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Die Philosophin verpackt ihre Ideen gekonnt in ein philosophisches Konstrukt, bei dem alternative Meinungen bezüglich sogenannt „fortschrittlicher“ gesellschaftlicher Entwicklungen von Anfang an ausgegrenzt werden. Sie verweigert sich damit dem politischen Diskurs. Dabei sind ihre eigenen Ideen viel regressiver als jene, die sie anprangert. Die von ihre geforderte „Vergesellschaftung“ wesentlicher menschlicher Aktivitäten ist nämlich nichts Neues. Das hat alles schon Karl Marx im Detail abgehandelt. Was in der Realität dabei herausgekommen ist, wissen wir alle. Da halte ich mich lieber an das Fortschrittsnarrativ der Aufklärer und Marktwirtschafter. Um diese Fortschritte alle zu beschreiben, müsste man tausende von Republik-Artikeln schreiben.

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Herr M. M.,
ich möchte zu bedenken geben: Vergesellschaftung führt nicht zwangsläufig zu Karl Marx und den Folgen, auf die Sie hindeuten, und die eine polarisierende Auswirkung haben im heutigen allgemeinen Verständnis.
Formen der Vergesellschaftung, gerade in der Schweiz sind wir damit vertraut, sind auch Korporationen, denken Sie an Alpkorporationen. In fernerer Vergangenheit, als in der Landwirtschaft noch Dreifelderwirtschaft praktiziert wurde waren Allmenden eine geläufige Form der Vergesellschaftung von Land. Und wenn Sie genossenschaftliche Wohnformen begegnen oder sogar Teil von Genossenschaftlicher Wirtschaft sind, Beispiel; Coop und Migros wurden als Genossenschaften gedacht und begründet, wenn Sie also wie die meisten Leute dort einkaufen nehmen Sie zumindest an genossenschaftlich begründeter Wirtschaft teil ( ich möchte hier nicht ein Loblied anstimmen auf die beiden Giganten, diese sind meiner Meinung nach zu mächtig). Denken Sie an gemeinschaftliche Sozialwerke wie die AHV - Vergesellschaftung ist eine kluge gemeinschaftliche Art, Probleme zu lösen und gemeinsam Verantwortung zu tragen. Aus meiner Sicht ein vielversprechender Ansatz, den Herausforderungen der globalen Zukunft besser gerecht zu werden. Ich eine damit, die Idee der Vergesellschaftung weiter zu entwickeln über die "alten" Formen hinaus.

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Ich nehme nicht an, dass sie jemals etwas gelesen haben, was Karl Marx geschrieben hat.
Marx analysierte äusserst detailliert die Mechanismen des Marktes. Dabei wies er immer wieder auf die kumulierte Macht hin, welche die Besitzer des Kapitals (was für ihn vor allem die industrielle Produktionsinfrastruktur war) ausübten.
Was daraus in russland, china, oder nordkorea gemacht wurde, hat mit seinen Aussagen wenig gemein. Weder propagierte er eine Einparteiendiktatur, noch lehnte er Demokratie ab. Er wies schlicht auf die Gefahr der automatischen, ungebremsten Vermögenskumulation hin und schlug als Gegenmassnahme die Vergesellschaftung der industriellen Produktionsanlagen vor. Dass ein sachunkundiger Bürokrat, tausende km entfernt, detaillierte Produktionsvorschriften für einen Betrieb erstellt, wäre ihm wohl nie in den Sinn gekommen. Seine Erwartung war, dass die Arbeiter vor Ort sich als Besitzer fühlen und diese Entscheidungen treffen. Etwa das, was wir heute als Genossenschaft kennen.
Sie ignorieren vollständig die Tatsache, dass nach nur einem halben Jahrhundert weitgehendem Wirtschaften nach marktliberalen Grundsätzen und dem religiösen Glauben an die unsichtbare Hand des Marktes, ¼ allen Besitzes auf der Erde, sich in den Händen von wenigen tausend Leuten befindet, von denen einige inzwischen mehr Macht haben als ganze Volkswirtschaften. Das sind Zustände, wie sie vor dem 1. Weltkrieg herrschten und es erforderte zwei Gewalteruptionen mit rund 100 Mio. Toten, um diesen Missstand einigermassen zu korrigieren.
Wollen sie das wirklich noch einmal wiederholen?

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Die Konzentration grosser Vermögen bei Einzelnen ist unschön, aber eher ein psychologisches als ein faktisches Problem. Sie sind eine Auswirkung des Internets, in dessen Folge die Economics of scale möglich wurden. Diese grossen Vermögen fliessen allerdings in Form von hohen Steuereinnahmen, Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts und Wohltätigkeit/Legaten (Bill Gates) zu grossen Teilen wieder an die Gesellschaft zurück. Viel wesentlicher sind die Auswirkungen der Marktwirtschaft auf den weltweiten Wohlstand. So konnte (gemäss Weltbank) die in Armut lebende Bevölkerung seit 1975 weltweit von 2 Milliarden auf 640 Millionen Menschen reduziert werden; und sie reduziert jeden Tag weiter. In China konnte dank dem Übergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen der Anteil in grosser Armut lebender Menschen von 60 auf 6 Prozent reduziert werden. Und noch zu den von Ihnen zitierten Weltkriegen: der 1. Weltkrieg wurde durch alte unliberale Vertreter des Feudalsystems ausgelöst, die damit ihren eigenen Untergang besiegelten. Den 2. Weltkrieg löste ein Sozialist (ein Nationalsozialist) aus.

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Wahnsinnig spannend. Dass manfrau so denken und in Worte fassen kann. Bin begeistert und danke herzlich den beiden!

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Das freut mich, lieber Herr Achterberg, haben Sie vielen Dank!

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Martin Hafen
Präventionsfachmann, Soziologe
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"Fortschritt" ist ja nicht etwas, was es "gibt", sondern ein Begriff in der Nomenklatur gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen. Das Interview führt exemplarisch dar, wie sich diese Selbstbeschreibungen verändern können. Dass also das, was früher als fortschrittlich und erstrebenswert angesehen wurde, heute als Barbarei gedeutet wird.

Wenn wir den aktuellen Umgang mit der Natur und insbesondere den Tieren (von Insekten bis zu Nutztieren) betrachten, so ist eine ähnliche Transformation jetzt im Entstehen begriffen. Gleichzeitig wird ihr mit aller Kraft entegengearbeitet. - Das bringt mich zur Machtfrage, der im Interview meiner Ansicht nach etwas zu wenig Gewicht zugemessen wird.

Wer hat die Macht, diese gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen zu beeinflussen? In Zeiten des globalen neoliberalen Kapitalismus sind es die Superreichen und die Mega-Konzerne, welche über die Mittel verfügen, diesbezüglich einen grossen Einfluss auszuüben - sei es über die Finzanzierung von Thinktanks, die Unterstützung von Universitäten, grossangelegte philanthropische Stiftungen oder den Besitz von Massenmedien. Der erwähnte grotesk anmutende Einfluss der Ölkonzerne auf die Durchführung und Gestaltung der neuesten Klimakonferenz ist nur ein Beispiel von vielen.

Dieser Einfluss wird durch Begriffe wie "Fortschritt" kaschiert; das Interview zeigt das deutlich auf. Ein weiterer Begriff mit wohl noch grösserem Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung und die Vernebelung von Machtverhältnissen ist "Demokratie", die weltweit schon längst keine "Herrschaft des Volkes" mehr ist, sondern eine Herrschaft der Besitzenden, also eine Plutokratie.

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Multifunktional
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Sehr spannend, danke!
Mir ist die Diskussion zum Beitrag von letzter Woche von Elia Blülle zur „Krise der Grünen“ noch sehr präsent und beim Lesen dieses Interviews sind mir immer wieder Verbindungen dazu aufgepoppt. Auch hier gilt es, die regressiven Kräfte zu bekämpfen. Entscheidend scheint mir das folgende Zitat aus dem Interview, das sich auf Rosa Luxemburg bezieht:

Sondern die Aussage ist: Wenn man nicht bereit ist, eine grundlegende Transformation vorzunehmen und in einer massiven Krisen­situation die Probleme an der Wurzel zu fassen, hat man eigentlich nichts in der Hand, und dann eben droht die Barbarei.
[kursiv von mir]

Genau das ist doch der Punkt an dem wir in der Klimakrise stehen. Es genügt nicht, zu predigen, was getan werden müsste, wenn das Problem darin besteht, dass die Predigt von einem grossen Teil der Bevölkerung aufgrund der SVP-Propaganda nicht gehört wird. Also würde „die Probleme an der Wurzel fassen“ doch bedeuten, dafür zu sorgen, dass der destruktiven SVP-Propaganda entschieden entgegengetreten wird und der von der SVP gekaperten Bevölkerung ein alternatives Angebot gemacht wird, das deren Bedürfnisse gleichzeitig ernstnimmt und auf fortschrittliche klimaschützende Weise befriedigt.

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Wenn die SVP-Propaganda als „Wurzel des Problems“ betrachtet wird, hat man schon verloren, denn mit der Übernahme dieses Framings tritt man in die Falle, die die SVP stellte. Einmal hineingetappt, findet man nicht so schnell wieder hinaus. Die linke Alternative einer sozial-ökologische Transformation existiert bereits. Radikaler noch wäre es, den Kapitalismus fundamental zu hinterfragen. Dass dies konservative, ja regressive Kräfte auf den Plan ruft, ist wie das Amen der Kirche oder das Gesetz der Schwerkraft.

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Multifunktional
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Die linke Alternative einer sozial-ökologische Transformation existiert bereits.

Eben. Aber die Message kommt beim Empfänger nicht an, weil dazwischen der destruktive Einfluss der SVP-Propaganda steht. Diese gilt es zu überwinden, um die Bevölkerung dahinter wieder zu erreichen. Dies wird von Linksgrün jedoch nicht oder nur halbherzig versucht, stattdessen werden diese Menschen als „verloren“ angesehen und von oben herab als „rückständig“ betrachtet. Aktuelle SVP-Wähler befinden sich für viele Menschen von Linksgrün also ausserhalb des Kreises. Siehe auch diesen Beitrag und Diskussion hier, für eine anschauliche Demonstration davon:
https://www.republik.ch/2023/01/28/…-ein-toter

Edit: mit „der Propaganda entgegentreten“ meine ich nicht, jeden Furz aufzunehmen und zu widerlegen. Vielmehr könnte es bedeuten, die Mehrzahl der Fürze zu ignorieren und stattdessen eine eigene Kampagne mit der Zielgruppe der „kleinen Leute“ zu starten. Diese zu umwerben und ihnen unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und Lebensumstände, ein alternatives Angebot zu machen.
Ich betrachte auch nicht die Propaganda als „Wurzel des Übels“ sondern die Polarisierung, das Gegeneinander statt einem „Miteinander“. Um die Klimakrise zu lösen braucht es ein Miteinander, also muss dieses zuerst wieder hergestellt werden.

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Frau W., ihre Ergänzungen zu Rosa Luxemburgs Aussage entsprechen leider genau dem, was der frisch gewählte, 'noch-nicht aber bald' Diktator Milei in Argentinien sagt und tut. Das totale Desaster ist garantiert und die Profiteure werden die Gierigen, Reichen und Kriminellen sein.
Mir fällt in den weiteren Kommentaren (in dieser Linie) auf, wie wenig Verständnis und echtes Zuhören zu sehen ist - dafür viel Rechthaberei. Schade.

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Multifunktional
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Inwiefern? Können Sie dies etwas konkreter ausführen?

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Ich habe den Artikel von Blülle glaube ich etwas anders verstanden.

…und der von der SVP gekaperten Bevölkerung ein alternatives Angebot gemacht wird, das deren Bedürfnisse gleichzeitig ernstnimmt und auf fortschrittliche klimaschützende Weise befriedigt.

Wie stellen sie sich das vor?
Ich habe den Artikel von Blülle eher als Aufruf zur Konsensfindung verstanden. Dafür müsste innerhalb der Klimabewegung erstmal Konsens herrschen, wie wir uns die Zukunft vorstellen. Wir brauchen eine Vorstellung davon, wie das zukünftige, ökologischere Leben aussehen könnte, damit die Leute sich etwas darunter vorstellen können. Von den Grünen höre ich bisher leider immer nur Verzicht, Verzicht und nochmal Verzicht. Das finde ich schade, nicht kreativ und wählertechnisch einfach nicht so schlau.

Die Idee, SVP Wählern ein Angebot zu machen müssten sie noch etwas genauer erklären? Damit ein Angebot Erfolg haben kann, muss ja eine Nachfrage herrschen. Bei der SVP sehe ich grösstenteils leider keine minimale Bereitschaft für Veränderung und somit auch keine Nachfrage. Eher wird der Klimawandel leider generell nicht als menschengemacht anerkannt oder es wird geglaubt, dass dahinter eine weltweite Verschwörung von linken Eliten steckt. Der Aufwand wäre enorm und der Ertrag wäre gering, auch weil viele SVP-Wähler die Partei auch als eine Art Identifikation sehen. Da sehe ich bei der FDP oder potenziellen FDP-Wählerinnen schon eher Handlungsmöglichkeiten.

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Multifunktional
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Wie das Angebot im Detail aussieht, müsste zuerst erarbeitet werden, indem die Bedürfnisse der Bevölkerung genau analysiert werden. Bedürfnisse, die die SVP bespielt sind z.B. Sicherheit, Angst vor wirtschaftlichem Abstieg, Wunsch nach Konstanz usw. usf. Die SVP nimmt diese Bedürfnisse auf und schlägt als Lösungen z.B. Abschottung vor und präsentiert Sündenböcke (Ausländer). Dass dies nur „Scheinlösungen“ sind, darüber müssen wir nicht diskutieren. Das Problem ist aber, dass die linksgrünen Parteien diese Scheinlösungen zwar schon anprangern, dass diese Kommunikation aber nicht ankommt. Es besteht kein Kommunikationskanal zu den einfachen Menschen. Wie Sie selber sagen: der Aufwand ist gross, der Erfolg ist ungewiss, also wird diese Bevölkerungsgruppe von Linksgrün links resp. rechts liegen gelassen.
Dadurch werden diese Leute aber nur noch mehr in die Fänge der SVP getrieben, da sie ja sehr wohl feststellen, dass sich die andern Parteien nicht um sie bemühen - und wenn sie sich doch für ihre Anliegen einsetzen, was die SP ja effektiv tut, dann ist es aber oftmals ein Reden über sie als ein Reden mit ihnen und von ihnen.

Wie könnte also so ein alternatives Angebot aussehen. Nehmen wir z.B. das Thema Mobilität. Das Ziel ist mehr Elektro, weniger Benzin - mehr Kleinwagen, weniger SUVs. Auf dem Land gibt es aber durchaus Regionen, in welchen die Leute auf 4x4 angewiesen sind. Anstatt flächendeckend höhere Benzinpreise zu fordern könnten Orte über 1000 m und Landwirte davon ausgenommen werden. Bereits in der Vorbereitung des Gesetzes sollten Vertreter linksgrüner Parteien das Gespräch mit den Leuten suchen - am Schwingfest oder der Chilbi im Dorf. Vielleicht auch Einladen zu einem Workshop mit anschliessendem Jassturnier und warmer Hamme. Organisiert von Leuten vom Dorf. Die Leute müssen wieder merken, dass auch bei den linksgrünen „Leute von uns“ dabei sind. Dass sie nicht belehren wollen, sondern zuerst mal zuhören. Nicht: „du musst jetzt deinen Stall umbauen du Tierquäler“ sondern: „zeig mir mal deinen Stall und wie du arbeitest. Wo hast du Probleme? Wie könnten wir dir helfen, dies zu verbessern?“ erst in einem zweiten Schritt sollten dann auch eigene Ideen vorgeschlagen werden. Wie gesagt: es wäre anmassemd, wenn ich das exakte Vorgehen aus dem Ärmel schütteln möchte. Aus meiner Sicht müsste diese Aufgabe von Soziologen, Marketingexperten und (ganz wichtig) sehr viel Bodenpersonal vom Land und von Arbeiterquartieren erfolgen. Es müsste eine grosse Charme-Offensive ins Herz der Wählerschaft von rechts sein.

Ergänzung:
Weitere Idee, die mir im Nachhinein und weiteren Nachdenken gekommen sind:

  • Parteizentrale erarbeitet im Baukastensystem diverse Aktivitäten, die dann von den Ortssektionen durchgeführt werden können und durch strukturierte Feedbacks aktuell gehalten werden.

  • Kontakt zu Vereinen vor Ort suchen und auch ihnen Aktivitäten/Kurse anbieten. z.B zum Thema Sicherheit/Angst vor Überfremdung
    a) mit (Land)frauenvereinen Kochen/Nähen/Werken hier und dort, mit Menschen aus anderen Ländern wird z.B. zusammen gekocht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgestellt, beim gemeinsaman Abwasch Vorurteile abgebaut
    b) Probefahren mit e-Ferrari bei der Landjugend oder dem Automobilverein (wer einmal Elektroauto gefahren ist, erkennt die Vorteile)
    c) Gemeinsames Singen mit Volksmusikern von anderswo
    ...

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Bei so viel Pessimismus hilft vielleicht, die SVP zu kapern, d. h. der Partei beitreten und von innen heraus auflösen.

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Mathematiker
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Verschiedene Menschen haben verschiedene Lebenswerte und Lebensziele.
"Wenn sie dich fragen, ob du nicht für den Fortschritt seist, frage immer: den Fortschritt wessen?!" (Bertolt Brecht)
Ich empfinde das Sprechen (und Schreiben) über "Fortschritt" ohne diese Präzisierung als Unsinn.

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Brecht und Jaeggi meinen m.E. dasselbe. Brecht hat es auf seine Art kondensiert, verdichtet. Jaeggi elaboriert.

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Beobachter
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Die Aussage zur definition von Fortschritt, "weg von einem Missstand" gefällt mir sehr und nehme ich mit ins 2024.

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Rudolf Weiler
Feedbäcker und Mäander
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Spannender erster Artikel im Neuen Jahr! Das Fortschreiten ist ein Wegtreten aus einer Position, die aber eventuell nicht nur negative Aspekte gehabt hat. Die positiven können dann dabei ebenfalls verloren gehen. Im Kapitalismus wird viel Fortschrittliches nicht einfach möglich, weil ja immer auch die Kostenfrage und die rein fiktive Arbeitslosen-problematik vorgeschoben werden können, um gesellschaftlich positive Entwicklungen zu verhindern. Und einverstanden: Philosophie, Literatur und geistige (oder körperliche) Arbeit können helfen, die düsteren Prognosen etwas zur Seite zu rücken und fortschrittliche Haltungen oder Visionen nicht auch noch aufzugeben.

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Vielen Dank, lieber Herr Weiler!

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Zwei Anmerkungen: der Interviewer spricht von Weltöffentlichkeit und meint damit offensichtlich die westliche Welt. Die Interviewte hat mit Dipesh Chakrabarty einen Forscher und Autor erwähnt, der sich mit seinem Werk gerade diesen Blicken der vermeintlich entwickelten Welt auf die Wartesäle der Geschichte gewidmet hat. Wir und die anderen. Wo ist Entwicklung, Fortschritt und wo finden sie statt?
Rahel Jaeggi am Schluss zur Frage, woran sie sich halte, wenn es ganz düster werde:

Dann gibt es noch die sozialen Bewegungen, die auf konkrete Veränderungen hinwirken; die, auch wenn die Konjunkturen der Aufmerksamkeit sehr schwankend sind, an gut begründeten Transformations-Vorstellungen arbeiten und die echte Lern- und Erfahrungs­prozesse durchmachen. Die Vergesellschaftungs­initiativen sind ja ein Beispiel dafür.

Ich setze das Zitat aus Elia Blülles Artikel mit dem Titel "Warum die grüne Bewegung besser zuhören sollte" dazu:

Ihrerseits ist die Klima­bewegung zersplittert, driftet teilweise in Links­radikalismus ab, der Menschen weder aktiviert noch anschluss­fähig ist.

So wie ich Linksradikale kenne, machen sie genau das, was Rahel Jaeggi als kompetentere Form der Problemlösung bezeichnet.

Es geht also um die Bewältigung von Krisen, die die Gesellschaft selbst erzeugt hat. Das geht nur durch einen Lernprozess, der sich ständig mit Erfahrungen anreichert und die eigene Reflexivität erweitert.

Und, anknüpfend an Blülles Artikel: in dem wir alle einander besser zuhören und uns genau überlegen, wo wir den Kreis gezogen haben, wer drinnen ist und wer draussen. Und ob wir die draussen als Lebewesen von denen wir abhängig sind, wahrnehmen.

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Liebe Frau D., einmal mehr vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren und für die Verbindung zu Elia Blülles Text. Was ich an Ihrem Statement nicht verstehe: Wie kommen Sie zu der Vermutung, mit «Weltöffentlichkeit» sei hier nur die westliche Welt gemeint? Da möchte ich sehr klar widersprechen. Es geht an dieser Stelle ja gerade um die grossen globalen Krisen der Gegenwart und ihre Konvergenz im Phänomen der Polykrise. Sehr erfreulich finde ich, dass Sie noch einmal Dipesh Chakrabarty erwähnen, den ich zu den besonders inspirierenden Denker:innen der Gegenwart zählen würde. Sein aktuelles Buch gehört für mich zu den wichtigsten aus dem weiten Feld der Bücher zu Klimakrise und globaler Klimagerechtigkeit (vielleicht haben Sie es damals gesehen, wir haben dem Buch einen umfangreichen Rezensionsessay gewidmet, ich muss allerdings vorwarnen: es ist auch für Republik-Verhältnisse ein very long read).

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Lieber Herr Graf, getriggert durch die Erwähnung von Chakrabarty bin ich über folgende Bemerkung in einer Ihrer letzten Fragen gestolpert: Durch beide Kriege, die aktuell die Welt­öffentlichkeit in Atem halten, und vorher durch die Pandemie ist wiederum die Klimakrise als Haupt­thema abgelöst worden.
Ich bezweifle, dass die Oeffentlichkeit des globalen Südens, die Länder in Lateinamerika, asiatische und afrikanische Länder durch diese beiden Kriege in Atem gehalten werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt u.a.:
(https://www.bpb.de/themen/kriege-ko…nd-trends/)

Der zwischen 2014 und 2019 zu beobachtende rückläufige Trend bei Todesfällen durch organisierte Gewalt weltweit kehrte sich 2021 mit einem deutlichen Anstieg der Todesopfer erstmals wieder um. Das Uppsala Conflict Data Project UCDP verzeichnete im Jahr 2021 mehr als 119.100 Todesfälle durch organisierte Gewalt. Das war eine Steigerung von 46% gegenüber dem Vorjahr. Maßgeblich für den Anstieg waren die eskalierten Konflikte in Afghanistan, Äthiopien und im Jemen (Davies/Petterson/Öberg 2022).

und weiter:

Im Kapitel "Konfliktporträts" des Online-Dossiers werden 43 innerstaatliche Konflikte und Kriege vorgestellt. Die Mehrzahl der Konflikte wurde auch 2021 auf einem hohen Gewaltniveau ausgetragen, sie stehen deshalb weiterhin im Fokus der internationalen Öffentlichkeit, der Politik und Forschung. Die Auswahl erlaubt einen repräsentativen Überblick über das Konfliktgeschehen in allen fünf Weltregionen.

Subsahara-Afrika ist mit 13, der Nahe Osten und Nordafrika (MENA) mit 10 und Asien ebenfalls mit 10 Konflikten vertreten. Aus Europa und Lateinamerika werden jeweils 5 Konflikte vorgestellt. Von den bewaffneten innerstaatlichen Konflikten und Kriegen, die das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) im Jahr 2021 gezählt hat fehlen nur einer im Online-Dossier: der begrenzte Krieg zwischen Drogen-Milizen und der Regierung in Brasilien. Die Konflikte in Kolumbien, Mosambik und Südafrika werden in Kapitel 4 (Friedensprozesse) behandelt.

Sechs neue Konfliktporträts wurden in das Dossier aufgenommen. Das sind der Krieg in Kamerun und der begrenzte Krieg in Burkina Faso sowie die gewaltsamen Krisen in Algerien und in drei mittelamerikanischen Staaten (Haiti, Honduras und El Salvador).

Wie steht es um unsere Wahrnehmung zur Situation im Sudan? Die Abschiebung der Afghanen aus Pakistan? Myanmar? Die Uiguren? Bestimmte Kriege sind uns offensichtlich näher und somit auch eine vorstellbare Bedrohung. Sonst stören uns nur die lästigen Flüchtlinge, die einfach nicht in die althergebrachten Flüchtlingsdefinitionen passen wollen und es trotz grosser Abschirmung bis zu uns, und nicht nur in ein armes Nachbarland schaffen.

Sind wirklich Gaza- und Ukrainekrieg zentral fürs Wohl der Weltöffentlichkeit - oder doch eher zuallererst für das Wohl des (europäischen) Westens? Dahin zielte mein Einwurf.

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Grossen Dank für dieses Interview, das ganz viele Themen anspricht, die Transformation bedürfen.

Aus Zeitgründen nur zwei Zitate:
"Kommen wir auf das Thema der Sklaverei zu sprechen.......Auch hier war ganz offensichtlich der gesellschaftlichen Wandel so stark, dass wir heute überhaupt nicht mehr verstehen, wie man das jemals hat akzeptieren können." (Daniel Graf)"

"Im Namen des Fortschritts sind fürchterliche Dingen angerichtet worden."
Eine imperialistische Sichtweise: "Wir helfen euch dabei, euch zu entwickeln, damit ihr so werdet wie wir. Und das tun wir dann zum Teil, indem wir eure Lebensweise zerstören und euch ausrotten." "So ist es kolonialgeschichtlich ja auch passiert." (Rahel Jaeggi)

Im Augenblick lese ich: Die offenen Adern Lateinamerikas von Eduardo Galeano. Vorher gelesen: Afrika und der Entstehung der modernen Welt von Howard W. French. Jede Seite ist zum Weinen über das Schicksal der Ausgebeuteten und über die Zerstörung der Lebensgrundlagen in ganze Kontinenten. Die "Sklaverei" geht weiter. Eine unglaubliche Anzahl Menschen produzieren für unseren Konsum, während sie selber verhungern.

Ich bin dankbar, dass die Republik den sogenannten Fortschritt hier genauer betrachtet und hoffe auf mehr Auseinandersetzung mit den Missstände. Wir können Verzicht lernen in Bewusstsein, dass wir das unseren Mitmenschen längstens schuldig sind.

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Herzlichen Dank, liebe Frau Wunderle, auch für den Buchhinweis.

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Von einem befreundeten und sehr geschätzter Mitverleger bekomme ich viele gute Buchhinweise. Der Dank gebührt eigentlich ihm…..

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Markus Schärli
Immer mal wieder besorgter Bürger
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Spannender Beitrag. Was mich immer wieder erstaunt, wie man selber unreflektiert Sprache verwendet. Ich hatte bis heute noch nie darüber nachgedacht, weshalb es FORT-schritt und nicht HIN-schritt heisst. Interessante Gedanken... besonders gefallen hat mir persönlich die Stelle: "Der Umstand, dass du jetzt immer noch so glücklich dein Steak auf dem Teller hast, wird dir wahrscheinlich noch in deiner Lebenszeit einmal ein ähnliches Gefühl bereiten. Das ist tatsächlich eine Frage, die ich mir manchmal stelle. Werde ich mich in zehn Jahren fragen: Wie konntest du das noch so lange machen? Ich glaube, unser Umgang mit der Natur wird sich ändern müssen." Es ist sozusagen ein persönliches "proof of concept" und zeigt eine hoffnungsvolle Veränderung der Gesellschaft - zumindest aus der Sicht von Schweinen.

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Senftube
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Das „fort“ dürfte hier als Vorsilbe nicht die Bedeutung „weg“ haben, sondern vielmehr „voran“, „vorwärts“. Grüsse, ein Linguist.

https://en.m.wiktionary.org/wiki/Re…anic/furþą

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Markus Schärli
Immer mal wieder besorgter Bürger
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Danke. Auch spannend. Noch etwas dazugelernt. Allerdings bleibt auch bei dieser Interpretation die Tatsache bestehen, dass der Fixpunkt hinter einem liegt und nicht vor einem. Ich kann vorwärts gehen ohne mein Ziel zu kennen, den Fixpunkt, von dem ich mit fortbewege kenne ich aber sehr wohl. Das wird im bekannten Kalauer offensichtlich: "Als wir vor dem Abgrund standen, machten wir einen mutigen Schritt vorwärts."

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Und schon seinerzeit, zu Zeiten der Sklaverei waren namhafte Stimmen zu hören - nicht zuletzt aus kirchlichen Kreisen - die diese als dem Menschen unwürdig kritisierten und verurteilten. Aus überzeitlich ethischen Gründen, auch im Sinne der Nächstenliebe oder z.B. rekurrierend auf die Bergpredigt.
Es kann in dieser Frage keinen historischen Relativismus geben. Fortschritt kann immer nur als auf alle Menschen bezogen verstanden werden oder er ist kein Fortschritt.
(In der Republik war auch schon davon die Rede)
(edit: typo)

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Spannend über Fortschritt nachzudenken. Ich möchte aber zu Bedenken geben, dass ‚Probleme lösen‘ eine sehr enge Definition von Fortschritt ist. Das würde ja zum Beispiel jegliche Grundlagenforschung ausschliessen.

Und genau da macht sich doch das menschliche Naturell speziell bemerkbar - nach dem Unbekannten zu streben, neues zu Schaffen, Dinge (anders) zu verstehen versuchen. Das zeichnet uns doch aus. Ohne diesen Fortschritt wäre unsere gesamte heutige Gesellschaft nicht da, wo sie heute ist. Was natürlich nicht heisst, dass man den status quo nicht kritisch hinterfragen darf.

Ich störe mich einfach schon je länger je mehr am Fortschritts- und Wissenschaftspessimismus in der Schweiz und Europa. Wo führt das hin?

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Am Ende noch zu Korrekturen?

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Ich finde das hier ausgedrückte Verständnis von Grundlagenforschung als nicht problemgetrieben interessant. Von dem Winkel habe ich das selbst noch nie betrachtet. Kann man nicht fehlendes Wissen oder fehlende Einsicht generell als Problem auffassen, das es zu lösen gilt? Zum Beispiel wie eine bestimmte menschliche Zelle funktioniert, oder welche grundlegenden Kräfte und Elementarteilchen es gibt (und wie sie interagieren), oder welche Eigenschaften ein mathematisches Konstrukt hat.

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pensionierter Fluglotse
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Ein interessantes Interview. Das Fürchterlichste , das seit (oder besser trotz) der Aufklärung angerichtet wurde, ist für mich die Zerstörung der Lebensbasis Natur. All die erwähnten Verbrechen, deren Menschen fähig waren und sind, können verbessert oder geändert, d.h. wirklicher Fortschritt hin zu einer humaneren Welt angestrebt werden.
Nicht so bei ausgestorbene Arten, Mikroplastik, Klimaschock, Kriegs- und Hungertoten, etc. ,da gibts nichts mehr zu retten.
Die Fehlentwicklungen der letzten 250 Jahre (Kapitalismus, Materialismus, Fossile Energie, zu grosse Maschinen, Bevölkerungsexplosion, Digitalisierung) wurden alle im Namen eines vermeintlichen Fortschritts geplant und durchgeführt. Diese endgültigen (terminalen) Fehler können aber kaum korrigiert werden. Das drohenden Ende der Menschheit ist kein "Fortschritt", sondern eben "das Ende".

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Und vor allem sind wir in diesen Themen unglaublich regredient! Ich bin immer wieder entsetzt wie normal von Flughafen Auslastungszahlen in den News berichtet wird. Und da gibt es unendliche Beispiele wo wir trotz besserem Wissen in Weg schauen, leugnen banalisieren etc feststecken. Das als Regression benennen habe ich hier das erste mal gelesen. Scheint mir aber sehr zutreffend!

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Ich schätze und Rahel Jäggi im höchsten Masse und freue mich, habt ihr mit der ehem. Bernerin ein Interview gemacht! Danke Republik.

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Nicht gerade verhungern, denn sie müssen ja leben um den miesen Plunder produzieren zu können, den wir uns dann als Schnäppchen um die Schulter hängen und um den Bauch binden - ein paar Franken zu sparen, damit für anderes was übrig bleibt.
Ein elendes Hamsterrad, den einen verspricht es Wohlstand, anderen gaukelt es diesen vor. Die grosse Mehrheit bleibt im Elend gefangen und fristet ein mehr als bescheidenes Leben. Und Kriege allüberall.
Der Menschheit unwürdige Zustände, das Projekt der Aufklärung scheint verloren zu sein.

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Museumsbesucher
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Vielen Dank für den Beitrag, er regt mich an, mein „Fortschritts-Verständnis“ zu reflektieren.

Passend zum Thema, habe ich heute die Ausstellung „NATUR und wir?“ im Stapferhaus Lenzburg besucht. Diese kann ich sehr empfehlen.
Hier die Beschreibung dazu (von der Website https://stapferhaus.ch/natur):
Wir finden Erholung in der Natur und uns selbst in der Wildnis. Wir verehren das Natürliche und sehnen uns nach unberührten Landschaften. Gleichzeitig suchen wir mit allen Mitteln der Technik nach Lösungen, um winzige Viren, gewaltige Wasser und verheerende Flammen in den Griff zu bekommen. Wir streiten darüber, ob und wie es die Natur zu retten gilt. Aber: Was ist eigentlich Natur? Und wem gehört sie?

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pensionierter Fluglotse
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Für mich (wissenschaftsbasierter, nicht religiöser Realist) ist Natur "Leben", ein von der Evolution "erzeugtes" Netzwerk von Erde, Pflanzen, Tieren und Menschen. D.h., der Planet Erde ist ein Gross-Lebewesen bei dem eigentlich alle Teile unverzichtbar sind und jedes Teil (vom Virus bis zum Menschen) eine Funktion im Netzwerk hat. Die Natur gehört niemandem (obwohl der Mensch glaubt, sie gehöre ihm). Die anderen Teile nutzen das Netzwerk um weiterzuleben und funktionieren so genial, dass alle überleben. Bis vor 250 Jahren. Seit dem ist der Mensch das einzige "Teil", das seine eigene Lebensbasis "Natur" samt vielen Mitlebewesen zerstört (Artensterben) und das auch noch "Fortschritt" nennt. Aus Sicht der Evolutionsbiologie ist das schwer krank, den die einzige gesicherte "Absicht" der Evolution, der Sinn des Lebens, ist das Überleben. Die Erde hat mit uns sozusagen eine schwere Krankheit.

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Ja: Über Fortschritt reden, nicht ohne Walter Benjamin zu gedenken!
Sendung von: "SWR2 Wissen
Der Philosoph Walter Benjamin – Die Schatten des Fortschritts Von Philipp Lemmerich
Sendung: Freitag, 25. September 2020, 08:30 Uhr Redaktion: Ralf Kölbel Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2020
Walter Benjamin (1892-1940) sieht in den 1930er Jahren eine Welt in Trümmern: Weltkrieg, Wirtschaftskrise, Aufstieg des Faschismus. Seine radikale Gesellschaftskritik ist bis heute aktuell.
SWR2 Wissen können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: https://www.swr.de/~podcast/swr2/pr…t-102.xml"

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Vielen Dank, lieber Herr S., fürs Kommentieren und für diesen Hinweis!

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Die Geschichte mit den Sklaven ist aus dem Zusammenhang. Das verstärkt auch die Empörung. Gehen wir Zurück zu den Anfängen der Schweiz. Damals gehörte Alles dem König. Und sein Statthalter verfügte drüber. Wenn der König in den Krieg wollte, konnte er bei jedem Hof anklopfen (lassen) und den Zweit- oder später Geborenen für den Feldzug mitnehmen. Der Erstgeborene hat den Hof geerbt. Dieses Schema wurde erst mit den freien Staedten durchbrochen. Die Gehoerten nicht mehr dem Koenig. Die Bildung der Schweiz ist eine Geschichte der Losloesung von einem Koenig, zumindest in den Anfaengen.
Eine Theorie besagt, dass die Europaeischen Kriege mit solchen Abstaenden stattfanden, wie es zuviele Zweit- und Spaetergeborene gab. Fuer die gab es in den Agrargesellschaften keinen Platz am Esstisch. Der Hof ging an den Erstgeborenen, fuer die Spaeteren gab es nichts zu erben. Und der agrarische Ertrag war eine Frage der Flaeche. Es gab keine Zaubertricks wie Heute, wo man den Ertrag multiplizieren kann, resp vorgibt zu koennen. Allenfalls war die Fortpflanzung auch auf den Erstgeborenen, sprich den Grundbesitzer limitiert. Die Nichtbesitzer waren Knechte und Maegde. Und die Bevoelkerung ist nicht explodiert.
Desgleichen in Afrika. Die Leute waren auch nicht frei, sondern gehörten Jemandem. Mit derselben Verantwortung, wenn's den Leuten besser geht leisten Sie mehr. Der Unterschied zu Europa ... nicht allzu viele Jahrhunderte, aber den Interkontinentalen Handel. Und allenfalls einen zahlungsunfähigen König, der seine Leute verkaufte. Leider kommt von solchen Details nichts (mehr), weil die Empörung schon zu gross ist.
Wie lief das hier in Europa ? Ein König, welcher sein eigenes Geld herausgeben kann, kann ja nicht zahlungsunfähig werden. Was kann/konnte einer agrarischen Gesellschaft passieren ? Eine schlechte Ernte. Seuchen. Dem waren die Einwohner unterworfen, Und der Adel hat die Bauern gespielt, im Sinne von die Tochter/ der Sohn musste strategisch heiraten. Habsburg war darin über die Jahrhunderte erfolgreich. Sie konnten sich zwischen Tell und 1. Weltkrieg von einer (Noname-) Burg im Aargau nach Wien verbessern.
Mir fehlt das Geschichtswissen, allenfalls wäre ein Historiker präziser.

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Andreas Fischer
nachdenklich
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Ich verstehe Ihren Zusammenhang zwischen der Sklaverei und Ihrer kulturgeschichtlichen Begründung der Dynastien, Monachien mit dem "Aufstieg" der Habsburger nicht. Im Kontext des Gesprächs mit Rahel Jäggi dreht es sich darum, dass Personen vom "Fortschritt" ausgegrenzt wurden: < Die Denkfigur ist: Wir haben zum Beispiel schon eine bestimmte Vorstellung von Gleichheit oder von dem, was wir anderen Personen schulden. Aber es zählen eben nicht alle überhaupt als Personen. Zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten zählten zum Beispiel Frauen, Sklavinnen, Kinder oder Besitzlose nicht. >
In diesem Sinne kann aus meiner Sicht die globale Sklaverei nicht schöngeredet oder vom Diskurs ausgeblendet werden - weder mit der Kulturgeschichte und schon gar nicht mit dem Hintergrund des europäischen Kolonialismus (aktuell: Folgen Belgischer Kongo).
Für Ihr fehlendes Geschichtswissen kann ich Ihnen gerade empfehlen: Buch von Lewis Dartnell "Being Human", ich bin zufällig gerade auf Seite 65: "Die Habsburger".

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Danke, stimmt. Der Belgische Kongo war katastrophal. Es geht nicht um Schoenreden, oder Ausblenden. Muss ich nicht, ich war damals nicht dabei. Es geht um Ent-hypen. Die Sicht war damals anders. Zumindest in der Europaeischen Geschichte hat niemand gezaehlt. Die Zeit ist vor sich hin geplaetschert...
Sogenannt "Eingeborene" und Besitzlose zaehlen uebrigens jetzt immer noch nichts.
Genauso wie unsere jetztige Sicht auf Tiere, Nutztierhaltung, unser Umgang mit der Natur, Artensteben, Abholzen, Klimawandel, der Umgang mit vergaenglichen Rohstoffen irgendwann in der Zukunft angepasst werden wird. Leider nicht heute. Wir sollten uns eher auf das Heute konzentrieren, wo etwas erreicht werden koennte und sollte.

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Lorenzo Moret
Auditor a. D.
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Bitte mehr Positiv Denken, z.B.
https://www.gapminder.org/news/100-…from-2023/
Danke
Und bitte rascher auf den Punkt kommen. 26 Minuten meiner Zeit sind das halbe Jahresabo wert

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Lieber Herr Moret, Sie haben natürlich recht, es ist ein umfangreiches Interview. Und die Hoffnung, wenn man sich für den grossen Umfang entscheidet, ist natürlich immer, dass es sich für die Leser:innen lohnt, sich trotzdem die Zeit für die volle Länge zu nehmen. (Das gilt im Grunde eigentlich bei jeder Textlänge – auch ein sehr kurzer Text kann zu lang sein; man muss das Risiko jedes Mal neu abwägen.) Übrigens – nicht um Sie zu schocken, sondern als ernstgemeinte Empfehlung, reinzuhören: Rahel Jaeggi hat neulich auch ein Interview in der Reihe «Jung und naiv» gegeben – das ging satte vier Stunden.

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Der grösste Fortschritt wäre für mich, wenn die Menschen die kleine Lücke an freiem Willen, zwischen Nature and Nurture, die hoffentlich noch existiert, besser nutzen würden. Also statt Gen-basietem oder kulturell konditioniertem Reagieren, mehr reflektiertes Agieren hervorbringen würden.

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In der Tat: Ich könnte mir nicht vorstellen nochmals Tiere zu essen, obwohl es vor vielen Jahren normal war. Heute ist es einfach nur schrecklich und schmerzhaft hinzusehen. Etwa wie bei einer Sklaverei im Film zuzusehen und sich vorzustellen wie das war. Sehr treffender Vergleich für jemand wie mich, zu erklären wie man sich da fühlt. Für jemand dem jedes Leben wichtig ist. Nicht nur das von Menschen.
Danke für den Artikel!

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Citoyenne
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· editiert

Die Regressionsfalle

Sie ist tückisch und nur schwer zu erkennen. Selbst intelligente und in formalem Denken geübte Menschen laufen nur allzu oft in die "Regressionsfalle" – die Ursache vieler Denkfehler und Fehlbeurteilungen. Klaus Fiedler vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg erklärt das universelle Prinzip der Regression anhand überraschender Alltagsbeispiele und zeigt, wie man die schwerwiegenden Fehlerquellen menschlichen Denkens erkennen und vermeiden kann.

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der Andere wieder/ Leser
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Ich danke herzlich für das Interview. Beim Lesen ist mir in den Sinn gekommen, dass auch in der Evolutionsbiologie gesagt wird, die Evolution sei ziellos.
Aber mir ist andererseits die Diskussion ein wenig "blutleer" in dem Sinn, dass ich zu bedenken geben möchte, dass momentan die grössten Entwicklungsausgaben (unvorstellbar grosse Beträge) in diejenigen Technologien verlocht werden, bei denen den Investor*innen die tollsten Geschichten erzählt werden.
Zudem wird der Markt, welcher auch den Boden bereitet für die technologische Seite des Fortschritts, stark von Mechanismen bestimmt, welche überhaupt nicht mehr mit Markt zu tun haben. Bspw. Tesla/ Autofabrik: Die haben jahrelang starke Defizite eingefahren, welche durch Einnahmen von Verkauf von CO₂-Zertifikaten von Autobauern wie VW oder ähnlich ein wenig gemildert wurden. Nur weil Musk und Co. so viel Geld einschiessen konnten, ist Tesla da nicht untergegangen.
Und (und auf diese Seite konzentriert sich Frau Jaeggi m.E. fast ausschliesslich) wurden die Elektroautos auch durch die Schauspieler*innen von Hollywood gepusht, welche keine Lust mehr hatten, die amerikanischen "Schluckspechte" zu fahren. Und der Untergang der amerikanischen Autoindustrie stürzte den Rostgürtel der USA ziemlich ins Elend (Detroit ist ja praktisch gestorben dabei). Auch wenn fairerweise geschrieben werden muss, dass die amerikanischen Autobauer lieber im Ausland produzierten, weil das billiger war.
Und zu guter Letzt muss ich gestehen: Nein, ich habe nicht alles begriffen, was im Interview stand ;) Trotzdem noch einmal: Merci für das Interview.

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Das Feuerwerk, das Urban Priol in seinem Jahresrückblick (3-Sat) abgefeuert hat, hat mir wesentlich besser gefallen. Er attackiert die Missstände, an der unsere Gesellschaft krankt, auf wesentlich unterhaltsamere Weise. (Disclaimer: Vorsicht, nichts für zarte Gemüter).

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(durch User zurückgezogen)