschädigung feindlicher Schiffe (US, GB, Australien) und der eigene Tod ein bewusst in Kauf genommener "Kollateralschaden".
In Ihrem Kontext könnte man meinen, dass Sie implizieren wollen, dass die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer in erster Linie andere gefährden resp. töten wollen. Das war sicher nicht Ihre Absicht.

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Nein, Sie haben recht, das war in keinster Weise meine Absicht. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, das man den Ausdruck im Kontext meiner Reaktion auf diese Art missverstehen kann. Danke jedenfalls für Ihre Reaktion.

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Wir sind es gewohnt, von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, und liegen damit meist recht gut. Trends können sich nicht plötzlich ändern, glauben wir. Dass beispielsweise ein Meteoriteneinschlag die Mortalität auf 99% schnellen ließe, ist nicht sonderlich wahrscheinlich.

Tatsächlich aber haben wir bereits einen irreversiblen, sich selbst verstärkenden Prozess in Gang gesetzt, mit dem wir unseren Planeten verbrennen. Ich prophezeihe: Diese Prognosen zum Bevölkerungswachstum sind in wenigen Jahren Makulatur.

Eigentlich wissen wir das doch schon. Es gefällt uns nicht. Sollen wir deshalb so tun, als ob alles so weiter gehen wird, irgendwie?

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Eine anschauliche Erklärung zum "Momentum" von Hans Rosling:
https://youtu.be/ezVk1ahRF78?t=620

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Absolut genialer Hans Rosling! Danke fürs Teilen.... :-)

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Wollte ich auch grad posten. Schade das der Mann gestorben ist.

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Zum Glück gibt es zahlreiche Videos von ihm (auf Youtube).
Und natürlich seine ebenso geniale Homepage, die immer noch weitergeführt wird: https://www.gapminder.org/

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Wiederum ein sehr interessanter Beitrag der Rubrik "Auf lange Sicht". Jetzt wäre es an der Zeit, die möglichen Konsequenzen dieser Prognose zu diskutieren. Z.B. was bedeutet die demografische Prognose für die Nachbarn wie Europa und den Nahen Osten? Wie sinnvoll sind Infrastruktur-Investitionen, wie sie etwas die Chinesen tätigen? Wie beeinflusst das Ausbeuten des afrikanischen Chaos durch europäische und amerikanische Rohstoff- und Rüstungskonzerne (immer zusammen mit den lokal herrschenden Clans) die Entwicklung? Ich freue mich auf weitere Beiträge der Republik zu diesen Themen.

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Da fehlt etwas: Um die Berechnung von Szenarien des Bevölkerungswachstums nicht zu kompliziert zu machen verzichtet man auf die Berücksichtigung gesellschaftlicher und ökosystemarer Parameter. Wie würden die Kurven wohl aussehen, wenn auch die Entwicklung der natürlichen Ressourcen und der Nahrungsproduktion oder der Risiken von Pandemien berücksichtigt würden?

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Ich weiss nicht, welche Unoinstanz diese Szenarien generiert (ja, ich könnte googeln), aber mich wundert, ob eine Interaktion mit den representative concentration pathways und den globalen Klimamodellen des IPCC stattfindet. Wie Sie schreiben, sind die Ernährungssicherheit und der Klimawandel nicht ganz irrelevant für die Bevölkerungsentwicklung: Sowohl als Ursache, wie auch als Konsequenz.

Da aber solche nonlinearitäten mit Rückkopplungseffekten schwierig in Modellen abzubilden sind (ganz zu schweigen von nonlinearen Entwicklungen im Klima), lassen die Entwickler lieber ihre Finger davon - und blenden damit zumindest aus der Perspektive der Umweltökonomie wichtige Szenarien und Fragestellungen aus.

Nun zum weniger Theoretischen: Sind in den Modellannahmen irgendwelche Ressourcenökonomische annahmen enthalten? Bildet hier die UNO eigentlich einfach die Limits to Growth vom Club of Rome nach?

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(durch User zurückgezogen)

Die Aufgabe Infrastruktur aufzubauen übernehmen jetzt offenbar die Chinesen, nachdem dies vom Westen über Jahrzehnte vernachlässigt wurde.
Auf die Geburtenrate hat sicher nicht das BIP proportionalen Einfluss, sondern wie ist der Zugang zum Gesundheitssystem und Altersvorsorge für die Bevölkerung in der ganzen Breite sowie den Chancen an der Teilhabe an der Gesellschaft.

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(durch User zurückgezogen)

Nochmal ein Zitat aus München, 2017:
Who knows, in the end we‘ll all be Africans. (Achille Mbembe, am Ende seines Vortrags in spielart.org.)
Back to the roots!
Einige Zeit vorher hatte ich gelesen, dass die Forschungen davon ausgehen, dass wir Menschen ohnehin ursprünglich von Afrika aus in die Welt gestartet sind. - Back to the roots; ich mag diesen Gedanken sehr gut.

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Die Chancen sind leider recht gross, dass der von uns nicht wirklich ernst genommene Klimawandel zu diesem Ergebnis führt. Allerdings wird dies dann kein gemütlich nostalgischer Rückzug auf unsere Ursprünge werden.

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Vielleicht bin ich zu optimistisch, uns Menschen trotz allem für lernfähig zu halten. Gemütlich ists auch heute nicht wirklich. Afrika traue ich aber halt einfach einiges mehr zu, als andere das offenbar tun.
Und dabei bleibe ich auch. Je mehr ich dazu lese, desto mehr. Ist nunmal so.

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@ A. H. "Auch in Europa schrumpft die Bevölkerung im Zero-Migration-Szenario. Allerdings unterschreitet sie das zentrale Szenario nur um rund 15 Prozent."

Nicht sehr viel, aber ein bisschen was steht trotzdem dazu.

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Sehr schade, dass im Artikel der Migrationseffekt in Europa nicht beschrieben ist. Das würde der "Migrationsdebatte" Fakten zur Seite stellen.

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Vielen Dank für diesen informativen Artikel. Ergänzende Lektüre hier: https://www.vox.com/future-perfect/…-explained

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Wurde der Faktor «Aufklärung» angemessen berücksichtigt?

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