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Marcel Hänggi
Journalist, Republik-Mitarbeiter
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Ich habe diese Kolumne, wie jede Kolumne von Ihnen, Herr Strassberg, mit Gewinn gelesen. Ein gewisses Unbehagen hatte ich bei der Lektüre aber doch. Dass die Bewältigung der Klimakrise Verzicht verlangt, stimmt natürlich – trivialerweise. Denn jede gesellschaftspolitische Veränderung bringt Verzichtszumuntungen mit sich – für einige, auf manches –, aber auch Gewinne – für andere, an anderem.
In einem Land wie der Schweiz, die von Kriegen verschont blieb, hat m.E. im 20. Jahrhundert kaum etwas so viel Verzicht abverlangt wie der Automobilismus: Verzicht auf öffentlichen Raum als Spiel- und Begegnungsplatz, weil dieser Raum allein dem automobilen Fortkommen umgewidmet wurde. Verzicht der Kinder auf K.-Sein in diesem öffentlichen Raum (weil sie sonst überfahren würden). Heute wollen immer mehr Städte diesen öffentlichen Raum zurückgewinnen – aber gerade diese Rückeroberung gilt dann den Automobilist:innen (und vielen Politiker:innen und Medienschaffenden) als unzulässige Verzichtszumutung.
Ich glaube, das Problematische am Wort «Verzicht» ist, dass das, worauf zu verzichten wir uns gewöhnt haben, nicht mehr als Verzicht wahrgenommen wird; neue Verzichte aber sehr wohl. Nichts löst mehr Widerstand aus, als wenn man jemandem sein:ihr Privileg wegnimmt, und sei das Privileg noch so ungerecht gewesen. Dadurch hat die Analysekategorie «Verzicht» immer etwas Konservatives.
(PS: Einer der Auswege aus dem von Ihnen beschriebenen Dilemma scheint mir da politisch so verpönte Verbot. Es mutet – im Gegensatz zu so genannt marktkonformen Massnahmen – Reich und Arm den selben Verzicht zu.)

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Einer der Auswege aus dem von Ihnen beschriebenen Dilemma scheint mir da politisch so verpönte Verbot. Es mutet – im Gegensatz zu so genannt marktkonformen Massnahmen – Reich und Arm den selben Verzicht zu.

Verbote wie das Verbot, unter Brücken zu schlafen? Mutet das wirklich Reich und Arm den gleichen Verzicht zu?

Ganz so einfach ist das mit der Klimagerechtigkeit dann doch nicht ...

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Marcel Hänggi
Journalist, Republik-Mitarbeiter
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Sie haben natürlich vollkommen Recht, das schöne Anatol-France-Zitat konterkariert meine Aussage. Aber man wird ja aus klimapolitischer Motivation nicht gerade das Schlafen unter Brücken verbieten! Anatol France mokiert sich mit seinem Zitat über eine simplistische gewisse Vorstellung von Gleichheit (F.A. von Hayek erwähnt das Zitat übrigens; er ist darob gar nicht amused …). Das Unter-Brücken-schlaf-Verbot trifft eben gerade Arme (Obdachlose) und alle anderen nicht, weil die Obdachlosen keinen anderen Platz zum Schlafen haben. Das ist natürlich bei Verboten mitzubedenken: nicht das zu verbieten, was für gewisse Menschen alternativlos ist – resp. dass Alternativen bereitgestellt werden (die Obdachlosen wären ja vermutlich froh, auf die Freiheit, unter Brücken zu schlafen, nicht angewiesen zu sein).
Wenn man das berücksichtigt, glaube ich schon, dass meine Aussage stimmt: dass Verbote aus sozialer Sicht meistens akzeptabler sind als Lenkungen über den Preis.

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Mich haben in diesem Zusammenhang bspw. die Superilles in Barcelona fasziniert: vermeintlicher Verzicht wird zu mehr Lebensqualität. Es gibt sicher viele andere solche Projekte.

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Worin rührt nun ihr Unbehagen? Dass Strassberg jeder Art von Verzichtsaufforderung skeptisch gegenübersteht, während er die gegenwärtigen unsichtbaren, weil selbstverständlichen Verzichtsleistungen unberührt lässt?

Dem individuellen Verzicht steht das universalistische Verbot gegenüber. Für systemische Veränderungen bedarf es Letzteres. Doch dieses ist im Gegensatz zu Ersterem – scheinbar! – noch weniger mit den Werten einer individualistischen liberalen Gesellschaft vereinbar.

Ich sehe schon am Horizont Strassbergs Kolumne zur restriktiven Verbotsgesellschaft vs. permissiven Gesellschaft heraufkommen ;-)

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Lieber Marcel Hänggi, danke fürs diese Differenzierung des "Verzicht"-Begriffs. Tatsächlich verzichten wir durchs nicht-Verzichten sehr vieles: Auf weisse Winter, auf öffentliche Räume, auf mehr Freizeit, auf soziale Gerechtigkeit.
Auf öffentlichen Luxus, wie ihn George Monbiot umreisst (https://centerforneweconomics.org/p…f-society/), möchte ich auf keinen Fall verzichten müssen!

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Wie Verzicht geht, natürlich nicht freiwillig, haben wir doch während der Pandemie erlebt. Und ich Naivling habe geglaubt, das wäre jetzt die Gelegenheit den Schalter etwas umzulegen. Denkste - doppelt und dreifach wurde alles nachgeholt.

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Herr Paschulke
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Ich bezweifle, ob der von Ihnen beschriebene Typ Mensch, der es geniesst zu verzichten, um sich anderen gegenüber moralisch überlegen zu fühlen, tatsächlich oft vorkommt. Übernehmen Sie da nicht einfach das Narrativ der rechtsbürgerlichen Medien?
Als kürzlich in der NZZ am Sonntag ein Beitrag über die Schädlichkeit des Alkohols erschien – es handelt sich dabei um den auch von Ihnen erwähnten Artikel «Schon ein Glas erhöht das Krebsrisiko» –, holte Philipp Schwander, der erste Schweizer «Master of Wine», in einem offenen Brief zu einem Rundumschlag gegen die woke, genussfeindliche Elite aus. Jetzt wollen uns die Linken auch noch den Wein verbieten! Die Autorin, die sich in ihrem Beitrag auf Empfehlungen der WHO bezieht, diffamierte er als Journalistin mit einem abgebrochenen Studium der Tiermedizin, was offensichtlich genügt, sie als Vertreterin der woken Elite zu sehen.
Was ich hingegen in meinem persönlichen Umfeld wahrnehme, ist, dass überhaupt niemand verzichtet – weder der «woke Gutmensch» noch der «rechte Genussmensch». Einen Wettkampf im Verzichten nehme ich schon gar nicht wahr. Alle leben so wie immer und lassen sich nichts vorschreiben. Als ich kürzlich einen Freund darauf ansprach, wie sein Engagement in der GLP damit zusammengehe, dass er zu zweit in einem 400 Quadratmeter grossen Haus wohne und vier Autos habe, meinte er lediglich, dass er dafür seit mehreren Jahren nicht mehr geflogen sei. So hat jeder und jede ein Alibi – selbstverständlich auch ich.

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Bernhard Wehrli
Umweltwissenschaftler
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Leider doch, ich erlebe viel moralischen Hochmut in der Verzicht Debatte. Die Reichen gehören anständig besteuert, weil der moralische Zeigefinger gegen vier Autos gar nichts bewirkt.

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Finde ich ja auch interessant (als Soziologe), doch die Pointe könnte sein, dass wir nicht Verzicht brauchen sondern ein Verbot. Leave it in the ground! Ich würde gerne eine Partei gründen oder ihr beitreten wenn es sie gibt, die einen klaren Ausstiegsplan fordert. Meine Meinung: Wir sollten - Stand heute - ein vollständiges Verbot der Verbrennung fossiler Stoffe per 2032 gesetzlich festlegen. Das würde allen noch etwas Zeit lassen für die Umstellung. Einzige Ausnahme: Das Militär. Und das sage ich, obwohl ich die GSoA unterstützt habe.
PS: ich fliege nicht mehr, habe schon lange kein Auto mehr, gehe zu Fuss mit dem Velo, tanze, bade in See und Fluss, wandere am Uetliberg, doch ich verzichte nicht, ich geniesse.

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Herr Paschulke
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Die Macher der aktuellen Werbekampagne von Galaxus scheinen Adorno und Marcuse besser verstanden zu haben. Sie hinterfragen die Glücksversprechungen des Kapitalismus auf äusserst witzige Weise, indem sie beispielsweise in Anlehnung an die alten Marlboro-Werbungen als Cowboys verkleidete Männer durch die amerikanische Prärie reiten lassen, um sie dann am Ende der Werbung unbeholfen, schwerfällig und mit Schmerzen in den Beinen von den Pferden steigen zu lassen. Erst dann werden die eigentlichen Produkte – in ganz kleiner Schrift – angepriesen (etwa eine Hirschtalg Fusscreme für den schmerzenden Hintern).
So sehr man sich auch bemüht, in seinem eigenen Leben vermeintlich glücklich machende Szenen aus Film und Werbung nachzuspielen, wird man am Ende doch immer irgendwie enttäuscht sein – und zwar unabhängig davon, ob man arm oder reich ist. Mani Matter hat dieses Dilemma in seinem wunderbaren Lied Farbfoto besungen.
Hat man erst einmal begriffen, dass man Glück (oder was man dafür hält) nicht kaufen kann, bedeutet Verzicht plötzlich grenzenlose Freiheit.

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Leserin
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Danke, Herr Nachbar! Mani Matter und Strassberg machen heute meinen Tag.

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Verzicht ist für mich ein subversiver Akt, angesichts eines Turbokapitalismus, der Tag und Nacht Menschen vereinnahmt und sie zum Konsum verführt. Konsum ist Sublimation. Wer sich nicht ständig mit Konsum über Wasser halten muss, hat etwas gewonnen: Ein Stück Freiheit. Sie unterwirft sich nicht einem gesellschaftlichen Diktat, das darin gründet, entweder immer mehr Konsumgüter haben zu wollen oder davon Abstand zu nehmen, um im Ranking der Enthaltsamkeit zuvorderst zu sein. Ein Verzicht, der mehr ist als Quoten, Likes und Follower, behält die Welt im Auge. Eine Welt, in der Geld und Konsumgüter derart ungleich verteilt sind, dass einem die Scham überkommt. Eine Scham, die wenige ereilt, wenn sie mit ihrem Tun und Nichtlassen Vorschub leisten für das Artensterben und den Klimawandel. Wer anders denkt, ist sich bewusst, dass der Mensch Teil der Natur ist und eigentlich alles daransetzen müsste, in Koexistenz mit allen Wesen dieser Welt zu leben. Verzicht bedeutet für mich Lebensqualität; nicht nur für mich selbst, sondern für viele Arten dieser Welt. Wer wirklich subversiv leben möchte, geht spazieren oder sinniert im Garten über Gott und die Welt und hält die Augen offen für das, was kreucht und fleucht. Damit zufrieden sein, heisst nichts anderes, als sich selbst auszuhalten - nicht zuletzt die Endlichkeit seiner selbst.

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Vielen Dank Herr Hofstetter für Ihr klares Votum. Verzicht bedeutet Lebensqualität.
Es käme mir nicht in dem Sinn Verzicht zu verlangen von materiell weniger Privilegierten. Auch nicht wenn diese mal zu den Malediven reisen.
Der Gedanke zu verzichten aus Prestige Gründen ist mir sehr fremd.
Als Plädoyer für freiwilligen, freiheitsbringenden Verzicht ist Herrn Strassbergs Kolumne wohl nicht gedacht .

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Danke, Frau Wunderle, für ihre Antwort. Genauso ist es: Weniger bedeutet Lebensqualität, Ballast abschütteln, oder sich aus einem Korsett befreien. Und ja: Ich will Menschen nicht umerziehen, sondern sie vielleicht ein wenig dafür inspirieren, mit Köpfchen und Herz zu leben. Sie, Frau Wunderle, haben begriffen, um was es geht.

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Mensch
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„Verzicht“ heisst das Zauberwort. Doch ich verstehe Inder, Brasilianer oder Chinesen, Menschen eben aus „Schwellenländern“, die sich nun auch einmal etwas leisten wollen. Das ist natürlich.

Gleichzeitig frage ich mich: Müssen wir zweimal im Jahr mit dem Flugzeug verreisen, brauchen wir alle einen SUV, braucht es täglich Fleisch auf dem Tisch? Wir aus der „ersten Welt“ leben schon zu lange auf einem sehr hohen Niveau, wir haben vergessen was Bescheidenheit praktisch bedeutet.

Unsere Erwartung ist ständiges Wachstum. Wir kennen das nicht anders. Aber wo in der Natur gibt es das? Die Erwartung ist unnatürlich und eine Konsequenz unseres Verhaltens ist ein geschädigtes Klima. Eine andere Konsequenz ist eine ungesunde Form von Wettbewerb und Egoismus.

Weniger ist manchmal sehr viel mehr. Doch wer das fordert, muss bei sich selber beginnen, sonst ist er unglaubwürdig. Genau das sind wir Heuchler der „ersten Welt“. Und wir gehen noch weiter. Wir sind nicht bereit unseren üppigen Reichtum zu teilen, in der Annahme, dass er nur auf unserer eigenen Leistung basiert.

Dabei wäre es ganz leicht zu erkennen, dass alles zusammenhängt. Hätten wir nur das, was wir selber von A-Z selber produziert haben, hätten wir - gar nichts. Leider sind solche Gedanken nicht mehrheitsfähig. Es ist wesentlich leichter sich hinter Nationalismus und Rechtspopulismus zu verstecken, als die simple Wahrheit zu erkennen…

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Mensch!
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Welch stattliches Panorama zu vielen möglichen Schattierungen und Färbungen von angeordnetem, gepredigtem, vorgezeigtem bis vorgegaukeltem Verzicht! Immer unter der Voraussetzung, dass jemand die Wahl hat.
Krass finde ich, dass unsere wettbewerbsverseuchte Gesellschaft auch den Grad von Verzicht zu einem Besserstellungsmerkmal zu machen vermag. Zugegeben, hier zeigt sich mein eher linker Blickwinkel.
So macht mir Verzichten keinen Spass, und ich rebelliere gerne gegen Verzichtdiktate und -wettbewerbe. Genuss muss sein. Genuss macht mir Freude und mich zu einem geniessbareren Menschen.
Aber ich verzichte gerne auf ein Stück Fleisch zugunsten meiner noch Fleisch essenden Kinder, oder auch, damit das herzige Söili oder noch lange leben darf. Ich verzichte gerne auf den Sitzplatz für die betagte Nachbarin, ja eigentlich verzichte ich gerne und freiwillig auf fast alles für kommende Generationen, vor allem für guten Lebensraum für eine üppige Vielfalt an sich wechselseitig geniessenden Lebewesen. In Vorfreude habe ich jetzt schon etwas davon. Das ist dann also gar kein Verzicht, sondern ein Gewinn.

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"Physiker"
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Danke für den Artikel. Der "Verzicht" wird jedoch meiner Meinung nach zu sehr personalisiert. Im Grunde geht es um Wirtschaftspolitik und der Verzicht muss politisch vollzogen werden. Viele Probleme sind eine Kombination vom Wachstumszwang der Wirtschaft und vom Reichtum der Schweiz. Ein individueller Verzicht ist kaum möglich, denn Einkommen muss ausgegeben oder vererbt werden, und trägt selbst für gute Zwecke wie soziale Hilfswerke indirekt zu den Problemen bei. (Eine mögliche Ausnahme https://www.compensators.org, wäre der Kauf von Klimazertifikaten, aber ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich funktioniert.)

Das führt zu immer mehr Produktion und immer höheren Ansprüchen und Ressourcenverbrauch sowie Abfall. Das führt zu einer Überbeanspruchung der vorhandenen Ressourcen in unserem Land und noch mehr weltweit. Früher war das ein Erfolgsrezept. Nun sind viele Grenzen des Wachstums überschritten und die Probleme nehmen rasant zu. Ein "weiter so" wird nicht gehen und Lösungen sind nur möglich, wenn das Finanz- und Wirtschaftswachstum reduziert wird und wir damit auf einen Teil unseres finanziellen Reichtums verzichten. Es ist aber notwendig, wenn wir unsere natürlichen Reichtümer nicht verlieren wollen. Sonst verlieren wir mittelfristig beides.

Ein Verzicht muss also politisch beschlossen werden, z.B. mit höheren Abgaben und Steuern für Konzerne, damit diese wegziehen oder schrumpfen. Damit würde die Schweiz zwar auf etwas Reichtum und Annehmlichkeiten (Google Street View?) verzichten, dafür die anstehenden Probleme entschärfen.

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Ein politischer Verzicht, der also die Allgemeinheit beträfe, wäre weniger ein Verzicht als ein Verbot. Aber klar, ohne systemische Veränderung sind individuelle Bestrebungen im Grossen und Ganzen letztlich wirkungslos.

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Wird Verzicht vorgeschlagen, höre ich sehr schnell das trotzige

Wieso sollte ich verzichten, wenn es grosse Länder wie Indien, China, Amerika etc. nicht tun?

Liebe Verleger:innen, was antworten Sie darauf? Ich würde mich gerne inspirieren lassen :)

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Herr Paschulke
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Wenn der Verzicht kein Opfer darstellt: weshalb sollte man es nicht tun? Wer aus Trotz etwas tut oder unterlässt, handelt immer kindisch und unverantwortlich. Antworten Sie einfach mit einer Gegenfrage: Fahren Sie aus Trotz ebenfalls 100 km/h, wo nur 30 erlaubt sind, nur weil es immer ein paar Idioten gibt, die das ebenfalls tun?

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"Physiker"
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Solches, wie Tempo 30, wird als Bevormundung interpretiert, wenn man sogar nur 40 km/h fahren möchte. Man "verzichtet" auf seinen freien Willen. Die Fakten sind egal, deshalb hat soeben das Parlament beschlossen, dem Bundesrat zu verbieten, sogar in begründeten Fällen Tempo 30 auf Hauptstrassen innerorts zu ermöglichen. Meiner Meinung nach wie Sie sagen aus kindischem und unverantwortlichen Trotz.

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Danke! Sehr oft habe ich den Eindruck dass sich der Verzicht für diese Personen dann als Opfer anfühlt. Das Opfer, weniger Fleisch essen zu dürfen, das Opfer mit dem Zug in die Ferien zu "müssen"...

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Was sagen wir unseren Kindern, wenn sie sagen, "Aber dHeidi, de Peterli u de Sämi möchid ou nüüt!"?

Ein Unterschied in der Argumentation ist aber sicher dieser:

  • Deontologisch: "Well mir ned dHeidi, de Peterli u de Sämi send, ond es möchid well s'richtige isch!" Weil es eine universelle Pflicht im Sinne des kategorischen Imperativs ist, sollen wir aus praktischer Vernunft alle X tun.

  • Konsequenzialistisch: "Well je meh wo mitmöchid, umso besser för alli!" Weil die positiven Netto-Effekte maximiert würden, sollten wir X tun.

Dabei zeigt sich, dass die konsequenzialistische Argumentation bei ihrer Ausgangsfrage einen schwierigeren Stand hat bzw. die Ausgangsfrage vor allem auf diese Argumentation abzielt. Also, wenn die grössten Emittenten nicht mitmachen, dann kann der gewünschte Netto-Effekt nicht eintreten, so dass unser handeln wirkungslos bleibt.

Dagegen liessen sich diverse Gegen-Gründe anfügen:

  • Pflichtenethik: Die bereits oben erwähnte deontologische Argumentation.

  • Gruppendynamik: Je mehr geschlossen in eine Richtung gehen, umso eher lenken auch andere ein.

  • Kontinuum vs. Alles-oder-nichts: Vielleicht lässt sich innert nützlicher Frist so nicht mehr das 1.5 Grad-Ziel erreichen, aber jedes Zehntelgrad weniger, umso besser, also ist auch jede Bemühung es wert.

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Ich stimme zu, der deontologische Ansatz greift meistens nicht - weil „die anderen“ machen es ja halt eben auch nicht (oder wie Herr H. schön gesagt hat: kindischer und unverantwortlicher Trotz).
Die Aspekte Gruppendynamik und Kontinuum gefallen mir sehr - werde ich in Zukunft gerne einbauen - merci!

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Sekundarlehrer
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Man könnte auch noch folgende Punkte anfügen:
-unser Konsumverhalten mit China als unserem billigen Hauptproduzenten verfestigt die Problematik

  • in all diesen Ländern gibt es auch starke Bestrebungen und die ökologische Richtung. Diese können wir mit unserem Verhalten bestärken (im Sinne eines globalen Umweltbewusstseins)

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Verlegerin
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Oder: von diesen können wir lernen.

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"Physiker"
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Na ja, Indien und China verbrauchen weit weniger als wir pro Kopf in der Schweiz. Die USA hingegen viel mehr, obwohl es viel Armut gibt. Daran sind jedoch auch wir schweizerische Konsumierende "schuld", kaufen wir doch wahnsinnig viel aus China (LED, Batterien, Solarzellen, Rohstoffe, Pharma, Elektronik und bald Autos), aus den USA (wie China und auch Computer Software und Hardware, Waffen, Medien und Reisen. Mit Indien haben wir gerade ein Freihandelsabkommen beschlossen. D.h. wir sind auch bei den Bilanzen (und den Kriegen) dieser Länder beteiligt!

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Unser ganzes Wirtschaftssystem beruht auf Konsum und, zumindest heute, auf zu niedrigen Preisen für sogenannt externe Kosten, ganz speziell für klimaschädliches Konsumverhalten. Wir können uns realpolitisch, obwohl es angezeigt wäre, nicht ungestraft gegen das vorherrschende neoliberale kompetitive Wirtschaftssystem stellen. Die Rechtspopulisten sind eigentlich noch schlimmer als beschrieben: sie predigen nicht nur das Streichen von Verzicht, sondern sie predigen Ignoranz - das Problem existiert nicht für sie und ihre Anhänger, sozusagen. Erst wenn die externen Kosten selbst für rechtspopulistische Ignoranten diagnostizierbare, substantielle Schmerzen verursachen wird sich meiner Meinung nach etwas ändern.

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Albert America
Grafik und Webdesign
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Der Begriff «Verzicht» wandelt sich im Lauf von Daniel Strassbergs Kolumne.

Verzicht auf materielles unterliegt einem monetären Charakter. Sich leisten von Flugreisen, Luxuskarossen oder feudalem Wohnen. Dabei wissen wir alle, dass es Geld und Besitz nicht wirklich gibt, dass es eine Geschichte ist. Oft eine Lügengeschichte.

In Freuds Carmen-Geschichte wird Verzicht zur Unterdrückung natürlicher Triebe.

Im Streifzug durch die Politik des 20. Jh. geht es darum, «die richtigen Wünsche» zu wecken. Damit soll Verzicht gar nicht erst zum Thema werden.

Am Ende der Kolumne, mit der Forderung nach einer gerechteren Gesellschaft, geht es um den Verzicht auf Macht.

Danke für diese morgendliche Reise.

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pensionierter Fluglotse
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Besten Dank, Herr Strassberg. Vielleicht müssten einfach die wissenschaftlichen Fakten der Klimaforscher deutlicher erklärt und global vermittelt (Schulen!) werden. Nur wenige Menschen verstehen Dimension, Ursache und Folge der 200 Jahre Fossil-Energie-Katastrophe. Mit der Wachstumsfalle Kapitalismus haben "wir" Konkurrenz statt Solidarität (Krieg statt Frieden) gewählt und zerstören damit 1,5 Millionen Jahre Evolution von "Leben". Noch katastrophaler als der Klimaschock sind die erdölbasierten Kunststoffe in der Lebensbasis Natur, in unseren Zellen, in allem und überall. Artensterben und Microplastik sind irreversibel, auch wenn mit Sonnenenrgie produziert und die Menschen müssen wissen, dass die (selbst von der NZZ geforderte) Decarbonisierung und Kreislaufwirtschaft das Ende der Kunststoff- und Rohstoffindustrie (global, innert 25 Jahren!) bedeutet. Derweil wird für die Subvention und das "bezahlen" (Zertifikate) von CO2 Emissionen demonstriert, wodurch wir das mittlere Szenario des IPCC Ar6 2022 (1,5 Grad bis 2050, dann stabil) längst verpasst haben. Wir sind auf dem höchsten Szenario 5, das mit 8 Grad bis 2300 rechnet, von den Forschern aber als "unlikely" bezeichnet wurde, weil dann heutiges Leben nicht mehr möglich sei.
Menschen brauchen für ein gutes Leben Nahrung, Kleidung, Wohnung und Mitmenschen. Alles andere ist Zugabe, welche global halbiert, in CH 3mal und in USA 6mal reduziert werden muss (Öko-Fussabdruck). Das verlangt nicht nur Verzicht, sondern grundlegenden Systemchange und ein anderes Verständnis von Wohlstand.
Ich habe keine Ahnung, wie das in wenigen Jahren erreicht werden könnte. Es bleibt nur die Hoffnung, dass meine Diagnose falsch ist.

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Sekundarlehrer
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Und wieder der Ruf an die Schulen... Lest doch alle mal den aktuellen Lehrplan!
Aber die Probleme unserer Gesellschaft (und die Lösung derer) an die Schulen abzuschieben, greift wohl ein wenig zu kurz.

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Bernhard Wehrli
Umweltwissenschaftler
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Es gibt genug Information und sie gelangt auch zu den Leuten. Aber der neue Chef der SVP darf Klimalügen verbreiten, weil das als freie Meinung gilt.

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Der Ruf an die Schulen erfolgt immer dann, wenn die Politik nicht mehr weiter weiss. Im Grunde ein Armutszeugnis.

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Um den Klimawandel wirklich zu verstehen, sind Zusammenhänge nötig, die erst ab Gym aufwärts "begreifbar" sind. Da reicht die Volksschule nicht, auch wenn es im Lehrplan besonders überfachlich super Gelegenheiten dafür gibt.
Kommt dazu: Wir können als Lehrpersonen ewig darüber reden, es kommen dann eher früher als später Einwände wie

  • Die E-Autos sind blöd und schlecht für die Umwelt

  • Das Klima-Zeug interessiert mich eh nicht

  • Die blöden Grünen

  • etc.

Man könnte fast sagen, das Elternhaus habe einen markant grösseren Einfluss. Nicht repräsentativer Eindruck vom Berner Oberland. Notabene viele Kinder, die im Berggebiet die Veränderung Jahr zu Jahr beobachten können und deren Eltern umso mehr.

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pensionierter Fluglotse
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Einverstanden. Es braucht mehr. Aber unser Bildungsystem ist Teilursache der Probleme, es vermittelt jenes "Wohlstandsideal", das die Probleme verursacht.

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Energie und Nachhaltigkeit
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Wieder einmal eine erhellende Analyse zu einem aktuellen Thema - vielen Dank!
Der Text nennt namentlich das ökologisch progressiv Lager und die breite konsumaffine Masse als Kontrahenten beim Thema Verzicht. Der Elefant im Raum in der ganzen Verzichts-Diskussion sind jedoch die 10% Superreichen. Sie verbrauchen bis zu 50% der Ressourcen bzw. verursachen die entsprechenden Emissionen. Sie verfügen über die finanziellen Mittel und Beziehungen, um Medien und Politik in ihrem Sinn zu beeinflussen. Und die meisten dieser Gruppe wollen sicher nicht auf irgendetwas verzichten. Deshalb versuchen sie die Verzichtsthematik so zu framen, dass die "bösen Ökos" der "armen arbeitenden Bevölkerung" noch die letzten Freuden des Lebens aka Fliegen, Auto fahren, Fleisch essen usw. wegnehmen wollten. Dass das Gebaren der Reichsten uns allen die Lebensgrundlagen stark beeinträchtigen oder sogar zerstören wird, dass sie uns also sozusagen "Hemd und Hose" wegnehmen, wird so verschleiert.
Dieser Aspekt fehlte mir im Beitrag. Denn er ermöglicht neue Lösungsansätze und Zukunftsvisionen, in der es keinen inhärenten Konflikt zwischen Ökos und Normalos gibt, sondern in der es um eine ökologisch, sozial und ökonomisch gerechte Gesellschaftsordnung geht. Das wäre doch ein Thema für "Challenge accepted"!

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Das zu Beginn genannte Beispiel scheint mir in die richtige Richtung zu deuten. Der gerechte Staat verbietet allen gleich. Also, lasst uns mit Lust und Laune verbieten! Wir verbieten das Auto für alle, die die Notwendigkeit des Gebrauchs nicht zwingend nachweisen können. Wir setzen Maximalgrenzen für Wohnraum pro Kopf. Und so weiter. Gleichzeitig stellen wir sicher, dass alle zumindest ein materiell würdiges Leben erreichen. Sozialismus? Planwirtschaft? Ja, und wie! Insbesondere sollten wir es noch Mal bedenken aufgrund der inzwischen massiv fortgeschrittenen Computertechnologie. Ein würdiges Leben für alle sollte drin liegen. Jeder darüber liegende Luxus wird verboten. Wir werden materiell vielleicht ärmer, aber wir werden alle gleich ärmer. Was wirklich verboten gehört ist nämlich der Reichtum. Dafür gewinnen wir den öffentlichen Raum zurück (da weniger Autos und weniger grosser Privatwohnraum), sowie das Ende von Armut. Kein Reichtum, ja, aber eben auch keine Armut. Denke, in so einer Welt liesse sich der Verzicht akzeptieren.

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Und wie gestalten wir diesen Bedürfnisnachweis, dass er sozial nicht diskriminiert? Dass der funktionelle Analphabet die gleichen Chancen hat wie der Milliardär, der sich den besten Rechtsvertreter leisten kann?

"Jeder drüberliegende Luxus wird verboten" - auch der Luxus, der niemandem schadet? Ich darf nicht mehr spazieren gehen? Keinen Sonnenuntergang geniessen?

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Sehe ich nicht also grosses Problem. Wir definieren eine klar umrissene Liste von anerkannten Bedürfnissen und nur, wer die Kriterien erfüllt, erhält das entsprechende Privileg. Die Kontrolle sollte automatisch von statten gehen (z.B. Leute mit Fortbewegungsschwierigkeiten kriegen das Recht auf ein Auto). Und vergessen Sie eben auch den dazugehörigen Punkt auch nicht: in meinem Vorschlag gäbe es den Reichen gar nicht mehr. Und vermutlich auch keine Anwälte.

Zum zweiten Punkt, Sie erwähnen nur kostenlose Beispiele. Das soll natürlich stets erlaubt sein. Was massiv eingeschränkt werden muss, ist Luxus, der kostet. Wenn wir weniger Geld und Material verwenden, gewinnen wir auch Zeit, da wir weniger Zeit zur Befriedigung von Luxus aufwenden müssen. Diese gewonnene Zeit kann man auf viele Weise verwenden. So könnte man z.B. spazieren gehen oder sich einen Sonnenuntergang anschauen. Auch materiell müssen sich wohl die meisten nicht grossartig einschränken, es gibt da sehr interessante Vorschläge von Ulrike Hermann dazu, wie man unsere Wirtschaft auf eine Art Kriegsmangelwirtschaft umstellen könnte. Bloss die richtig Wohlhabenden halt, die müssen runternivelliert werden. Eat the Rich!

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Ein Leben zu leben ohne zu entscheiden. Durch den Tag kommen als wäre es schon gestern. Sehnen sich nicht viele danach?

Der Überfluss stellt uns täglich vor viel mehr Optionen als nötig. Alles steht zum Verkauf, sogar soziale Normen und Lebensstile. Man muss nur aussuchen und konsumieren.

Es ist doch nicht der Verzicht, der uns beschäftigt. Sondern die Allgegenwärtigkeit des Entscheidens.

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Beim Entscheiden kommt es auch auf die realen Möglichkeiten und Optionen an, die duch Privatisierung aus dem Entscheidfeld vieler Menschen auch in unserem Kollektiv verschwinden......

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Bernhard Wehrli
Umweltwissenschaftler
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Grossartig, danke für diesen Streifzug durch die Verwirrungen des Verzichts. Nicht der persönlichen Verzicht auf Haarspray hat die Ozonschicht gerettet, sondern das Verbot der "Ozonkiller" als Treibmittel.

In meinen Umwelt Vorlesungen war ich immer wieder sprachlos, wenn die Tochter und Söhne von Akademikern vorgeschlagen haben, wie wir die breite Bevölkerung zu mehr Verzicht erziehen sollten.

Umwelt Zerstörung als Geschäftsmodell ist ungerecht, weil die Umwelt allen, inklusive den nächsten Generationen gehört. Verbot von Umwelt Zerstörung wie im Fall der FCKW und der Ozonschicht ist ein Akt der Gerechtigkeit.

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Leserin
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Zum Thema Verbote

Schon lange denke ich darüber nach, welche tragenden Elemente der östlichen kollektivistischen Gesellschaften den sogenannten "freien Westen" bereichern könnten. Verstehen Sie mich nicht falsch; ich weiss es ist tollkühn, so etwas in diesem Raum zu schreiben, wo sich auch passionierte junge Schnaufer und Hitzköpfe tummeln.

Also ich meine so: Zhao Tinyang stellte dereinst fest, dass die erfolgreichen Strategien der erfolgreichen Players im weltweiten Jedegegenjeden oder im Mannschaftssport der Militärblöcke von den jeweils anderen Players oder "Teams" im Kampf um Dominanz kopiert werden. Damit verhärtet sich zwangsläufig dieser Kampf immer mehr. Enthemmt verbrennen die Players in Gier und Eifer Ressourcen und zerstören den Planeten. Jede Eskalation mündet in einen Krieg, wenn nicht ab und zu ein Gorbatschow oder Kennedy oder Martin Luther King geboren wird.

Warum setze ich "freien Westen" in Gänsefüsschen? Sie bestätigen mich und andere in der Auffassung, dass die Welt nicht glücklich wird, wenn jeder machen kann was er will, wenn einige verzichten und andere nicht. Diese vulgäre Definition von Demokratie haben wir längst abgelegt, wenn wir die Republik abonnieren.

Wenn jetzt der bisher so genannte "freie Westen" immer mehr Überwachungskameras einsetzt, ist auch das irgendwie für mich nicht das, was uns weiter bringt. Sie schreiben diese Art Kontrolle den Diktaturen zu, und -- kopieren irgendwie das Falsche. Eine vulgäre Auffassung von dem, was die kollektivistischen Gesellschaften ausmacht. Das muss wohl etwas anderes sein.

Die Transparenz hingegen, etwas was möglicherweise das höchste Gut an der ehemals funktionalen Demokratie gewesen sein mag, wird schleichend abgewickelt, Assange gefoltert wie Nawalny. Was brauchen wir, welche Art Tabus und Verbote, oder besser welchen Grad der kollektiven Selbsterkenntnis? Ich würde bei der Abschaffung der Feindbilder beginnen, hüben wie drüben. Bei der Kooperation und den wechselseitigen Verpflichtungen und Verflechtungen. Nur Kriegstreiber schaffen Wandel durch Handel ab und geben internationale Abkommen über Rüstungsbegrenzung der Fäulnis und Entropie preis.

Zerstörung der Natur, Othering, Entmenschlichung, Ausgrenzung, könnte all das den Ersatz bilden, für das, was unsere Feindbilder mal waren? Diese vier Dinge kann ich mühelos, leidenschaftlich und fröhlich bekämpfen und verbieten, beziehungsweise die zum Verbot drängen, die uns regieren, verdummen, enteignen, um sich vermeintlich zu bereichern. Mühelos scheidet dabei zwar wiederum aus. Und Überwachungskameras brauchts dann wohl trotzdem? Ich dreh mich im Kreis.

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annakatharina lobsiger sørensen
Freischaffende Künstlerin in Frankreich
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Vielen Dank für diesen interessanten und entlarvenden Text!

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Wahnsinnig entlarvend kam dies nun nicht. Es gibt ja bereits zig Texte dazu, dass es keinen Altruismus gibt. Ich finde das aber auch nicht schlimm und es ist relativ Wurst wieso man das Richtige tut, solange man das Richtige tut.

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Es geht Strassberg nicht um die Frage, ob reiner Altruismus, also ohne Anteil an Egoismus, möglich ist, oder nicht, sondern um das Phänomen, dass manche nicht nur für sich das Richtige tun, sondern mit dem Besseren auch ANDERE als Schlechte beschämen. Moralismus als Klassendünkel der "Mehbessere".

Und auch darum, dass es anders ginge.

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Vielen Dank für diese stimulierenden Gedanken! Ich sehr hinter dem Verzicht, den man sich leisten können muss, auch ein zusätzliches moralisches Problem: es ist nämlich nur ein vermeintlicher Verzicht. Leute, die nicht fliegen, reisen trotzdem, Leute, die kein Auto haben, bleiben trotzdem nicht zu Hause, usw. "Schlechter" Konsum wird mit "gutem" Konsum ersetzt. Kein Wunder schafft das Widerstand.

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Auch nur ein Mensch
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Ja, auch z.B. eine Zugreise verursacht Emissionen (und ein Fahrrad auch, aber ganz wenige). Aber es sind deutlich weniger als eine Flugreise. In diesem Sinne kann etwas ähnliches wie mit einer Flugreise auf eine "Emissions-effizientere" Art erreicht werden. Also gibt es schon einen guten Grund dahinter, den einen Konsum "besser" als den anderen zu nennen. Deshalb widerspreche ich: nein, das ist nicht nur vermeintlicher Verzicht.

Aber so wie ich Sie, Herr R., verstehe, wollen Sie sagen, dass häufig Dinge als "guter Konsum" angepriesen werden, wenn etwas "emissions-effizient" ist, aber dennoch vollkommener Luxus und sich auch darauf verzichten liesse? (z.B. wenn wer ein Ferienhaus in den Bergen bauen lässt, es aber gut isoliert und das dadurch als guten Konsum darstellt)

Ich stimme zu, dass es da viel zu Verwechslungen liegt. Das liegt häufig daran, dass bei gewissen Dingen nur "Emissions-Effizienz" möglich ist (wir müssen irgendwas essen), während auf Luxus auch ganz verzichtet werden kann. Es ist schwierig zu sehen, wo welche der beiden Fälle passt.

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Worin liegt denn der Nutzen für das Klima wenn man zuhause bleibt, anstatt z.B. mit dem Velo in die Stadt oder aufs Land zu fahren? Kommt nun die Eichenberger-Logik?

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Darum geht es ja gar nicht, sondern darum, dass man sich nicht überlegen fühlen sollte, wenn man sich z.B. das dreimal teurere Bahnticket und die zusätzliche Stunden leistet, die für einen Flugverzicht notwendig sind.
Ausserdem erzeugt Radfahren Mikroplastik und das Fahrrad wurde in China hergestellt und quer durch die Welt geschippert (nicht ernst gemeint). Ich plädiere ja nicht für den kompletten Verzicht, dann könnte man ja gleich Tod umfallen.

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Ich bin immer etwas amüsiert wenn ich den Begriff „Verzichten“ lese oder höre, denn er hat im Sprachgebrauch zwei gegensätzliche Bedeutungen: Sich etwas nicht aneignen was man begehrt oder etwas nicht wollen, was einem aufgedrängt wird. Im zweiten Sinn verzichte ich gerne auf den Ton bei Werbesendungen oder würde gerne auf die Kataloge und Werbebeilagen verzichten die versteckt in meinen Tages und Wochenzeitungen ungefragt geliefert werden (monatlich mehrere kg). Zum ersten Sinn habe ich ein sehr unverkrampftes Verhältnis. Wenn ich beschlossen habe etwas nicht zu brauchen, dann kann man dies ja gar nicht als Verzicht bezeichnen, denn ein solcher sollte ja wehtun. Wenn man mit Präferenzen statt mit Begierden (must have) durchs Leben geht, muss man auf nichts verzichten. Demonstrativen Verzicht, insbesondere mit Stolz verbundenen, halte ich für eine höhere Form von Dummheit.

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Ich habe den Eindruck, dass wir unser moralisches und also auch unser mehr oder weniger klimafreundliches Verhalten im Sinne von sozialer Anpassung zuallererst an unsere Peer-Group anpassen. Wir tendieren dazu, uns so zu verhalten, dass wir von unserer Gruppe akzeptiert werden. Wir möchten nicht zu weit von den Normen abweichen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in gewissen Kreisen regelrecht abschreckend ist, sich klimafreundlich zu verhalten, insbesondere wenn diese Anstrengungen nicht von der Peer-Group geteilt oder wertgeschätzt werden.

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Interessant. Danke.

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lieber herr strassberg
Ihre analyse in ehren, auch wenn mir nicht ganz klar ist worauf sie hinauswollen. Jedenfalls dünkt mich, wir alle, sie und ich haben noch nicht wirklich begriffen, wie ernst die lage ist. Deshalb ist die schlussfolgerung, die entwicklungsländer und die schwellenländer seien von uns nicht über verzicht zu belehren, schlicht falsch: wenn es brennt hinter ihnen, so laufen sie und rufen den menschen links und rechts zu: lauft! In einer solchen situation käme man gar nicht auf die idee, vor dem feuer davonzulaufen sei eine frage der „askese“ und der vorstellung, dadurch ein besserer mensch zu sein. darum geht es schlicht und einfach nicht! Hören sie bitte den gastvortrag des biologen mark benecke zum thema „Klimawandel und Artensterben“ vom 5.3.24 an der Hochschule für Finanzwirtschaft und Management Bonn:
https://youtu.be/66cLQ5lGyuw?si=PyXm0fjojN7sIldY.
Ich bin fest überzeugt, sie werden ihren artikel neu schreiben müssen, wenn sie den vortrag gehört haben. Seit 1970 wissen wir, was sache ist und machen nichts. ja, wir erlauben uns sogar als neuesten gag „grünen bashing“ (ich sehe gerade, dass es dazu einen artikel in der R gibt) und tun so, als ob es privatsache der wissenschafter sei, über den klimawandel zu reden und forderungen zu erheben, aber dass es uns eigentlich nichts anginge.
Ich bin gespannt auf ihre antwort.
freundliche grüsse kh

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Wenn Sie und andere Menschen vor dem Feuer davonlaufen, sind alle gleich und alle gleich unmittelbar betroffen - das ist der grosse Unterschied.

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Genau so ist es! Wenn sie den vortrag von mark benecke sich angehört haben, werden sie begreifen, dass vom klimasterben „alle gleich und alle gleich unmittelbar betroffen“ sind, unabhängig davon, wieviel oder wie wenig einzelne länder in der vergangenheit dazu beigetragen haben mögen. Die erde wird überall brennen und deshalb macht es keinen sinn, die länder, die bisher einen geringeren anteil am „wohlstand“ gehabt haben, vom „verzicht leisten“ verschonen zu wollen; auch sie werden verzichten müssen, resp. „laufen“ müssen, um im bild zu bleiben. Und wir werden „verzichten“ ohne uns einbilden zu können, wir würden einen heroischen akt leisten, wie es herr strassberg insinuiert, denn wir tun dies schlicht und einfach, weil wir müssen. (Abgesehen davon macht es auch keinen sinn, dass die entwicklungsländer noch ein wenig vom verbrennen von öl und gas, von einer chemisch-industrialisierten kandwirtschaft etc.etc. profitieren können sollen, warum auch. Sie würden nur ihr eigenes elend noch vorantreiben und ohnehin gleichzeitig mit uns aus ganz anderen gründen als am fehlenden wohlstand (viel geld horten, auto fahren, fliegen, ferien auf den malediven buchen, fleisch und fisch konsumieren etc.etc.) zu leiden haben, nämlich kein essen mehr zu haben. Das ist nicht ihre vollständig eigene schuld, aber ich denke, jedes land dieser erde hätte an dem wahnsinn unseres wohlstands teilgenommen, hätte es die möglichkeit dazu gehabt. Das ist kein vorwurf, nur eine feststellung. Mea culpa, mea maxima culpa.
Hören sie sich mark beneke an, dann wissen sie was ich meine. Und sie wissen auch, was sie jetzt tun ‚müssen‘: nämlich verzicht leisten. freundliche grüsse kh.

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Bestimmt aber wäre es leichter in einer Gesellschaft, die zwischen denen, die verzichten müssen, und denen, die verzichten können, keine Grenze ziehen würde. In einer gerechteren Gesellschaft also.

Dies wäre das perfekte Plädoyer für das Konzept der Klimagerechtigkeit, der eine gerechte Transition verlangt. Oder, um die Voraussetzungen bereits vor dem Übergang zu gewährleisten, für das globale Bedingungslose Grundeinkommen. Denn dadurch müssten alle nicht verzichten, sondern könnten alle verzichten. Das Verzichten-Können wäre also kein Privileg mehr.

Einen einfachen Ausweg aus dem Dilemma, dass wir verzichten müssen, den Verzicht aber nicht als soziale Grenzlinie missbrauchen dürfen, gibt es nicht.

Aber selbst wenn alle durch ein BGE potenziell verzichten könnten, heisst dies noch nicht, dass alle verzichten wollten – auch wenn sie sollten. Es tun sich also zwischen den Modalitäten Können (Vermögen, Fähigkeit), Wollen (Wunsch, Wille) und Sollen (Pflicht, Gebot) Abgründe auf, die es zu überbrücken gilt. Doch wie? Beispielsweise durch Aufklärung, Einsicht in die Vernunft, freiwillige Selbstverpflichtung. Doch hier scheiden sich bereits die Geister entlang sozialer Grenzlinien. Stichworte: Aufgeklärtes, vernünftiges (Bildungs-)Bürgertum vs. Ignorantes Proletariat und irrationale Masse.

Oder durch gesetzlichen Zwang, Gehorsam gegenüber Verbote und Gebote und Überwachen und Strafen. Aber auch hier: Wer macht die Gesetze? Politische (Bildungs-)Elite vs. ungebildete Untertanen.

Vielleicht wäre Verzicht heute leichter einzufordern, wenn es ohne die beschämende Herablassung geschehen würde, welche die Wünsche der Menschen beständig in richtige und falsche unterteilt.

Im Englischen gibt es den Unterschied zwischen virtue und virtue signalling, also zwischen Tugend bzw. tugendhaftem Handeln und Tugendsignalisierung bzw. Zurschaustellung moralischer Werte. Letzteres fungiert als Mittel zur scheinbaren Bestätigung der moralischen Superiorität, nicht selten durch direkte oder indirekte Verweise der moralischen Inferiorität Anderer. Also beschämende Herablassung und Verachtung.

Das Gegenmittel wäre: Einfach nur ethisch handeln, ohne dies zur Schau zu stellen. So dass man sich selbst und sein Handeln nicht als besser signalisiert und Andere und deren Handeln als schlechter. Doch wird beim Verzichten nicht immer indirekt zumindest mitgeteilt, dass dasjenige worauf man verzichtet, schlecht ist?

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Eine Kolumne zu einem zweifellos wichtigen Thema. Strassberg adressiert eine Grundfrage unserer Zeit: Welche Zumutungen sind für freie, demokratische Bürger:innen im Zusammenhang mit der grössten Erwärmung in der Geschichte unseres Planeten verbunden? Leider hinterlässt der Text vor allem im ersten Teil den Eindruck, dass der Autor mit einigen grundlegenden Erkenntnissen der Nachhaltigkeitsdebatte nicht vertraut ist.
Seine Ausführungen zum Verzicht bleiben sehr abstrakt. Wenn es um spezifische Verzichtsmomente geht, werden die im Kontrast zwischen Arm und Reich oder Nord und Süd dargestellt. Dabei ist seit vielen Jahren eine wichtige moralische Leitlinie in dieser Debatte anerkannt: es geht um Gerechtigkeit! Und weil es um Gerechtigkeit geht, sind vor allem Verzichtsmomente der Überprivilegierten in den Blick zu rücken. Das ist mittlerweile unbestritten Konsens in der Nachhaltigkeitsdebatte. Erst ganz am Schluss kommt der Artikel zum Punkt, wenn eine gerechtere Welt gefordert wird. Um es ganz kurz zu sagen – wie bisweilen in Tweet zu lesen – wir müssten uns in der heutigen Zeit, vor den riesigen Herausforderungen des Klimawandels und der damit einhergehenden Bedrohung unser aller Lebensgrundlagen eines klar machen: Wir alle können uns die massive Ungleichheit und die unglaublich Reichen nicht mehr leisten!

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Multifunktional
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Interessante Gedanken, danke. Die vielen Ebenen von Verzicht regen an, sich im Alltag zu reflektieren, wann und aus welchen Gründen wir uns selber für Verzicht oder Konsum entscheiden.

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Guter Text, reichlich Nachdenklichkeit. Ja, verzichten und "etwas weniger" statt verbieten. Und dabei ja nicht mit dem Finger in Richtung Süden zeigen. Ich orte in unseren Breitengraden nicht einen Parameter, der auf Verzicht oder Einschränkung hindeutet. Das leitet einen Denkprozess ein, der quälend werden kann. Auch unter der Prämisse, dass "immer mehr" auch mit "immer mehr Bevölkerung" im Zusammenhang steht. Aber nicht nur. Wo das hinführt? Wir werden sehen.

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