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Bernhard Wehrli
Gewässer Chemiker
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Drei Faktoren stützen die Diagnose "ohne Zukunft keine Wahrheit":

  1. In alternden Gesellschaften blüht die Nostalgie.

  2. Die Wissenschaftler beschleunigen die Massenproduktion von Fakten, anstatt die langsame Destillation von gesellschaftlich nutzbarer Wahrheit zu pflegen.

  3. Die Medien verkaufen das "story telling" über bekannte Autokraten einfach besser als Analysen über eine unbekannte Zukunft.

Gerade deshalb stimnt es mich hoffnungsvoll, dass die kritische Jugend die eigene Zukunft zum Thema macht und sich dabei auf eigenes Denken und kritische begutachtete Wissenschaft stützt.

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Eine gute Zusammenfassung eines sehr bedenkenswerten Buches, Danke! Diese Beobachtungen und Gedanken zeigen auf, wie dringend notwendig eine neue Aufklärung (Aufklärung hat mit Klarheit zu tun) und die Entwicklung von Zukunftsperspektiven sind, zumal die Nebel der Desinformation, der nostalgischen Träume, der Beliebigkeiten und der Verschwörungstheorien sehr dicht geworden ist.

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Wie immer interessant. Danke. (Aber bei Peter Pomerantsevs Emigration aus Russland komme ich nicht ganz draus: wenn PP 1977 geboren wurde und seine Eltern vom KGB (gab es bis 1991) nach England vertrieben wurden, dürften sie ihren höchstens 14 Jahre alten Sohn mitgenommen haben. Warum und wie kam er nach Russland zurück, damit er 2010 erschöpft wieder auswandern konnte?)

Bei Arte ist ein analoger Beitrag dazu mit dem Titel "Fake America Great again" abrufbar (soeben via App kontrolliert). Detailliert, dokumentiert, präzise. Cambridge Analytica bekam das Mandat Trump weil sie schon einmal Erfolg gehabt hatten - mit dem Brexit Referendum.

Erkenntnis: die Lüge zerstört nicht bloss die Kommunikation, wie wir unsere Kinder lehrten. Vielmehr schaffen Lügengebäude neue Welten, deren Bewohner die Lügen immer verbissener glauben und verteidigen (was mit kognitiver Dissonanzreduktion erklärt wird) und so an ihrer Welt bzw. ihrem Gefängnis mitbauen.

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Ohne Zukunft keine Wahrheit - und ohne Wahrhaftigkeit keine Zukunft. Nur ein in seiner Grausamkeit immer nackteres Festklammern an der Macht. Mit immer mehr Opfern.
Ich kenne das Buch nicht - danke Daniel Binswanger für die Besprechung - und weiss nicht, ob es nach der Analyse auch Gegenrezepte bietet.
Mir schiene der kleinste gemeinsame Nenner aller möglichen Gegenstrategien die grösstmögliche Wahrhaftigkeit im je eigenen Leben, beruflich wie privat. Sozusagen eine Märchengeschichte pro Zukunft und nicht pro Ideologie oder gar pro Person. Klingt einfach, ist schwierig. Aber was können wir als Einzelne sonst tun?

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interessierter Leser
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Was wäre denn eine taugliche Strategie gegen diese Kampagnen - gibt das Buch auch dazu Ideen her? was in Grossbritannien mit der Brexit-Kampagne erfolgreich war, kommt ohne Zweifel auch in der Schweiz an ...

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Warum wird das Verbreiten von tendenziösen Unwahrheiten "Russifizierung" genannt? Ist das nicht auch tendenziös? Man könnte das genau so gut den USA (und vielen anderen Mächtigen) anhängen.

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Schon zu Zeiten der Sowjetunion war die Propaganda russischer Prägung an durchschaubarer Plumpheit kaum zu überbieten, Putin hat das Kunststück geschafft diese noch einmal zu topen. Die US und UK Propaganda erschien dagegen sehr raffiniert. Erst mit Trump und Johnson hat diese phantasielose Plumpheit auch im Westen Einzug gehalten. Von daher passt der Begriff Russifizierung für diesen Sachverhalt schon

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Ach so ist das. Dann ist ja die Russifizierung eher ein Segen. Ich ziehe die durchschaubare, plumpe Täuschung der raffinierten, schwer durchschaubaren vor.

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Intellektueller Landarbeiter
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Diese Vorreiter-Rolle von Putin-Russland mag für diese Möchtegern-Supermacht schmeichelhaft sein. Aber ich behaupte jetzt mal, dass Putin-Russland "das Einmaleins der Macht, der Lügen und der Intrigen" weder selbst erfunden hat, noch am besten beherrscht.
Vielmehr hinkt Putin-Russland mit ihrer plump-groben, sehr einfach zu durchschauenden und intuitiv spürbaren Propaganda-"Information" dem "Westen" nach wie vor hinten nach.
Bevor Putin Trump dabei geholfen hat, Präsident der USA zu werden, hat "die Siegermacht des Kalten Krieges" USA Jelzin dabei geholfen, Präsident von Russland zu werden.
Jelzin war mit seiner nach den "Wilden Privatisierungen" entstandenen Oligarchen-Regierung eine Art Vorläufer-Modell für Putin und SEINE Oligarchen.
In den USA haben wir jetzt: Trump und seine Milliardäre...
Die Entwicklung schaukelte also gewissermassen hin und her zwischen den früheren Erz-Feinden, die sich mit ihren Supermacht-Einmischungen weltweit übernommen hatten und die jetzt -ausgepowert und mit gigantischen Militär-Etats belastet- die Implosion ihrer Riesenreiche vermeiden müssen, wie sie der Zusammenbruch der Sowjetunion in einer Art abschreckendem Muster-Beispiel deutlich vorgezeichnet hatte. Und sie mussten beide feststellen, dass sich mit der Volksrepublik China ein "lächelnder Dritter" daran machte, die beiden "ewigen Streithähne" zu beerben...
In dieser Situation geschah etwas sehr eigenartiges:
Der "Kalte Krieg" zwischen den USA und Russland wurde vordergründig reaktiviert, als Theater für die "Einfachen Leute", die damit wieder jene Klarheit von Gut und Böse bekamen, welche sie brauchten, damit sie Nestwärme empfanden und sich "wie EIN Mann" hinter ihre jeweilige Regierung scharten.
Im Hintergrund fand aber eine Aufteilung der Welt in imperiale Einfluss-Zonen statt.
Die Amerikaner sollten raus aus Syrien, das Russland gehören sollte.
Dafür sollten den Amerikanern Israel und Saudi Arabien gehören.
Und so weiter.
Diese realistische "Befriedung" geschieht immer im Blick auf die Gesamtkosten und nicht weil die Mafiosi des "Organisierten Verbrechens" einander plötzlich lieb hätten!
Sobald man es sich leisten kann, wird man wieder versuchen, der imperialen Konkurrenz Territorien und Geschäftsfelder abzujagen!
Aber jetzt muss man erst mal schauen, dass das "Kern-Land" mit der Spitze der Macht-Pyramide, nicht zerfällt und dass China und Europa zurückgebunden werden können...

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Entschuldigung, aber all die Plädoyers hier für Wahrhaftigkeit scheinen mir etwas gar oberflächlich zu sein. Es tönt gut, wenn gesagt wird, man solle die Kinder zur Wahrheit erziehen oder im eigenen Leben möglichst wahr sein. Klar soll man pathologische Lügen vermeiden ("Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen", "an meiner Inaugurationsfeier waren mehr Leute in der Mall als an Obamas Inauguration", "Hillary ist Mitglied eines Kinderpornoringes"). Wenn es aber um alltägliche ethische Konflikte geht: "Ich hatte keine sexuelle Beziehung zu Monica L.", "ich bin nicht schwanger" (Stellenbewerberin zu Personalchef) , dann wird das Problem Wahrheit plötzlich wesentlich komplexer.

Wenn es dann um Zukunftsfragen wie Brexit, PFZ, Rahmenabkommen geht, dann dünkt mich die vom Autor gemacht Feststellung, dass fake news durch das Verschwinden fester Ideologien begünstigt werden, kaum pertinent. In der Zeit der festen Ideologien, im kalten Krieg, wurden bei Abstimmungen und Wahlen von beiden Seiten die unsinnigsten Argumente verbreitet und geglaubt. Prognosen, was passiert, wenn das Volk einen bestimmten Entscheid fällt, können - wie alle Prognosen - grundsätzlich nicht wahr oder falsch sein, sondern nur eintreffen oder nicht eintreffen. Die Qualität solcher Entscheide kann verbessert werden, wenn sich der Bürger mit den Annahmen, auf denen die Prognosen beruhen, auseinandersetzt; letztlich sind die Probleme aber so komplex, dass ein Entscheid nie völlig rational sein und ohne Vorverständnis getroffen werden kann. Ob die von fake news gefluteten Bürger heute wirklich irrationaler entscheiden als die die ideologisch gefestigten Bürger im kalten Krieg ist eine offene Frage.

Da kaum alle Bürger viel Zeit auf das Studium der Grundlagen ihrer Entscheide aufwenden wollen, bleibt wohl als beste Lösung, die Entscheide durch Bürgerkomitees nach irischem Muster vordiskutieren zu lassen.

Es ist denkbar, dass Stalins Propaganda Wert darauf legte, dass ihre Behauptungen wissenschaftlich fundiert waren; man sprach ja von einem wissenschaftlichen Sozialismus. Ob aber die Tatsache, dass Stalin den Anschein der Wissenschaftlichkeit für wichtig hielt, seine im Kern unwissenschaftliche Lügenpropaganda besser macht, als die bei gutem Willen leicht durchschaubaren fake news, die gerade nicht das wissenschaftliche Gütesiegel tragen und zum Teil nicht tragen wollen, kann man sich fragen. Bezüglich Zerstörung des Realitätssinnes des Bürgers, dürfte die Propaganda der UdSSR und der DDR den Putinschen und Foxschen Fake-News-Fabriken noch weit überlegen (gewesen) sein.

Die Klage über fake news ist auch eine Klage über den Verlust des Wahrheitsmonopols der opinion leader. Man beklagt den offensichtlichen Nihilismus von Trump, weil er die Legitimation der etablierten Wissenschaftler, Journalisten und Politiker als Wahrheitsvermittler und Multiplikatoren untergräbt. Nur schlecht ist das nicht (nur gut auch nicht).

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Lieber Herr Hegetschweiler, niemand behauptet, dass das 'Problem Wahrheit' einfach sei, sonst würden kaum seit Erfindung des Buchdrucks dicke Bücher darüber geschrieben. Der Rahmen hier setzt Differenziertheit aber relativ enge Grenzen.
Fragwürdig dünkt mich Ihre Gleichsetzung von rational und wahr. Bei des Kaisers neue Kleider hatten die Erwachsenen wahrscheinlich tausend rationale Gründe, in die allgemeine Begeisterung einzustimmen, während sich das Kind insofern irrational verhielt, als es ausschliesslich der eigenen Wahrnehmung vertraute und mit der Wahrheit herausplatzte: der Kaiser ist ja nackt.
Ich bin keine Philosophin, aber vielleicht hat Kant mit seinem 'wage zu denken' so etwas ähnliches gemeint?
(Manchmal erinnert mich übrigens Greta Thunberg an dieses Kind mit ihrem hoch emotionalen: how dare you? Auch sie macht da mit wenigen Worten ganz viel Verlogenheit sichtbar. Und wird entsprechend heftig angegriffen.)

Klar entziehen sich anders als im Märchen heute die meisten Fragen unserer direkten Wahrnehmung und wir sind auf Angaben anderer angewiesen. Denen wir mehr oder weniger Glaubwürdigkeit zusprechen.

Dass das Wahrheitsmonopol, das früher bei der Kirche lag und dann bei der Wissenschaft, bevor es Journalist*innen und Politiker*innen für sich in Anspruch nahmen, zunehmend hinterfragt wird, finde auch ich nicht nur schlecht. So hat auch bisher Entwicklung stattgefunden. Auch Lügner gab es immer schon, genauso wie Fake-News und Propaganda, unabhängig von der ideologischen Herkunft.
Vielleicht sind aktuell ja auch nicht die Lügen das wirklich Gefährliche. Sondern die noch nie dagewesene Geschwindigkeit und mangelnde Rückholbarkeit, mit denen sich als Wahrheit verkleidete Ansichten über die ganze Welt verbreiten und in Filterblasen potenziert werden. Jeder Versuch, den Deckel auch nur im Ansatz wieder auf diese Büchse der Pandora zu bringen, führt umgehend zur Spaltung.

Das ist m.E. das eigentlich Neue, die grosse Herausforderung, vor der wir stehen:

Heute liegen die Verbrechen offen zutage, und der «Informations-Overkill» neutralisiert sie fast von allein. 22 Terabit Video­material gibt es in den Archiven der Weisshelme über die monatelange Bombardierung von Aleppo durch russische und Assad-treue Verbände, über die Tausenden von zivilen Opfern, die Bombardierungen von Kranken­häusern und Schulen. Die meisten dieser Videos wurden quasi live gestreamt. Die Welt­öffentlichkeit sass in der ersten Reihe, aber geändert hat es nichts.

unter der Überflutung durch Wahrheit und Lüge nicht abzustumpfen und zu verrohen.

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Musste beim Lesen an die Doku „Hyper Normalization“ von BBC-Filmer Adam Curtis denken. Kann ich wärmstens empfehlen: https://youtu.be/-fny99f8amM

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Interessanter Tipp. Ich finde die Erklärung zum Begriff „Hypernormalization“ auf Wikipedia enorm spannend:

everyone in the Soviet Union knew the system was failing, but no one could imagine an alternative to the status quo, and politicians and citizens alike were resigned to maintaining the pretense of a functioning society. Over time, this delusion became a self-fulfilling prophecy and the fakeness was accepted by everyone as real, an effect that Yurchak termed hypernormalisation.

Lässt sich dieser Gesellschaftszustand nicht auch bei uns teilweise beobachten? Mir fällt da zuallererst der Umgang mit der Umweltverschmutzung ein.

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Als Papi kleiner Kinder hatte ich den Reflex zu denken: meinen Kindern lehren über die Zukunft nachzudenken, nach Wahrhaftigkeit zu streben, das eigene Leben mit den Notwendigkeiten und Zwängen der Gegenwart und Zukunft (nach Kant) in Einklang zu bringen.
Beim zweiten Gedanken wirds noch schwieriger: sie sollten selber eine so kritische Sicht auf die Dinge entwickeln, dass sich ihnen die oben genannten „Lebensweisheiten“ zwangsläufig als einzig gangbarer Lebensweg erschliessen.

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Entwickler & Zivi
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22 Terabit Video­material gibt es in den Archiven der Weisshelme über die monatelange Bombardierung von Aleppo [...]

22 Terabit oder Terabyte? Das macht einen grossen Unterschied und die Abgabe in Bit ist eher unüblich.

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Sie haben recht: Das ist ein Fehler unsererseits. Die Quelle ist natürlich das Buch von Pomerantsev, wo "22 TB" steht. Theoretisch wäre zwar möglich, dass damit Terabit und nicht Terabyte gemeint ist, weil der Gebrauch nicht einheitlich und theoretisch beides möglich ist bei der Abkürzung TB. Aber wie sie richtig sagen: Bit ist sehr unüblich. Danke für die Korrektur!

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"Viel bedeutender ist, dass Russland die Avantgarde der zeitgenössischen Propaganda­techniken darstellt" - ich glaube nicht, dass Putins Trollenfabriken dieses Kompliment verdienen. Leider bedient das Essay solche Phantasmen aus dem kalten Krieg, die für meine Generation bereits etwas lächerlich erscheinen. Man muss ja ein Sohn der sowjetischen Dissidenten sein, um solche gewagte Hoffnungen auf den "Westen" zu setzen und im Ernst zu glauben, dass man sich in London vom Populismus retten kann.

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Nach dieser Besprechung eines scheinbar ziemlich einseitigen (Russland- und Social-Media-kritischen) Buches warte ich gespannt auf die Besprechung eines Buches, das mit der Propaganda und den etwas länger etablierten Meinungsmache-Techniken der hiesigen Regierungen und Leitmedien ähnlich ins Gericht geht... (z. B.: Glaube wenig, Hinterfrage alles, Denke selbst (2019) vom qualifizierten und verdienten A. Müller)

Oder wie wär's mit mit den Klassikern von Edward L. Bernays (Crystallizing Public Opinion (1923), Propaganda (1928)) oder Adolf Hitler (Mein Kampf (1925))?

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(durch User zurückgezogen)

Und wie steht es gerade jetzt um den Umgang des Bundesrates mit Russland?
Zwei Schlagzeilen von heute:

  • Fiona Hill: «Die unbequeme Wahrheit ist, dass Russland die ausländische Kraft war, die unsere Demokratie systematisch attackierte»

  • Ueli Maurer in Moskau: «Herr Putin ist ein Freund der Schweiz »

Gleichzeitig greifen die Grünen Cassis an, genau der Bundesrat, welcher sich deutlich gegen die massive Spionagetätigkeit Russlands in der Schweiz äusserte - im Gegensatz zu Maurer der vornehmlich autoritäre Regimes hofiert. Somit müsste RT & Co eigentlich die Grünen unterstützen... auch wenn dies absurd klingt, es würde der Logik entsprechen mehr Instabilität (Abwahl von Bundesräten) in die Schweizer Politik zu bringen.

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